Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Urteil vom 12. Mai 2011
Aktenzeichen: 6 U 29/11

(OLG Frankfurt am Main: Urteil v. 12.05.2011, Az.: 6 U 29/11)

Zur Abgrenzung eines zulässigen mehrstufigen Direktvertriebssystems von einem unzulässigen, auf progressive Kundenwerbung ausgerichteten Vertriebssystem

Tenor

Die Berufung der Antragstellerin gegen das am 21.1.2011 verkündete Urteil der 12. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt am Main (Az.: 3/12 O 98/10) wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist rechtskräftig.

Gründe

I.

Die Parteien sind Wettbewerber im Bereich des Direktmarketings von Nahrungsergänzungsmitteln. Die Antragsgegnerin vertreibt unter dem Zeichen €A€ weltweit einen auf Basis der sog. Acai-Beere hergestellten Saft. Ihrem Vertriebssystem liegt der sog. €A € Vergütungsplan€ zugrunde (Anlage AS 3). Bestandteil des Vergütungsplans sind die im Tatbestand des angefochtenen Urteils näher beschriebenen Großbestellungs- (Bulk Order Bonus, im folgenden BOB) bzw. Erstbestellungsboni (First Order Bonus, im folgenden FOB). Die Antragstellerin sieht in der Ausgestaltung des Vergütungsplans und namentlich in den Konditionen zum Erhalt der o. g. Boni ein System progressiver Kundenwerbung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main (Bl. 289 ff. d. A.) verwiesen.

Das Landgericht hat die ursprünglich durch Beschluss vom 24. 8. 2010 gegen die Antragsgegnerin erlassene Verbotsverfügung (Bl. 62 € 64 d. A.) aufgehoben und den Eilantrag mit der Begründung zurückgewiesen, hier liege kein Fall der progressiven Kundenwerbung sondern vielmehr ein zulässiges Multi € Level € Marketingsystem vor. Eine Gesamtschau der Vergütungsregelungen belege, dass die Zielrichtung der Antragsgegnerin im Vertrieb ihres Produkts an Strukturfremde liege und nicht im Aufbau einer Käuferpyramide.

Die Antragstellerin hat form- und fristgerecht Berufung gegen das Urteil des Landgerichts eingelegt. Sie verfolgt ihr erstinstanzliches Ziel unter Wiederholung ihres bisherigen Vortrags weiter.

II.

Das Rechtsmittel ist nicht begründet. Der Antragstellerin stehen aus §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 UWG in Verbindung mit Ziffer 14 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG (sog. €Black List€) bzw. in Verbindung mit §§ 4 Nr. 11, 16 Abs. 2 UWG keine Ansprüche auf Unterlassung der streitbefangenen Vergütungsregeln im Rahmen des Vertriebssystems der Antragsgegnerin zu. Der Senat schließt sich den Erwägungen des Landgerichts an:

Nach herrschender Ansicht in der Literatur decken sich die Anwendungsbereiche der Ziffer 14 der €Black List€ und des § 16 Abs. 2 UWG (Dreyer in: Harte/Bavendamm u. a., UWG, 2. Aufl., Rn 6 zu Anh. § 3 Abs. 3 Nr. 14; Köhler/Bornkamm, UWG, 29. Aufl., Rn 14.5 zu Anh. § 3 Abs. 3 Nr. 14 UWG). Daher kann auf die zu § 16 Abs. 2 UWG entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden.

Die Abgrenzung zwischen zulässigem Multi € Level € Marketing (Strukturvertrieb) und unzulässiger progressiver Kundenwerbung ist demnach nur durch eine Gesamtbetrachtung des Vergütungssystems möglich. Es kommt darauf an, ob dessen Ausgestaltung in erster Linie dem Waren(ab)verkauf dient oder ob es typischerweise (€nach Art dieser Werbung€) darauf zielt, neue Teilnehmer in die Absatzstruktur einzubinden (Köhler/Bornkamm a.a.O., Rn 42 zu § 16 UWG). Letzteres ist dann der Fall, wenn dem Teilnehmer durch das Vergütungssystem besondere Vorteile versprochen werden, die nach ihrer Beeinflussungswirkung geeignet sind, die typische Dynamik eines Systems der sog. progressiven Kundenwerbung in Gang zu setzen (Köhler/Bornkamm a.a.O., Rn 39 zu § 16 UWG).

Der First Order Bonus (FOB) oder der Bulk Order Bonus (BOB) stellen weder für sich gesehen noch im Kontext des Vergütungsplans besondere Vorteile dar, die dem Vertriebssystem der Antragsgegnerin den Charakter einer progressiven Kundenwerbung geben.

