Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Urteil vom 7. Juli 2015
Aktenzeichen: 5 U 187/14

(OLG Frankfurt am Main: Urteil v. 07.07.2015, Az.: 5 U 187/14)

Auf die mündliche Verhandlung mit dem vollmachtlosen, zur Prozessführung einstweilen zugelassenen Vertreter kann ohne Notwendigkeit der Wiedereröffnung Endurteil in der Sache ergehen, wenn nachfolgend, aber vor dem zur Verkündung einer Entscheidung bestimmten Termin, die Partei die Prozessführung genehmigt.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 26. August 2014 verkündete Urteil der 5. Kammer für Handelssachen teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass das Vorstandsamt des Klägers nicht wirksam widerrufen worden ist.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben die Parteien je hälftig zu tragen.

Das Urteil und das angefochtene Urteil im Umfang seiner Aufrechterhaltung sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 8.000,00 €

Gründe

I.

Die Beklagte ist eine Aktiengesellschaft mit einem Grundkapital von 50.000,00 €, der Kläger und die A AG mit Sitz in der Schweiz hatten im Jahr 2009 die Aktien, seinerzeit Namensaktien, je hälftig erworben.

Am 8.1.2010 vereinbarten der Kläger und die A AG, dass der Kläger die Aktien der A AG, die diese ihm übertragen hatte, für diese treuhänderisch halte.

Streitig ist, ob diese Treuhandvereinbarung noch im Jahre 2012 und darüber hinaus weiterhin Geltung hatte und wer von den beiden Aktionären diese Stellung noch inne hat.

Am 31.01.2014 fand eine Hauptversammlung der Beklagten statt, nachdem das Amtsgericht € mit Beschluss vom 20.11.2013 - HRB € - gem. § 122 Abs. 3 AktG die A AG zur Einberufung einer Hauptversammlung u. a. mit den Tagesordnungspunkten €Abberufung der Mitglieder des Aufsichtsrats A1 und A2" und €Neubestellung von Mitgliedern des Aufsichtsrat€ ermächtigt hatte, wobei zur Wahl für den Aufsichtsrat A3 und A4 vorgeschlagen wurden.

Zu dieser Hauptversammlung wurde im Bundesanzeiger vom 23.12.2013 geladen.

Entsprechend zuvor während der Versammlung eingebrachter Vorschläge der A AG wurde das Aufsichtsratsmitglied A5 abberufen, den gerichtlich bestellten Aufsichtsratsmitgliedern A1 und A2 das Vertrauen entzogen und entsprechend einem ebenfalls in der Hauptversammlung gestellten Änderungsantrag der A AG wurden A6, A7 und A8 zu Mitgliedern des Aufsichtsrats gewählt.

Der in der Versammlung gewählte Aufsichtsrat berief am 31.1.2014 den Kläger als bisherigen Vorstand ab und bestellte einen Herrn B als neuen Vorstand.

Der Kläger ist derzeit noch als alleiniger Vorstand im Handelsregister eingetragen.

Neben der vorliegenden Klage gegen die Wirksamkeit seiner Abberufung als Vorstand und der Ernennung des Herrn B zum Vorstand hat der Kläger eine Beschlussmängelklage erhoben, die - beim Senat zu Az. 5 U 177/14 anhängig gewesen - nach Zurückweisung der Berufung des Klägers durch Urteil des Senats vom 19. Mai 2015 auch zweitinstanzlich erfolglos geblieben ist.

Der Kläger hat zunächst geltend gemacht, bereits die Wahl des Aufsichtsrats sei unwirksam, dessen Beschlüsse, ihn als Vorstand abzuberufen und Herrn B zum Vorstand zu ernennen, mithin nichtig. Später hat er vorgetragen, es habe auch kein wichtiger Grund für die Abberufung vorgelegen.

Die Beklagte ist der Klage entgegen getreten.

Für die Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil (Bl. 151-163 d. A.) Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Das Landgericht hat die Klage als unbegründet abgewiesen.

