Landgericht Mannheim:
Beschluss vom 23. Oktober 2009
Aktenzeichen: 7 O 125/09

(LG Mannheim: Beschluss v. 23.10.2009, Az.: 7 O 125/09)

1. Zur Frage, ob eine Rechtswahl (hier: für französisches Recht) im Verhältnis zwischen einem an einer Standardisierung beteiligten Unternehmen und einer Standardisierungsorganisation (hier: ETSI) eine Rechtswahl für ein sich aus dem Versprechen nach Behauptung einer Partei unmittelbar durch die Benutzung der gebrauchsmusterrechtlich geschützten Lehre ergebendes Lizenzvertragsverhältnis zwischen dem Unternehmen und einem Dritten enthält.

2. Mangels Rechtswahl bestimmt sich das anzuwendende Recht im Lizenzverhältnis nach dem Recht des Staates, mit dem das Lizenzvertragsverhältnis die engsten Verbindungen aufweist. Dies ist in der Regel das Recht des Staates, in dem der Lizenzgeber seinen Sitz hat.

3. Für die Ermessensentscheidung über die Aussetzung nach § 19 GebrMG ist nicht auf die Grundsätze zur Aussetzung eines Patentverletzungsrechtsstreits nach § 148 ZPO abzustellen, sondern vorrangig auf die Vermeidung der Gefahr sich widersprechender gerichtlicher Entscheidungen.

Tenor

Die Verhandlung des Rechtsstreits wird bis zur Entscheidung des Deutschen Patent- und Markenamts über den Löschungsantrag der Beklagten Ziff. 1 v. 14.8.2009 gegen das Deutsche Gebrauchsmuster DE 200 24 006 U1 oder den anderweitigen Abschluss des Löschungsverfahrens ausgesetzt.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um Unterlassungs-, Schadensersatz-, Rechnungslegungs- und Vernichtungsansprüche sowie Ansprüche auf Rückruf und Entfernung von Erzeugnissen aus den Vertriebswegen als Folgen einer unmittelbaren Gebrauchsmusterverletzung.

Die Klägerin ist Inhaberin des Gebrauchsmusters DE 200 24 006 U1 (Klagegebrauchsmuster) betreffend in einem UMTS-Mobilfunknetz betreibbare Mobilstation, welches eine innere Priorität vom 8.3.1999 in Anspruch nimmt, am 15.2.2000 angemeldet und am 23.4.2009 eingetragen wurde. Bekanntmachungstag der Eintragung ist der 28.5.2009. Der einzige Schutzanspruch hat folgenden Wortlaut:

1. Mobilstation ( 5 ), die in einem UMTS Mobilfunknetz betreibbar ist,

das zu vorgegebenen Zeiten von einer Basisstation ( 100 ) Informationssignale auf einem Signalisierungskanal (Broadcast Control Channel) ( 25 ) an die Mobilstation sendet, damit der Mobilstation der Zugriff auf einen wahlfreien Zugriffskanal (Random Access Channel - RACH) ( 30 ) erteilbar ist, mit einer Sende-/Empfangseinheit ( 65 )

zum Empfang von auf dem Signalisierungskanal (Broadcast Control Channel) ( 25 )

- zu den vorgegebenen Zeiten von der Basisstation ( 100 ) gesendeten Zugriffsschwellwertinformationen (S3, S2, S1, S0),

und zum Empfang von auf dem Signalisierungskanal (Broadcast Control Channel) ( 25 )

- zu den vorgegebenen Zeiten von der Basisstation ( 100 ) gesendeten Zugriffsklasseninformationen (Z0, Z1, Z2, Z3),

mit einer Auswerteeinheit ( 60 )

- zum Ermitteln der Nutzerklasse ( 35, 40 ) der Mobilstation von einer Zugriffsberechtigungskarte (SIM-Karte) ( 75 ), und zum Ermitteln der der Nutzerklasse zugeordneten Zugriffsklasseninformation,

- zum Ermitteln eines Zugriffsschwellwertes aus den übertragenen Zugriffsschwellwertinformationen (S3, S2, S1, S0);

und dass die Auswerteeinheit eingerichtet ist, den Zugriff auf den wahlfreien Zugriffskanal (RACH) ( 30 ) in Abhängigkeit von der Zugriffsklasseninformation für die Nutzerklasse freizugeben, und zwar in Abhängigkeit von der Zugriffsklasseninformation zu entscheiden,

- ob eine Auswertung von ermitteltem Zugriffsschwellwert und einer in der Auswerteeinheit gezogenen Zufallszahl oder Pseudo-Zufallszahl über die Zugriffsfreigabe entscheidet oder

- ob die Zugriffsfreigabe für die Mobilstation unabhängig von einer Auswertung der Zugriffsschwellwertinformationen (S3, S2, S1, S0) erteilbar ist.

Hinsichtlich des weiteren Inhalts des Klagegebrauchsmusters, insbesondere hinsichtlich der Beschreibung wird auf die in Anlage K1 vorgelegten Unterlagen verwiesen. Gegen das in Kraft stehende Klagegebrauchsmuster hat die Beklagte Ziff. 1 mit Schriftsatz v. 14.8.2009 (Anlage B5) Löschungsantrag beim Deutschen Patent- und Markenamt gestellt.

Das Klagegebrauchsmuster wurde aus der europäischen Patentanmeldung EP 1 841 268 abgezweigt, welche ihrerseits eine Teilanmeldung zum erteilten europäischen Patent EP 1 186 189 ("Stammpatent") ist. Die Klägerin, eine Patentverwertungsgesellschaft, hat das Stammpatent als Teil eines umfangreichen Patentportfolios im Mai 2007 von der R GmbH (B) erworben.

Die Beklagte Ziff. 1 - einer der weltweit führenden Mobilfunkhersteller - und deren deutsche Tochtergesellschaft, die Beklagte Ziff. 2, vertreiben bundesweit das - mit der Klage ausschließlich angegriffene - Mobiltelefon "..." (angegriffene Ausführungsform; Auszüge aus Bedienungsanleitung in Anlage K7), welches UMTS-fähig ist.

