Oberlandesgericht Celle:
Beschluss vom 27. Dezember 2010
Aktenzeichen: 1 Ws 646/10

(OLG Celle: Beschluss v. 27.12.2010, Az.: 1 Ws 646/10)

1. Der Haftzuschlag des § 83 Abs. 3 BRAGO gilt nur für den ersten Hauptverhandlungstag nach § 83 Abs. 1 BRAGO, nicht für die Folgetermine im Sinne des § 83 Abs. 2 BRAGO.2. Für die Bewertung der nach § 12 BRAGO zu berücksichtigenden Einkommens und Vermögensverhältnisse sind grundsätzlich die sich aus dem schriftlichen Urteil bzw. dem Vorgang ergebenden Umstände maßgeblich. Darüber hinaus allein im Wissen des Verteidigers stehende Umstände müssen glaubhaft gemacht werden.3. Eine Erstattungsfähigkeit im Sinne des § 464b StPO i.V.m. § 27 Abs. 1 BRAGO für gefertigte Kopien einer Sitzungsniederschrift, die durch das Gericht auf Antrag kostenfrei erstellt worden wären, ist nicht gegeben.4. Die Höhe des maßgeblichen Umsatzsteuersatzes richtet sich nach der Fälligkeit der Leistung. Abreden zwischen dem ehemals Beschuldigten und seinem Verteidiger, die Gebühren erst mit rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens in Rechnung zu stellen, berühren die Fälligkeit nicht.

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Freigesprochenen wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Hannover vom 29. Juli 2010 dahingehend abgeändert, dass die dem Freigesprochenen aufgrund seines Antrags vom 11. Mai 2010 von der Staatskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen auf insgesamt 11.589,21 € festgesetzt werden.

2. Die weitergehende sofortige Beschwerde wird als unbegründet verworfen.

3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Beschwerdeführer.

4. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 4836,36 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Hannover erhob am 30. Juni 2000 gegen den Beschwerdeführer Anklage vor dem Landgericht Hannover wegen Dienstahls im besonders schweren Fall in vier Fällen, Urkundenfälschung in drei Fällen, Hehlerei sowie wahlweise Diebstahl oder Hehlerei in drei Fällen. Am 10. August 2000 eröffnete das Landgericht das Hauptverfahren. Vom Tag seiner Festnahme am 22. März 2000 bis zur Außervollzugsetzung des Haftbefehls am 31. Oktober 2000 befand sich der Beschwerdeführer in Untersuchungshaft. Er wurde nach 26tägiger Hauptverhandlung in der Zeit vom 18. September 2000 bis zum 26. März 2001 wegen Diebstahls, Hehlerei, Begünstigung und Urkundenfälschung in drei Fällen unter Einbeziehung einer weiteren Strafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten unter Freisprechung im Übrigen verurteilt. Zugleich ist der Beschwerdeführer erneut in Untersuchungshaft genommen worden, die bis zum 12. April 2001 andauerte. Auf die Revision des Beschwerdeführers hat der Bundesgerichtshof das Urteil am 7. Mai 2002 aufgehoben und die Sache an eine andere Kammer des Landgerichts Hannover zurückverwiesen. Eine daraufhin am 24. April 2008 stattfindende Hauptverhandlung wurde am selben Tag ausgesetzt. Nach drei Hauptverhandlungstagen in der Zeit vom 7. Dezember 2009 bis zum 6. Januar 2010 ist das Verfahren gegen den Beschwerdeführer wegen rechtsstaatswidriger Verzögerung durch Urteil eingestellt worden. Nachdem die Kammer noch davon abgesehen hatte, hat der Senat auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers am 6. April 2010 die dem Beschwerdeführer notwendigen Auslagen der Landeskasse auferlegt. Damit ist das Urteil rechtskräftig geworden.