Der Abberufungsbeschluss sei formell wirksam, der in der Hauptversammlung vom 31.01.2014 gewählte Aufsichtsrat befugt gewesen, über Abberufung und anderweite Bestellung zu entscheiden, weil der Hauptversammlungsbeschluss über die Wahl des Aufsichtsrats vom 31.01.2014 weder nichtig noch anfechtbar gewesen sei und ein wichtiger Grund für die Abberufung des Klägers vorgelegen habe.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, der weiterhin die formelle und materielle Unwirksamkeit der Abberufung unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens geltend macht, bezüglich des wichtigen Grundes die Verletzung des § 286 ZPO rügt und sich auch auf Verfristung beruft.

Nachdem der Kläger zunächst den Antrag angekündigt hat,

unter Abänderung des am 26.08.2014 verkündeten Urteils des Landgerichts Frankfurt am Main zum Az. 3-05 O 36/14 festzustellen,

1. dass seine Abberufung als alleiniger Vorstand der X AG durch Beschluss des Aufsichtsrats vom 31.1.2014 unwirksam ist,

2. dass die Ernennung des Herrn B als alleiniger Vorstand der

X AG durch Beschluss des Aufsichtsrats vom 31.1.2014 unwirksam ist,

hat er nach Erörterung in der mündlichen Verhandlung namentlich auch der Frage, ob es eine Widerrufserklärung gegenüber dem Kläger auf der Grundlage des angegriffenen Aufsichtsratsbeschlusses gibt, und auf die Erklärung des Prozessbevollmächtigten der Beklagten, in Bevollmächtigung des Aufsichtsratsvorsitzenden zu erklären, dass das Vorstandsamt des Klägers durch den Aufsichtsratsbeschluss vom 31.01.2014 widerrufen worden sei,

die besondere Vollmacht des Aufsichtsratsvorsitzenden wie auch eine ausreichende Prozessvollmacht bestritten.

Nunmehr beantragt er noch,

festzustellen, dass das Vorstandsamt des Klägers nicht durch eine Willenserklärung des Aufsichtsratsvorsitzenden wirksam widerrufen worden ist,

hilfsweise,

festzustellen, dass der Aufsichtsratsbeschluss vom 31.1.2014 nichtig ist,

hilfsweise,

festzustellen, dass der Aufsichtsratsbeschluss vom 31.1.2014 unwirksam ist,

hilfsweise,

die Abberufung des Klägers als Vorstand für unwirksam zu erklären, weil ein wichtiger Grund fehlt.

Die Beklagte hat den neuen Anträgen widersprochen und beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Mit in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat verkündetem Beschluss ist der Beklagten ein Schriftsatznachlass zu den geänderten Anträgen gewährt und dem Beklagtenvertreter aufgegeben worden, bis zum 19. Mai 2015 seine Prozessvollmacht nachzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Berufungsrechtszug wird auf die bis zur mündlichen Verhandlung gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Nachfolgend hat der Kläger den Schriftsatz vom 13.05.2015 (Bl. 361 bis 370 d. A.) und vom 15.06.2015 (Bl. 413 bis 414 d. A.), die Beklagte den Schriftsatz vom 18.05.2015 (Bl. 387 bis 399 d. A.) eingereicht. Eingehend am 18.05.2015 ist die Kopie der Prozessvollmacht der Mitglieder des am 31.01.2014 gewählten Aufsichtsrats der Beklagten und innerhalb bis zum 15.06.2015 gewährter weiterer Frist vom Beklagtenvertreter das Original sowohl dieser Prozessvollmacht (Bl. 407 d. A.) wie derjenigen des Vorstands B (Bl. 408 d. A.) vorgelegt worden.

II.

Der gerichtlichen Entscheidung steht kein prozessuales Hindernis entgegen.

Der Rechtsstreit ist durch die nach Rechtshängigkeit mit Beschluss des Insolvenzgerichts vom 21.08.2014 (Bl. 167 ) erfolgte Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Beklagten nicht unterbrochen worden (§ 240 ZPO), weil die Klage nicht die Insolvenzmasse, sondern die Wirksamkeit von Entschließungen des Aufsichtsrats der Beklagten betrifft, die ihrerseits nicht zu einer Vergrößerung der Insolvenzmasse geführt haben (vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 19.07.2011 - II ZR 246/09, Juris-Rn. 8 für die ähnlich gelagerte Problematik der aktienrechtlichen Beschlussmängelklage).

An dem Erlass eines Endurteils ist der Senat nicht etwa deshalb gehindert, weil mit Blick auf die Vorlage der Prozessvollmacht der Mitglieder des am 31.01.2014 gewählten Aufsichtsrats der Beklagten nunmehr Anlass bestanden hätte, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen und Termin zu bestimmen (§ 156 ZPO).

