Landgericht Düsseldorf:
Urteil vom 2. Februar 2012
Aktenzeichen: 4a O 229/10 U.

(LG Düsseldorf: Urteil v. 02.02.2012, Az.: 4a O 229/10 U.)

Tenor

Die Klage wird abgewiesen. II. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt. III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. Die Sicherheitsleistung kann auch durch eine unwiderrufliche, unbedingte, unbefristete und selbstschuldnerische Bürgschaft einer in der Europäischen Union als Zoll- oder Steuerbürgin anerkannten Bank oder Sparkasse erbracht werden.

[i]

Gründe

Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des europäischen Patents xxx (nachfolgend: Klagepatent), aus welchem sie die Beklagte auf Unterlassung, Rechnungslegung und Feststellung der Schadenersatz- und Entschädigungspflicht, Rückruf und Entfernung aus den Vertriebswegen sowie Erstattung vorgerichtlicher Kosten in Anspruch nimmt. Das Klagepatent wurde am 31.08.2001 in deutscher Sprache angemeldet, die Patentanmeldung wurde am 11.06.2003 veröffentlicht. Die Veröffentlichung und Bekanntmachung des Hinweises auf Patenterteilung erfolgte am 03.11.2004. Der deutsche Teil des Klagepatents ist in Kraft.

Das Klagepatent trägt die Bezeichnung "Spannwerkzeug mit beweglicher und umstellbarer fester Spannbacke". Sein hier allein maßgeblicher Patentanspruch 1 lautet:

"Spannwerkzeug mit einer an einer Schiene (19), vorzugsweise deren Ende (2) derart mit einem eine Öffnung der Schiene kreuzenden, von der Kraft einer gespannten Feder (9) in der Öffnung (39) gehaltenen Bolzen (4) lösbar befestigten Spannbacke (5), dass sie nach Herausziehen des Bolzens (4) aus der Öffnung (3) an einer anderen Stelle der Schiene durch Einstecken des Bolzens in einer dortigen Öffnung (3) befestigbar ist, auf welcher Schiene (1) eine zweite Spannbacke (7) verschieblich angeordnet ist, welche mittels eines Spannorganes (8) auf der Schiene (1) in eine Spannstellung in Richtung auf letztere bringbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass die zweite Spannbacke (7) bei einer anderen Anordnung der ersten Spannbacke (5), vorzugsweise am anderen Ende der Schiene (19) in eine Spannstellung in Richtung weg von der ersten Spannbacke (5) bringbar ist, wobei der unverlierbar der ersten Spannbacke (5) zugeordnete Bolzen durch Druck auf einen an den Bolzen (4) gekoppelten Druckknopf (11) aus der Öffnung (3) verlagerbar ist."

Nachfolgend werden einige Figuren aus der Klagepatentschrift wiedergegeben, die nach der Patentbeschreibung ein bevorzugtes Ausführungsbeispiel der Erfindung zeigen, wobei die Figuren in der durch die Klägerin farblich hinterlegten Fassung eingeblendet sind. Figur 1 zeigt ein erstes Ausführungsbeispiel der Erfindung, bei dem das Spannwerkzeug eine Schraubzwinge ist. In Figur 2 ist das Ausführungsbeispiel gemäß Figur 1 mit umgesetzter fester Spannbacke dargestellt.

Bei Figur 6 handelt es sich um einen Schnitt gemäß der Linie VI-VI in Figur 2. In der Darstellung gemäß Figur 7 ist der Drücker gedrückt.

Die Beklagte vertreibt in der Bundesrepublik Deutschland unter anderem sogenannte "Einhandzwingen", zu denen auch die "Einhandzwinge EZW" gehört (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform). Deren Funktionsweise lässt sich zunächst den nachfolgend eingeblendeten Fotografien entnehmen, wobei die Bezugsziffern durch die Klägerin eingefügt wurden.

