Oberlandesgericht Köln:
Beschluss vom 6. März 2007
Aktenzeichen: 2 Ws 79 + 108/07

(OLG Köln: Beschluss v. 06.03.2007, Az.: 2 Ws 79 + 108/07)

Die Entscheidung des Gerichts, einen bisher im Rahmen eines Wahlmandats tätigen Verteidiger zum Pflichtverteidiger zu bestellen, kann weder vom Angeklagten noch vom Verteidiger angefochten werden. Es fehlt jeweils an der Verletzung eigener Rechte

Tenor

Die Beschwerden des Angeklagten (2 Ws 108/07) und seines Verteidigers ( 2 Ws 79/07) werden - jeweils auf ihre Kosten - als unzulässig verworfen

Gründe

I.

Rechtsanwalt L. hat sich mit Vollmacht vom 21.08.2006 zum Verteidiger des Angeklagten bestellt. Nach Anklageerhebung wurde er dem Angeklagten ohne dessen vorherige Anhörung und ohne Antrag durch den Vorsitzenden der zuständigen Strafkammer mit dem angefochtenen Beschluss als Pflichtverteidiger beigeordnet, und zwar nach der Nichtabhilfeentscheidung "zur Sicherung des Verfahrens".

Dagegen hat zunächst mit Schriftsatz vom 30.01.2007 der Verteidiger "Rechtsmittel" eingelegt mit der Begründung, er sei ungefragt und gegen seinen Willen beigeordnet worden ; es bestehe keine Bereitschaft, "das Wahlmandat als Pflichtverteidiger zu führen".

Mit weiterem Schriftsatz vom 22.02.2007 hat der Verteidiger ein persönliches Schreiben des Angeklagten vom 22.02.2007 vorgelegt, in dem der Angeklagte rügt, er sei nicht angehört worden, und er wolle seinen Wahlverteidiger nicht als Pflichtverteidiger beigeordnet erhalten.

Der Verteidiger sieht in der Beiordnung einen unzulässigen Eingriff in die verfassungsmäßig geschützten Rechte der freien Verteidigung, die er - auch im Interesse des Mandanten sowie auch unter gebührenrechtlichen Aspekten - frei von staatlicher Beaufsichtigung und Bevormundung führen dürfen müsse. Ein Sicherungsbedürfnis sei nicht erkennbar.

II.

1. Beschwerdeführer sind sowohl der Angeklagte persönlich als auch sein Verteidiger Rechtsanwalt L., weil beide geltend machen, durch den angefochtenen Beschluss jeweils in eigenen Rechten verletzt zu sein.

Der Senat erachtet beide Rechtsmittel mangels Beschwer für unzulässig.

2. Den Beschwerdeführern ist darin beizupflichten, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht erkennbar sind.

Der Bestimmung des § 143 StPO ist der Grundsatz zu entnehmen, dass der Beschuldigte keinen Pflichtverteidiger benötigt, wenn er - wie hier - bereits einen Wahlverteidiger hat (BGH NStZ 87,34).

Eine Ausnahme kann geboten sein, wenn ein unabweisbares Bedürfnis besteht, den Pflichtverteidiger neben dem Wahlverteidiger tätig bleiben zu lassen, so in Fällen sog. "Sicherungsverteidigung".

Ein solcher Fall ist in der angefochtenen Entscheidung angenommen worden, ohne dass jedoch den Akten zu entnehmen wäre, dass die Beiordnung eines Pflichtverteidigers zur Sicherung des Verfahrens geboten ist. Darüber hinaus erscheint es widersprüchlich, im Falle der Bestellung eines Sicherungsverteidigers gerade den Wahlverteidiger zum Pflichtverteidiger zu bestellen. Denn die "Sicherungsverteidigung" setzt regelmäßig die Befürchtung voraus, dass der Wahlverteidiger ausfallen oder sonst wie die Verteidigung nicht ausreichend sicherstellen könnte (vgl dazu näher KK-Laufhütte, StPO, 5. Aufl., § 141 Randnr 8). Dann darf aber nicht dieser, sondern muß ein anderer (weiterer) Verteidiger zum Pflichtverteidiger bestellt werden.

Des weiteren trifft zu, dass dem Angeklagten vor der Entscheidung entgegen § 142 Abs. 1 Satz 2 StPO keine Gelegenheit zur Bezeichnung eines Rechtsanwalts gegeben worden ist.

Dadurch ist indessen im Ergebnis keiner der beiden Beschwerdeführer in seinen Rechten beeinträchtigt.

3. Der Angeklagte selbst kann nicht dadurch beschwert sein, dass sein Wahlverteidiger zum Pflichtverteidiger bestellt wurde.

a) Der Angeklagte wird ungeachtet der Pflichtverteidigerbestellung unverändert von dem Verteidiger seines Vertrauens verteidigt, so dass seine entgegen § 142 Abs. 1 Satz 2 StPO unterbliebene Anhörung hier folgenlos bleibt. Es handelt sich nicht um den Fall einer sog. "aufgezwungenen Verteidigung", von der nur gesprochen werden kann, wenn dem Beschuldigten gegen seinen Willen ein Pflichtverteidiger neben seinem Wahlverteidiger bestellt wird. So liegt es hier nicht.