Die Wiedereröffnung war im Streitfall nicht veranlasst.

Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten ist, nachdem der Kläger die Vollmachtsrüge (§ 88 Abs. 1 ZPO) erhoben hat, verfahrensfehlerfrei zwar nicht durch ausdrücklichen Beschluss, aber, was zulässig ist, vom Senat in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens stillschweigend (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 89, Rn. 3) ohne dahingehenden Widerspruch des Klägers zur Prozessführung einstweilen zugelassen (§ 89 Abs. 1 Satz 1 ZPO) und es ist ihm eine Frist, der keine Ausschlusswirkung zukommt (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2011 - XII ZB 233/11 -, Rn. 8, juris), zur Beibringung der Vollmacht gesetzt worden (§ 89 Abs. 1 Satz 2 ZPO).

Nachfolgend ist die Vollmacht im Original vorgelegt worden, darin liegt zugleich eine Genehmigung der bisherigen Prozessführung des Prozessbevollmächtigten (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Oktober 2013 - V ZB 9/13 -, Rn. 6, juris).

Dieser Genehmigung bedurfte es, denn das Vorhandensein einer wirksamen mündlichen Vollmacht im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung kann der Entscheidung nicht zugrunde gelegt werden.

Insoweit bedarf die Frage, ob infolge der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, wenn sie - wie hier - nicht zur Unterbrechung des Verfahrens geführt hat, die Vollmacht erlischt, nachdem die durch § 240 ZPO angeordnete Verfahrensunterbrechung notwendige Folge des auf § 117 InsO beruhenden Wegfalls der Prozessvollmacht ist (BGH, Beschluss vom 11. Dezember 2008 - IX ZB 232/08 -, Rn. 14, juris), keiner Vertiefung. Ebenso kann dahinstehen, ob sich in diesem Ausnahmefall das Erlöschen der Vollmacht über §§ 116 Satz 1, 115 Abs. 1 InsO, 675 Abs. 1, 168 Satz 1 BGB ergeben könnte.

Denn die vom Prozessbevollmächtigten der Beklagten im Termin behauptete mündliche Vollmacht, namentlich auch eine solche zur Prozessführung, ist durch die als Anlage B 10 im Original vorgelegte schriftliche Vollmacht nicht bewiesen.

Die Urkunde ist von keinem Mitglied des Aufsichtsrats, der, wie noch auszuführen ist, in seiner jetzigen personellen Zusammensetzung die Beklagte im Rechtsstreit mit dem Kläger vertritt, vor dem 24.04.2015 unterzeichnet worden.

Die in der Vollmacht abgegebene weitere Erklärung der Unterzeichner, den Prozessbevollmächtigten bevollmächtigt zu haben, lässt keinen hinreichend sicheren Schluss darauf zu, dass die wie auch immer geartete Erteilung der Vollmacht durch sämtliche Mitglieder des Gremiums bereits vor dem Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung stattgefunden hat. Ohne Vorlage einer den Zeitraum bis zum Verhandlungstermin abdeckenden schriftlichen oder Nachweis der entsprechenden mündlichen Vollmacht kommt es aber auf die Genehmigung der Prozessführung des die Beklagte vertretenden Rechtsanwaltes an (§ 89 Abs. 2 ZPO). Diese ist in der nachfolgenden Vorlage einer schriftlichen Vollmacht zu sehen (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 1995 - X ZB 11/92, BGHZ 128, 280-295, BPatGE 35, 282, Rn. 17).

Diese Feststellung setzte den Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung nicht voraus.

Lediglich im umgekehrten Fall, dass der einstweilen Zugelassene weder eine Vollmacht noch eine Genehmigung beibringt, ist über die sich hieraus ergebenden Folgen des Fristablaufs mündlich mit dem hierzu zu ladenden vorläufig Zugelassenen mündlich zu verhandeln (vgl. BGH, Urteil vom 07. März 2002 - VII ZR 193/01 -, Rn. 8, juris; OLG Koblenz, NJW-RR 2006, 377). Soweit dies auch in der vorliegenden Konstellation bejaht wird (vgl. MünchKomm/ZPO/Toussaint, 4. Aufl. 2013, § 89, Rn. 7), folgt der Senat dem nicht.