Zudem ist die Funktionsweise der angegriffenen Ausführungsform auch aus den durch die Klägerin als Anlage K 8 vorgelegten und nachfolgend eingeblendeten Skizzen erkennbar:

Die angegriffene Ausführungsform ist dadurch gekennzeichnet, dass zur Befestigung der Spannbacke (5) mit ihrem Spannbackenträger (10) sowohl das eine Ende (2) als auch das andere Ende (6) der Schiene (1) Bohrungen (3) sowie Anschläge (16) aufweisen. Der Spannbackenträger (10) verfügt über einen Bolzen (4), der durch einen mit einer Feder beaufschlagten, grünen Druckknopf (11) gelöst werden kann. In der Eingriffsposition greift der Bolzen (4) in die Öffnung (3) in der Schiene (1) und legt die Spannbacke (5) fest. Nach Betätigung des Druckknopfes (11) tritt der Bolzen (4) aus dem Eingriff mit der jeweiligen Öffnung (3) und die feste Spannbacke (5) kann mit ihrem Träger (10) von der Schiene (1) abgenommen bzw. auf das andere Ende der Schiene aufgesetzt werden.

Zum Festlegen der Spannbacke wird der Träger (10) mit der Spannbacke auf die Schiene (1) aufgesetzt und bis zum Anschlag (16) geschoben. Sodann erfolgt die Festlegung durch Drücken eines roten Druckknopfes (12), der mit dem Bolzen verbunden ist. Der grüne Druckknopf (11) verfügt über einen Stößel (17). Wird der Druckknopf (11) gegen die Kraft einer Feder in eine Vertiefung in den Spannbackenträger (10) eingedrückt, gelangt der Stößel durch eine Öffnung in den im Spannbackenträger (10) vorgesehenen Durchbruch (21) und drückt den Bolzen (4) mit dem roten Druckknopf (12) nach außen. Nach dem Lösen des Druckes auf den grünen Druckknopf (11) gelangt dieser aufgrund der Kraft der Feder zurück in seine Ausgangsstellung, wobei der mit dem grünen Druckknopf (11) verbundene Bolzen aus dem Eingriff mit der jeweiligen Öffnung (3) geschoben wird, so dass die Spannbacke (5) mit ihrem Träger (10) abgenommen werden kann.

Nach Auffassung der Klägerin macht die angegriffene Ausführungsform wortsinngemäß von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch. Insbesondere werde bei der angegriffenen Ausführungsform der Bolzen durch die Kraft der in der eingeschobenen Stellung elastisch deformierten und damit als Feder gespannten Wand des "knopfförmigen Regelglieds (12, rot/orange)" in der Öffnung gehalten. Bei dem Regelglied handele es sich um einen becherartigen Kunststoffkörper. Dieser stecke mit der Becheröffnung voran in der topfförmigen Ausnehmung des Trägers, wobei sich die Wandungen des becherartigen Regelglieds elastisch verformen könnten. An insgesamt sechs Stellen würden vom Rand der Becherwandung Haltevorsprünge in Radialrichtung vom Becherrand ragen, wobei die Haltevorsprünge geringfügig weiter nach außen ragen würden, so dass der Umkreis größer als der Innendurchmesser der topfförmigen Ausnehmung sei. Dadurch würden die Haltevorsprünge bei der Montage des Regelglieds, also beim Hineinstecken in die Ausnehmung, einwärts gedrängt, was mit einer elastischen Deformation der Seitenwandungen der Ausnehmung einhergehe, wodurch die Druckflächen reibschlüssig an der Ausnehmungswandung anliegen würden, was den Bolzen in seiner Verriegelungsstellung halte.

Die Klägerin hat die Beklagte erfolglos abgemahnt.

Die Klägerin beantragt mit der der Beklagten am 16.11.2010 zugestellten Klage,

I. die Beklagte zu verurteilen,

1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfalle bis insgesamt zu zwei Jahren, zu unterlassen,

Spannwerkzeuge mit einer an einer Schiene, vorzugsweise deren Ende, derart mit einem eine Öffnung der Schiene kreuzenden, von der Kraft einer gespannten Feder in der Öffnung gehaltenen Bolzen lösbar befestigten Spannbacke, dass sie nach Herausziehen des Bolzens aus der Öffnung an einer anderen Stelle der Schiene durch Einstecken des Bolzens in einer dortigen Öffnung befestigbar ist, auf welcher Schiene eine zweite Spannbacke verschieblich angeordnet ist, welche mittels eines Spannorgans auf der Schiene in eine Spannstellung in Richtung auf letztere bringbar ist,

anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,

bei denen die zweite Spannbacke bei einer anderen Anordnung der ersten Spannbacke, vorzugsweise am anderen Ende der Schiene, in eine Spannstellung in Richtung weg von der ersten Spannbacke bringbar ist, wobei der unverlierbar der ersten Spannbacke zugeordnete Bolzen durch Druck auf einen an den Bolzen gekoppelten Druckknopf aus der Öffnung verlagerbar ist;

