Bundespatentgericht:
Beschluss vom 9. Mai 2001
Aktenzeichen: 9 W (pat) 28/99

(BPatG: Beschluss v. 09.05.2001, Az.: 9 W (pat) 28/99)

Tenor

Die Beschwerde des Anmelders gegen den Beschluß des Deutschen Patent- und Markenamtes - Prüfungsstelle für Klasse F 03 G - vom 17. August 1998 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Prüfungsstelle für Klasse F 03 G des Deutschen Patent- und Markenamtes hat die am 26. November 1997 eingegangene Patentanmeldung mit der Bezeichnung

"Schwerkraftmotor zur energetischen Nutzung des EÖTVÖS-Effektes"

mit Beschluß vom 17. August 1998 zurückgewiesen. Zur Begründung führt sie unter Bezugnahme auf den vorangegangenen Prüfungsbescheid vom 30. April 1998 aus, daß sich der Gegenstand des Patentanspruchs 1 für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergebe. In der DE 196 00 446 A1 sei bereits ein Motor erläutert, der wie der angemeldete Gegenstand mit einer Drehmasse unter Ausnutzung des Eötvös-Effektes arbeiten solle. Darüber hinaus sei dieser Druckschrift auch die für den Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 wesentliche Schwenkung der Drehmassen zu entnehmen. Wegen der aus der Physik bekannten Präzession des Kreisels biete sich der Versuch an, diese zum Antrieb einer den Kreisel tragenden Trägerstruktur zu nutzen. Des weiteren seien aus der DE 40 17 474 A1 oder der DE 33 07 298 A1 Vorstellungen bekannt, Antriebe mit einem oder mehreren Kreiselpaaren zu verwirklichen. Diese Lehre böte den Versuch an, im Sinne des Gegenstandes des geltenden Patentanspruchs 1 einen Motor mit mehreren Drehmassen (Kreiseln) aufzubauen. Damit erübrige es sich aber, der Frage nach der Ausführbarkeit des Gegenstandes des geltenden Patentanspruchs 1 nachzugehen und dabei insbesondere die Teilfrage aufzugreifen, ob die im geltenden Patentanspruch 1 angegebenen Maßnahmen überhaupt zu den dort versprochenen Vortriebskräften führen könnten oder ob einer Erfüllung dieser Wunschvorstellungen Naturgesetze, wie beispielsweise das auch wohl für die in den Lagern einer Drehmasse auftretenden Kräfte geltende Actio-Reactio-Prinzip, entgegenstehen und somit der Eötvös-Effekt möglicherweise gar nicht zu Präzessions- und Vortriebskräften führen könne und ob der Eötvös-Effekt, da er eng mit der zu den für Antriebskräfte nicht geeigneten Scheinkräften gehörenden Corioliskraft zusammenhänge, überhaupt zur Erzeugung von Vortriebskräften geeignet sei.

Gegen den Zurückweisungsbeschluß hat der Anmelder Beschwerde eingelegt. Er begründet seine Beschwerde damit, daß die angeführten Druckschriften den angemeldeten Gegenstand nicht nahelegen könnten. Dies ergebe sich bereits aus der Tatsache, daß der aus der DE 196 00 446 A1 bekannte Motor den Eötvös-Effekt nicht umsetzen könne, er funktioniere nämlich nicht. Erst durch die angemeldete Weiterentwicklung werde erreicht, daß der Motor durch Nutzung des Eötvös-Effektes eine nutzbare Nettoleistung liefere. Den Ausführungen des Berichterstatters des erkennenden Senats in der Zwischenverfügung vom 21. März 2001, nach denen der anmeldungsgemäße Schwerkraftmotor technisch nicht brauchbar sei, da mit ihm eine dauernde Nutzung der Drehbewegungsenergie der Erde nicht möglich sei, werde widersprochen. Dabei werde nämlich übersehen, daß der beanspruchte Gegenstand eine Wandlung der Bewegungsenergie der Erde unter Nutzung realer Gravitationskräfte ermögliche.