Die Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform, so dass diese UMTS-fähig ist, wird von der Klägerin als Benutzung der Lehre des Klagegebrauchsmusters angesehen. Das "heutige" Universal Mobile Telecommunications System (UMTS) beruht auf Mobilfunkstandards des 3rd-Generation-Partnership-Project (3GPP), nämlich u. a. einzelnen Dokumenten (Anlagen K8, K9) des European Telecommunications Standards Institute (ETSI). Im standardgemäßen System hängt der Zugriff der einzelnen Mobilstation auf den Random Access Channel (RACH) von einem Vergleich eines in der Mobilstation ermittelten (ggf. skalierten) Persistenzwert P i mit einer in der Mobilstation generierten Zufallszahl R (0 £ R < 1) ab ("RACH transmission control procedure"; vgl. TS 25.321 Version 6.14.0, Fig. 11.2.2.1; Anlage K8). Wenn R £ P i , dann ist der Zugriff der Mobilstation auf den RACH frei. Der Wert P i ergibt sich gemäß nachstehender Tabelle in Abhängigkeit von der der Mobilstation jeweils zugeordneten Access Service Class ("ASC"; vgl. TS 25.331 Version 6.16.0, Kap. 8.5.12; Anlage K9).

ASC # i0 1 2 3 4 5 6 7 P i 1 P(N)S 2 P(N)S 3 P(N)S 4 P(N)S 5 P(N)S 6 P(N)S 7 P(N)

Mit Ausnahme ASC#0, für welche immer gilt R < P i , weil P i = 1 und definitionsgemäß R < 1, bestimmt sich P i in Abhängigkeit vom dynamischen Persistenzniveau N ("dynamic persistence level" mit Werten von 1 bis 8) nach der feststehenden Beziehung

P(N) = 2 -(N - 1)

gegebenenfalls unter Anwendung des Skalierungsfaktors s i (scaling factor). Das dynamische Persistenzniveau N als vom Verkehrsaufkommen im Funknetz abhängiger Wert wird von der Basisstation bestimmt und an alle Mobilstationen im System Information Block ("SIB") type 7 permanent übertragen, während die Skalierungsfaktoren s i und das Informationselement "AC-to-ASC mapping" im SIB type 5 oder type 5 bis übertragen werden. Die Zuordnung einer Mobilstation zu einer bestimmten ASC ergibt sich entsprechend der auf der SIM-Karte festgelegten Access Class ("AC") unter Anwendung des von der Basisstation übermittelten Informationselements ("Mapping of Access Classes to Access Service Classes"; vgl. TS 25.331 Version 6.16.0, Kap. 8.5.13; Anlage K9):

AC 0 - 910 11 12 13 14 15 ASC1 st IE2 nd IE3 rd IE4 th IE5 th IE6 th IE7 th IE

Die vormalige Inhaberin des das Stammpatent umfassenden Patentportfolios ... gab - als Mitglied - im Hinblick auf die interessierenden Standards auf Grundlage der "General IPR Licensing Declaration" gegenüber ... eine FRAND-Erklärung ab, wonach jedem interessierten Hersteller zu fairen, angemessenen und diskriminierungsfreien Bedingungen an den als standardessentiell angegebenen Patenten Lizenz erteilt werde. Das Stammpatent selbst wird in den ...-Dokumenten nicht als standardessentiell aufgeführt.

Die Klägerin trägt vor,

mangels Berechtigung verletzten die Beklagten durch den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform das Ausschließlichkeitsrecht der Klägerin aus dem Klagegebrauchsmuster, welches rechtsbeständig sei. Insbesondere liege der Lehre des Klagegebrauchsmusters ein erfinderischer Schritt zugrunde. Allein die Erkenntnis und die hieraus vermittelte technische Lehre, dass die beschriebene Erfindung nicht nur in einem auf Zeit- und Multiplex basierenden System (wie GSM) eingesetzt werden könne, sondern auch in einem UMTS-Netz (mit Wideband Code Division Multiple Access), begründe bereits den erforderlichen erfinderischen Schritt. Auch lege die Entgegenhaltung GSM 04.60 nicht nahe, den Zugriff auf den wahlfreien Zugriffskanal in Abhängigkeit der Zugriffsklasseninformation entweder abhängig (Merkmal 3 c, erste Alternative) oder unabhängig (Merkmal 3 c, zweite Alternative) von einer Auswertung der Zugriffsschwellwertinformation freizugeben. Schließlich sei das Klagegebrauchsmuster aufgrund des dem parallelen Patent zugrundeliegenden Erteilungsaktes nicht als ungeprüftes Schutzrecht zu qualifizieren.

Die Klägerin beantragt :

I. die Beklagten zu verurteilen,

1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung von dem Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu Euro 250.000, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung Ordnungshaft bis zu insgesamt zwei Jahren, zu unterlassen

im Geltungsbereich des deutschen Gebrauchsmusters DE 200 24 006.4 Mobilstationen anzubieten, in den Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,

die in einem UMTS Mobilfunknetz betreibbar sind, das zu vorgegebenen Zeiten von einer Basisstation Informationssignale auf einem Signalisierungskanal (Broadcast Control Channel) an die Mobilstation sendet, damit der Mobilstation der Zugriff auf einen wahlfreien Zugriffskanal (Random Access Channel - RACH) erteilbar ist, mit einer Sende-/Empfangseinheit zum Empfang von auf dem Signalisierungskanal (Broadcast Control Channel) zu den vorgegebenen Zeiten von der Basisstation gesendeten Zugriffsschwellwertinformationen, und zum Empfang von auf dem Signalisierungskanal (Broadcast Control Channel) zu den vorgegebenen Zeiten von der Basisstation gesendeten Zugriffsklasseninformationen, mit einer Auswerteeinheit zum Ermitteln der Nutzerklasse der Mobilstation von einer Zugriffsberechtigungskarte (SIM-Karte), und zum Ermitteln der der Nutzerklasse zugeordneten Zugriffsklasseninformation, zum Ermitteln eines Zugriffsschwellwertes aus den übertragenen Zugriffsschwellwertinformationen; und dass die Auswerteeinheit eingerichtet ist, den Zugriff auf den wahlfreien Zugriffskanal (RACH) in Abhängigkeit von der Zugriffsklasseninformation für die Nutzerklasse freizugeben, und zwar in Abhängigkeit von der Zugriffsklasseninformation zu entscheiden, ob eine Auswertung von ermitteltem Zugriffsschwellwert und einer in der Auswerteeinheit gezogenen Zufallszahl oder Pseudo-Zufallszahl über die Zugriffsfreigabe entscheidet oder ob die Zugriffsfreigabe für die Mobilstation unabhängig von einer Auswertung der Zugriffsschwellwertinformationen erteilbar ist;

2. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfange sie die zu 1. bezeichneten Handlungen seit dem 24. Mai 2009 begangen hat und zwar unter Angabe

a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer sowie der bezahlten Preise, einschließlich der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren;

b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und - preisen (und gegebenenfalls Typenbezeichnungen) sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer;

c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und - preisen (und gegebenenfalls Typenbezeichnung) sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger;

d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet;

e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,

wobei

die Beklagten zum Nachweis der Angaben zu a) und b) entsprechende Belege (Rechnungen und Lieferscheine) in Kopie vorzulegen haben;

den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nicht gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden und ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkretes Befragen mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist.

3. die unter 1. bezeichneten Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gebrauchsmusterrechtsverletzenden Zustand der Sache und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten zu übernehmen;

4. die unter 1. bezeichneten Erzeugnisse endgültig aus den Vertriebswegen zu entfernen, wobei die Erzeugnisse vom jeweiligen gewerblichen Abnehmer

a) zu vernichten oder nach Wahl der Klägerin an einen von ihm zu benennenden Treuhänder zum Zwecke der Vernichtung auf ihre - der Beklagten - Kosten herauszugeben oder

b) an die Beklagten zurückzugeben sind;

5. die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder Eigentum befindlichen oder aufgrund der unter 3. und 4. geltend gemachten Ansprüche in ihren Besitz gelangten und gelangenden, unter 1. bezeichneten Erzeugnisse auf ihre - der Beklagten - Kosten zu vernichten oder nach Wahl der Klägerin an einen von ihr zu benennenden Treuhänder zum Zwecke der Vernichtung auf ihre - der Beklagten - Kosten herauszugeben;

6. der Klägerin zu gestatten, Urteilskopf und Urteilstenor auf Kosten der Beklagten durch eine in drei aufeinander folgenden Ausgaben der Zeitung "Handelsblatt" erscheinende halbseitige Anzeige öffentlich bekannt zu machen;

II. Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der der Klägerin durch die zu Ziffer I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 24. Mai 2009 entstanden ist und noch entstehen wird.

Die Beklagten beantragen :

die Klage abzuweisen.

Hilfsweise ,

1. den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den gegen das Klagegebrauchsmuster beim Deutschen Patent- und Markenamt gestellten Löschungsantrag auszusetzen.

2. den Rechtsstreit im Hinblick auf das beim OLG Karlsruhe anhängige Berufungsverfahren 6 U 66/09 (zum Urteil des Landgerichts Mannheim im Verfahren 2 O 1/07) auszusetzen.

3. den Rechtsstreit im Hinblick auf das durch die Beschwerde der Beklagten vom 31.10.2008 bei der Europäischen Kommission anhängig gemachte kartellrechtliche Prüfverfahren auszusetzen.

4. den Beklagten im Falle einer Verurteilung gemäß den Klageanträgen zu gestatten, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung ohne Rücksicht auf eine Sicherheitsleistung der Klägerin abzuwenden (§ 712 ZPO).

5. der Klägerin die Vollstreckung nur gegen Sicherheitsleistung i. H. v. Euro 100 Millionen zu gestatten.

Für den Fall, dass das Gericht "von der Bedeutung der als Anlage B50 vorgelegten Vertragsklausel überzeugt ist", widerklagend :

Es wird festgestellt, dass die Klägerin vertraglich verpflichtet ist, der Beklagten Ziff. 1 auf Grundlage des Patent Purchase Agreement mit der vormaligen Patentinhaberin, der ... GmbH, eine Lizenz an dem Klagegebrauchsmuster zu FRAND-Konditionen, d. h. zu fairen, angemessenen und nicht-diskriminierenden Bedingungen zu gewähren.

Die Klägerin tritt den Aussetzungsanträgen entgegen und beantragt ,

den Widerklageantrag zurückzuweisen.

Die Beklagten tragen vor,

die Klage sei bereits unzulässig. Der Klägerin fehle das Rechtsschutzbedürfnis. Sie handele vielmehr rechtsmissbräuchlich, weil sie sich in Widerspruch zu ihrem Verhalten im - zwischenzeitlich durch Urteil erstinstanzlich beendeten - Verfahren 2 O 1/07 setze, dort nämlich von einem (Vor-)Lizenzvertrag ausgehe, womit die Gebrauchsmusterverletzungsklage offensichtlich nur dazu diene, Druck auf die Beklagten auszuüben, zumal die Klägerin in Ermangelung eigener Produktion oder eigenen Vertriebs offensichtlich keinerlei Interesse an der Durchsetzung eines Unterlassungsanspruchs habe. Die Klägerin müsse in jedem Fall zunächst den Ausgang des Verfahrens 2 O 1/07 abwarten, bevor sie aus den Schutzrechten, die Gegenstand jenes Verfahrens seien, gegen die Beklagten vorgehen könne.