2. der Klägerin in einem geordneten, nach Kalenderjahren sortierten und jeweils Zusammenfassungen enthaltenden Verzeichnis Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu Ziffer 1. bezeichneten Handlungen seit dem 11.07.2003 begangen hat, und zwar unter Angabe

a) der Hersteller, Lieferanten und anderen Vorbesitzer unter Angabe der Anzahl der bestellten Erzeugnisse zugeordnet nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen, sowie unter Angabe der Hersteller, Lieferanten und anderen Vorbesitzer, jeweils unter Vorlage von Rechnungen;

b) der einzelnen eigenen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer unter Vorlage von Rechnungen;

c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger;

d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet sowie bei Internetwerbung des Schaltzeitraums, der Internetadressen sowie der Suchmaschinen, bei denen die jeweiligen Seiten direkt oder über ein Gesamtangebot angemeldet waren;

e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns, wobei diese Angaben erst ab dem 03.12.2004 zu machen sind,

wobei der Beklagten nach ihrer Wahl vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer Empfänger von Angeboten und nichtgewerblichen Abnehmern statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden und ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte die durch dessen Einschaltung entstehenden Kosten übernimmt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, ob eine bestimmte Lieferung oder ein bestimmter Abnehmer in der Auskunft oder ein bestimmter Empfänger eines Angebotes in der Rechnungslegung enthalten ist;

3. die vorstehend unter Ziffer 1. bezeichneten, im Besitz gewerblicher Abnehmer befindlichen und seit dem 01.09.2008 in Verkehr gebrachten Erzeugnisse zurückzurufen, indem diejenigen Dritten, denen durch die Beklagte oder mit deren Zustimmung Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, darüber schriftlich informiert werden, dass die Kammer mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Klagepatents EP xxx erkannt hat, ihnen ein Angebot zur Rücknahme dieser Erzeugnisse durch die Beklagte unterbreitet wird und den gewerblichen Abnehmern für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Erstattung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises bzw. eines sonstigen Äquivalents für die zurückgerufenen Erzeugnisse sowie die Übernahme der Verpackungs- und Transport- bzw. Versendungskosten für die Rückgabe zugesagt wird, sowie die Erzeugnisse aus den Vertriebswegen endgültig zu entfernen, indem die Beklagte die Erzeugnisse entweder wieder an sich nimmt oder deren Vernichtung beim jeweiligen Besitzer veranlasst;

4. an die Klägerin 6.904,00 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

II. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist,

1. der Klägerin für die zu Ziffer I. 1. bezeichneten, in der Zeit vom 11.07.2003 bis zum 02.12.2004 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen,

2. der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser durch die zu Ziffer I. 1. bezeichneten, seit dem 03.12.2004 begangenen Handlungen entstanden ist oder noch entstehen wird.

Die Beklagte beantragt,

die Klage vom 29.10.2010 abzuweisen.

Sie meint, die angegriffene Ausführungsform mache von der technischen Lehre des Klagepatents keinen Gebrauch. Insbesondere stelle der becherförmige rote Druckknopf der beweglichen Spannbacke, der einen Bolzen trage, keine Feder im Sinne des Klagepatents dar, sondern sitze in einem Presssitz in der Seitenwandung. Er werde aufgrund der Reibkraft zwischen der Seitenwandung und der Innenwandung der Öffnung gehalten. Zudem werde bei der angegriffenen Ausführungsform der mit der Verwendung einer Feder verbundene und besonders hervorgehobene Vorteil nicht erreicht, den Formschluss ohne weiteren willensgetragenen Akt des Benutzers zu ermöglichen, sobald der Bolzen und die entsprechende Öffnung in der Schiene fluchten. Er werde vielmehr nicht von einer Feder in die Verriegelungsposition gedrängt, so dass der Bolzen nicht wie patentgemäß gefordert von der Kraft einer gespannten Feder in der Öffnung gehalten sei. Zudem werde der Bolzen auch nicht aus der Verriegelungsöffnung herausgezogen, sondern aus der Verriegelungsposition gestoßen. Schließlich sei der Druckknopf auch nicht mit dem Bolzen gekoppelt. Vielmehr sei der Entriegelungsknopf einstückig mit dem Stößel verbunden und damit mit diesem gekoppelt, denn die Bewegungen von Bolzen und Entriegelungsknopf würden nicht wechselseitig voneinander abhängen.

