Bundespatentgericht:
Beschluss vom 22. Januar 2008
Aktenzeichen: 17 W (pat) 79/04

(BPatG: Beschluss v. 22.01.2008, Az.: 17 W (pat) 79/04)

Tenor

Auf die Beschwerde der Einsprechenden wird der Beschluss der Patentabteilung 34 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 31. März 2004 aufgehoben. Das deutsche Patent 196 31 323 wird widerrufen.

Gründe

I.

Auf die am 1. August 1996 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereichte Patentanmeldung 196 31 323.6 - 34 wurde durch Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse H 01 H unter der Bezeichnung

"Druckgasschalter"

ein Patent erteilt und dies am 16. Oktober 1997 veröffentlicht.

Gegen das Patent wurde ein Einspruch erhoben mit der Begründung, dass es keiner erfinderischen Tätigkeit bedurfte, um zum Gegenstand des Hauptanspruchs zu gelangen. Die Patentabteilung 34 des Deutschen Patent- und Markenamts hat das Patent mit Beschluss vom 31. März 2004 in vollem Umfang aufrechterhalten. Gegen diesen Beschluss wendet sich die Beschwerde der Einsprechenden.

Sie hält die Argumentation der Patentabteilung für nicht überzeugend und auch den jeweiligen Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Haupt- wie nach Hilfsantrag zumindest für nicht erfinderisch gegenüber den Druckschriften:

D1 FR 2 491 675 A1, D2 EP 0 313 813 A1, D3 DE 44 27 163 A1, D4 US 3 896 282.

(Die letztere, vom Senat nachbenannte D4 stammt aus dem Prüfungsverfahren zu einer europäischen Nachanmeldung; sie war in einem Prüfungsbescheid des EPA als neuheitsschädlich bezeichnet worden.)

Die Einsprechende stellt den Antrag, das Patent in vollem Umfang zu widerrufen.

Die Patentinhaberin verteidigt ihr Patent und stellt den Antrag, die Beschwerde zurückzuweisen und das Patent mit folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:

gemäß Hauptantrag mit Patentansprüchen 1 - 9 und Beschreibung Spalten 1 und 2, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung, Patentansprüchen 10 - 14, Beschreibung Spalten 3 - 7 Mitte sowie Zeichnungen mit Figuren wie erteilt;

gemäß Hilfsantrag mit Patentanspruch 1 und Beschreibung Spalten 1 und 2, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung, Patentansprüchen 2 - 14, Beschreibung Spalten 3 - 7 Mitte sowie Zeichnungen mit Figuren wie erteilt.

Der Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag, hier mit einer möglichen Gliederung versehen, lautet:

" 1. Druckgasschalter mit folgenden Merkmalen:

(a) der Druckgasschalter weist mindestens eine Unterbrechungsstelle auf;

(b) zu jeder Unterbrechungsstelle gehört jeweils ein erstes und ein zweites Kontaktstück (3,2);

(c) die Kontaktstücke (2, 3) mindestens einer Unterbrechungsstelle sind gekoppelt über einen Hebelmechanismus mit mindestens einem zwei Hebelarme aufweisenden Umlenkhebel (6);

(d) die Kontaktstücke (2, 3) dieser Unterbrechungsstelle(n) sind mittels eines einzigen Antriebs (11) entlang der Mittelachse (M) des Druckgasschalters gegenläufig gegeneinander verschiebbar;

(e) an dem ersten Kontaktstück (3) dieser Unterbrechungsstelle(n) ist (jeweils) eine koaxial zu der Mittelachse (M) angeordnete Isolierstoffdüse (9) befestigt;

(f) die Drehachse des oder der Umlenkhebel (6) kreuzt die Mittelachse (M) des Druckgasschalters im rechten Winkel;

(g) an beiden Hebelarmen ist jeweils über ein Drehgelenk eine Stange (7,8) befestigt;

(h) die erste Stange (7) ist über ein Kraftübertragungselement (15) drehbar mit der Isolierstoffdüse (9) verbunden;

(i) das Kraftübertragungselement (15) erstreckt sich von der Isolierstoffdüse (9) radial nach außen; und

(k) die zweite Stange (8) ist drehbar mit dem zweiten Kontaktstück (2) gekoppelt. "

(Dabei ist gegenüber dem erteilten Patentanspruch 1 Merkmal (h) geändert, Merkmal (i) hinzugefügt.)

