Oberlandesgericht Düsseldorf:
Urteil vom 10. August 2004
Aktenzeichen: I-20 U 16/04

(OLG Düsseldorf: Urteil v. 10.08.2004, Az.: I-20 U 16/04)

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird unter Zurückweisung des wei-tergehenden Rechtsmittels das Urteil der 4. Kammer für Handelssa-chen des Landgerichts Wuppertal vom 16. Dezember 2003 hinsicht-lich der Widerklage wie folgt abgeändert:

Die Klägerin wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000 EUR, ersatz-weise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfall bis zu 2 Jahren zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbes in den Ge-schäftsräumen der Beklagten ohne deren Genehmigung zu fotogra-fieren oder fotografieren zu lassen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Sowohl die Klägerin als auch die Beklagte dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von jeweils 50.000 EUR abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird hinsichtlich der Widerklage zugelassen.

Gründe

I.

Gegenstand der Klage ist die Werbung der Beklagten mit einem Preisvergleich, wie er aus den Abbildungen Bl. 2, 9 und 12 GA ersichtlich ist. Die Klägerin hat den Vergleich als irreführend, weil nicht dem aktuellen Stand entsprechend, beanstandet. Im Rahmen der Widerklage streiten die Parteien über die Zulässigkeit des Fotografierens in Geschäftsräumen eines Konkurrenten.

Das Landgericht, auf dessen Urteilgemäß § 540 ZPO Bezug genommen wird, hat der Klage auf Unterlassung der gerügten Werbung stattgegeben und die Widerklage auf Unterlassung des Fotografierens in den Geschäftsräumen der Klägerin abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Werbung der Beklagten irreführend sei, weil sie nicht nur an dem Tag, an dem der Preisvergleich durchgeführt worden ist, präsentiert worden ist, sondern auch an Tagen, an denen die Preisunterschiede nicht mehr zutreffend gewesen sind. Der Verbraucher gehe bei der angegriffenen Werbung von einem tagaktuellen Preisvergleich aus und beachte den Hinweis: "Stand 01.04.03" nicht. Die mit der Widerklage begehrte Untersagung des Fotografierens betreffe kein Handeln zu Wettbewerbszwecken und sei daher nach § 1 UWG nicht zu verbieten. Außerdem sei das Verhalten der Klägerin gerechtfertigt; sie nehme zur Beweisführung berechtigte Interessen wahr.

Mit der Berufung macht die Beklagte geltend, dass der situationsbedingt aufmerksame Durchschnittsverbraucher den Hinweis "Stand 01.04.03" schlechterdings nicht übersehen könne, insbesondere weil dieser den Kernaussagen der Werbung derart nah und unmittelbar beigestellt sei, dass er mit ihnen auf einen Blick wahrgenommen werde. Die Beklagte verweist auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofes - Computerwerbung II - und meint, dass vorliegend eine vergleichbare Konstellation gegeben sei, die sogar noch eher irrtumsausschließend wirke, als der Bundesgerichtshof es in seinem Fall angenommen habe. Die Beklagte rügt weiter die Abweisung ihrer Widerklage als zu Unrecht erfolgt und ist unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofes - Testfotos II - der Ansicht, dass entgegen der vom Landgericht vertretenen Meinung ein Handeln zu Wettbewerbszwecken zu bejahen sei. Der Unterlassungsanspruch sei schließlich auch aus §§ 823, 1004 BGB begründet; eine Anfertigung der Fotografien sei aus etwaigen Beweisgründen nicht erforderlich gewesen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts abzuändern und

1. die Klage abzuweisen;

2. die Klägerin zu verurteilen, es unter Androhung von Ordnungsmitteln zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs in den Räumen der Beklagten ohne deren Genehmigung zu fotografieren oder fotografieren zu lassen;

hilfsweise

die Revision zuzulassen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin erwidert, der Verbraucher gehe schon wegen des verwendeten Tempus des Präsens von einem aktuellen und keinem veralteten Preisvergleich aus. Im übrigen nehme der Hinweis "Stand 01.04.03" nicht am Blickfang teil. Die Klägerin gibt zu bedenken, ob die Entscheidungen des Bundesgerichtshofes - Testfotos I und II - aufgrund der technischen Neuerungen inzwischen nicht anders zu sehen seien; sowohl bei der Digitalfotografie als auch beim Fotografieren mit Mobiltelefonen entfalle das sogenannte fotografietypische Verhalten. Auch könne das Fotografieren in Kaufhäusern inzwischen als sozialtypisches Verhalten erachtet werden. Schließlich weist die Klägerin darauf hin, dass sie in diesem Prozess den Beweis der Irreführung nicht anders als durch die Fotografie hätte führen können, weil es entscheidend auf die grafische Gestaltung der Werbung angekommen sei; auch habe sie nicht mitten im Geschäftslokal, sondern nur im hochfrequentierten Eingangsbereich fotografiert.

II.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und teilweise begründet und zwar insoweit, als die Beklagte die Abweisung ihrer Widerklage angreift; dahingegen hat das Rechtsmittel keinen Erfolg, soweit es sich gegen die vom Landgericht ausgesprochene Verurteilung der Beklagten richtet.