Bereits der Wortlaut des § 89 Abs. 1 Satz 2 ZPO spricht gegen eine derartige Notwendigkeit. Die Bestimmung ordnet lediglich an, dass bis zum Ablauf der für die Beibringung der Genehmigung gesetzten Frist das Endurteil nicht erlassen werden darf. Dies besagt nichts für die Frage, ob die Berücksichtigung der Genehmigung, nachdem mit dem einstweilen Zugelassenen mündlich verhandelt worden und ihm sogleich eine Frist zur Vorlage der Vollmacht gesetzt worden ist, neuerlich eine mündliche Verhandlung erfordert.

Hiervon ist nach Ansicht des Senats bereits deshalb nicht auszugehen, weil während der Dauer der Zulassung der Zugelassene alle Rechte und Pflichten eines Prozessbevollmächtigten i.S. der §§ 85, 172, 244 und 246 ZPO hat, d. h., dieser ist zur wirksamen Vornahme von Prozesshandlungen gegenüber Gericht und Gegner ermächtigt (vgl. Stein/Jonas/Bork, ZPO 22. Aufl. 2004, § 89, Rn. 4). Deshalb darf das Gericht den Prozess mit Ausnahme von Entscheidungen, die für das Verfahren nach Klärung der Vollmachtfrage präjudizierend wären, in jeder Weise vorantreiben (vgl. Wieczorek/Schütze/Steiner, ZPO, 3. Aufl. 1994, § 89, Rn. 4).

Bereits das berechtigt dazu, im Falle rechtzeitiger, grundsätzlich zurückwirkender (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 30 Aufl. 2014, § 89, Rn. 12) Genehmigung diejenige mündliche Verhandlung mit dem vorläufig Zugelassenen zur Grundlage der zu treffenden Entscheidung zu machen, andernfalls die vorläufige Zulassung weitgehend ohne Sinn bliebe.

Wäre in jedem Fall wieder in die mündliche Verhandlung einzutreten, ermöglichte das den Parteien z. B. weiteren Vortrag, was naheliegend die Gefahr der Verzögerung des Rechtsstreits und der willkürlichen und missbräuchlichen Erhebung der Rüge begründete.

Zudem kann nach allgemeiner Meinung eine Genehmigung unbestritten jedenfalls dann auch noch in der Rechtsmittelinstanz erklärt werden, wenn nicht ein klageabweisendes Prozessurteil gerade auf den Vollmachtsmangel gestützt worden ist (vgl. Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl. 2015, § 89, Rn. 17).

Denn die Genehmigung braucht, da § 89 ZPO insoweit keine Begrenzung festlegt, nicht schon vor Erlass der Entscheidung in derselben Instanz erklärt zu werden, in der der Vertreter vollmachtlos gehandelt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Oktober 1979 - VIII ZB 20/79 -, Rn. 9 bei juris, vgl. auch § 547 Ziff. 4 ZPO).

Daraus ist zu folgern, dass es erst recht zulässig ist, die Genehmigung ohne Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung in der Instanz zu berücksichtigen, in der vollmachtlos gehandelt worden ist.

Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt wie gerechtfertigt worden und auch mit Rücksicht darauf zulässig, dass der Kläger seinen Antrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geändert hat.

Denn auch mit den neuen Anträgen verfolgt der Kläger die Beseitigung der in dem angefochtenen Urteil für ihn liegenden Beschwer insoweit weiter, als er weiterhin die Feststellung der Unwirksamkeit seiner Abberufung begehrt, den Unwirksamkeitsgrund nun aber vorrangig darin sieht, wie der dieses Begründungselement enthaltende und deshalb zwanglos im vorgenannten Sinne auszulegende, in der mündlichen Verhandlung gestellte Hauptantrag ergibt, dass insoweit keine Willenserklärung des Vorsitzenden des Aufsichtsrats vorliegt.

Allerdings hat der Kläger mit dem Hauptantrag die Berufung teilweise insoweit zurückgenommen, als er zunächst auch die Abweisung der Klage betreffend die Ernennung des Vorstands B zum Vorstand bekämpft hat, was aber ohne Zustimmungserfordernis in seinem freien Belieben stand (§ 516 ZPO).

Die Berufung, soweit weiterverfolgt, hat nach dem Hauptantrag in der Sache Erfolg.