Mit Antrag vom 11. Mai 2010 hat der Beschwerdeführer durch seinen Wahlverteidiger die Erstattung der ihm entstandenen notwendigen Auslagen beantragt. Hierzu hat er eine Rechnung aufgestellt und die Wahlverteidigervergütung für das gesamte Verfahren mit 16.425,57 € brutto benannt. Die Rechtspflegerin des Landgerichts hat hierauf nach Anhörung des Bezirksrevisors die aus der Landeskasse zu erstattenden Auslagen mit Beschluss von 29. Juli 2010 auf lediglich 11.375,01 € brutto festgesetzt. Dabei ist von ihr beanstandet worden, dass der Beschwerdeführer für eine Vielzahl der Termine den um 25 % erhöhten Gebührenrahmen nach § 83 Abs. 3 BRAGO angewendet habe, obwohl ein erheblicher Mehraufwand aufgrund der Inhaftierung nicht ersichtlich sei und für eine Erhöhung des Gebührenrahmens für die Zeit nach Außervollzugsetzung des Haftbefehls ohnehin kein Raum sei. Die Festsetzung des jeweiligen Gebührenhöchstsatzes für die Termine am 7. und 16. Dezember 2009 sowie am 6. Januar 2010 sei schon aufgrund der nur kurzen Verhandlungsdauer überzogen. Die vom Wahlverteidiger darüber hinaus geltend gemachten überdurchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Beschwerdeführers seien nicht dargelegt worden, weshalb vom Durchschnitt auszugehen sei. Auch eine hohe Bedeutung der Angelegenheit sei nicht vorgetragen worden. Soweit die Rechtspflegerin die vom Wahlverteidiger des Beschwerdeführers festgesetzten Gebühren für unbillig hielt, hat sie diese sodann nach eigener Angemessenheitsprüfung neu festgesetzt. Darüber hinaus hat sie 110,05 € für gefertigte Fotokopien im Revisionsverfahren in Abzug gebracht, weil deren Notwendigkeit nicht belegt worden sei. Die Umsatzsteuer hat sie schließlich mit 16 % statt beantragter 19 % in Ansatz gebracht.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner sofortigen Beschwerde. Er macht geltend, dass es allein Sache des Verteidigers sei, die Angemessenheit des Gebührenansatzes zu bestimmen. Der Rechtspflegerin stehe allein eine Unbilligkeitsprüfung zu. Aufgrund der Inhaftierung des Beschwerdeführers sei der Gebührenrahmen des § 83 Abs. 1 BRAGO für das Großverfahren nicht mehr ausreichend. Bezüglich der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Beschwerdeführers verfüge der Wahlverteidiger über Kenntnisse, die über den Akteninhalt hinausgehen. Die erhöhte Bedeutung der Sache ergebe sich aus der Vielzahl der vorgeworfenen Straftaten. Diese Umstände rechtfertigten unter Berücksichtigung von § 12 BRAGO die von ihm in Ansatz gebrachten Gebühren. Selbst wenn diese unbillig seien, hätte die Rechtspflegerin bei den von ihr festgesetzten Gebühren einen Aufschlag von jeweils 20 % vornehmen müssen, weil erst ab diesem Wert eine Unbilligkeit anzunehmen sei. Die Festsetzung der Rahmenhöchstgebühr für den Termin am 7. Dezember 2009 rechtfertige sich durch den Umstand, dass eine Wiedereinarbeitung in den Verfahrensstoff nach neun Jahren erforderlich gewesen sei. Im Termin vom 16. Dezember 2009 habe entgegen den Ausführungen im angefochtenen Beschluss eine Erstattung eines Gutachtens durch einen Sachverständigen stattgefunden. Bei den beanstandeten Fotokopien habe es sich um solche des Hauptverhandlungsprotokolls gehandelt, deren Fertigung für die Begründung der Revision unerlässlich war. Die Umsatzsteuer sei schließlich mit 19 % auf alle Positionen zu bemessen, da das Urteil erst am 6. April 2010 rechtskräftig geworden sei. Zudem sei mit dem Beschwerdeführer vereinbart worden, dass eine Rechnungslegung erst nach Abschluss des Gesamtverfahrens erfolgen solle.

Der Vertreter der Landskasse hat beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die gemäß §§ 464 b Satz 3 StPO, 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO, 11 Abs. 1 RPflG statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde hat nur in geringem Umfang Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet.

