Bundespatentgericht:
Beschluss vom 10. November 2003
Aktenzeichen: 9 W (pat) 12/02

(BPatG: Beschluss v. 10.11.2003, Az.: 9 W (pat) 12/02)

Tenor

Auf die Beschwerde wird der angefochtene Beschluss aufgehoben und das Patent auf der Grundlage folgender Unterlagen beschränkt aufrechterhalten:

Patentansprüche 1 - 4, Beschreibung S 2 und 3, Zeichnungen Figuren 1, 1b - d,

- jeweils in der mündlichen Verhandlung am 10. November 2003 überreicht.

Gründe

I Mit Beschluss vom 8. November 2001 hat die Patentabteilung 12 des Deutschen Patent- und Markenamts nach Prüfung des Einspruchs das am 11. August 1992 angemeldete Patent mit der Bezeichnung

"Zahnräderwechselgetriebe für ein Kraftfahrzeug"

widerrufen.

Die Patentabteilung hat die Auffassung vertreten, dass das Beanspruchte gegenüber dem Gegenstand nach der mit der DE 42 05 671 A1 veröffentlichten älteren Anmeldung nicht mehr neu sei.

Gegen diesen Beschluss der Patentabteilung hat die Patentinhaberin Beschwerde erhoben.

In der mündlichen Verhandlung vom 10. November 2003 verteidigt sie das Patent in beschränktem Umfang.

Die Patentinhaberin trägt hierzu vor, dass das nunmehr Beanspruchte gegenüber dem nachgewiesenen Stand der Technik neu und durch diesen nicht nahegelegt sei.

Sie beantragt, den Beschluss aufzuheben und das Patent mit den in der Beschlussformel angegebenen Unterlagen beschränkt aufrechtzuerhalten.

Die Einsprechende beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie macht geltend, dass auch der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 gegenüber dem Gegenstand nach der mit der DE 42 05 671 A1 veröffentlichten älteren Anmeldung nicht mehr neu sei.

Der geltende Patentanspruch 1 lautet:

Zahnräderwechselgetriebe für ein Kraftfahrzeug, mit - einer Eingangswelle (4), einer Ausgangswelle (5), einer Vorgelegewelle (6),

- einer zum Herstellen eines Kraftflusses zwischen Vorgelegewelle (6) und Ausgangswelle (5) verwendeten ein- und ausschaltbaren Zahnradstufe (H2) eines Grundgetriebes (29),

- zwei zum Herstellen eines jeweiligen Kraftflusses zwischen Eingangswelle (4) und Vorgelegewelle (6) verwendeten Getriebekonstanten (Zahnradstufen K1, K2), bei dem - zwei Vorwärtsgänge (IV, VI in Fig.1b und 1d; III, V in Fig. 1c) durch Einschalten sowohl einer Getriebekonstanten (K1, K2) als auch der Zahnradstufe (H2) des Grundgetriebes (29) gebildet werden,

- eine ein- und ausschaltbare Kupplungsanordnung (19, 20) im Kraftfluss zwischen Eingangswelle (4) und Ausgangswelle (5) zur Bildung eines dritten, signifikanten Ganges (direkter Gang; V in Fig. 1b; IV in Fig. 1c; III in Fig. 1d) vorgesehen ist,

- ein signifikanter vierter Gang (III in Fig. 1b oder VI in Fig. 1c oder V in Fig. 1d) durch Einschalten der einen Getriebekonstante (K1) und Einrücken einer einen Kraftfluss von der Vorgelegewelle (6) über die andere Getriebekonstante (K2) zur Ausgangswelle (5) herstellenden Schaltkupplung (20-K2) gebildet werden kann,

- die Teilübersetzungen (ik1, ik2 und ih2) der Getriebekonstanten (K1, K2) und der Zahnradstufe (H2) des Grundgetriebes (29) so aufeinander abgestimmt sind, dass - der eine durch die Zahnradstufe (H2) des Grundgetriebes (29) und eine Getriebekonstante (K2 in Fig. 1d; K1 in Fig. 1b und 1c) gebildete Gang (V in Fig. 1c; IV in Fig. lb und 1d) zwischen den beiden signifikanten Gängen (IV, VI in Fig. 1c; III, V in Fig. 1b und 1d) liegt und - der andere durch die Zahnradstufe (H2) des Grundgetriebes (29) und die andere Getriebekonstante (K1 in Fig. 1d; K2 in Fig. lb und 1c) gebildete Gang (III in Fig. lc; VI in Fig. 1b und 1d) als niedrigster (Fig. 1c) oder höchster (Fig. 1b und 1d) der vier Gänge (III bis VI in Fig. 1b bis 1d) ausgelegt istund - im höchsten Gang (VI in Fig. 1b bis 1d) ein Kraftfluss von der Vorgelegewelle (6) zur Ausgangswelle (5) hergestellt ist.

Die Patentansprüche 2 bis 4 sind dem Patentanspruch 1 rückbezogen nachgeordnet.