Bezüglich der Unteransprüche 2 - 14 wird auf die Akte verwiesen.

Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag, mit einer entsprechenden Gliederung versehen, lautet:

" 1. Druckgasschalter mit folgenden Merkmalen:

(a) der Druckgasschalter weist mindestens eine Unterbrechungsstelle auf;

(b) zu jeder Unterbrechungsstelle gehört jeweils ein erstes und ein zweites Kontaktstück (3,2);

(c) die Kontaktstücke (2, 3) mindestens einer Unterbrechungsstelle sind gekoppelt über einen Hebelmechanismus mit mindestens einem zwei Hebelarme aufweisenden Umlenkhebel (6);

(d) die Kontaktstücke (2, 3) dieser Unterbrechungsstelle(n) sind mittels eines einzigen Antriebs (11) entlang der Mittelachse (M) des Druckgasschalters gegenläufig gegeneinander verschiebbar;

(e) an dem ersten Kontaktstück (3) dieser Unterbrechungsstelle(n) ist (jeweils) eine koaxial zu der Mittelachse (M) angeordnete Isolierstoffdüse (9) befestigt;

(f) die Drehachse des oder der Umlenkhebel (6) kreuzt die Mittelachse (M) des Druckgasschalters im rechten Winkel;

(g) an beiden Hebelarmen ist jeweils über ein Drehgelenk eine Stange (7,8) befestigt;

(h*) die erste Stange (7) ist drehbar mit dem freien Endbereich der Isolierstoffdüse (9) verbunden; und

(k) die zweite Stange (8) ist drehbar mit dem zweiten Kontaktstück (2) gekoppelt. "

(Dabei ist gegenüber dem Hauptantrag Merkmal (h*) geändert, Merkmal (i) weggefallen.)

Hier wird bezüglich der Unteransprüche 2 - 14 auf die Streitpatentschrift verwiesen.

Als Aufgabe des Streitpatents ist angegeben, einen wartungsarmen und zuverlässigen Druckgasschalter zu schaffen, mit dem bei einem Ausschaltvorgang eine hohe Kontakttrenngeschwindigkeit bei geringer Antriebsenergie erreicht wird (siehe Streitpatent Spalte 2 Zeile 23 - 27).

Die Patentinhaberin vertritt die Auffassung, dass die entgegengehaltenen Druckschriften den beanspruchten Druckgasschalter nicht vorwegnähmen und auch nicht nahelegten. Insbesondere zeige der Stand der Technik keine drehbare Verbindung der ersten Stange mit der Isolierstoffdüse bzw. der zweiten Stange mit dem zweiten Kontaktstück - vielmehr sei gemäß D2 und D3 kein Hebelgetriebe, sondern ein Zahnradgetriebe vorgesehen, welches zu ersetzen der Fachmann keinen Anlass gehabt habe, und bei D1 und D4 bestehe eine Verbindung nur über zusätzliche Antriebsstangen, die den Durchmesser des Leistungsschalters vergrößerten. Die beanspruchte drehbare Verbindung sei daraus nur in Kenntnis des Streitpatents, also in rückschauender Betrachtungsweise ableitbar gewesen; denn mit den Augen des Technikers gelesen bedeute "drehbar verbunden" auch "örtlich benachbart".

II.

Die Beschwerde der Einsprechenden hat Erfolg, da der Gegenstand des Patents - auch in der hilfsweise verteidigten Fassung - mangels erfinderischer Tätigkeit nicht patentfähig ist und das Patent daher zu widerrufen war (§§ 1, 4, 21 PatG).

1. Die Einspruchsbeschwerde wurde rechtzeitig eingelegt und ist auch sonst zulässig. Der Einspruch war mit nachprüfbaren Gründen versehen und ebenfalls zulässig.

2.1 Das Streitpatent betrifft einen Druckgasschalter zur sicheren Unterbrechung großer Ströme. Üblicherweise wird beim Öffnen des Schalters eines seiner beiden Kontaktstücke durch einen Antrieb vom anderen Kontaktstück fortbewegt. Zur Erhöhung der Trenngeschwindigkeit lehrte bereits der Stand der Technik, beide Kontaktstücke verschieblich auszubilden und durch einen Mechanismus so zu verbinden, dass eine Verschiebung des einen Kontaktstücks gegenläufig auf das andere Kontaktstück übertragen wird.