1. Für die zu treffende Entscheidung ist der Einzelrichter des Strafsenats nach § 464b StPO i.V.m. § 568 Satz 1 ZPO zuständig, da die angefochtene Entscheidung von einem Rechtspfleger erlassen wurde (vgl. Senatsbeschluss vom 6. Oktober 2009 (1 Ws 448/09) unter Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung; OLG Düsseldorf, NStZ 2003, 324; OLG Hamm, Beschlüsse vom 21.12.2006 - 4 Ws 544/06 - und vom 17.04.2007 - 4 Ws 97/07 - juris; OLG Rostock, Beschluss vom 13.07.2009 - I Ws 192/09 RVG - juris; KK-Gieg, StPO 6. Aufl. § 464 b Rn. 4; a.A. OLG Koblenz NJW 2003, 763; OLG Düsseldorf, RPfl 2004, 120; Meyer-Goßner, StPO 53. Aufl. § 464 b Rn. 7; KMR-Stöckel, StPO § 464 b Rn. 15).

2. In der Sache führt die sofortige Beschwerde zu einer Erhöhung der dem Beschwerdeführer aufgrund seines Antrags vom 11. Mai 2010 aus der Staatskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen um 214,20 € gegenüber dem in der angefochtenen Entscheidung zuerkannten Betrag von 11.375,01 € auf insgesamt 11.589,21 €.

a) Zunächst ist dabei festzuhalten, dass die vom Beschwerdeführer in Ansatz gebrachte Gesamtsumme bereits rechnerisch nicht nachvollziehbar ist. Die Summe der einzelnen Positionen ergibt nämlich statt des geltend gemachten Nettobetrages von 13.286,65 € einen Betrag von 13.536,65 €. Die auf die berechnete Summe geltend gemachte Umsatzsteuer ist zwar zutreffend ermittelt worden, die sich aus Einzelpositionen und Umsatzsteuer errechnete Gesamtsumme ist indessen wieder unrichtig (beantragt 16.425,57 statt 15.811,11 €). Korrekterweise hätte der geltend gemachte Gesamtbetrag statt 16.425,57 € lediglich 16.108,61 € betragen dürfen.

b) Bezüglich der Termine am 20. Oktober, 8. November, 8. und 19. Dezember 2000, 18. und 25. Januar, 2. und 8. Februar, 8. März 2001 sowie 24. April 2008 hat der Beschwerdeführer die Gebühren wie von ihm festgesetzt erhalten und ist daher nicht beschwert. Dies gilt auch für die für den ersten Durchgang und im Revisionsverfahren jeweils geltend gemachte Auslagenpauschale, die Dokumentenpauschale für das Verfahren vor der Kammer und die Revisionsgebühr.

10c) Keinen Erfolg konnte die sofortige Beschwerde von vorn herein haben, soweit der Beschwerdeführer die von seinem Antrag abweichende Festsetzung der Terminsgebühren für die Termine am 4. und 10. Oktober 2000, 16. und 26. Februar und 15. März 2001 rügt. Denn die hier jeweils durch die Rechtspflegerin festgesetzten 390 € entsprechen dem Rahmenhöchstsatz des § 83 Abs. 2 BRAGO. Die vom Beschwerdeführer stattdessen jeweils für angemessen erachteten 487,50 € konnten schon aus Rechtsgründen nicht festgesetzt werden. Diese wären nämlich nur dann in Betracht gekommen, wenn der sogenannte Haftzuschlag nach § 83 Abs. 3 BRAGO auch für die Folgetermine nach § 83 Abs. 2 BRAGO Anwendung finden und sich dadurch der Höchstsatz der Rahmengebühr von 390 € auf 487,50 € erhöhen würde. Dies ist indessen nicht der Fall. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 83 Abs. 3 BRAGO gilt der Haftzuschlag nur für den ersten Hauptverhandlungstag nach § 83 Abs. 1 BRAGO (vgl. KG, Beschluss vom 11. März 2005, 3 Ws 553/04, bei juris; OLG Bremen, AGS 2001, 35; OLG Hamm, AGS 1997, 4; OLG Hamburg, MDR 1995, 855; OLG Zweibrücken, AGS 2003, 111; Madert in Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert, 15. Aufl., § 83 BRAGO Rn. 21; a.A. Hartmann, Kostengesetze, 31. Aufl., § 83 BRAGO Rn. 29).