Die Klägerin tritt diesem Vorbringen entgegen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Rechnungslegung, Rückruf, Erstattung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten sowie Feststellung der Schadenersatz- und Entschädigungspflicht aus Art. 64 EPÜ i. V. m. §§ 139 Abs. 1 und 2, 140a Abs. 3, 140b Abs. 1 und 3 PatG i. V. m. §§ 242, 259 BGB i. V. m. Art. II § 1 Abs. 1 IntPatÜG nicht zu, da die angegriffene Ausführungsform von der technischen Lehre des Klagepatents keinen Gebrauch macht.

I.

Das Klagepatent betrifft ein Spannwerkzeug.

Wie das Klagepatent einleitend ausführt, sei ein derartiges Spannwerkzeug aus der DE 44 43 333 A1 bekannt. Darin werde eine Schalungszwinge für das Baugewerbe beschrieben. Eine erste Spannbacke sitze verschieblich auf einer Schiene. Sie sei dort mittels eines entfernbaren Federsteckers durch einen Formschluss verbunden. An dieser Lösung bezeichnet es das Klagepatent jedoch als nachteilig, dass sich mit einer derartigen Schalungszwinge nur Spannkräfte aufbringen lassen würden.

Als weiteren Stand der Technik nennt das Klagepatent die DE xxx. Dort werde ein Spannwerkzeug in Form einer Schraubzwinge beschrieben, bei dem die fest mit der Schiene verbundene Spannbacke einem rechtwinklig von der Schiene abragenden Spannbackenträger zugeordnet sei. Dieser Spannbackenträger besitze einen Schlitz. In diesen Schlitz sei das Ende der Schiene eingesteckt und mit einem Bolzen, auf dessen Gewinde eine Flügelmutter aufgeschraubt sei, befestigt. An dem anderen Ende der Schiene befinde sich ebenfalls eine Öffnung. Die bewegliche Spannbacke sitze ebenfalls an einem Spannbackenträger. Der Spannbackenträger sei auf einer Schiene gleitverschieblich und könne in einer Verkantstellung dort verharren. Diese Verkantstellung werde erreicht, wenn die am Ende einer Schraubenspindel sitzende Spannbacke in eine Spannstellung zur anderen, festen Spannbacke gebracht werde. Hierzu werde der an dem anderen Ende der Spindel sitzende Griff gedreht. Sei die feste Spannbacke so an der Schiene befestigt, dass die bewegliche Spannbacke durch Betätigung des Spannorgans auf Letztere zu bewegt werde, so könne das Werkstück zwischen die beiden Spannbacken eingespannt werden. Sei dagegen die feste Spannbacke auf der anderen Seite der Schiene angebracht, so dass das Spannorgan die bewegliche Spannbacke weg von der festen Spannbacke verlagere, so wirke das Spannwerkzeug als Spreizwerkzeug.

Weiter beschreibe die DE xxx ein Spannwerkzeug. Hier besitze das Spannorgan ein Schrittschaltgetriebe, mit welchem der gesamte bewegliche Spannbackenträger durch Betätigen eines Drückers schrittweise auf der Schiene entlang bewegt werden könne, wobei die bewegliche Spannbacke je nach Anordnung der festen Spannbacke von Letzterer weg oder auf Letztere zu bewegt werden könne. Auch dort sei vorgesehen, durch Lösen eines eine Öffnung der Schiene kreuzenden Bolzens den die festen Backen tragenden Spannbackenträger entweder auf die eine oder auf die andere Seite der Schiene zu bringen, um ihn dort zu befestigen, so dass das Spannwerkzeug entweder in der Lage sei, ein Werkzeug zwischen den beiden Spannbacken einzuklemmen, oder spreizend in eine Öffnung eines Werkstückes gesetzt zu werden. Bei dem dort beschriebenen Spannwerkzeug sei zusätzlich ein Lösehebel vorgesehen, welcher die beiden Spannbacken aus der Spannstellung lösen könne. Dieser Lösehebel greife in das Schrittschaltgetriebe derart ein, dass durch dessen Betätigung auch eine Rückverlagerung des gesamten Spannorgans möglich sei.