Zur weiteren Verbesserung schlägt das Streitpatent einen bestimmten Aufbau des Verschiebungsmechanismus mit einem Umlenkhebel und Stangen zur Kraftübertragung vor, der eine kompakte Auslegung des Druckgasschalters mit geringem Durchmesser erlaubt.

Als Fachmann für den beanspruchten Aufbau von über einen Hebelmechanismus gegenläufig miteinander verbundenen Kontaktstücken mit im Wesentlichen dem Gebiet der Mechanik zuzuordnenden Einzelheiten ist hier ein Maschinenbauingenieur mit Kenntnissen auf dem Gebiet der Elektrotechnik anzusehen, der mehrjährige Erfahrung in der Konstruktion von Druckgasschaltern besitzt.

2.2 Zwischen den Parteien ist insbesondere strittig, wie in Merkmal (h) bzw. (h*) der Begriff "drehbar ... verbunden" auszulegen ist. Aus den Figuren 1 und 2 des Streitpatents ist ohne weiteres erkennbar, dass die erste Stange (7) in unmittelbarer Nähe der Isolierstoffdüse (9) drehbar an einem Kraftübertragungselement (15) befestigt ist, welches sich von der Isolierstoffdüse (9) radial nach außen erstreckt. Die Patentinhaberin ist der Auffassung, mit den Augen des Technikers gelesen bedeute "drehbar verbunden" auch "örtlich benachbart".

Dabei wäre allerdings schon unklar, welche Entfernung noch unter "benachbart" fallen soll, welche nicht mehr. Vor allem steht hier aber entgegen, dass der Patentanspruch 1 nicht auf solch eine "örtlich benachbarte" Verbindung hin formuliert ist. Es ist Sache des Patentinhabers, gebotene Einschränkungen des Patentschutzes selbst herbeizuführen; dass sich die Beschreibung und die Ausführungsbeispiele eines Patents vielleicht ausschließlich auf bestimmte Ausführungsformen beziehen, "schränkt einen weiter zu verstehenden Sinngehalt der Patentansprüche nicht auf diese Ausführungsformen ein. Eine Auslegung unterhalb des Wortlauts (im Sinn einer Auslegung unterhalb des Sinngehalts) der Patentansprüche ist generell nicht zulässig" (BGH GRUR 2007, 309 "Schussfädentransport"). Entsprechend darf "nicht etwa deshalb eine einengende Auslegung der angegriffenen Patentansprüche zugrunde gelegt werden, weil mit dieser die Schutzfähigkeit eher bejaht werden könnte" (BGH GRUR 2004, 47 "Blasenfreie Gummibahn I" - für das Patentnichtigkeitsverfahren).

Darüber hinaus kann gemäß Unteranspruch 3 das Kraftübertragungselement (15) zwischen der ersten Stange (7) und der Isolierstoffdüse (9) ausdrücklich "ein- oder mehrteilig ausgeführt" sein. Nach dem Verständnis des Fachmanns deutet eine mehrteilige Ausbildung des Kraftübertragungselements ebenfalls darauf hin, dass der Ort der "drehbaren Verbindung" deutlich von der Isolierstoffdüse (9) entfernt sein kann.

Daher ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass der Begriff "drehbar verbunden" hier weit auszulegen ist, so dass die drehbare Verbindung zwischen Stange und Isolierstoffdüse auch räumlich entfernt über mehrere Kraftübertragungselement-Teile hinweg bestehen kann.

3. Zum Hauptantrag 3.1 Die geänderte Anspruchsfassung ist zulässig. Die Änderung in Merkmal (h) des Patentanspruchs 1 ergibt sich beispielsweise aus Spalte 2 Zeile 47 - 50 des Streitpatents, und das hinzugefügte Merkmal (i) basiert auf Unteranspruch 3; es handelt sich daher um eine erlaubte Beschränkung des erteilten Patents. Die geringfügigen Änderungen in den Unteransprüchen 3 und 5 betreffen lediglich Anpassungen und eine Klarstellung.