11d) Dem vorgesagten entsprechend ist der Beschwerdeführer bei der Festsetzung seiner Termingebühren für die Termine vom 20., 22. und 27. September, 18. und 31. Oktober, 13., 21., 28. und 30. November 2000, 10. Januar und 26. Februar 2001 von einem unzutreffenden Gebührenrahmen ausgegangen und bewegte sich mit der jeweiligen Festsetzung des vermeintlichen Höchstgebührensatzes von 487,50 € außerhalb des Rechts, wobei die Rechtspflegerin für die Termine ab dem 13. November 2000 zusätzlich zutreffend darauf hingewiesen hat, dass sich der Beschwerdeführer an diesen Tagen gar nicht mehr in Haft befand und der Haftzuschlag somit von vornherein nicht zur Anwendung kommen konnte. Folglich konnte die Festsetzung durch den Beschwerdeführer keine Verbindlichkeit im Sinne von § 12 Abs. 1 Satz 2 BRAGO begründen. Die Rechtspflegerin konnte daher - entgegen dem Beschwerdevorbringen, das die systematische Struktur des Festsetzungsverfahrens insoweit verkennt - die Gebühr ohne Berücksichtigung des in Ansatz gebrachten Betrages selbst unter Beachtung der in § 12 BRAGO genannten Kriterien festsetzen (vgl. Madert, a.a.O., § 12 BRAGO Rn. 6). Die hierbei im angefochtenen Beschluss dargestellten Beträge sind nicht zu beanstanden. Sie liegen mit Ausnahme der für den Termin am 30. November 2000 festgesetzten Gebühr jeweils deutlich über der in Strafsachen bei Fehlen von eine Erhöhung rechtfertigenden Umständen dem Verteidiger zustehenden Mittelgebühr (vgl. OLG Düsseldorf, AnwBl 1989, 293; Madert a.a.O., § 12 BRAGO Rn. 16 m.w.N.). In der Betragshöhe sind sie nach Terminslänge, Dauer der Unterbrechungen, Zeugenvernehmungen und Sachverständigenanhörungen sachgerecht differenziert bemessen worden. Dass es sich bei dem Verfahren insgesamt um ein Großverfahren gehandelt hat, das sich über einen erheblichen Zeitraum gestreckt hat, war für die erforderliche Bemessung jeder einzelnen eine Gebühr auslösenden Tätigkeit des Wahlverteidigers unerheblich. Gegebenfalls wird der Verteidiger diesen Umstand über einen Antrag auf Bewilligung einer Pauschgebühr nach § 99 BRAGO geltend zu machen haben. Soweit der Beschwerdeführer darüber hinaus im Rahmen der sofortigen Beschwerde vorträgt, über überdurchschnittliche Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu verfügen, konnte er damit im Kostenfestsetzungsverfahren nicht gehört werden. Maßgeblich für die Bewertung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse sind grundsätzlich die sich aus dem schriftlichen Urteil (vgl. KG StV 1997, 429) bzw. die sich aus dem Vorgang ergebenden Umstände. Hiernach hatte der Freigesprochene nach seinen Angaben eine Lehre als Karosseriebauer begonnen, diese aber abgebrochen und lebte nunmehr in geordneten Verhältnissen. Darüber hinaus allein im Wissen seines Verteidigers stehende Umstände hätte der Beschwerdeführer glaubhaft machen müssen (OLG Flensburg, JurBüro 1985, 1348). Dies ist nicht erfolgt, weshalb dieser Vortrag keinen Einfluss auf die Bestimmung der angemessenen Gebühr haben konnte. Der Termin am 30. November 2000 dauerte zwar sechs Stunden, beinhaltete aber zwischenzeitliche Unterbrechungen von über vier Stunden und hatte weder eine Zeugenvernehmung noch ein Sachverständigengutachten zum Inhalt. Insoweit ist die Mittelgebühr für diesen Termin gerechtfertigt. Den danach festgesetzten Beträgen war auch von Seiten des Landgerichts kein jeweils 20%iger Billigkeitszuschlag zuzuschlagen. Zwar trifft es zu, dass eine von Seiten des Verteidigers erfolgte Festsetzung einer Gebühr nicht bereits beanstandet werden kann, wenn sie überzogen ist. Erst die unbillige Bestimmung führt zur Unverbindlichkeit nach § 12 Abs. 1 Satz 2 BRAGO. Wann eine solche Unbilligkeit vorliegt, wird in der Rechtsprechung unterschiedlich behandelt. Größtenteils nimmt diese eine Unbilligkeit erst dann an, wenn der vom Verteidiger festgesetzte Betrag von einem angemessenen Betrag um etwa 20 % abweicht (vgl. OLG Düsseldorf, JurBüro 2000, 359; OLG Oldenburg, RPfl 1999, 566; OLG München, MDR 1975, 336; OLG Köln, AGS 1993, 60). Wird allerdings ein vom Verteidiger festgesetzter Betrag wegen Unbilligkeit beanstandet und hat der Rechtspfleger daher selber eine Festsetzung vorzunehmen, hat dies allein nach den in § 12 BRAGO benannten Kriterien zu geschehen. Das Gericht hat daher allein einen angemessenen Betrag, keinen €noch nicht unbillig erhöhten€ Betrag festzusetzen.