Dem Klagepatent liegt daher die Aufgabe (das technische Problem) zugrunde, bei einem gattungsgemäßen Spannwerkzeug das Anwendungsspektrum bei einem einfachen Wechsel der Anordnung der zweiten Spannbacke auf der Schiene zu vergrößern.

Dies geschieht mit einem Spannwerkzeug mit folgenden Merkmalen:

1. Spannwerkzeug mit

1.1. an einer Schiene (1) lösbar befestigten Spannbacke (5) und

1.2. einer auf der Schiene (1) verschieblich angeordneten zweiten Spannbacke (7);

2. die Spannbacke (5) ist vorzugsweise am Ende (2) der Schiene (1)

2.1. mit einem Bolzen (4) gehalten,

2.1.1. der eine Öffnung (3) der Schiene (1) kreuzt und

2.1.2. von der Kraft einer gespannten Feder (9) in der Öffnung (3) gehalten ist,

2.2. derart, dass die Spannbacke (5) nach Herausziehen des Bolzens (4) aus der Öffnung an einer anderen Stelle der Schiene (1) durch Einstecken des Bolzens (4) in einer dortigen Öffnung (3) befestigbar ist;

3. die zweite Spannbacke (7) ist

3.1. mittels eines Spannorgans (8) auf der Schiene (1) in eine Spannstellung in Richtung auf die Spannbacke (5) anbringbar, und

3.2. bei einer anderen Anordnung der ersten Spannbacke (5), vorzugsweise am anderen Ende der Schiene (1), in eine Spannstellung in Richtung weg von der ersten Spannbacke (5) bringbar;

4. der Bolzen (4) ist unverlierbar der ersten Spannbacke (5) zugeordnet;

5. der Bolzen (4) ist durch Druck auf einen an den Bolzen (4) gekoppelten Druckknopf (11) aus der Öffnung (3) verlagerbar.

II.

Die angegriffene Ausführungsform macht von der technischen Lehre des Klagepatents keinen Gebrauch, da der Bolzen dort nicht wie von Merkmal 2.1.2. gefordert von der Kraft einer gespannten Feder (9) in der Öffnung (3) gehalten ist. Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich bei dem roten, durch die Klägerin als "Regelglied" bezeichneten Druckknopf (12) um keine Feder im Sinne des Klagepatents.

Nach Art. 69 Abs. 1 EPÜ wird der Schutzbereich eines europäischen Patents durch den Inhalt der Patentansprüche bestimmt, wobei die Beschreibung und die Zeichnungen zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen sind. Inhalt bedeutet nicht Wortlaut, sondern Sinngehalt. Maßgebend ist der Offenbarungsgehalt der Patentansprüche und ergänzend - im Sinne einer Auslegungshilfe - der Offenbarungsgehalt der Patentschrift, soweit dieser Niederschlag in den Ansprüchen gefunden hat. Somit dient die Auslegung nicht nur zur Behebung etwaiger Unklarheiten in den Patentansprüchen, sondern auch zur Klarstellung der in den Patentansprüchen verwendeten technischen Begriffe sowie zur Klärung der Bedeutung und der Tragweite der Erfindung. Für die Beurteilung entscheidend ist dabei die Sicht des in dem jeweiligen Fachgebiet tätigen Fachmanns. Begriffe in den Patentansprüchen und in der Patentbeschreibung sind deshalb so zu deuten, wie sie der angesprochene Durchschnittsfachmann nach dem Gesamtinhalt der Patentschrift unter Berücksichtigung von Aufgabe und Lösung der Erfindung versteht (vgl. BGH GRUR 1999, 909 - Spannschraube).

