Bundespatentgericht:
Beschluss vom 15. Januar 2002
Aktenzeichen: 17 W (pat) 47/01

(BPatG: Beschluss v. 15.01.2002, Az.: 17 W (pat) 47/01)

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1. Die am 25. Januar 1996 beim Deutschen Patentamt eingegangene Patentanmeldung 196 02 669.5 - 32 mit der Bezeichnung

"Leitsystem für Blinde und Sehbehinderte und Verfahren zur Bedienung des Leitsystems"

wurde am 19. Dezember 2000 durch Beschluß der Prüfungsstelle für Klasse G08G aus den unwidersprochen gebliebenen Gründen des Amtsbescheids vom 14. September 2000 zurückgewiesen, in dem ausgeführt ist, daß der angemeldete Gegenstand nicht erfinderisch sei. Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde der Anmelder, mit der sie ihr Patentbegehren auf der Grundlage der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Patentansprüche nach Haupt- und Hilfsantrag weiterverfolgen.

Die geltenden Patentansprüche 1 und 10 nach Hauptantrag lauten:

"1. Leitsystem zur Hilfestellung für Blinde und Sehbehinderte bei der Überquerung von Überwegen mit einem akustischen Signalgeber, gekennzeichnet durch eine tragbare Infrarot-Fernbedienung (7) zum Abfragen und/oder Ändern der Parameter der akustischen Signale."

"10. Verfahren zur Bedienung eines Leitsystems für die Hilfestellung für Blinde und Sehbehinderte bei der Überquerung von Überwegen mit einem akustischen Signalgeber, dadurch gekennzeichnet, dass mittels einer tragbaren IR-Fernbedienung die Parameter der akustischen Signale abgefragt und/oder verändert werden."

Die Patentansprüche 1 und 9 nach Hilfsantrag lauten:

"1. Leitsystem zur Hilfestellung für Blinde und Sehbehinderte bei der Überquerung von Überwegen mit einer Regeleinrichtung (2.3, 2.4, 2.5, 2.6, 2.7) für die Lautstärke der akustischen Signale, welche zur Regelung der Lautstärke die Umgebungslautstärke berücksichtigt, und mit einem akustischen Signalgeber, gekennzeichnet durch eine tragbare Infrarot-Fernbedienung (7) zum Abfragen und/oder Ändern der Lautstärke der akustischen Signale."

"9. Verfahren zur Bedienung eines Leitsystems für die Hilfestellung für Blinde und Sehbehinderte bei der Überquerung von Überwegen mit einem akustischen Signalgeber, dadurch gekennzeichnet, dass mittels einer tragbaren IR-Fernbedienung die Lautstärke der akustischen Signale abgefragt und/oder verändert werden."

Wegen der abhängigen Ansprüche 2 bis 9 und 11 bis 13 gemäß Hauptantrag sowie 2 bis 8 und 10 bis 12 nach Hilfsantrag wird auf die Akte verwiesen.

2. Im Beschwerdeverfahren wurden u.a. folgende Druckschriften (unter Beibehaltung der eingeführten Numerierung) in Betracht gezogen:

[3] Zeitschrift de 13/95, S. 1187 - 1189

[4] DE 31 38 431 A1.

3. Die Anmelder begründen ihre Beschwerde damit, daß aus den im Verfahren befindlichen Druckschriften heraus eine bidirektionale Kommunikationsmöglichkeit zwischen einer tragbaren Infrarot-Fernbedienung (IR-Fernbedienung) und einer Blindenampel zur Einstellung der akustischen Parameter nicht nahegelegt sei. Hierbei sprächen insbesondere der Zeitabstand der Druckschriften und der große wirtschaftliche Erfolg der anmeldungsgemäßen IR-Fernbedienung für deren Patentfähigkeit. Erst recht nicht sei die Einstellung der Lautstärke, wie sie im Hilfsantrag beansprucht werde, durch den Stand der Technik angeregt.

Die Anmelder beantragen, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das nachgesuchte Patent zu erteilen aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten undmit "Hauptantrag" bezeichneten Patentansprüche 1 bis 13, hilfsweise mit "Hilfsantrag" überschriebenen Patentansprüche 1 bis 12, der ebenfalls in der mündlichen Verhandlung übergebenen Beschreibung Seiten 1 bis 3 und 3a sowie der Beschreibung Seiten 4 bis 8 vom Anmeldetag nebst der 4 Blatt Zeichnungen mit Figuren 1 bis 4 vom 24. Juni 1996.

II.

Die frist- und formgerecht erhobene Beschwerde ist zulässig; sie ist jedoch unbegründet, weil der angemeldete Gegenstand nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht (§§ 1, 4 PatG).

1. Hauptantrag:

1.1. Der Fachmann, ein Ingenieur mit Fachhochschulausbildung der Fachrichtung Elektronik und Berufserfahrung in der Entwicklung von Verkehrsleitsystemen, entnimmt der vorliegenden Anmeldung eine akustische Blindenampel mit einer tragbaren IR-Fernbedienung, mit der die akustischen Parameter, bspw. die Lautstärke der akustischen Signale im Bereich der Ampel, insbesondere auf dem Überweg kontrolliert und eingestellt werden können.

1.2. Der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 ist neu, denn keine der im Verfahren befindlichen Druckschriften beschreibt eine mit IR-Fernbedienung einstellbare Blindenampel. Er beruht aber nicht auf erfinderischer Tätigkeit, weil er sich für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt.