Die Klage sei weiter unbegründet. Eine Gebrauchsmusterverletzung könne nicht festgestellt werden. Bereits eine Benutzung der technischen Lehre des Klagegebrauchsmusters durch die angegriffene Ausführungsform sei nicht schlüssig dargetan. Der Verweis auf den ("heutigen") UMTS-Standard, dessen Figur 11.2.2.1 nach Anlage K8 lediglich einen unverbindlichen Implementierungsvorschlag darstelle, sei schon ungeeignet, um eine konkrete Implementierung in der angegriffenen Ausführungsform nachzuweisen. Das Klagegebrauchsmuster sei für die Benutzung des RACH-Zugriffsverfahrens nach dem UMTS-Standard nicht essentiell. Die Klägerin habe bereits nicht schlüssig aufgezeigt, dass Merkmal 1 ("in einem UMTS Mobilfunknetz betreibbar") in seiner Auslegung aus Sicht des Fachmanns zum Prioritätszeitpunkt verwirklicht werde. Der zum Prioritätszeitpunkt im Entwurfsstadium befindliche UMTS-Standard (u. a. dokumentiert im sog. "Rel99") sei bis Ende 2002 in wesentlichen Punkten wie der Datenkodierung überarbeitet und abgeändert worden. Merkmal 1 wie Merkmalsgruppe 2 werde darüber hinaus nicht verwirklicht, weil das dynamische Persistenzniveau N (als Zugriffsschwellwertinformation) und das ASC Mapping (als Zugriffsklasseninformation) nicht zeitgleich, sondern vielmehr in völlig verschiedenen Bitmustern an die Mobilstation zu unterschiedlichen Zeiten gesendet werden im SIB7 bzw. SIB5. Diese logische und zeitliche Trennung der beiden Informationseinheiten widerspreche dem vom Anspruchswortlaut vorgegebenen "einen Übermittlungszyklus". Auch bestehe zwischen dem Sendezyklus des ASC Mapping und dem Empfangszyklus der Mobilstation überhaupt keine zeitlich-logische Korrelation, weil die Mobilstation diese Informationseinheit nur im Rahmen des "Einloggens" in eine Mobilfunkzelle und ggf. erneut nach Ablauf von max. 6 Stunden bzw. nach gesonderter Aufforderung empfange. Ähnliches gelte für das dynamische Persistenzniveau N, welches immer nur nach Ablauf des sog. "Expiration Timers" empfangen werde. Schließlich werde Merkmal 3 c nicht verwirklicht. Ein Schwellwertvergleich mittels des Persistenzwerts P i finde immer statt, womit die Alternative 2 des Merkmals 3 c nicht umgesetzt werde. Auch werde der Auswertung nach Alternative 1 des Merkmals 3 c, also dem Schwellwertvergleich N nicht unmittelbar sondern der ggf. noch individuell skalierte Wert P i zugeführt. Überdies sei das Klagegebrauchsmuster nicht rechtsbeständig. Gegenüber den Dokumenten GSM 04.60 (Anlage B6) und GSM 02.11 (Anlage B7) fehle hinsichtlich des nicht offenbarten Merkmals 3 c der erfinderische Schritt. Ferner gehe das Klagegebrauchsmuster über den Inhalt der Anmeldung hinaus, jedenfalls als Merkmal 3 c Alternative 1 nicht ursprungsoffenbart sei.

Einer Gebrauchsmusterverletzung stehe zumindest entgegen, dass aus der FRAND-Verpflichtungserklärung von ... gegenüber ... und durch Nutzungsaufnahme der Beklagten nach französischem Recht (vgl. Anlage B43, S. 9 und 13 zu "Angebot" und "Annahme" eines entsprechenden Lizenzvertrags) ein (positives) Nutzungsrecht folge.

Die Beklagten tragen weiter vor, dass dem Unterlassungsanspruch jedenfalls der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegenstehe, nachdem die Klägerin zumindest verpflichtet sei - einerseits aufgrund der FRAND-Verpflichtungserklärung von Bosch, andererseits aus Kartellrecht (§§ 19, 20 GWB, Art. 82 EG) -, Lizenz am Portfolio bzw. an der auch nach dem Klagegebrauchsmuster geschützten Technologie zu erteilen. Die Beklagten hätten mit dem Angebot einer schutzrechtsspezifischen Lizenz nach Anlage B53, mit den nach Anlage B64 mitgeteilten Umsatzzahlen sowie mit dem Escrow Agreement nach Anlage B62 den sie nach § 242 BGB im Rahmen des Lizenzeinwands treffenden Obliegenheiten genügt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivortrags wird ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 4.9.2009 verwiesen.II.

Die Aussetzungsentscheidung der Kammer beruht auf § 19 S. 1 GebrMG. Hiernach kann das Gericht anordnen, dass die Verhandlung eines bei ihm anhängigen Rechtsstreits bis zur Erledigung des Löschungsverfahrens auszusetzen ist, wenn die zu treffende Entscheidung des Rechtsstreits vom Bestehen des Gebrauchsmusterschutzes abhängt und dessen Prüfung gleichzeitig Gegenstand eines Löschungsverfahrens ist.

1. Das von der Beklagten Ziff. 1 eingeleitete Löschungsverfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt ist vorgreiflich für den hiesigen Rechtsstreit.

a) Die Kammer ist zur Entscheidung berufen nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO bzw. § 32 ZPO i. V. m. § 143 Abs. 1, Abs. 2 PatG i. V. m. § 14 ZuVOJu. Die Beklagten stehen dem Vorwurf bundesweiter patentverletzender Handlungen gegenüber, womit ein deliktischer Gerichtsstand auch in Baden-Württemberg vorliegt.

b) Die Klage ist zulässig. Die hiergegen erhobenen Bedenken der Beklagten greifen nicht durch. Die Klägerin ist prozessführungsbefugt, also zur Führung des Rechtsstreits in eigenem Namen berechtigt, denn sie macht nach ihrem Vortrag ihr selbst zustehende Ansprüche aus originärem und abgetretenem Recht geltend. Zur Durchsetzung ihrer Ansprüche fehlt der Klägerin auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Ein Missbrauch des Prozessrechts ist nicht erkennbar. Die von den Beklagten vorgebrachten Argumente betreffen die Frage der materiellen Durchsetzbarkeit etwaiger entstandener materieller Ansprüche der Klägerin unter den Gesichtspunkten einer Rechtsausübungsschranke nach §§ 242, 226 BGB. Die Beklagten verwischen insoweit die Grenzen zwischen materiellem Recht und Prozessrecht, wozu keine Veranlassung besteht, zumal Prozess- und Sachurteil sich in der Rechtskraftwirkung fundamental unterscheiden (BGHZ 11, 222), also ein auf dem Fehlen eines Rechtsschutzbedürfnisses beruhendes Prozessurteil hinsichtlich des sachrechtlichen Gehalts der Gründe materieller Rechtskraft nicht zugänglich ist und somit nicht auszuschließen wäre, dass in einem weiteren Rechtsstreit anders entschieden würde.

c) Der Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform verletzt das mit der Eintragung des Klagegebrauchsmusters grundsätzlich entstandene Ausschließlichkeitsrecht der Klägerin (§ 11 Abs. 1 S. 2 GebrMG) vorbehaltlich der Einwendungen zum Rechtsbestand nach §§ 13 Abs. 1; 15 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3; 4 Abs. 5 S. 2 GebrMG.

aa) Die angegriffene Ausführungsform ist ein Erzeugnis, das Gegenstand des Klagegebrauchsmusters ist.