II Die statthafte Beschwerde ist frist- und formgerecht eingelegt und auch im übrigen zulässig. Sie hat insofern Erfolg, als sie zur beschränkten Aufrechterhaltung des Patents führt.

1. Die Patentansprüche sind zulässig.

Der Patentanspruch 1 geht inhaltlich auf den erteilten Patentanspruch 1 zurück, in Verbindung mit der Beschreibung der Patentschrift S 2, Z 68 bis S 3, Z 4 und der Beschreibung der Fig 1b bis 1d. Dieser erteilte Patentanspruch 1 entspricht dem ursprünglichen Patentanspruch 1. Die zuvor zitierten Beschreibungsstellen finden sich auf S 4, zweiter Abs und S 6, 3. Abs bis S 8, erster Abs, der ursprünglichen Beschreibung. Die Patentansprüche 2 bis 4 entsprechen inhaltlich den erteilten und ursprünglichen Patentansprüchen 3 bis 5.

2. Das Patent betrifft ein Zahnräderwechselgetriebe für ein Kraftfahrzeug. In der Beschreibungseinleitung der Patentschrift ist angegeben, dass durch die Druckschrift F 43 239/RT 33 26-887, S 10, Abb 5 der Firma Zahnradfabrik Friedrichshafen AG ein Zahnräderwechselgetriebe bekannt sei, das zwischen Vorgelegewelle und Ausgangswelle drei Zahnradstufen zur Bildung von je einer Übersetzung für Vorwärtsfahrt und eine vierte Zahnradstufe mit einem Zwischenrad zur Bildung der Übersetzung für Rückwärtsfahrt verwende. Bei derartigen Zahnräderwechselgetrieben ergebe sich eine hohe Gangzahl, wenn die Stufung der Gangübersetzungen in den unteren Gängen zu eng sei und für die oberen Gänge als den Hauptfahrgängen eine ideale Übersetzung realisiert werden solle.

Das dem Patent zugrundeliegende und mit der Aufgabe formulierte technische Problem besteht daher darin, bei einem Zahnräderwechselgetriebe für die oberen Gänge eine enge Stufung unter Geringhaltung der Gangzahl zu ermöglichen.

Dieses Problem wird mit den Merkmalen des Patentanspruchs 1 gelöst.

3. Das beanspruchte Zahnräderwechselgetriebe ist neu.

Der hier zuständige Durchschnittsfachmann ist ein Dipl.-Ing. des Maschinenbaus mit Fachhochschul- oder Universitätsabschluss und mit mehrjähriger Erfahrung auf dem Gebiet der Kraftfahrzeugwechselgetriebe.

Die DE 42 05 671 A1 weist gegenüber dem vorliegenden Patent einen älteren Zeitrang gemäß § 3 PatG. auf. Dieser Zeitrang gründet sich auf deren Offenlegungstag, den 26. August 1993, der zwischen dem Anmeldetag des Patents, dem 11. August 1992 und dessen Offenlegungstag, dem 17. Januar 1994 liegt.

Das mit der DE 42 05 671 A1 veröffentlichte Zahnräderwechselgetriebe weist unstreitig alle Merkmale des geltenden Patentanspruchs 1 auf, bis auf das letzte Merkmal, dass "im höchsten Gang ein Kraftfluss von der Vorgelegewelle zur Ausgangswelle hergestellt ist". Das im Ausführungsbeispiel beschriebene Getriebe weist nämlich einen höchsten Gang VI auf, bei dem der Kraftfluss gerade nicht über die Vorgelegewelle 7 erfolgt, sondern direkt von der Eingangswelle 3 zur Ausgangswelle 5, vgl insbes S 3, Z 31 - 34, sowie Fig 1 und Tabelle auf S 3 der Offenlegungsschrift.

Der Druckschrift ist kein Hinweis darauf entnehmbar, dass der höchste Gang nicht als direkter Gang ausgebildet sein soll, da das dort angesprochene Problem, ein Gangschaltgetriebe mit Gruppengetriebe zu schaffen, das abweichend von der geometrischen Stufung zu den unteren Gängen hin eine sich erhöhende Gangstufe erbringen soll, die Auslegung der höheren Getriebegänge in diesem Zusammenhang keine Bedeutung hat. Somit liest der Fachmann - aus fehlendem Anlass - in dieser Schrift auch nicht ohne weiteres mit, dass der höchste Gang VI kein direkter Gang, wie im Ausführungsbeispiel dargestellt, sein soll.