Die Klage ist zulässig.

Die Beklagte ist ordnungsgemäß vertreten (§ 51 Abs. 1 ZPO).

Eine Aktiengesellschaft wird in Rechtsstreitigkeiten mit dem Vorstand durch den Aufsichtsrat (§ 112 AktG), vorliegend in Person der in der Hauptversammlung vom 31.01.2014 gewählten Mitglieder, vertreten. Insoweit ist entgegen der Ansicht des Klägers irrelevant, ob der zugrunde liegende (Wahl-)Beschluss der Hauptver-sammlung nichtig oder anfechtbar ist. Für Pflichten, Haftung und Vergütung des Organs ist anerkannt, dass auf den Aufsichtsrat die Grundsätze der fehlerhaften Bestellung anwendbar sind (vgl. BGH, Urteil vom 19. Februar 2013 - II ZR 56/12, BGHZ 196, 195-207, Rn. 19). Diese besagen, dass es für die Organpflichten auf die tatsächlich ausgeübte Funktion ankommt (vgl. BGH, Urteil vom 03. Juli 2006 - II ZR 151/04 -, BGHZ 168, 188-200, Rn. 14). Dementsprechend hatte die Zustellung - wie vom Landgericht veranlasst - an mindestens eines der neu gewählten Mitglieder zu erfolgen (§ 170 Abs. 3 ZPO), was bei zwei Aufsichtsräten denn auch geschehen ist (Bl. 37, 38 d. A.).

Die Zulässigkeit der Klage scheitert im Weiteren nicht daran, dass der Kläger die Klage geändert hätte (§§ 263, 533 ZPO) und die daran zu stellenden Voraussetzungen nicht erfüllt seien, wie die Beklagte meint.

Mit dem in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gestellten Hauptantrag ist nicht etwa der Streitgegenstand ausgewechselt und die Klage i. S. von § 263 ZPO geändert, sondern lediglich i. S. von § 264 Nr. 1 ZPO ohne Änderung des Klagegrundes der Tatsachenvortrag ergänzt worden.

Deshalb kommt es auf die besonderen Voraussetzungen des § 533 ZPO bereits nicht an, die allerdings auch erfüllt wären, weil die Antragsänderung sachdienlich ist und hierauf bezüglicher neuer Vortrag zu berücksichtigen wäre, denn es liegen Zulassungsgesichtspunkte nach § 531 Abs. 2 ZPO vor, wie noch aufgezeigt werden wird.

Die Klage ist begründet.

Die Abberufung des Klägers als Vorstand, also der Widerruf der Bestellung i. S. d. § 84 Abs. 3 Satz 1 AktG, ist unwirksam.

Der Aufsichtsrat kann die Bestellung zum Vorstandsmitglied und die Ernennung zum Vorsitzenden des Vorstands widerrufen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt (§ 84 Abs. 3 Satz 1 AktG).

Der entsprechende Beschluss (§ 108 AktG), den der Aufsichtsrat der Beklagten gefasst hat, führt aber nicht unmittelbar zum Widerruf der Bestellung, sondern er bedarf der Bekanntgabe an den Abzuberufenden, dem eine entsprechende Willenserklärung zugehen muss (§ 130 Abs. 1 Satz 1 BGB; vgl. Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl. 2014, § 84, Rn. 33; BGH, Urteil vom 07.06.1962 - II ZR 131/61, BB 1962, 816, Rn. 15 bei juris; OLG Stuttgart, AG 2003, 211, Rn. 59, juris; Senatsurteil vom 17.02.2015 - 5 U 111/14, AG 2015, 363, Rn. 10, juris).

Eine solche Erklärung ist dem Kläger indessen zu keinem Zeitpunkt vor der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zugegangen.

Die entsprechende Behauptung des Klägers ist zwar im Berufungsrechtszug neu, wäre aber selbst unter der hier nicht vorliegenden Voraussetzung, dass sie von der Beklagten substantiiert bestritten worden wäre (§ 138 Abs. 1, 2 ZPO), als streitige Behauptung zu berücksichtigen.

Der entsprechende Vortrag betrifft einen Punkt, den bislang sowohl die Parteien wie das Landgericht übersehen haben, weshalb er Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gewesen und deshalb zuzulassen ist (§ 531 Abs. 2 Nr. 1, 2 ZPO).