(1) Als bekannt würdigt das Klagegebrauchsmuster das in DE 198 38 832 A1 beschriebene Verfahren zur Zugriffskontrolle auf einen wahlfreien Zugriffskanal eines Telekommunikationsnetzes für mindestens eine Mobilstation (vgl. Abschn. 2). Ausgehend hiervon kennzeichnet das Klagegebrauchsmuster die Vorteile seiner technischen Lehre wie folgt. Mit der erfindungsgemäßen Mobilstation sei eine in Abhängigkeit des Nachrichtenverkehrsaufkommens stehende Zugriffskontrolle auf den wahlfreien Zugriffskanal (vgl. Abschn. 9) möglich, indem lediglich der von der Basisstation generierte Zugriffsschwellwert übertragen und einem Vergleich mit einer in der Auswerteeinheit der Mobilstation gezogenen Zufalls- oder Pseudo-Zufallszahl zugeführt werden müsse (vgl. Abschn. 3 und 4), wobei aber unabhängig von dieser Zugriffsverteilung mittels Zugriffsschwellwert ein priorisierter Zugriff auf den wahlfreien Zugriffskanal mittels Zugriffsklasseninformation ermöglicht werde (vgl. Abschn. 5). Diese Vorteile werden aus Sicht des Klagegebrauchsmusters durch eine Mobilstation mit folgenden Merkmalen erzielt:

1. in einem UMTS Mobilfunknetz betreibbar, das zu vorgegebenen Zeiten von einer Basisstation (100) Informationssignale auf einem Signalisierungskanal (Broadcast Control Channel) (25) an die Mobilstation sendet, damit der Mobilstation der Zugriff auf einen wahlfreien Zugriffskanal (Random Access Channel - RACH) (30) erteilbar ist,

2. mit einer Sende-/Empfangseinheit (65)

a) zum Empfang von auf dem Signalisierungskanal (Broadcast Control Channel) (25) zu den vorgegebenen Zeiten von der Basisstation (100) gesendeten Zugriffsschwellwertinformationen (S3, S2, S1, S0)

und

b) zum Empfang von auf dem Signalisierungskanal (Broadcast Control Channel) (25) zu den vorgegebenen Zeiten von der Basisstation (100) gesendeten Zugriffsklasseninformationen (Z0, Z1, Z2, Z3),

3. mit einer Auswerteeinheit (60)

a) zum Ermitteln der Nutzerklasse (35, 40) der Mobilstation von einer Zugriffsberechtigungskarte (SIM-Karte) (75), und zum Ermitteln der der Nutzerklasse zugeordneten Zugriffsklasseninformation,

b) zum Ermitteln eines Zugriffsschwellwertes aus den übertragenen Zugriffsschwellwertinformationen (S3, S2, S1, S0);

und

c) dass die Auswerteeinheit eingerichtet ist, den Zugriff auf den wahlfreien Zugriffskanal (RACH) (30) in Abhängigkeit von der Zugriffsklasseninformation für die Nutzerklasse freizugeben, und zwar in Abhängigkeit von der Zugriffsklasseninformation zu entscheiden,

- ob eine Auswertung von ermitteltem Zugriffsschwellwert und einer in der Auswerteeinheit gezogenen Zufallszahl oder Pseudo-Zufallszahl über die Zugriffsfreigabe entscheidet oder

- ob die Zugriffsfreigabe für die Mobilstation unabhängig von einer Auswertung der Zugriffsschwellwertinformationen (S3, S2, S1, S0) erteilbar ist.

(2) Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht sämtliche Merkmale des Anspruchs des Klagegebrauchsmusters wortsinngemäß. Dies steht hinsichtlich der Merkmale 3 a) und 3 b) zwischen den Parteien außer Streit und beruht nicht auf unrichtigen gebrauchsmusterrechtlichen Anschauungen. Aber auch die weiteren Merkmale werden wortsinngemäß verwirklicht. Welches Merkmalsverständnis der Durchschnittsfachmann hinsichtlich der umstrittenen Merkmale hat, ergibt sich ausgehend vom Gebrauchsmusteranspruch (§ 12 a S. 1 GebrMG) aus dem technischen Zusammenhang der Merkmale des Anspruchs, sowie aus dem Inhalt der Beschreibung und Zeichnungen der Gebrauchsmusterschrift (§ 12 a S. 2 GebrMG). Durch Heranziehung der Beschreibung zur Auslegung der Gebrauchsmusteransprüche wird sichergestellt, dass der tatsächliche Sprachgebrauch des Gebrauchsmusters hinreichende Beachtung findet. Der Fachmann orientiert sich also an dem in der Gebrauchsmusterschrift zum Ausdruck gekommenen Zweck eines Merkmals, womit der technische Sinn der in der Gebrauchsmusterschrift benutzten Worte und Begriffe - nicht die philologische oder logisch-wissenschaftliche Begriffsbestimmung - entscheidend ist, die Gebrauchsmusterschrift gleichsam ihr eigenes Lexikon darstellt (BGHZ 150, 149, 156 - Schneidmesser I; BGH, Urt. v. 02.03.1999 - X ZR 85/96, GRUR 1999, 909 - Spannschraube).