1. Der mit der Klage verfolgte Anspruch auf Unterlassung der angegriffenen Werbung ist begründet. Die Klägerin will ihr Unterlassungsbegehren ersichtlich nicht darauf stützen, dass der von der Beklagten durchgeführte Preisvergleich auch dann, wenn er sich für den Verbraucher eindeutig auf einen zurückliegenden Zeitpunkt bezöge, als "historischer" Preisvergleich per se unzulässig wäre, was durchaus in Erwägung gezogen werden könnte (vgl. Köhler/Piper, 3. Aufl., § 2 UWG Rdnr. 38). Der von der Klägerin gewählte Angriff konzentriert sich vielmehr darauf, dass sie die Wettbewerbswidrigkeit der Werbung darin erblickt, dass dem Verbraucher ein aktueller Preisvergleich vorgetäuscht werde. Bei der Frage, ob hier eine Irreführung im Sinne von § 3 UWG gegeben ist, ist von der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (GRUR 2003, 163, 164 - Computerwerbung II -), auszugehen, wonach eine blickfangmäßig herausgestellte Angabe für sich genommen nicht unrichtig oder auch nur für den Verkehr missverständlich sein darf und das Verständnis, in welchem Sinne eine Werbeaussage zu verstehen ist, aus der Sicht eines durchschnittlich informierten, verständigen und der Situation, in der er mit der Aussage konfrontiert wird, entsprechend aufmerksamen Durchschnittsverbrauchers zu beurteilen ist. Dementsprechend ist hier festzustellen, dass die Werbeaussage der Beklagten in Bezug auf die blickfangmäßig herausgestellte "Sparquote" und den "Sparpreis" unrichtig ist, weil der den Supermarkt der Beklagten Aufsuchende und mit ihrer Werbung konfrontierte Durchschnittsverbraucher selbstverständlich davon ausgeht, dass der Preisvergleich noch aktuell ist und jederzeit nachvollzogen werden könnte, wird er doch zum "vergleichen" aufgefordert. Die Beklagte könnte dieses objektiv nicht den Tatsachen entsprechende Verständnis nur durch einen am Blickfang teilhabenden Hinweis ausräumen, wozu die Formulierung "Stand 01.04.03" zwar entgegen der Ansicht der Klägerin nicht generell ungeeignet wäre, weil der Durchschnittsverbraucher weiß, dass sich die Preise im Lebensmittelbereich täglich ändern können und die Produkte, die mit Sonderangeboten beworben werden, meist wöchentlich wechseln. Der Hinweis hat jedoch nicht am Blickfang teil, weil der an einem Lebensmittelkauf interessierte Durchschnittsverbraucher - anders als ein sich mit einer größeren Anschaffung wie einem Computer beschäftigender Kunde - die Werbung eher flüchtig wahrnimmt und deshalb den mit dünner Schrift klein in der linken Ecke platzierten Hinweis eher übersieht, als dass er ihn zur Kenntnis nimmt. Hier wird der Eindruck vermittelt, dass mit der in den Blickfang gestellten Angabe das Wesentliche gesagt sei, weshalb der Verkehr davon absieht, das Kleingeschriebene überhaupt zu lesen und nur der Blickfang als allein maßgeblich in seiner Vorstellung haften bleibt (vgl. Köhler/Piper, 3. Aufl., § 3 UWG Rdnr. 132).