Die Beklagte behauptet demgegenüber keine unmittelbar von einem hierzu vom Aufsichtsrat Bevollmächtigten oder vom Vorsitzenden des Aufsichtsrats, der gemäß § 7 Ziffer 5 der Satzung der Beklagten zur Abgabe von Erklärungen ermächtigt ist, im Namen des Aufsichtsrats die zur Durchführung der Beschlüsse erforderlichen Erklärungen abzugeben, abgegebene Erklärung.

Sie hat sich in der mündlichen Verhandlung und in dem nachgelassenen Schriftsatz vom 18.05.2015 darauf berufen, die Übermittlung durch einen Erklärungsboten reiche aus, was im Tatsächlichen dadurch geschehen sei, dass dem Kläger, der sich der postalischen Zustellung lange Zeit entzogen habe, durch das Handelsregister der Beschluss zugegangen sei.

Damit ist das Vorliegen einer Willenserklärung des Aufsichtsrats oder seines Vorsitzenden ebenso wenig dargetan wie der Zugang einer solchen Erklärung beim Kläger.

Das das Handelsregister führende Amtsgericht wird in Fällen der amtswegigen Bekanntgabe eingetragener Tatsachen an einen hiervon Betroffenen bereits nicht als Bote desjenigen tätig, der einen Eintragungsantrag stellt, übermittelt also nicht aufgrund eines privatrechtlichen Auftrags eine fremde Willenserklärung.

Der weitere Vortrag der Beklagten, der Kläger habe sich der postalischen Zustellung, also der Schaffung einer Empfangsvorrichtung entzogen, rechtfertigt, weil offensichtlich substanzlos, bereits nicht die Annahme einer diesbezüglichen Obliegenheitsverletzung des Klägers, bei deren Vorliegen zu erwägen sein könnte, ihn nach Treu und Glauben so zu behandeln, als sei ihm die zur Durchführung des Beschlusses des Aufsichtsrats erforderliche Erklärung zugegangen (vgl. Palandt/Ellenberger, BGB, 74. Aufl. 2015, § 130, Rn. 18).

Abgesehen davon kann die Übermittlung der erforderlichen Erklärung, die an keine Form gebunden ist, auch in anderer Weise erfolgen, z. B. per Telefax oder E-Mail. Dazu verhält sich der Vortrag der Beklagten aber schon nicht.

Der Umstand, dass der Beschluss des Aufsichtsrats dem Kläger in irgendeiner Weise bekannt geworden ist, anderenfalls er ihn nicht seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 26.02.2014 gegen den bestellten Vorstand B als Anlage hätte beifügen können, ersetzt den Zugang einer Erklärung des Aufsichtsrats nicht.

Unklar bleibt hiernach, auf welche Weise und von wem in welcher Eigenschaft der Beschluss des Aufsichtsrats an den Kläger gelangt ist, weshalb namentlich die Zugangsvermittlung durch einen von dem Aufsichtsrat beauftragten Boten nicht angenommen werden kann.

Die von dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat abgegebene Erklärung, in Bevollmächtigung des Aufsichtsratsvorsitzenden zu erklären, dass das Vorstandsamt des Klägers durch den Aufsichtsratsbeschluss vom 31.01.2014 widerrufen worden ist, ist zwar als Erklärung unter Anwesenden dem Kläger zugegangen.

Die Erklärung ist aber unwirksam.

Diese eigene Willenserklärung des Prozessbevollmächtigten im Namen des Vorsitzenden des Aufsichtsrats (§ 164 BGB) war von einer (mündlichen) Vollmacht (§ 167 BGB) des Aufsichtsrats oder dessen Vorsitzenden nicht gedeckt, weil eine solche - wie ausgeführt - der Entscheidung nicht zugrunde zu legen ist.

Bei der Vornahme eines einseitigen Rechtsgeschäfts, und hierzu zählt auch die Abgabe einer einseitigen, empfangsbedürftigen Willenserklärung (vgl. Palandt/Ellenberger, § 174 BGB, Rn. 2), ist die Vertretung ohne Vertretungsmacht unwirksam (§ 180 Satz 1 BGB).