Die angegriffene Ausführungsform ist im Sinne des Merkmals 1 in einem UMTS-Mobilfunknetz betreibbar. Das Merkmal 1 erschließt sich dem Fachmann hierbei nicht als bloße Zweckangabe, sondern umschreibt die technische Ausgestaltung der Mobilstation dahin, dass diese geeignet sein muss zum Betrieb in einem UMTS-Mobilfunknetz. Ausgehend vom Wortlaut des Patentanspruchs ergibt sich für den Durchschnittsfachmann hierbei, dass dieses Mobilfunknetz "zu vorgegebenen Zeiten von einer Basisstation Informationssignale auf einem Signalisierungskanal an die Mobilstation sendet, damit der Mobilstation der Zugriff auf einen wahlfreien Zugriffskanal erteilbar ist". Das UMTS-Mobilfunknetz ist also ein regelmäßig zellular aufgebautes Netz, wobei jede Funkzelle von einer Basisstation versorgt wird (vgl. Abschnitt 17) und wobei ein wahlfreier Zugriffskanal (RACH) existiert (vgl. Abschnitt 43). Ausgehend von diesen allgemeinen Anforderungen, denen auch im GSM-Standard genügt wäre (vgl. Abschnitt 42 a. E.), wird der Fachmann zwar davon ausgehen, dass der Schutzanspruch der Erfindung - aus welchen Gründen auch immer - auf ein Mobilfunknetz nach dem im Prioritätszeitpunkt in der Entwurfsphase befindlichen, gegenüber dem GSM-Standard deutlich höhere Datenübertragungsraten ermöglichenden UMTS-Standard beschränkt ist, ohne jedoch sachlich auf die im Prioritätszeitpunkt konkret geplanten Spezifikationen für UMTS eingeengt zu sein. Vor einem solchen Merkmalsverständnis erweist sich der klägerische Vortrag sodann als schlüssig.

Die von den Beklagten gegen eine Verwirklichung der Merkmale 1, 2 a) und 2 b) geführten Einwände hinsichtlich der "zu den vorgegebenen Zeiten" von der Basisstation gesendeten Zugriffsschwellwertinformationen bzw. Zugriffsklasseninformationen sind unerheblich. Technischer Zweck des Erfordernisses "zu vorgegebenen Zeiten" ist allein, im Sinne einer Konvention zwischen Basisstation und Mobilstation sicherzustellen, dass entsprechende Informationssignale von der Basisstation, welche in Abhängigkeit des jeweiligen Nachrichtenverkehrsaufkommens Rechte für das Senden auf dem RACH den Mobilstationen zuteilt (vgl. Abschnitt 23), von den Mobilstationen empfangen und entsprechend ihrer "Aktualität" bei der Entscheidung für den Zugriff auf den RACH Berücksichtigung finden. Aus dem Anspruch ergibt sich sonach weder, dass die Zugriffschwellwertinformationen und die Zugriffsklasseninformationen logisch und zeitlich verbundene Informationseinheiten sein müssten, noch dass der Empfangszyklus der Mobilstation dem Sendezyklus der Basisstation unmittelbar entsprechen müsste. Entscheidend ist allein, dass die "zu vorgegebenen Zeiten gesendeten" Informationssignale, also die "aktuell gültigen" Informationssignale von der Mobilstation bei der Zugriffsentscheidung auf den wahlfreien Zugriffskanal berücksichtigt werden.

Die angegriffene Ausführungsform entscheidet in Abhängigkeit von der Zugriffsklasseninformation, ob eine Auswertung von ermitteltem Zugriffsschwellwert und eine in der Auswerteeinheit gezogene Zufallszahl oder Pseudo-Zufallszahl über die Zugriffsfreigabe entscheidet oder ob die Zugriffsfreigabe für die Mobilstation unabhängig von einer Auswertung der Zugriffsschwellwertinformationen erteilbar ist (Merkmal 3 c). Die Zugriffsklasseninformation in Form der Access Service Class (ASC), welche sich entsprechend der auf der SIM-Karte festgelegten Access Class (AC) unter Anwendung des von der Basisstation übermittelten "Mappings" ergibt, entscheidet, ob die Zugriffsfreigabe für die Mobilstation unabhängig von einer Auswertung der Zugriffsschwellwerteinformation erteilbar ist oder ob eine Auswertung in Form eines Zugriffsschwellwertvergleichs über die Zugriffsfreigabe entscheidet. Der vom Verkehrsaufkommen im Funknetz abhängige Zugriffsschwellwert wird durch P(N) repräsentiert, welcher in Form von N als Informationssignal codiert ist. Für den Fall ASC#0, für den der Persistenzwert P i stets 1 gesetzt ist, wird der Zugriff unabhängig vom Wert P(N) gewährt, indem P(N) für die Bestimmung von P i keine Bedeutung erlangt. Für den Fall ASC#1 ... 7 hingegen hängt P i vom Wert P(N) ab, womit P(N) durch P i über den Vergleich mit der generierten Zahl R über den Zugriff auf den RACH entscheidet. Ausgehend hiervon findet - entgegen der Auffassung der Beklagten - gerade nicht immer ein Zugriffsschwellwertvergleich statt. Der Persistenzwert P i erfasst nur in den Fällen ASC#1 ... 7 den (gegebenenfalls skalierten) Zugriffsschwellwert P(N). Dass der Wert N nicht für sich dem Zugriffsschwellwertvergleich zugeführt wird, ist, nachdem N lediglich das codierte Informationssignal für P(N) darstellt, ebenso unerheblich. Schließlich führt auch nicht die im Fall ASC#2 ... 7 stattfindende Skalierung von P(N) mit dem Parameter s i aus dem Schutzbereich des Gebrauchsmusteranspruchs heraus. Der Gebrauchsmusteranspruch lässt nämlich offen, ob die Auswertung nach Alternative 1 des Merkmals 3 c, also der Vergleich des Zugriffsschwellwerts mit der Zufallszahl, unmittelbar von weiteren Werten abhängen kann oder ob weitere nachgelagerte Vergleiche stattfinden, wie beispielsweise von der Gebrauchsmusterschrift mit dem Prioritätsschwellwertvergleich in Abschnitt 29 angedeutet.