3.2 Der Gegenstand des so eingeschränkten Patentanspruchs 1 beruht jedoch gegenüber der Druckschrift D4 (US 3 896 282) zumindest nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Angelehnt an die Gliederung des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag zeigt D4:

einen Druckgasschalter ("high voltage circuit interrupting device ... containing an arc quenching gas" vgl. Sp. 1 Abs. 1) mit folgenden Merkmalen:

(a) der Druckgasschalter weist mindestens eine Unterbrechungsstelle auf (siehe Figur 3);

(b) zu jeder Unterbrechungsstelle gehört jeweils ein erstes und ein zweites Kontaktstück (68, 120);

(c) die Kontaktstücke (68, 120) der Unterbrechungsstelle sind gekoppelt über einen Hebelmechanismus (siehe Figur 1) mit einem zwei Hebelarme aufweisenden Umlenkhebel (38);

(d) die Kontaktstücke (68, 120) dieser Unterbrechungsstelle sind mittels eines einzigen Antriebs (20) gegenläufig gegeneinander verschiebbar, und zwar entlang der Mittelachse des Druckgasschalters (siehe Figur 1);

(e) an dem ersten Kontaktstück (68) dieser Unterbrechungsstelle ist eine koaxial zu der Mittelachse angeordnete Isolierstoffdüse (52) befestigt (siehe Figur 3);

(f) die Drehachse (40) des Umlenkhebels (38) kreuzt die Mittelachse des Druckgasschalters im rechten Winkel (Figur 1);

(g) an beiden Hebelarmen ist jeweils über ein Drehgelenk eine Stange (36, 42) befestigt;

(h) die erste Stange (36) ist drehbar mit einer Kraftübertragungsstange (32) und diese über weitere Kraftübertragungselemente (pin 48, carrier member 50, bolts 58, support block 62: siehe Figur 3) mit der Isolierstoffdüse (52) verbunden;

(i) die weiteren Kraftübertragungselemente (carrier member 50, support block 62) erstrecken sich von der Isolierstoffdüse (52) radial nach außen; und

(k) die zweite Stange (42) ist drehbar mit dem zweiten Kontaktstück (120) über die Stange (44), das Trägerelement (112) und die Kontaktbaugruppe (116, 118) gekoppelt.

(Unterschiede zum Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag kursiv dargestellt)

Objektiv könnte demnach der Unterschied darin liegen, dass die erste Stange gemäß Streitpatent drehbar mit dem sich radial nach außen erstreckenden Kraftübertragungselement verbunden ist, während die erste Stange gemäß D4 über eine zweite Stange mit einem sich radial nach außen erstreckenden (mehrteiligen) Kraftübertragungselement verbunden ist. Ähnlich ist gemäß D4 auch die zweite Stange über weitere Elemente mit dem Kontaktstück gekoppelt, gemäß Streitpatent sind weitere Elemente nicht erwähnt.

Die Verbindung über eine zweite Stange, und sinngemäß auch die Koppelung über weitere Elemente fällt aber bei dem gebotenen weiten Verständnis von "drehbar verbunden" (s. o. 2.2) unter den Wortlaut des Patentanspruchs 1.

Im Übrigen ist allein in diesem Unterschied irgendeine technische Besonderheit nicht erkennbar. Dass das Kraftübertragungselement gemäß D4 mehrteilig ist, steht in Übereinstimmung mit Unteranspruch 3 des Streitpatents. Es stand im Belieben des Fachmanns, ausgehend vom Aufbau gemäß D4 die erste Stange (36) länger auszulegen und mit dem dortigen (mehrteiligen) Kraftübertragungselement (50, 58, 62) drehbar zu verbinden. Dass sich aus einer solchen Maßnahme überraschend ein technischer Vorteil ergeben könnte, wurde nicht vorgetragen und ist auch nicht ersichtlich. Somit war zumindest keine erfinderische Tätigkeit erforderlich, um zum Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag zu gelangen.

3.3 Demgegenüber hat die Patentinhaberin als Vorteile des Hebelmechanismus gemäß Streitpatent vorgetragen:

A. durch die Verschiebung des Anbringungspunktes der ersten Stange (7) radial nach außen stelle die Stange keine Störung mehr dar, darum könnten die Abschirmwirkung und die elektrischen Eigenschaften der Isolierstoffdüse beibehalten werden;

B. dadurch, dass die Kraftübertragung über die Isolierstoffdüse erfolge, brauche der Hebelmechanismus selbst keine isolierenden Elemente (z. B. Isolierstangen) zu enthalten;

C. durch Verzicht auf außenliegende Stangen könne gegenüber D4 ein geringerer Durchmesser des Schalters erzielt werden;

D. durch Anordnung des Antriebs auf der dem Hebelgetriebe gegenüberliegenden Seite des Schalters sei ein (vom Antrieb aus gesehen) durchgehender Weg für die Kraftübertragung vorhanden.