1. Beim FOB verspricht die Antragsgegnerin dem Vertriebspartner für die von ihm bewirkte Erstbestellung eines neuen Distributors, beim BOB verspricht sie für die Großbestellung einer von ihm persönlich eingeführten Person (Einkaufswert > 550 €) eine einmalige Gratifikation. Der Vertriebspartner kann also von weiteren Geschäften, die seine angeworbenen Distributoren mit der vorgenannten Ware oder mit anderen Produkten tätigen, nicht profitieren. Den Boni fehlt somit das für § 16 Abs. 2 UWG typische €Kettenelement€. Die Tatsache, dass nur einmal eine €Marge€ verdient werden kann, Gratifikationen innerhalb der Absatzlinie also nicht €nach oben€ gereicht werden müssen, ist ein wichtiger Gesichtspunkt, der gegen die Progressivität des Vertriebssystems spricht, weil jedenfalls unter diesem Blickwinkel keine Verteuerung des Produkts innerhalb der Absatzstruktur droht (vgl. dazu Köhler/Bornkamm, a.a.O., Rn 14.4 zu Ziffer 14 im Anh. zu § 3 Abs. 3 UWG sowie Rn 33 zu § 16 UWG).

2. Die Antragstellerin sieht die Wettbewerbswidrigkeit der FOB und BOB daher auch nicht allein in den Gratifikationen selbst sondern vielmehr darin, dass sie mit einer monatlichen Mindestabnahme des Vertriebspartners in Höhe von 114 € verknüpft sind. Die Gratifikationen werden nämlich nur dann verdient, wenn der Vertriebspartner mit einem sog. €Personal Volume€ (PV), d. h. der Abnahme von Waren zum Warenwert von mindestens 100 PV €aktiv€ ist. Die Mindestabnahme zum Erhalt von 100 PV ist der Ankauf von einem Karton mit 4 Flaschen des Nahrungsergänzungsmittels €A€ zum Preis von 114,-- € (AG 23). Da das Personal Volume nach vier Wochen verfällt, wird der Vertriebspartner veranlasst, neue Geschäfte zu initiieren, wenn er in den Genuss der o. g. Boni kommen will. Hierin sieht die Antragstellerin einen psychischen Zwang zur übermäßigen Bevorratung und einen Anreiz, neue Vertriebspartner in gleicher Weise in die Struktur einzubinden.

3. Der Senat kann sich der Argumentation der Antragstellerin nicht anschließen. Die Verknüpfung der FOB und der BOB mit dem Aktivitätsstatus des Vertriebspartners könnte dem Vertriebssystem der Antragsgegnerin nur dann einen progressiven Charakter verleihen, wenn das System einerseits keine attraktiven alternativen Verdienstmöglichkeiten neben diesen Boni bieten würde, und wenn ferner der €Aktivitätsstatus€ nur durch ständige monatliche eigene Ankäufe erhalten werden könnte. Dann würde sich nämlich jeder Vertriebspartner bemühen, ständig neue Distributoren mit hohen Erstankäufen anzuwerben, um FOB und BOB zu kassieren. Die neuen Vertriebspartner würden sich dann veranlasst sehen, selbst in gleicher Weise eine nachgeordnete Vertriebsstruktur aufzubauen, um ihre Erstinvestition amortisieren zu können.

Die Antragsgegnerin hat glaubhaft machen können, dass ihr Vergütungssystem weitere Verdienstmöglichkeiten der Vertriebspartner für Verkäufe an neue Kunden €außerhalb der Struktur€ bereit hält und dass die Höhe der Boni beim FOB und BOB innerhalb des Vergütungssystems der Antragsgegnerin nicht so attraktiv sind, dass die alternativen Verdienstmöglichkeiten dahinter zurücktreten würden.

Die Vertriebspartner der Antragsgegnerin können die Acai-Produkte im Direktverkauf im Freundes- und Bekanntenkreis weiterveräußern und von der Marge zwischen dem von ihnen verlangen Großhandelspreis und einem von ihnen frei festlegbaren Einzelhandelspreis profitieren. Acai-Produkte sind wegen des hohen Vitamingehalts der im brasilianischen Urwald beheimateten Acai-Beere zur Zeit sehr begehrt und werden im Internet € Handel als Nahrungsergänzungsprodukte zu Preisen verkauft, die den Großhandelspreisen der Antragstellerin entsprechen. Da die Wettbewerber der Antragsgegnerin von den Endkunden zusätzlich noch Versandkosten verlangen, die der Vertriebspartner der Antragsgegnerin nicht zahlen muss, kann er im Direktvertrieb eine Marge realisieren. Die Antragsgegnerin hat mehrere eidesstattliche Versicherungen ihres stellvertretenden Vorstands B und einiger Vertriebspartner (Anlagen AG 10; AG 13 € 15) vorgelegt, die es nach dem Vorgenannten glaubhaft machen, dass derzeit der Direktvertrieb einzelner Flaschen/Kisten der €A€ - Produkte mit einer bestimmten Einzelhandelsspanne wirtschaftlich attraktiv ist.