Der Anmelder beantragt sinngemäß, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent mit den ursprünglich eingereichten Unterlagen zu erteilen.

Patentanspruch 1 lautet:

Schwerkraftmotor zur energetischen Nutzung des Eötvös-Effektes, dadurch gekennzeichnet, daß die horizontal montierten Antriebseinheiten Drehmassen enthalten, die mit vertikalen Drehachsen rotieren und von einem oder mehreren Motoren auf einer hohen Drehzahl gehalten werden, daß die Drehmassen so gelagert sind, daß sie bei jedem Übergang von der Nordhälfte des Schwerkraftmotors in seine Südhälfte und umgekehrt um die Motorradialen horizontalen Achsen um Winkel von jeweils 180¡ geschwenkt werden, unddaß durch diese Schwenkungen die infolge des Eötvös-Effektes auftretenden horizontalen Präzessions- und Vortriebskräfte in ihrer Richtung jeweils umgekehrt werden.

In 11 Unteransprüchen sind Abwandlungen dieses beanspruchten Schwerkraftmotors angegeben.

Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Die statthafte Beschwerde ist frist- und formgerecht eingelegt worden und auch im übrigen zulässig. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.

1. Dem Anmelder wird in seiner Auffassung gefolgt, daß der Beschluß der Prüfungsstelle in sich widersprüchlich ist. Die Prüfungsstelle hat zur Begründung ihres Beschlusses einerseits ausgeführt, daß der beanspruchte Gegenstand dem zuständigen Fachmann durch den von ihr angeführten Stand der Technik nahegelegt werde. Andererseits hat sie angegeben, daß es sich bei diesem Sachverhalt erübrige, der Frage nach der Ausführbarkeit des Gegenstandes des geltenden Patentanspruchs 1 nachzugehen. Dies wiederspricht dem fachmännischen Handeln des hier zuständigen Fachmanns. Denn dieser unterläßt offensichtlich jeden Versuch, nicht ausführbare Gegenstände weiterzuentwickeln. Sobald er nämlich erkennt, daß ein Gegenstand technisch nicht brauchbar ist, wird er alle Überlegungen zu diesem Gegenstand und seinen möglichen Weiterentwicklungen einstellen. Bei der Beurteilung einer Anmeldung ist daher zunächst als Vorfrage die technische Brauchbarkeit zu klären und erst bei Vorliegen der Brauchbarkeit die Anmeldung auf Neuheit und erfinderische Tätigkeit zu prüfen.

Von einer Zurückverweisung der Sache an die Prüfungsstelle des Deutschen Patent- und Markenamtes zur Beurteilung der technischen Brauchbarkeit hat der Senat abgesehen. Die Zurückverweisung steht im Ermessen des Gerichts; der Senat kann, muß aber nicht zurückverweisen (Schulte "Patentgesetz", 5. Auflage, § 79 Rdn 8). Im vorliegenden Fall kommt eine Zurückverweisung nicht in Betracht, da die Sache so weit geklärt ist, daß Entscheidungsreife gegeben ist.

2. Die Anmeldung betrifft nach dem vorstehend angeführten Patentanspruch 1 und unter Berücksichtigung der Beschreibung und der Zeichnungen der Patentanmeldung einen Schwerkraftmotor, bei dem an einer auf der Erdoberfläche angeordneten vertikalen Welle acht horizontal und radial von der Welle gerichtete Trägerarme befestigt sind (vgl nebenstehende Aufsicht auf eine Prinzipskizze des Schwerkraftmotors). Am Ende jedes Trägerarms ist auf einer vertikalen Welle jeweils eine Antriebseinheit gelagert, die vier Drehmassen D aufweist.