e) Keinen Erfolg hatte die sofortige Beschwerde auch, soweit sich der Beschwerdeführer gegen die Festsetzung der Vorverfahrensgebühr und der Gebühr für den ersten Hauptverhandlungstag am 18. September 2000 wendet. Die von ihm in Ansatz gebrachten Gebühren sind ebenfalls unbillig erhöht und haben die Rechtspflegerin zu einer Neufestsetzung berechtigt, gegen die nicht zu erinnern ist. Zwar befand sich der Beschwerdeführer im Zeitpunkt des Erstehens beider Gebühren nicht auf freiem Fuß. Dies allein reicht aber nicht aus, um den Gebührenrahmen des § 83 Abs. 3 BRAGO zu eröffnen. Vielmehr muss gerade wegen der Inhaftierung des Beschwerdeführers der Gebührenrahmen der §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 BRAGO nicht ausgereicht haben, um die gesamte Tätigkeit des Verteidigers angemessen zu entgelten. Ein Automatismus, dass aufgrund einer Inhaftierung von dem nach § 83 Abs. 3 und § 84 Abs. 1, 2. Halbsatz BRAGO grundsätzlich ausgegangen werden kann, lässt sich hieraus nicht ableiten. Vielmehr ist davon auszugehen, dass aufgrund des Pauschgedankens in § 87 Satz 1 BRAGO auch für durch Haft erschwerte Bedingungen der Verteidigung grundsätzlich der nicht erhöhte Gebührenrahmen zur angemessenen Abgeltung der Verteidigertätigkeit ausreicht (vgl. Madert, a.a.O., § 83 Rn. 21). Dass dies vorliegend nicht der Fall ist, ist unter Berücksichtigung der nach § 12 BRAGO für die Bemessung geltenden Kriterien nicht erkennbar. Mit der Bewilligung der nicht erhöhten Höchstgebühr für das Vorverfahren und einem deutlich über der Mittelgebühr für den ersten Hauptverhandlungstag liegenden Betrag sind die sich aus der Inhaftierung des Beschwerdeführers ergebenden gesteigerten Schwierigkeiten bei der Verteidigung angemessen festgesetzt worden. Besonders erschwerende Haftbedingungen, eine besonders lange Dauer der Untersuchungshaft oder einen erheblichen Mehraufwand verursachende Haftprüfungsanträge oder Haftbeschwerden sind dem Vorgang nicht zu entnehmen. Vielmehr handelt es sich vorliegend hinsichtlich des Tatvorwurfs um einen recht durchschnittlichen Fall, wie er regelmäßig vor der großen Strafkammer verhandelt wird und bei dem die Inhaftierung eines Beschuldigten nicht unüblich ist.