Davon ausgehend entnimmt der Fachmann der Formulierung des Merkmals 2.1.2., dass der Bolzen (4) von der Kraft einer gespannten Feder (9) in der Öffnung (3) gehalten werden soll. Das Merkmal enthält somit über die Angabe der technischen Wirkung, dass der Bolzen (4) in der Öffnung gehalten sein soll, die weitere konstruktive Vorgabe, dass das Halten gerade durch die Kraft einer gespannten Feder (9) erfolgen soll. Einen Hinweis darauf, was patentgemäß darunter zu verstehen ist, erhält der Fachmann im allgemeinen Teil der Patentbeschreibung in Abschnitt [0007]. Danach soll der Bolzen von der Kraft einer beim Herausverlagern gespannten Feder in der Eingriffsstellung gehalten werden. Zum Lösen der festen Spannbacke von der Schiene muss somit lediglich der Bolzen gegen die Kraft der Feder verlagert werden. Dem Fachmann ist somit klar, dass - wie das Klagepatent selbst weiter hervorhebt - der Bolzen in der Eingriffsstellung mit der Federkraft beaufschlagt sein soll, so dass zum Lösen des Bolzens die Kraft der Feder überwunden werden muss. Damit ist nach der allgemeinen Beschreibung des Klagepatents zugleich der weitere Vorteil verbunden, dass der Formschluss zwischen Spannbackenträger und Schiene nicht willensbetont erfolgen muss. Vielmehr tritt der Bolzen selbsttätig in die Öffnung ein, wenn die Backe über die Schiene geschoben wird und die Stirnseite des Bolzens mit der Öffnung fluchtet. Zwar findet sich Letzteres nicht ausdrücklich im Patentanspruch. Jedoch handelt es sich dabei um eine unmittelbare Folge des von Merkmal 2.1.2. geforderten Haltens des Bolzens in der Öffnung von der Kraft einer gespannten Feder, so dass der Fachmann auch diesen Umstand bei der Auslegung des Patentanspruchs zu berücksichtigen hat.

Eine Bestätigung dieser Auslegung erhält der Fachmann aus dem in den Figuren 1 und 2 sowie 6 und 7 nebst der zugehörigen Beschreibung dargestellten Ausführungsbeispiel. Im Verriegelungszustand (Figur 6) drückt die Kraft der Feder (9) den Druckknopf (11) nach außen, so dass der Bolzen (26) über den exzentrischen Fortsatz (18) sowie den Stößel (17) in der Verriegelungsstellung gehalten wird. Die Kraft der Feder (9) muss somit überwunden werden, um durch Drücken des Knopfes (11) den Bolzen aus der Verriegelungsstellung in die Entriegelungsstellung (Figur 7) zu verschieben.

Ausgehend von diesen Überlegungen ist dem Fachmann somit klar, dass es sich bei der roten Kunststoffkappe (12) um keine Feder im Sinne des Klagepatents handelt. Zwar sitzt diese Kunststoffkappe in der Verriegelungsstellung reibschlüssig in der Becheröffnung, wodurch der Bolzen in der Eingriffsstellung gehalten wird. Jedoch darf Merkmal 2.1.2. nicht auf die Funktion des Haltens reduziert werden. Vielmehr soll das Halten gerade durch die Kraft einer gespannten Feder erfolgen. Der damit verbundene und in der allgemeinen Patentbeschreibung ausdrücklich hervorgehobene Vorteil, dass durch die Verwendung einer in der Eingriffstellung gespannten Feder der Formschluss zwischen Spannbackenträger und Schiene nicht willensbetont erfolgen soll, wird jedoch dann nicht erreicht, wenn die Kunststoffkappe (12) - wie bei der angegriffenen Ausführungsform - lediglich über einen Reibschluss unter Ausnutzung der der Kappe immanenten Elastizität mit der Becheröffnung verbunden ist.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 (1. Hs) ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 709 Satz 1 und 2; 108 ZPO.

Der Streitwert wird auf 300.000,- EUR festgesetzt.

Dr. Crummenerl Dr. Voß Thomas

Vorsitzender Richter am Landgericht Richter am Landgericht Richter am Landgericht

[i]






LG Düsseldorf:
Urteil v. 02.02.2012
Az: 4a O 229/10 U.


Link zum Urteil:
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