Der Schwerkraftmotor soll auf folgende Weise arbeiten:

Im Betrieb rotieren die Drehmassen in einer horizontalen Ebene jeweils um ihre Lagerung in den Trägerarmen. Die Drehmassen sind so gelagert, daß sie bei jedem Übergang von der Nordhälfte des Schwerkraftmotors in seine Südhälfte und umgekehrt um die radiale Achse der Tragarme um einen Winkel von jeweils 180¡ geschwenkt werden. Die auf Grund des Eötvös-Effektes auftretenden Drehmomente sollen zu Vortriebskräften (Präzessionskräften) auf die Antriebseinheiten und damit auf die Trägerarme führen, so daß an der zentralen vertikalen Welle Rotationsenergie zur Verfügung gestellt wird. Nach Auffassung des Anmelders läßt sich mit dem beschriebenen Schwerkraftmotor der Eötvös-Effekt energetisch nutzen, um ohne Stoffumsatz die Rotationsenergie der Erde in lokale Wellenleistung umzuwandeln, die an einer Welle abgenommen und technisch etwa zur Energiegewinnung mittels elektrischer Generatoren genutzt werden kann.

3. Mit dem angemeldeten Schwerkraftmotor kann die angestrebte Wirkung nicht erreicht werden, dauernd Drehbewegungsenergie der Erde in Rotationsenergie zu wandeln, die als nutzbare Energie in Form von elektrischem Strom an der Welle des Schwerkraftmotors abgenommen werden kann. Der Anmeldungsgegenstand ist folglich technisch nicht brauchbar (vgl BGH BlPMZ, 1985, S 117, 118). Die Erfindung ist daher im Hinblick auf die angestrebte Wirkung nicht ausführbar und somit dem Patentschutz nicht zugänglich.

Die mit dem Anmeldungsgegenstand beabsichtigte Energieerzeugung widerspricht nämlich dem Satz von der Erhaltung der Energie, der inhaltlich zum Ausdruck bringt, daß Energie, durch welche technischphysikalischen Maßnahmen auch immer, nicht gleichsam aus dem Nichts entstehen kann. Sie kann nur aus einer Energieform in eine andere umgewandelt werden. Um daher einem physikalischen System Energie zur Nutzung entziehen zu können, muß dem System dafür mindestens dieselbe Energie, gegebenenfalls in anderer Form, zugeführt werden. In der Praxis ist wegen der unvermeidlichen Verluste bei einer Energieumwandlung die dem System zuzuführende Energie sogar stets größer als die dem System wieder zur Nutzung entziehbare. Diese fundamentale Lehre gilt für jedes technische System, wie immer es auch aufgebaut sein mag. Dieser Satz von der Erhaltung der Energie hat sich bei allen überprüften Fällen immer wieder als richtig erwiesen und wird deshalb von der Fachwelt allgemein anerkannt.

Im Falle des anmeldungsgemäßen Schwerkraftmotors bedeutet dies, daß die vom Anmelder angestrebte Energieerzeugung nicht möglich ist, da dem System von außen keine entsprechende Energie zugeführt wird. Entgegen der Auffassung des Anmelders ist es nämlich mit dem angemeldeten Schwerkraftmotor nicht möglich, die potentielle Energie der Drehmassen oder die Drehbewegungsenergie der Erde dauerhaft zur Energiegewinnung zu nutzen.

Beim Anmeldungsgegenstand rotieren die Drehmassen mit einer maximalen Tangentialgeschwindigkeit, die weit unterhalb der Lichtgeschwindigkeit liegt, so daß die Gesetze der klassischen Mechanik gelten. Hier berechnet sich Arbeit als Produkt aus Kraft und Weg oder bei Rotation als Produkt aus Kraft, Hebelarm und Drehwinkel. Zur Verrichtung von Arbeit sind somit in beiden Fällen sowohl eine Kraft als auch eine Verschiebung des Kraftangriffspunktes unabdingbar.