Selbst wenn der Fachmann aufgrund seines Fachwissens, zB dargelegt in dem Fachbuch J.Looman, Zahnradgetriebe, Springer Verlag, 2. Auflage 1988, S 10, S 134 und 139, zu der Auffassung gelangen sollte, dass, da es grundsätzlich keine Rolle spielt, wie die oberen Gänge ausgelegt sind, es auch möglich sein könnte, einen Schnellgang - auch als Overdrive bezeichnet - als höchsten Gang VI vorzusehen, würde er damit nicht alle anderen Merkmale des geltenden Patentanspruchs 1 in der DE 42 05 671 A1 mitlesen. Um zu erkennen, dass bei einem höchsten Gang VI, der nicht als Direktgang ausgelegt ist, auch noch weiterhin folgende Merkmale erzielt werden können - dass der durch die Zahnradstufe des Grundgetriebes und eine Getriebekonstante gebildete Gang zwischen den beiden signifikanten Gängen liegt und - dass der andere durch die Zahnradstufe des Grundgetriebes und die andere Getriebekonstante gebildete Gang als niedrigster oder höchster der vier Gänge ausgelegt ist, bedurfte es ausführlicher Fallberechnungen. Die Patentinhaberin hat dies durch Vorlage von Berechnungen zu Ausführungsbeispielen für den Senat nachvollziehbar belegt. Diesen Berechnungen ist zu entnehmen, dass die vorgenannten Merkmale sich keineswegs immer ergeben, sondern dass auch andere Auslegungen möglich sind (zB nebeneinanderliegende signifikante Gänge). Solche ausführliche Fallberechnungen zählen aber nicht zu dem, was sich dem Fachmann auf Grund seines Fachwissens ohne weiteres erschließt, wie dies nach allgemeiner Rechtsprechung gefordert wird. Demnach liegt Neuheit gegenüber dem Inhalt dieser Druckschrift vor.

Das beanspruchte Zahnräderwechselgetriebe unterscheidet sich von dem nach der Druckschrift F 43 239/RT 33 26-887, S 10, Abb 5, der Firma Zahnradfabrik Friedrichshafen AG ua dadurch, dass es keinen durch die Getriebekonstanten gebildeten signifikanten Gang gibt, der zwischen diesem und dem als Direktgang ausgebildeten anderen signifikanten Gang liegt.

Bei dem Zahnräderwechselgetriebe nach der DE 36 14 752 A1 ist neben dem ersten signifikanten, als Direktgang ausgelegten Gang ein weiterer signifikanter Gang, mit den beiden Getriebekonstanten allein nicht bildbar, da eine hierzu notwendige Kupplungseinrichtung nicht vorgesehen ist.

4. Das beanspruchte Zahnräderwechselgetriebe ist ohne Zweifel gewerblich anwendbar. Es beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Die DE 42 05 671 A1 hat aufgrund ihres nach dem Anmeldetag des Streitpatents liegenden Veröffentlichungstages bei dieser Beurteilung außer Betracht zu bleiben.

Das Zahnräderwechselgetriebe nach der DE 36 14 752 A1 hat 5 Gänge. Die Ein- und die Ausgangswelle 2 und 3 sind koaxial angeordnet und eine Vorgelegewelle 4 verläuft parallel dazu. Auf der Eingangswelle 2 sind zwei Losräder 61, 71 als Getriebekonstanten gelagert, die Ausgangswelle 3 lagert das Zahnrad 91 als Grundgetriebe. Die Ein- und die Ausgangswelle sind über eine Kupplung 5 direkt schaltbar. Die jeweiligen Getriebekonstanten sind über eine Synchronkupplung 8 nur fakultativ mit der Vorgelegewelle kuppelbar, nicht aber, wie beansprucht so, dass ein Kraftfluss von der einen Getriebekonstanten über die Vorgelegewelle zur anderen Getriebekonstanten und dann zur Ausgangswelle (signifikanter Gang) erfolgt. Diese Druckschrift führt den Fachmann somit eher vom Beanspruchten weg.

Das Synchrongetriebe nach der Druckschrift F 43 239/RT 33 26-887, S 10, Abb 5 der Firma Zahnradfabrik Friedrichshafen AG weist gemäß Abb 1 einen Viergangteil und davor vorgesetzt eine Splitgruppe auf, so dass ein 8-Gängegetriebe entsteht. Dem Kraftflussschema nach Abb 5 ist nicht entnehmbar, dass das Viergangteil so schaltbar ist, dass ein Kraftfluss von der einen Getriebekonstanten (dritter Kraftflusspfeil) über die Vorgelegewelle zur anderen Getriebekonstanten (vierter Kraftflusspfeil) und dann zur Ausgangswelle erfolgt. Diese Druckschrift führt den Fachmann somit ebenfalls nicht zum Beanspruchten hin, sondern weist einen anderen Weg.

Das im vorigen Abschnitt 3 zitierte Fachbuch von J.Looman wurde wegen des Fachwissens für einen Schnellgang zitiert, es kann im Zusammenhang mit den vorgenannten Druckschriften das Beanspruchte nicht nahe legen.

Der Patentanspruch 1 kann daher in der diesem Beschluss zugrundeliegenden Fassung der beschränkten Aufrechterhaltung des Patents zugrundegelegt werden. Die Patentansprüche 2 bis 4 betreffen zweckmäßige weitere Ausbildungen des Gegenstandes des Patentanspruchs 1, die nicht selbstverständlich sind, und haben daher mit dem Patentanspruch 1 Bestand.

Petzold Dr. Fuchs-Wissemann Küstner Bork Bb






BPatG:
Beschluss v. 10.11.2003
Az: 9 W (pat) 12/02


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