Die Genehmigung der Prozessführung durch die Beklagte ist hierauf ohne Einfluss. Materiellrechtliche Wirkung entfaltet diese Genehmigung nicht (Wieczorek/Schütze, aaO., § 89, Rn. 9), sie heilt grundsätzlich nur die prozessualen Folgen des Vollmachtsmangels (vgl. Zöller/Vollkommer, aaO., § 89, Rn. 13).

Aber selbst wenn man eine materiellrechtliche Relevanz in Erwägung ziehen wollte, weil die Prozessvollmacht ihrerseits grundsätzlich auch zur Abgabe und zu dem Empfang von Erklärungen materiellrechtlichen Inhalts ermächtigt, soweit sie sich im Rahmen des Streitgegenstandes halten und der Erreichung des Prozesszieles dienen (vgl. Zöller/Vollkommer, aaO, § 81, Rn. 10), gilt im Streitfall nichts anderes.

Die Erklärung des Prozessbevollmächtigten der Beklagten war nicht genehmigungsfähig (§ 184 Abs. 1 BGB), weil sie nichtig war.

Zwar kommt die Genehmigung eines einseitigen Rechtsgeschäfts, wenn der Vertreter - wie vorliegend der Fall - die Vollmacht behauptet, in Betracht, wenn der Empfänger die Vertretungsmacht nicht beanstandet oder mit dem Handeln ohne Vertretungsmacht einverstanden war (§§ 180 Satz 2, 177 Abs. 1 BGB).

Die zweite Voraussetzung ist vorliegend offensichtlich nicht erfüllt. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers und der in Verhandlung persönlich anwesende Kläger selbst haben das Fehlen der Vollmacht gerügt und damit zum Ausdruck gebracht, mit dem Handeln des Prozessbevollmächtigten der Beklagten ohne Vertretungsmacht nicht einverstanden zu sein.

Denn mit der Rüge ist von Klägerseite in dem Zusammenhang mit der Zugangs-problematik auf der Hand liegend der Zweck verfolgt worden, zu diesem Zeitpunkt die Schaffung einer Voraussetzung der Wirksamkeit des Widerrufs der Bestellung durch den Prozessgegner zu verhindern.

Hiernach kommt es auf die weiteren zwischen den Parteien streitigen Fragen, namentlich darauf, ob der Beschluss des Aufsichtsrats formell nichtig sein könnte, weil, was der Kläger geltend macht, der Aufsichtsrat nicht wirksam bestellt worden sein soll, sondern der zugrunde liegende Beschluss der Hauptversammlung nichtig oder jedenfalls anfechtbar sei (vom Senat im Urteil vom 19.05.2015 zu Az. 5 U 177/14 verneint), nicht mehr an.

Offenbleiben kann dann auch, ob der Beschluss des Aufsichtsrats - dessen formelle Wirksamkeit unterstellt - von einem wichtigen Grund zum Widerruf der Bestellung gedeckt war.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits folgt aus §§ 91, 92 Abs. 1, 516 Abs. 3 ZPO, die teilweise Rücknahme der Berufung betrifft einen gegenüber dem zu entscheidenden gleichwertigen Gegenstand des Streits.

Die Vollstreckbarkeitsentscheidung folgt aus §§ 708 Nr.10 und 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs.2 ZPO nicht gegeben sind.

Weitere Nebenentscheidungen waren nicht veranlasst, weil ein Rechtsmittel gegen das Urteil nicht stattfindet (§§ 713, 544 Abs. 1 Satz 1 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO).

Der Streitwert war für die Berufungsinstanz abweichend von der erstinstanzlichen Festsetzung zu bemessen (§ 63 Abs. 2 GKG). Zum Zeitpunkt der Einleitung der Berufungsinstanz (§ 40 GKG) war das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten bereits eröffnet. Das nach § 3 ZPO zu schätzende Interesse des Klägers beim Streit um die (Ab-)Berufung eines Organmitglieds war daher sinnvollerweise nicht an den Nennwert (25.000,00 €) der zufolge seines Vorbringens vom Kläger gehaltenen Aktien anzuknüpfen, sondern nunmehr, weil angesichts der Bestellung eines Insolvenzverwalters von der umstrittenen Leistungsmacht dem Kläger kaum mehr etwas verbleiben kann, deutlich niedriger, nach Ansicht des Senats angemessen mit 8.000,00 €, zu bewerten.






OLG Frankfurt am Main:
Urteil v. 07.07.2015
Az: 5 U 187/14


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