13f) Im Ergebnis zu Recht ist durch die Rechtspflegerin auch die für das Revisionsverfahren geltend gemachte Dokumentenpauschale in Abzug gebracht worden. Zwar hat der Beschwerdeführer in seiner Beschwerdebegründung die Notwendigkeit der gefertigten Kopien zu substantiieren versucht, indem er sich auf die Fertigung einer Ablichtung des Sitzungsprotokolls berufen hat. Eine Erstattungsfähigkeit im Sinne des § 27 Abs. 1 BRAGO fehlt indessen, soweit es sich um eine Protokollkopie handelt (vgl. Hartmann, a.a.O., § 27 BRAGO Rn. 52). Nach der Anlage 1 Ziff. 9000 Anm. 3c des Kostenverzeichnisses zum GKG i.d.F. des KostRÄndG 1994 bzw. Ziff. 9000 Anm. 2 Nr. 3 GKG KV in der heutigen Fassung ist nämlich von jeder Sitzungsniederschrift durch das Gericht kostenfrei für jeden Verfahrensbeteiligten eine Abschrift zu fertigen. Dieser für den Beschwerdeführer günstigere Weg führt auch unter Berücksichtigung eines angemessen großzügigen Maßstabes dazu, dass die Herstellung einer Ablichtung zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache als nicht geboten erscheint (vgl. Hartmann, a.a.O., Rn. 39). Denn für das Merkmal des Gebotenseins kommt es weder auf die Sicht des Beschwerdeführers noch die des Verteidigers, sondern auf einen objektiven Maßstab, also auf den Standpunkt eines vernünftigen, sachkundigen Dritten an (vgl. OLG Düsseldorf, JurBüro 2000, 360).

g) Die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Auslagenpauschale nach § 26 BRAGO ist von der Rechtspflegerin zutreffend auf den für Strafsachen geltenden Pauschsatz von 15 € gekürzt worden.

h) Geringen Erfolg hatte die sofortige Beschwerde allein, soweit sie die Terminsgebühren für die Hauptverhandlungstage vom 7. Dezember 2009 bis 6. Januar 2010 betraf. Hier ist die Rechtspflegerin unterhalb der jeweiligen Mittelgebühr geblieben, ohne dass hierfür - trotz der nur kurzen Dauer der Sitzungen - Veranlassung bestand. Insbesondere ist dem Umstand, dass sich der Verteidiger nach einer ungewöhnlich langen Zeit in den Verfahrensstoff neu einzuarbeiten hatte, ohne dass dies eine zusätzliche Gebühr ausgelöst hätte, nicht genügend Rechnung getragen worden. Zwar hatte zwischen dem letzten Hauptverhandlungstag des ersten Durchgangs am 26. März 2001 und dem ersten Hauptverhandlungstag des letzten Durchgangs am 7. Dezember 2009 zwischenzeitlich noch am 24. April 2008 ein weiterer Durchgang begonnen, der ebenfalls einer erneuten Einarbeitungszeit bedurfte und den der Beschwerdeführer selbst mit lediglich 400 € festgesetzt hat. Dieser Festsetzung kam jedoch keine präjudizielle Wirkung in dem Sinne zu, dass die danach folgende erneute, aber kürzere Einarbeitungszeit gebührenrechtlich nicht höher bewertet werden durfte. Bezüglich des Termins vom 16. Dezember 2009 trifft die Begründung des angefochtenen Beschlusses, es sei kein Sachverständiger aufgetreten, nicht zu. Im Termin am 6. Januar 2010 hat zwar eine Beweisaufnahme nicht mehr stattgefunden, ausweislich des Inhalts des Protokolls sind aber ursprünglich Zeugen und Sachverständige geladen worden, auf die sich der Verteidiger vorzubereiten hatte. Unter Berücksichtigung der relativ kurzen Hauptverhandlungstermine im besagten Zeitraum erschien damit für den Sitzungstag am 7. Dezember 2009 eine Gebühr von 500 € und für die beiden Folgetermine eine Gebühr von jeweils 250 € für angemessen. Hingegen waren die vom Beschwerdeführer selbst festgesetzten Beträge wiederum unbillig erhöht und konnten keine Bindungswirkung entfalten.