Der Senat hat keine Veranlassung, diese behaupteten Vorteile in Zweifel zu ziehen. Jedoch ist festzustellen, dass der unter A. genannte Vorteil bei der Ausbildung gemäß D4 in gleicher Weise zum Tragen kommt (auch hier ist der Anbringungspunkt der ersten Stange - bei Bezugszeichen 30, oder im übertragenen Sinne bei Bezugszeichen 48 - radial nach außen verschoben, so dass die Stangen keine Störung im Bereich der Kontaktstücke und der Isolierstoffdüse bilden), und dass die unter B., C. und D. genannten Vorteile keinen Niederschlag in der Formulierung des Patentanspruchs 1 gefunden haben. Keiner dieser Vorteile ist daher geeignet, für den Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit begründen zu können.

Dem Hauptantrag der Patentinhaberin konnte daher nicht gefolgt werden.

4. Zum Hilfsantrag 4.1 Die geänderte Anspruchsfassung ist ebenfalls zulässig. Gegenüber dem erteilten Patentanspruch 1 wurde lediglich in Merkmal (h*) ergänzt, dass die erste Stange (7) drehbar mit dem freien Endbereich der Isolierstoffdüse (9) verbunden sein soll. Dies ergibt sich sinngemäß aus Spalte 4 Zeile 51 - 53 des Streitpatents und aus den Figuren.

Zu Recht weist die Einsprechende allerdings darauf hin, dass der Begriff "freier Endbereich" missverstanden werden könnte, weil der gemeinte Endbereich durch die Verbindung mit der Stange (7) seine Freiheit verliert. Der Senat legt den Begriff so aus, dass er sich auf denjenigen Endbereich der Isolierstoffdüse bezieht, der der Befestigung an dem ersten Kontaktstück (gemäß Merkmal (e) ) gegenüberliegt.

4.2 Auch der Gegenstand eines derart eingeschränkten Patentanspruchs 1 beruht nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

Der Patentinhaberin ist zunächst zuzugestehen, dass D4 eine Verbindung der ersten Stange entsprechend Merkmal (h*) weder vorwegnimmt noch nahelegt.

Als nächstkommender Stand der Technik wird nunmehr Druckschrift D3 (DE 44 27 163 A1) betrachtet, welche zeigt (vgl. insbesondere Figur 2):

einen Druckgasschalter mit folgenden Merkmalen:

(a) der Druckgasschalter weist mindestens eine Unterbrechungsstelle ( 8 9 ) auf;

(b) zu jeder Unterbrechungsstelle gehört jeweils ein erstes und ein zweites Kontaktstück (1,2);

(c) die Kontaktstücke (1, 2) der Unterbrechungsstelle sind gekoppelt über einen Umlenkmechanismus (30, 31, 32);

(d) die Kontaktstücke (1, 2) dieser Unterbrechungsstelle sind mittels eines einzigen Antriebs (von unten auf (1) wirkend, vgl. Spalte 2 Zeile 40 - 42) entlang der Mittelachse (3) des Druckgasschalters gegenläufig gegeneinander verschiebbar;

(e) an dem ersten Kontaktstück (1) dieser Unterbrechungsstelle ist eine koaxial zu der Mittelachse (3) angeordnete Isolierstoffdüse (10) befestigt;

(f) die Drehachse des Umlenkmechanismus (30, 31, 32) kreuzt die Mittelachse (3) des Druckgasschalters im rechten Winkel;

(g) auf der einen Seite ist über ein Drehgelenk eine Stange (32) befestigt, auf der andren Seite eine Zahnstange (31);

(h*) die erste Stange (Zahnstange 31) ist drehbar fest mit dem freien Endbereich der Isolierstoffdüse (10) (über die Abschirmung 21 als Kraftübertragungselement, siehe Fig. 2 Mitte, rechte Hälfte) verbunden; und

(k) die zweite Stange (Kurbelarm 32) ist drehbar mit dem zweiten Kontaktstück (2) gekoppelt (siehe Fig. 2 obere Hälfte).