b) Pflichtverteidigung ist keine Verteidigung minderer Güte (vgl. BGH Urteil vom 4.7.01 - 2 StR 513/00 -). Wahl- und Pflichtverteidigung haben die gleiche Aufgabe und Funktion. Die Rechtsstellung des gewählten und des gerichtlich beigeordneten Verteidigers sind identisch (vgl BVerfG StV 01, 601; LR-Lüderssen, StPO, 25. Aufl., Vor § 137 Randnr. 161; einschränkend : nur für den Fall sog. "erbetener Wahlpflichtverteidigung" SK-Wohlers, StPO, Vor § 137 Randnr. 39 m.w.N.)

c) Das bestehende Wahlverteidigermandatsverhältnis wird durch die Pflichtverteidigerbestellung im vorliegenden Fall nicht berührt. Das Erlöschen der Verteidigervollmacht wird von der Rechtsprechung nur angenommen, wenn - wie im Regelfall, hier aber eben nicht - das Wahlmandat im Zusammenhang mit der Pflichtverteidigerbestellung niedergelegt wird (vgl BGH NStZ 91,94; KK-Laufhütte aaO, § 141 Randnr 1 m.w.N.)

d) Durch die Pflichtverteidigerbestellung werden gemäß § 45 RVG Gebührenansprüche des Verteidigers zu Lasten der Staatskasse begründet. Darin liegt ersichtlich für den Angeklagten ein gebührenrechtlicher Vorteil. Zwar kann der Pflichtverteidiger nach § 52 Abs. 1 RVG von dem Beschuldigten die Zahlung der Gebühren eines Wahlverteidigers verlangen. Auch darin liegt jedoch keine rechtliche Beeinträchtigung des Angeklagten, weil dieser seinem Verteidiger die Gebühren eines Wahlverteidigers aufgrund des fortbestehenden Wahlmandates ohnehin schuldet. Der Verteidiger kann die Wahlverteidigergebühren aufgrund des Wahlmandats sogar ohne die Beschränkungen des § 52 RVG geltend machen (vgl. Gerold/Schmidt-Madert, RVG, 16. Aufl., § 52 Randnr. 11).

4. Auch Rechtsanwalt L. ist durch die Bestellung zum Pflichtverteidiger nicht beschwert.

a) Rechtsanwälte sind gemäß § 49 Abs. 1 BRAO berufsrechtlich verpflichtet, die Verteidigung zu übernehmen. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese "Indienstnahme Privater zu öffentlichen Zwecken" bzw. dieses "Sonderopfer des Strafverteidigers im öffentlichen Interesse" bestehen nicht (BVerfGE 39,238; BVerfG, 2 BvR 1520/01 vom 30.3.2004; Hartung-Lörcher, BRAO, 3.Aufl., § 49 Randnr. 3).

Unabhängig hiervon wird dem Beschwerdeführer schon kein "Sonderopfer" abverlangt. Er ist aufgrund der Pflichtverteidigerbestellung zu einer Verteidigung verpflichtet, die er aufgrund des ihm erteilten und fortbestehenden Wahlmandats ohnehin bereits zu führen hat und auf dieser Grundlage auch führen will. Über das Wahlmandat hinausgehende Pflichten werden ihm durch die Bestellung als Pflichtverteidiger nicht auferlegt. Da Rechtsanwalt L. das Wahlmandat nicht niedergelegt hat, besteht es - anders als wenn dies wie im Regelfall im Zusammenhang mit der Pflichtverteidigerbestellung geschieht, s.o. zu 3 c) - fort.

b) Der beigeordnete Verteidiger kann seine Bestellung nicht mit der Beschwerde anfechten. Er kann allein nach § 49 Abs. 2 in Verb. mit § 48 Abs. 2 BRAO einen Antrag auf Entpflichtung stellen. Dafür müssen wichtige Gründe vorliegen, die gemäß der - eng auszulegenden - Bestimmung des § 48 Abs. 2 BRAO den Widerruf der Bestellung rechtfertigen. Das sind nur solche, die den Zweck der Pflichtverteidiger, dem Beschuldigten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährden. (vgl. SK-Wohlers, StPO, § 141 Randnr. 27; Hartung-Lörcher a.a.O., § 49 Randnr. 9; LK-Lüderssen a.aO., § 142 Randnr. 31).

Solche Gründe sind nicht vorgetragen noch sonst ersichtlich. Insbesondere ist das Vertrauensverhältnis zwischen dem Angeklagten und Rechtsanwalt L. nicht gestört, sondern intakt.

Wirtschaftliche Gründe stellen keinen Grund für die Aufhebung der Beiordnung dar (vgl. Henssler/Schaich, BRAO, 2.Aufl., § 49 Randnr. 19; LK-Lüderssen a.aO., § 142 Randnr. 31).

Davon abgesehen kann Rechtsanwalt L. die Wahlverteidigergebühren aufgrund des fortbestehenden Wahlmandats ohne die Beschränkungen des § 52 RVG geltend machen, s.o. zu 3 d). Das gilt auch für etwaige Honorarvereinbarungen, für die die Beschränkungen des § 52 RVG ohnehin nicht gelten (Gerold/Schmidt-Madert, a.a.O., § 52 Randnr. 47).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.






OLG Köln:
Beschluss v. 06.03.2007
Az: 2 Ws 79 + 108/07


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/1170068367b4/OLG-Koeln_Beschluss_vom_6-Maerz-2007_Az_2-Ws-79--108-07




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share