Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg:
Beschluss vom 27. März 1995
Aktenzeichen: 2 S 170/95

(VGH Baden-Württemberg: Beschluss v. 27.03.1995, Az.: 2 S 170/95)

1. Trennt das Verwaltungsgericht bei einem Klageverfahren, in dem der Beklagte Widerklage erhoben hat, das Verfahren nach Zurücknahme der Klage, entsteht für den Rechtsanwalt für die Fortsetzung des Widerklageverfahrens keine weitere Prozeßgebühr, wenn er eine solche Gebühr bereits für das Klageverfahren geltend gemacht hat.

Gründe

Die Beschwerde des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten ist zulässig (vgl. § 5 Abs. 2 GKG), aber nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht der Erinnerung des Prozeßbevollmächtigten gegen den Kostenansatz des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle im Beschluß vom 16.5.1994 nicht abgeholfen. Denn dem Prozeßbevollmächtigten der Beklagten steht entgegen seiner Auffassung eine weitere Prozeßgebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO nicht zu.

Diese Gebühr entsteht regelmäßig für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information. Allerdings kann sie der Rechtsanwalt nach § 13 Abs. 2 S. 1 BRAGO in derselben Angelegenheit nur einmal fordern. Abweichend hiervon kann er sie nach § 13 Abs. 2 S. 2 BRAGO für jeden Rechtszug fordern. Eine solche Fallgestaltung steht hier, wie das Verwaltungsgericht zu Recht dargelegt hat, allerdings nicht in Rede. Denn mit der Abtrennung des Widerklageverfahrens von dem durch Klagerücknahme beendeten Klageverfahren ist erkennbar ein neuer Rechtszug nicht eröffnet worden, was namentlich von dem hier maßgeblichen Gebührenrecht her zu bestimmen ist (vgl. u.a. Hartmann, Kostengesetze, 25. Aufl., BRAGO § 13 Rdnrn. 52 ff.; Frauenholz in: Riedel/Sußbauer, BRAGO, 6. Aufl., § 13 Rdnr. 10, je m.w.N.).

Entscheidend ist daher, ob es sich bei der Fortführung des Widerklageverfahrens durch den Prozeßbevollmächtigten der Beklagten um "dieselbe Angelegenheit" im Sinne von § 13 Abs. 2 S. 1 BRAGO handelt. Davon ist das Verwaltungsgericht in seinem Beschluß vom 5.12.1994 zu Recht ausgegangen. Was unter dem Begriff "dieselbe Angelegenheit" zu verstehen ist, wird vom Gesetz nicht bestimmt. Allgemein anerkannt ist aber, daß dieser Begriff den Rahmen umschreibt, innerhalb dessen sich die Einzeltätigkeiten des Rechtsanwalts im Sinne einer gebührenrechtlichen Einheit abspielen, und dieser Rahmen sich regelmäßig nach dem zugrundeliegenden Auftrag bestimmt (vgl. etwa Hartmann, aaO; Gerold/Schmidt/Madert, BRAGO, 11. Aufl., § 13 Rdnr. 44; ferner Schneider, NJW 1973, 1312).

Ausgehend von diesem Verständnis, bewegt sich entgegen der Beschwerde die Fortsetzung des Widerklageverfahrens und die insoweit erforderliche Tätigkeit des Rechtsanwalts innerhalb eines Auftrags und ist dementsprechend als "dieselbe Angelegenheit" anzusehen. Dem steht nicht entgegen, daß das Verwaltungsgericht das Klageverfahren nach der Rücknahme der Klage eingestellt und das Widerklageverfahren mit einem neuen Aktenzeichen weitergeführt hat, dort sogar eine Kostenentscheidung getroffen worden ist. Denn all dies ändert an dem "Auftrag" des Rechtsanwalts nichts. Mit seinen Gebühren, die als Pauschgebühren ausgestaltet sind (Hartmann, aaO, Rdnrn. 1 ff.), werden entsprechend der weiten Formulierung des § 31 BRAGO nicht Einzeltätigkeiten abgegolten, sondern das "Verfahren" (im gebührenrechtlichen Sinne) erfaßt. Die Pauschalierung insoweit wegen der Schwierigkeiten und des Umfangs der Einzeltätigkeiten zu vernachlässigen, wie dies von der Beschwerde geltend gemacht wird, würde dem Wesen der Rechtsanwaltsgebühren ersichtlich nicht entsprechen. Diesen besonderen Umständen des Einzelfalls wird nach der Systematik der BRAGO innerhalb derselben Angelegenheit durch eine entsprechende Anpassung des Streitwerts Rechnung getragen (vgl. dazu §§ 8 und 9 BRAGO).

Ob überhaupt von einer "Trennung" des Verfahrens gesprochen werden kann, wie sie in § 145 Abs. 1 und 2 ZPO in Verb. mit § 173 VwGO oder § 93 VwGO angesprochen ist, wenn nach einer Klagerücknahme der "Prozeßrest" nunmehr unter neuem Aktenzeichen weiterbehandelt wird, wäre zumindest zu hinterfragen, bedarf aber hier keiner abschließenden Entscheidung. Denn dieser Umstand wäre ebenso wie der, daß im Falle der Widerklage nunmehr der frühere Widerkläger Kläger des weiterzuführenden Verfahrens wird, nicht geeignet, eine Änderung des Umfangs des maßgeblichen, nach wie vor nicht erweiterten Auftrags herbeizuführen (im Ergebnis ebenso OLG Karlsruhe, Beschluß vom 26.11.1987, KostRspr. § 13 BRAGO Nr.83 mit ablehnender Anm. Lappe). Ist deshalb im Ausgangsverfahren die Prozeßgebühr entstanden, so entsteht sie bei der hier in Rede stehenden Fallkonstellation nicht noch einmal.

Der Umstand, daß es um Klage und Widerklage geht, wird nach der gesetzlichen Regelung durch eine Streitwertmodifizierung berücksichtigt. So bestimmt § 19 Abs. 1 GKG, daß Ansprüche, die in einer Klage und in einer Widerklage geltend gemacht und nicht in getrennten Prozessen verhandelt werden, zusammenzurechnen sind. Betreffen diese Ansprüche denselben Gegenstand, ist nur der Wert des höheren Anspruchs maßgebend. Derselbe Gegenstand liegt vor, wenn der Anspruch der Widerklage ohne weiteres die Verneinung des Klageantrags bedingt, wenn also die Zuerkennung des einen Anspruchs zwangsläufig die Aberkennung des anderen zur Folge hätte, wenn mithin ein Nebeneinander der Ansprüche nicht möglich ist (so BGHZ 43, 31 = MDR 1965, 291), wie dies hier der Fall ist.

Eine Kostenentscheidung und eine Streitwertfestsetzung sind entbehrlich, da nach § 5 Abs. 6 GKG auch das Verfahren über die Beschwerde gebührenfrei ist und Kosten nicht erstattet werden.

Dieser Beschluß ist unanfechtbar.






VGH Baden-Württemberg:
Beschluss v. 27.03.1995
Az: 2 S 170/95


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