Die Antragsgegnerin gewährt ihren Vertriebspartnern ferner für die Vermittlung sog. Vorzugskunden (Preferred Customers) Provisionen in Form des €Preferred Customer Bonus€. Vorzugskunden sind solche, die unter Vermittlung der Vertriebspartner angeworben werden und unmittelbar bei der Antragsgegnerin bestellen können. Eine Mindestbestellmenge wird nicht gefordert. Die Bestellung eines vom Vertriebspartner geworbenen Vorzugskunden bei der Antragsgegnerin führt beim Vertriebspartner zu einem Bonus in Höhe von 50 % des von dem Vorzugskunden erreichten Einkaufsvolumens, und zwar auch dann, wenn der Vertriebspartner nicht €aktiv€ war und selbst Produkte im Warenwert von > 100 € erworben hat.

4. Die Antragsgegnerin beruft sich mit Erfolg auf weitere Gründe, die dafür sprechen, dass das Vergütungssystem in erster Linie an einem Verkauf an Strukturfremde ausgerichtet ist:

Für den Eintritt in die Vertriebsstruktur der Antragsgegnerin und die Aussicht, an dem Vergütungsplan teilzuhaben, ist weder ein Eintrittsgeld noch eine Pflicht zur Mindestabnahme erforderlich. Der Erwerb einer zum Direktvertrieb erforderlichen Mindestausstattung (Verkostungen, Präsentation) von einem Karton mit vier Flaschen ist bereits im einem überschaubaren Kostenaufwand von 114 € zu bewerkstelligen. Die Vertriebspartner müssen daher keine hohen Erstinvestitionen tätigen, die sie €über die Kette€ amortisieren müssten.

Die Antragsgegnerin sieht in ihren allgemeinen Geschäftsbedingungen ausdrücklich die Möglichkeit vor, als Kunde die erworbenen Produkte bei Nichtgefallen innerhalb einer 90 € Tage Frist bzw. nach Vertragsbeendigung des Vertriebspartners innerhalb einer Frist von 12 Monaten zurückzugeben (Anlage AG 16 Anhang B). Diese Rückgabemöglichkeiten sind wichtige Indizien, die gegen die Progressivität des Vertriebssystems und für den Aufbau eines auf den Produktabsatz bezogenen Vertriebsnetzes sprechen (vgl. Harte/Bavendamm a.a.O., Rn 42 zu § 16 UWG; Leible WRP 1998, 18, 20).

Sowohl der FOB als auch der BOB sind, anders als im Eilantrag beschrieben, nach oben €gedeckelt€. Ein mit 200 PV aktiver Vertriebspartner erhält beispielsweise für die Großbestellung eines von ihm eingeführten Kunden mit einem Warenwert von über 500 € maximal einen Bonus von 75 GBU (~ 75 USD, d. h. circa 51 EUR). Damit ist der Anreiz, Neukunden oder Großkunden zu werben, die ihrerseits in die Vertriebsstruktur der Antragsgegnerin eingebunden werden, gegenüber dem Anreiz, Endverbraucher als Kunden zu werben und über die €Marge€ zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis Gewinne zu erzielen, nicht in besonderer Weise erhöht.

Die Antragsgegnerin beugt durch ihre Geschäftsbedingungen einer extensiven Lagerhaltung vor. Das Erkaufen von €Rängen€ zum Erhalt weiterer Boni wird untersagt (Ziffer 6 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen AG 16).

Die Anforderung €aktiv€ zu bleiben, um Gratifikationen beim Verkauf an Neukunden (FOB) und Großkunden (BOB) zu erzielen, lässt sich mit dem Ziel des Direktvertriebssystems rechtfertigen. Die Anforderung richtet sich an alle Vertriebspartner auf allen Vertriebsstufen. Damit werden auch die Vertriebspartner auf den €höheren Ebenen€ angehalten, sich fortwährend für den Produktabsatz und die Anwerbung neuer Vertriebspartner einzusetzen und können sich nicht darauf verlassen, von den Verkaufserfolgen nachgeordneter Vertriebspartner zu profitieren. Diese fortwährende Aktivitätspflicht auf den höheren Vertriebsstufen ist ein Charakteristikum des zulässigen Direktvertriebs und grenzt ihn vom progressiven Vertriebssystem ab.

Zuletzt zeigt auch die im Vergütungsplan abgedruckte Einkommensübersicht den Interessenten, dass die Verdienstmöglichkeiten für den ganz überwiegenden Teil der Vertriebspartner erheblich eingeschränkt sind, womit dem Anreiz, sich durch schnellen Eintritt in das Vertriebssystem einen €vorderen Rang€ innerhalb der Absatzkette einzunehmen, entgegengewirkt wird.

Durch die dargestellte Gesamtschau gelangt der Senat zu demselben Ergebnis wie das Landgericht. Ein Verbot der streitbefangenen Boni wegen des Vorwurfs einer progressiven Vertriebsstruktur ist nicht gerechtfertigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.






OLG Frankfurt am Main:
Urteil v. 12.05.2011
Az: 6 U 29/11


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