2. Der mit der Widerklage geltend gemachte Anspruch der Beklagten auf Unterlassung des Fotografierens in ihren Geschäftsräumen ist begründet. Zunächst wendet sich die Beklagte mit der Berufung zu Recht unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (WRP 1996, 1099, 1101 - Testfotos II -) gegen die Annahme des Landgerichts, die Klägerin habe beim Fotografieren innerhalb der Verkaufsstätte der Beklagten nicht zu Zwecken des Wettbewerbs gehandelt. Maßnahmen, die zur Abwehr oder zur Kontrolle unlauteren Wettbewerbsverhaltens von Mitbewerbern dienen, erfolgen erfahrungsgemäß in Wettbewerbsabsicht (vgl. Baumbach/Hefermehl, Einleitung UWG Rdnr. 232, Köhler/Piper, 3. Aufl., Einführung UWG Rdnr. 222), so dass auch die Klägerin, die die Fotos hat fertigen lassen, um damit gegen die Werbung der Beklagten vorzugehen, wettbewerbsbezogen gehandelt hat. Das von der Klägerin veranlasste Fotografieren in den Geschäftsräumen der Beklagten verstößt gegen § 1 UWG und ist daher zu untersagen. Auszugehen ist von den Grundsätzen, die der Bundesgerichtshof in den (von der Beklagten schriftsätzlich ausführlich zitierten) Entscheidungen Testfotos I und II (GRUR 1991, 843, 844 und WRP 1996, 1099-1001) zu der Frage, inwieweit das ungenehmigte, der Dokumentation eines angeblichen oder wirklichen Wettbewerbsverstoßes dienende Fotografieren durch Testpersonen in den Geschäftsräumen eines Kaufmannes zulässig ist, entwickelt hat. Dabei stellt der Bundesgerichtshof maßgeblich auf das Hausrecht des Geschäftsinhabers ab und hat diese Prämisse zuletzt noch in der Entscheidung - Kontrollbesuche - (WRP 2004, 615, 616) wiederholt, in der ebenfalls geprüft worden ist, inwieweit das gerügte Verhalten üblichem Käuferverhalten entsprochen und damit dem Hausrecht nicht entgegengestanden hat. Im vorliegenden Rechtsstreit will die Klägerin nun geltend machen, dass es inzwischen übliches Kundenverhalten im Sinne der BGH-Rechtsprechung darstelle, in Geschäftsräumen zu fotografieren und verweist dazu u.a. auf einen Werbespot für ein Fotohandy. Wie jedoch schon die Tatsache, dass derartiges Fotografierverhalten in einem Werbespot besonders hervorgehoben wird, zeigt, wird das Fotografieren in Geschäftsräumen auch angesichts der durch technische Neuerungen bedingten Entwicklung immer noch als etwas Besonderes und Auffälliges empfunden, so dass von normalem Käuferverhalten diesbezüglich nicht gesprochen werden kann. Soweit die Klägerin Ausführungen dazu macht, dass es bei völlig unauffälligem Fotografieren (z.B. mit einer Digitalkamera) zu keiner Betriebsstörung kommen kann, ist ihr zum einen entgegenzuhalten, dass auch schon zur Zeit der BGH-Entscheidung - Testfotos II - unauffälliges Fotografieren technisch möglich war - mit lichtstarken Objektiven und empfindlichen Filmen ohne Blitzlicht - und der Bundesgerichtshof damals keine Veranlassung gesehen hat, nach der Art der eingesetzten Kamera zu differenzieren. Zum anderen ergibt sich bezogen auf den zu entscheidenden Fall aus den auf Seite 2, 9 und 12 GA wiedergegebenen Fotos, dass diese mit Hilfe von Blitzlicht und damit nicht unauffällig gefertigt wurden.

Festzuhalten bleibt somit, dass die Klägerin bzw. die von ihr eingesetzten Personen sich nicht wie normale Nachfrager verhalten und gegen das Hausrecht der Beklagten verstoßen haben. Zwar trifft die vom Landgericht aufgegriffene Argumentation der Klägerin zu, dass der im Streitfall gerügte Wettbewerbsverstoß ohne die Fotos kaum hätte plausibel dargelegt und verfolgt werden können. Dies ist jedoch bisher vom Bundesgerichtshof nicht als Rechtfertigungsgrund anerkannt worden (offengelassen in Testfotos II WRP 1996, 1099, 1001). Soweit in der Literatur (vgl. Köhler/Piper, 3. Aufl., § 1 UWG Rdnr. 477; GK Brandner/Bergmann, § 1 UWG Rdnr. 256; Krings, GRUR 1991, 844) eine Interessenabwägung befürwortet wird, nach der es u.a. auf die Schwere des zu verfolgenden Wettbewerbsverstoßes ankommt, erscheint dies dem Senat als Differenzierungskriterium zu unbestimmt und nicht geeignet, die vom Bundesgerichtshof vertretenen Grundsätze in Frage zu stellen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10 i.V.m. § 711 ZPO.

4. Für die Zulassung der Revision hinsichtlich der Klage besteht kein gesetzlich begründeter Anlass, § 543 Abs. 2 ZPO. Dahingegen ist die Revision bezüglich der Widerklage zuzulassen, weil die Sache insoweit grundsätzliche Bedeutung hat und eine revisionsgerichtliche Überprüfung der hier gegebenen Fallkonstellation, deren Beurteilung der Bundesgerichtshof bislang offen gelassen hat, angesichts der Gegenstimmen in der Literatur angezeigt ist.

5. Der Streitwert wird für beide Instanzen (zugleich in Erledigung der Streitwertbeschwerde) auf 100.000 EUR für die Klage und auf 100.000 EUR für die Widerklage festgesetzt. Der Senat folgt dabei im wesentlichen den Ausführungen der Beklagten in ihrer Streitwertbeschwerde vom 23.12.2003. Auch angesichts der Tatsache, dass es sich bei beiden Parteien um sehr umsatzstarke Konkurrenten handelt, hält der Senat das Interesse der Klägerin an der begehrten Unterlassung der Werbung mit 100.000 EUR für angemessen und ausreichend bewertet, zumal durch das Platzieren der Werbung in den eigenen Geschäftsräumen der Beklagten über die Irreführung des Verkehrs hinaus keine ins Gewicht fallende Anlockwirkung erzielt worden ist. Dass mit der Widerklage verfolgte Interesse der Beklagten, ihr Hausrecht beachtet zu wissen und zugleich vor der Verfolgung von Wettbewerbsverstößen, die nur mittels gefertigter Fotografien belegt werden können, geschützt zu sein, bewertet der Senat ebenfalls wegen der grundsätzlichen und weitreichenden Bedeutung mit 100.000 EUR.

Sch. F.






OLG Düsseldorf:
Urteil v. 10.08.2004
Az: I-20 U 16/04


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