Soweit die Beklagten schließlich einwenden, Figur 11.2.2.1 nach Anlage K 8, auf welche die Klägerin im Verletzungsvortrag Bezug nimmt, sei - da lediglich ein unverbindlicher Implementierungsvorschlag - schon ungeeignet, um eine konkrete Implementierung in der angegriffenen Ausführungsform "nachzuweisen", verkennen die Beklagten bereits, dass der Beklagtenvortrag allenfalls Bedeutung erlangen kann, soweit der Vortrag der Klägerin zur technischen Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform erheblich bestritten wird.

Mit dem Klägervortrag geht aber die Behauptung einher, die angegriffene Ausführungsform setze das Zugriffskontrollverfahren gemäß Figur 11.2.2.1 nach Anlage K 8 um. Sofern die Beklagten dies erheblich bestreiten wollen, sind sie gehalten, konkret darzulegen, worin die angegriffene Ausführungsform in ihrer Ausgestaltung abweicht. Dies haben die Beklagten jedoch bisher nicht getan, sodass die von der Klägerin vorgetragene Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform als unstreitig zu unterstellen ist.

bb) Die Beklagten können sich nicht auf eine Nutzungsberechtigung am Klagegebrauchsmuster berufen. Einen ausdrücklich mit der Klägerin geschlossenen Lizenzvertrag behaupten die Beklagten nicht. Soweit die Beklagten vortragen, bereits gegenüber der früheren Inhaberin des Stammpatents sei - auch mit Wirkung für das Klagegebrauchsmuster - aufgrund der ...-FRAND-Erklärung von ... nach französischem Recht ein sukzessionsfestes Nutzungsrecht entstanden, kann dem in Ermangelung der Anwendbarkeit französischen Rechts nicht beigetreten werden.

Nach den Rechtsbehauptungen der Beklagten kommt unter Anwendung französischen Rechts durch die verbindliche, mit Wirkung für Dritte gegenüber ... abgegebene FRAND-Verpflichtungserklärung von ..., die insoweit gegenüber einer unbestimmten Vielzahl Dritter gleichsam ein Angebot auf Abschluss einer Lizenzvereinbarung darstelle, und durch stillschweigende Annahmeerklärung dieses Angebots in Form der Nutzungsaufnahme durch Dritte ein Lizenzvertragsverhältnis zustande. Das behauptete Nutzungsrecht nach französischem Recht muss mithin als vertragliches Schuldverhältnis qualifiziert werden. Das anwendbare Recht auf ein solches vertragliches Schuldverhältnis, welches nach Art. 31 Abs. 1 EGBGB auch über das Zustandekommen und die Wirksamkeit des Vertrages entscheidet, bestimmt sich nach Art. 27 / Art. 28 EGBGB.

Nach Art. 27 Abs. 1 S. 1 EGBGB unterliegt der Vertrag dem von den Parteien gewählten Recht. Abzustellen ist hierbei jedoch nicht auf eine etwaige Rechtswahl im Verhältnis ... und ... sondern auf das behauptete Lizenzvertragsverhältnis, also zwischen ... und dem nutzenden Dritten, also den Beklagten. In diesem Verhältnis müsste also eine Rechtswahl zugunsten des französischen Rechts vorliegen. Eine ausdrückliche Rechtswahl zwischen diesen Parteien ist nicht ersichtlich. Die in Anlage B39 vorliegende Erklärung von ... verhält sich zu einer Rechtswahl ausdrücklich nicht; deren Bezugnahme auf die ... IPR Policy führt zu keiner anderen Betrachtung. Insbesondere kann Art. 12 der ... IPR Policy nicht entnommen werden, dass sämtliche Folgen aus der FRAND Erklärung eines Mitglieds im Verhältnis zu Dritten französischem Recht unterfallen soll.

Eine stillschweigende Rechtswahl kann aber ebenso wenig festgestellt werden. Zwar unterstehen das Zustandekommen und die Wirksamkeit der Rechtswahlvereinbarung grundsätzlich dem von den Parteien gewählten Recht (Art. 27 Abs. 4 EGBGB). Jedoch entscheidet die lex fori darüber, welche Anforderungen an eine stillschweigende Rechtswahl zu stellen sind. Art. 27 Abs. 1 S. 2 EGBGB bestimmt hierzu, dass sich die Rechtswahl mit hinreichender Sicherheit aus den Vertragsbestimmungen oder aus den Umständen des Falles ergeben müsse. Dass das Rechtsverhältnis der ... Mitglieder zu ... französischem Recht unterstellt wird, liefert jedoch keinen solchen hinreichenden Hinweis darauf, dass sämtliche Rechtsverhältnisse zwischen ... Mitgliedern und nutzungswilligen Dritten französischem Recht unterfallen sollen. Schon vom Ansatz her kann eine Rechtswahl im Sinne Art. 27 EGBGB nicht erkannt werden.

Sonach bestimmt sich das auf ein behauptetes Lizenzvertragsverhältnis anzuwendende Recht nach dem Recht des Staates, mit dem das Lizenzvertragsverhältnis die engsten Verbindungen aufweist (Art. 28 Abs. 1 S. 1 EGBGB), wobei vermutet wird, dass der Vertrag die engsten Verbindungen mit dem Staat aufweist, in dem die Partei, welche die charakteristische Leistung zu erbringen hat, im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Hauptverwaltung hat (Art. 28 Abs. 2 S. 1 EGBGB), es sei denn aus der Gesamtheit der Umstände folge, dass der Vertrag eine engere Verbindung mit einem anderen Staat aufweist (Art. 28 Abs. 5 EGBGB). Charakteristische Leistung in einem Lizenzvertragsverhältnis ist die Einräumung eines positiven Benutzungsrechts am Schutzrecht. Ist sonach die Leistung des Lizenzgebers die charakteristische Leistung, so findet bereits nach der Vermutungsregelung deutsches Recht mit Blick auf die frühere Patentinhaberin des Stammpatents Anwendung. Umstände, wonach lizenzvertragliche Vereinbarungen über deutsche Schutzrechte dem französischen Recht unterstellt sein müssten, ergeben sich weder vor dem kartellrechtlichen Hintergrund der ... Statuten noch sonst. Insbesondere erfordert Art. 81 EG nicht, dass Dritte mit Nutzungsaufnahme ein Nutzungsrecht nach einer bestimmten Rechtsordnung erwerben müssten; allenfalls kann aus Art. 81 EG folgen, dass Dritten zu FRAND-Bedingungen ein Zugang zu einem Lizenzvertrag über standardessentielle Schutzrechte gewährleistet wird.