Aus der Druckschrift [4] ist eine akustische Blindenampel bekannt, die mit einem bezüglich der Schall-Leistung verkehrslärmabhängig geregelten Lautsprechersystem ausgestattet ist und so Sehbehinderten ein sicheres Überqueren der Straße bei wechselndem Lärmpegel ermöglichen soll (Anspruch 1 iVm S. 7, Abs. 1 und 2). Die Ampelanlage besitzt einen Stufenschalter, der pro Schaltstufe eine bestimmte Frequenz vorgibt, die sich von denen anderer Stufen unterscheidet, um insbesondere an Kreuzungen mit mehreren Querungsmöglichkeiten anhand der Tonhöhe zwischen den verschiedenen Überwegen differenzieren zu können. Der Stufenschalter kann fernbetätigbar sein, wobei sich dies insbesondere darauf bezieht, daß bei bestimmten Störungen analog dem "Gelb-Blinken" von Ampeln eine entsprechende Kennung eingestellt werden kann (Anspruch 24 iVm S. 13, Abs. 2 und 3).

Die Lehre der Druckschrift [4] zielt insbesondere darauf ab, den akustischen Signalgeber mit der der zugeordneten Glühlampe der Lichtsignalanlage zugeführten Spannung zu betreiben und diese Spannung nur dann auf den Signalgeber durchzuschalten, wenn ein elektrischer Strom durch die Glühlampe fließt, so daß bei deren Ausfall kein akustisches Signal abgegeben wird (S.7, Abs. 3). Die Ampelanlage muß hierzu mit zusätzlichen Baugruppen ausgestattet werden, die nicht im Schaltungskasten untergebracht, sondern direkt auf dem Ampelmast montiert und dort vor Ort auch gewartet werden (S. 17, Abs. 3). Wegen der Regelung der Lautstärke nach dem Umgebungslärmpegel ist es erforderlich, bei fehlendem Umgebungsgeräusch einen Grundpegel vorzugeben, der durch die Grundverstärkung des (auf dem Ampelmast montierten) Regelverstärkers vorgegeben wird. Diese Grundverstärkung muß am Einsatzort unter Berücksichtigung der dortigen Verhältnisse eingestellt werden. Außerdem ist dabei ggfs. zu berücksichtigen, ob lediglich der Warteraum unmittelbar an der Ampel oder der gesamte Überweg einschließlich des gegenüberliegenden Warteplatzes bestrahlt werden soll (S. 17, Abs. 2).

Von diesem Stand der Technik unterscheidet sich der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 dadurch, daß die Einstellung per Infrarot-Fernsteuerung erfolgen soll.

Die Anordnung gemäß Druckschrift [4] setzt voraus, daß für die genannten Einstellarbeiten jeweils der Ampelmast erklettert wird, wobei ggfs. eine zweite Person auf dem Überweg vorhanden sein muß, die die Wirkung der vorgenommenen Einstellung kontrolliert. Schon aus einfachen praktischen Erwägungen heraus hat der Fachmann deshalb Veranlassung, sich nach einer bequemeren Vorgehensweise per Fernbedienung umzusehen. Die Verwendung einer Infrarot-Fernsteuerung, wie sie Druckschrift [3] für alle Arten bidirektionaler Datenkommunikation, bspw. auch in der Verkehrstechnik vorschlägt (S. 1187 li Sp., letzter Abs.; re Sp. unten iVm Bild 2) drängt sich dabei geradezu auf. Mit dieser einfachen Maßnahme ist der Fachmann aber auch bereits beim Gegenstand des Patentanspruchs 1 angelangt, ohne daß es hierzu einer erfinderischen Tätigkeit bedurfte.

Der Zeitabstand und die zeitliche Abfolge vom Stand der Technik gemäß Druckschrift [4] (1983), über Druckschrift [3] (1995) bis zur vorliegenden Anmeldung (1996) liegen noch im üblichen Zeitrahmen technischer Entwicklungen; ebensowenig kann der behauptete wirtschaftliche Erfolg, der allenfalls auf dem Erkennen einer günstigen Marktlage beruht und den die Anmelder im übrigen auch nicht im einzelnen belegt haben, als Indiz für erfinderische Tätigkeit gewertet werden.

1.3. Für den Verfahrensanspruch 10, der im Vergleich mit Patentanspruch 1 nichts Eigenständiges enthält, müssen die vorgenannten Argumente in gleicher Weise gelten.

2. Hilfsantrag:

2.1. Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag unterscheidet sich von dem des Hauptantrags durch die zusätzliche Beschränkung, wonach - eine Regeleinrichtung vorgesehen ist, welche zur Regelung der Lautstärke die Umgebungslautstärke berücksichtigt, und - die Fernbedienung zum Abfragen und/oder Einstellen der Lautstärke eingesetzt wird.

Der Patentanspruch 9 des Hilfsantrags unterscheidet sich vom Anspruch 10 nach Hauptantrag dadurch, daß anstelle von "Parametern" die "Lautstärke" der akustischen Signale abgefragt und/oder verändert wird.

2.2. Aufgrund des Hilfsantrags ergibt sich keine andere Sachlage, weil im Stand der Technik gemäß Druckschrift [4] ebenfalls bereits vorgesehen ist, die Schall-Leistung in Abhängigkeit von der Umgebungslautstärke zu regeln (Anspruch 1 iVm der einzigen Figur) und die erforderliche Einstellung des Lautstärken-Grundpegels per IR-Fernbedienung, wie vorstehend ausgeführt, nahegelegt ist.

3. Die jeweilige Patentansprüche 1 und 10 nach Haupt- sowie 1 und 9 nach Hilfsantrag sind somit nicht gewährbar. Mit ihnen fallen auch die verbleibenden abhängigen Ansprüche, die zur Überzeugung des Senats ebenfalls nichts enthalten, was als patentfähig unter Schutz gestellt werden könnte.

Grimm Dr. Schmitt Dr. Greis Schuster Bb






BPatG:
Beschluss v. 15.01.2002
Az: 17 W (pat) 47/01


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