16i) Auf den damit dem Beschwerdeführer als Mehrwert festzusetzenden Nettobetrag von 180 € entfiel zusätzlich die Umsatzsteuer in Höhe von 19 %, mithin 34,20 €. Für die bis zur Aufhebung des Urteils vom 26. März 2001 durch den Bundesgerichtshof am 7. Mai 2002 angefallenen Positionen hatte es entgegen dem Beschwerdevorbringen bei einem Umsatzsteuersatz von 16 % zu verbleiben. Nach § 13 Abs. 1 Nr. 1a Satz 1 UStG kommt es für die Entstehung der Steuerschuld und damit für den maßgebenden Steuersatz auf den Zeitpunkt an, in dem die Leistung ausgeführt worden ist. Anknüpfend an § 16 BRAGO ist dies der Fall, wenn der Rechtsanwalt die nach dem Geschäftsbesorgungsvertrag geschuldete Gesamtleistung erbracht hat. In gerichtlichen Verfahren ist die Leistung des Rechtsanwalts erbracht, wenn eine den Rechtszug beendende gerichtliche Entscheidung ergangen ist, weil dann der Auftrag seine Erledigung gefunden hat. Die Höhe des Umsatzsteuersatzes bestimmt sich daher nach der zutreffenden überwiegenden Rechtsprechung nach der Fälligkeit des zugrundeliegenden Anspruchs (vgl. OLG Düsseldorf, MDR 1983, 142; OLG Bamberg, JurBüro 1983, 1039; OLG Koblenz, JurBüro 1982, 717; OLG Stuttgart, JurBüro 1982, 1189; OLG Frankfurt/Main, RPfl 1983, 41; OLG Hamburg JurBüro 1982, 862; OLG Hamm, RPfl 1982, 237; KG, JurBüro 1980, 162; OLG München, JurBüro 1983, 231; OLG Schleswig JurBüro 1982, 1351; OLG Zweibrücken, JurBüro 1983, 861; a.A. OLG Düsseldorf, RPfl 1983, 40; OLG Karlsruhe JurBüro 1982, 1845). Mit Erlass des Urteils am 26. März 2001 war sowohl eine Kostenentscheidung getroffen als auch der Rechtszug beendet worden. Zu diesem Zeitpunkt galt - wie auch bei Beendigung des insoweit gesondert zu bewertenden Revisionsrechtszugs (vgl. Hartmann, a.a.O., § 16 BRAGO Rn. 17) - der Umsatzsteuersatz von 16 %. Auf die Fälligkeit hatte dabei keinen Einfluss, dass der Verteidiger seine bis dahin entstandenen Gebühren gegenüber dem Beschwerdeführer absprachegemäß noch nicht berechnet hatte. Denn die Berechnung nach § 18 BRAGO begründet nur die Einforderbarkeit, nicht die Fälligkeit der Leistung (vgl. OLG Düsseldorf, AnwBl 1988, 252). Dass die Abrede zugleich eine Stundung darstellt, die das dispositive Recht des § 16 BRAGO verdrängt und auch den Eintritt der Fälligkeit erst zu einem späteren Zeitpunkt bewirkt haben könnte, trägt der Beschwerdeführer selbst nicht vor. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob eine solche Abrede zu Lasten des kostenerstattungspflichtigen Dritten, zu dem auch die Staatskasse gehört, wenn sie bei Freispruch oder ähnlichem dem ehemals Angeklagten die Verteidigergebühren nach § 467 StPO zu erstatten hat (vgl. Madert, a.a.O., § 12 BRAGO Rn. 6), dahin führen kann, dass dieser nunmehr einen höheren Umsatzsteuersatz zu erstatten hat, als wenn eine Stundungsabrede zwischen dem Kostengläubiger und seinem Verteidiger nicht erfolgt wäre. Hiergegen könnte vor allem sprechen, dass der Kostengläubiger nur von den Kosten freigestellt werden soll, die für seine Rechtsverfolgung erforderlich sind.

3. Somit sind über die festgesetzten 11375,01 € weitere 214,20 € festzusetzen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 4 StPO. Aufgrund des nur geringen Erfolges des Rechtsmittels kam eine Gebührenermäßigung sowie eine Kostentragungspflicht der Landeskasse für die dem Beschwerdeführer im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen aus Billigkeitsgründen nicht in Betracht.






OLG Celle:
Beschluss v. 27.12.2010
Az: 1 Ws 646/10


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