Der Druckgasschalter gemäß D3 Figur 2 unterscheidet sich somit lediglich darin, dass der Umlenkmechanismus dort aus einem Zahnrad (30) besteht, das von einer mit der Isolierstoffdüse starr verbundenen Zahnstange angetrieben wird, während er gemäß Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag aus einem Hebel besteht, der von einer mit der Isolierstoffdüse drehbar verbundenen Stange angetrieben wird. Alles übrige stimmt überein, und D3 verfolgt ersichtlich eine vergleichbare Zielsetzung wie das Streitpatent (vgl. Beschluss der Patentabteilung 34 vom 31. März 2004, Seite 9 unten / Seite 10 oben). Insbesondere lassen sich alle zuvor als Vorteile geschilderten Merkmale (s. o. 3.3) hier problemlos wiederfinden (beispielsweise kann die Zahnstange aus Metall sein, da sie über die Abschirmung 21 und die Isolierdüse 10 vom ersten Kontaktstück 1 sicher getrennt ist).

Ein aus einem Umlenkhebel und zwei Stangen bestehender Umlenkmechanismus war dem Fachmann aber als mechanisches Grundelement vertraut (siehe dazu auch den Umlenkhebel 38 in D4). Wenn der Fachmann daher überlegte, den Zahnstangen-Zahnrad-Umlenkmechanismus zu ersetzen - etwa weil er vor dem Problem mangelnder Zuverlässigkeit stand (vgl. Streitpatent Spalte 1 Zeile 59 - Spalte 2 Zeile 8) -, dann lag es innerhalb des Rahmens seines fachmännischen Könnens, statt dessen einen Hebel-Umlenkmechanismus einzusetzen. Dass aus der starren Verbindung der Zahnstange mit der Isolierstoffdüse dann eine drehbare Verbindung der Kraftübertragungsstange werden muss, war für ihn im vorliegenden Zusammenhang völlig selbstverständlich, da diese Stange neben ihrer linearen Bewegung noch durch den Umlenkhebel eine seitliche Auslenkung erfährt, welche eine starre Verbindung nicht zulässt.

Ein solches Ersetzen eines Umlenkmechanismus durch einen anderen lag auch deshalb nicht fern, weil bereits D3 im Vergleich von Figur 1 mit Figur 2 den Ersatz eines von zwei Zahnstangenmechanismen (Fig. 1: 22, 23 auf der linken Seite) gegen ein Kurbelrad mit drehbar angelenkter Kurbelstange (Fig. 2: 30, 32) zeigt und so dem Fachmann eine entsprechende Anregung gibt.

4.3 Gegen eine solche Betrachtungsweise hat die Patentinhaberin vorgetragen, der Kurbelrad-Kurbelstangen-Umlenkmechanismus gemäß D3 Figur 2 sei dort wegen des Vorteils der Nichtlinearität gewählt worden, vgl. D3 Spalte 4 Zeile 55 - 58, Spalte 5 Zeile 5 - 31. Dieser Vorteil gehe bei einem Ersatz des Zahnstangen-Zahnradantriebs wieder verloren, daher habe solch ein Ersatz nicht nahegelegen.

Dem ist entgegenzuhalten, dass der nichtlineare Antrieb für die Kontaktstücke in D3 nur ein Beispiel darstellt. Hingegen zeigt etwa D3 Figur 1 einen linearen Antrieb (über zwei Zahnstangen und zwei Zahnräder). Die Patentansprüche der D3 richten sich zunächst nur ganz allgemein auf "Geschwindigkeitswandler" und "Übertragungselemente", die z. B. gemäß Anspruch 8 ausdrücklich eine lineare Bewegung übertragen. Die eventuellen Vorteile einer nichtlinearen Bewegung konnten dem Fachmann daher nicht den Blick dafür verstellen, dass die in D3 konkret beschriebenen Umlenkmechanismen nur als Beispiele zu verstehen waren, und dass sich die allgemeine Lehre der D3, die Kontaktstücke mit nur einem Antrieb gegenläufig zu bewegen, auch mit anderen bekannten Umlenkmechanismen wie etwa einem Umlenkhebel mit drehbar verbundenen Stangen (vgl. D4) realisieren ließ.

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in dieser Fassung war dem Fachmann daher ebenfalls aus dem Stand der Technik nahegelegt, so dass auch dem Hilfsantrag nicht gefolgt werden konnte.

III.

Nebengeordnete Patentansprüche enthält das Streitpatent nicht. Über die Unteransprüche brauchte nicht befunden zu werden (BGH BlPMZ 1983, 157 "Schneidhaspel").

Sonach war dem Antrag der Einsprechenden zu folgen und das Patent zu widerrufen.

Dr. Fritsch Eder Baumgardt Dr. Thum-Rung Fa






BPatG:
Beschluss v. 22.01.2008
Az: 17 W (pat) 79/04


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