d) Die vorstehend festgestellte Gebrauchsmusterverletzung, die Einwendungen nach §§ 13 Abs. 1; 15 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3; 4 Abs. 5 S. 2 GebrMG einmal unberücksichtigt, begründet grundsätzlich die geltend gemachten Ansprüche nach §§ 24 Abs. 1, Abs. 2; 24 a Abs. 1, Abs. 2; 24 b Abs. 1 GebrMG; § 242 BGB und eröffnet den Anwendungsbereich einer Urteilsveröffentlichung nach § 24 e GebrMG.

e) Soweit die Beklagten Rechtsmissbrauchseinwände gegen den in die Zukunft gerichteten Unterlassungsanspruch führen, hindert dies insbesondere die Durchsetzbarkeit der vergangenheitsbezogenen Ansprüche jedenfalls nicht. Allenfalls könnte der Inhalt des gebrauchsmusterrechtlichen Schadensersatzanspruchs - eine kartellrechtliche Schadensersatzverpflichtung der Klägerin einmal angenommen - modifiziert werden. Somit können diese Einwendungen der Beklagten dahingestellt bleiben, denn die Frage des Rechtsbestands des Klagegebrauchsmusters (§§ 13 Abs. 1; 15 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3; 4 Abs. 5 S. 2 GebrMG) bleibt jedenfalls hinsichtlich der festzustellenden Schadensersatzverpflichtung sowie der diesbezüglichen Rechnungslegung vorgreiflich.

2. Das ihr durch § 19 S. 1 GebrMG eingeräumte Ermessen übt die Kammer dahin aus, den Rechtsstreit auszusetzen.

a) Für die zu treffende Ermessensentscheidung ist nicht auf die Grundsätze zur Aussetzung eines Patentverletzungsrechtsstreits nach § 148 ZPO im Falle eines Einspruchs oder einer Nichtigkeitsklage abzustellen (so auch Rogge in Benkard, PatG, 10. Aufl. 2006, § 19 GebrMG, Rz. 6). Denn abweichend vom Patentverletzungsrechtsstreit ist im Gebrauchsmusterverletzungsverfahren die Prüfung des Rechtsbestands des Klageschutzrechts nicht ausschließlich der Erteilungsbehörde anvertraut. Vielmehr hat auch das Verletzungsgericht in eigener Zuständigkeit ebenfalls den Rechtsbestand des Gebrauchsmusters zu prüfen und über diesen zu entscheiden. Angesichts der Regelungen der §§ 13 Abs. 1; 15 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3; 4 Abs. 5 S. 2 GebrMG obliegt es dem Verletzungsgericht, sich positiv von der Schutzfähigkeit des Klageschutzrechts zu überzeugen. Diese zweispurige Prüfungs- und Entscheidungskompetenz birgt anders als im Patentverletzungsstreit die Gefahr inhaltlich widersprechender Entscheidungen. Solche Entscheidungen zu vermeiden ist der maßgebliche Gesichtspunkt bei der Ermessensausübung nach § 19 S. 1 GebrMG. Die Aussetzung ist daher im Gebrauchsmusterverletzungsstreit bereits dann sachgerecht, wenn Zweifel bestehen, ob das Patentamt die Schutzfähigkeit des mit dem Löschungsverfahren angegriffenen Gebrauchsmusters bestätigen würde.

b) Eine zweifelsfreie positive Feststellung der Schutzfähigkeit des Klagebrauchsmusters vermag die Kammer mit Rücksicht auf die von den Beklagten erhobenen Einwendungen unter dem Gesichtspunkt des erfinderischen Schritts im Hinblick auf das Dokument GSM 04.60 nicht zu treffen. Die Anforderungen an die erfinderische Tätigkeit nach § 1 Abs. 1 GebrMG unterscheiden sich nicht von § 1 Abs. 1 PatG (BGHZ 168, 142 - Demonstrationsschrank). Gerade mit Rücksicht hierauf ist es der Kammer - insbesondere ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens - nicht möglich, zweifelsfrei einen erfinderischen Schritt festzustellen. Die von der Klägerin angeführte Patenterteilung wirkt sich gerade nicht unmittelbar auf die Beurteilung des Rechtsbestands des Klagegebrauchsmusters aus, sondern ist allenfalls als sachverständige Stellungnahme bei einer Entscheidung über den Rechtsbestand durch die Kammer mit zu berücksichtigen. Angesichts einer allenfalls mit Zweifeln behafteten Entscheidungsmöglichkeit der Kammer zur Rechtsbeständigkeit des Klagegebrauchsmusters - auch mit Rücksicht auf die nach Anlage B72 vorgelegte Stellungnahme des Dipl.-Ing. ... - erscheint es der Kammer sachgerecht, die Entscheidung des Deutschen Patent- und Markenamts über den Löschungsantrag abzuwarten. Dieses Vorgehen ist insbesondere prozessökonomisch, verhindert dies doch sich widersprechende Entscheidungen und macht die größere technische Erfahrung des Patentamts bei der Prüfung der Schutzfähigkeit eines technischen Schutzrechts fruchtbar, vorliegend gar mit der anschließenden Bindungswirkung im hiesigen Rechtsstreit gegenüber der Beklagten Ziff. 1 nach § 19 S. 3 GebrMG. Das Interesse der Klägerin an einer Durchsetzung ihrer Ansprüche vor Ablauf der Schutzrechtsdauer ist im Wege der gebotenen Ermessensausübung zurückzustellen gewesen.






LG Mannheim:
Beschluss v. 23.10.2009
Az: 7 O 125/09


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/0da90c9465d6/LG-Mannheim_Beschluss_vom_23-Oktober-2009_Az_7-O-125-09




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