Der vom Anmelder angeführte Eötvös-Effekt kann nicht dauerhaft zur Verrichtung von Arbeit genutzt werden. Unter dem Eötvös-Effekt ist die Tatsache zu verstehen, daß sich das Gewicht einer Masse, die mit einer bestimmten Geschwindigkeit von Westen nach Osten bewegt wird, unterscheidet von dem Gewicht dieser Masse bei einer Bewegung von Osten nach Westen. Bei der Bewegung von Westen nach Osten ist die Masse leichter als bei der Bewegung von Osten nach Westen. Die Größe des Gewichtsunterschieds hängt ab von der jeweiligen Geschwindigkeit der Masse und von der geographischen Breite. Die physikalische Ursache liegt in der unterschiedlichen Fliehkraft. Bei einer Bewegung der Masse von Westen nach Osten addiert sich die Geschwindigkeit der Masse zur Rotationsgeschwindigkeit der Erde, so daß die Fliehkraft größer und damit das Gewicht der Masse kleiner ist. Bei der umgekehrten Bewegungsrichtung ist dementsprechend das Gewicht größer.

Nach den Gesetzen der klassischen Galilei-Newtonschen Mechanik lassen sich Fliehkräfte nicht zu einer Energieerzeugung nutzen. Bei Fliehkräften handelt es sich nämlich um "Scheinkräfte", die als Trägheitskräfte eine Folge von Beschleunigungen sind und allein infolge einer Beschleunigung einer Masse auftreten. Entgegen der Auffassung des Anmelders ermöglicht beim Anmeldungsgegenstand aber auch die der jeweiligen Fliehkraft entgegenwirkende Erdanziehungskraft keine dauernde Energiegewinnung. Denn Arbeit kann nur bei einer Verschiebung des Kraftangriffspunktes in Richtung der anziehenden Kraft, also zum Erdmittelpunkt hin, gewonnen werden. Dies ist hier jedoch nicht beabsichtigt. Die Drehmassen behalten nämlich jeweils ihre nach der Verschwenkung eingenommenen horizontalen Positionen bei, so daß sich die Lage ihres Schwerpunktes nicht zum Erdmittelpunkt hin verschiebt.

Eine Nutzung der Rotationsenergie der Erde ist mit dem angemeldeten Schwerkraftmotor ebenfalls nicht möglich. Denn um Rotationsenergie der Erde nutzen zu können, wäre ein Abbremsung der Erde erforderlich. Dies könnte allein durch Kräfte bewirkt werden, die der Erdrotation entgegenwirken. Es müßten beim Schwerkraftmotor also Kraftkomponenten wirken, die in Umfangsrichtung der Erde der Erdrotation entgegen gerichtet sind. Zentrifugal- und Zentripetalkräfte sind jedoch rein radial zur Rotationsachse der Erde gerichtet, so daß sie keine Komponente in Umfangsrichtung der Erde aufweisen. Sie sind daher nicht geeignet, durch Abbremsung der Erde Rotationsenergie bereitzustellen und auf die Trägerstruktur des vom Anmelder angemeldeten Motors zu übertragen.

Auch die bei der Verschwenkung der Drehmassen auftretenden Kräfte kommen nicht Betracht. Diese wirken nämlich als innere Kräfte des Schwerkraftmotors ausschließlich innerhalb des Systems.

An diesem Sachverhalt ändert auch die Anordnung von Kreiseln im Schwerkraftmotor nichts. Es ist zutreffend, daß bei einem Kreisel, der auf einem einseitig gelagerten Balken angeordnet ist, ein auf diesen Balken wirkendes Drehmoment infolge der entstehenden Präzessionskräfte zu einer Rotation des Kreisels um die Lagerung des Balkens führt. Kräfte, die der Erdrotation entgegen gerichtet sind, werden hierdurch jedoch nach den geltenden physikalischen Gesetzen nicht erzeugt.

Da beim angemeldeten Schwerkraftmotor keine weiteren Kräfte vorliegen, die die Erdrotation beeinflussen könnten, ist die Nutzung der Rotationsenergie der Erde in der beabsichtigten Weise nicht möglich.

An dieser Beurteilung des Anmeldungsgegenstandes kann auch der Hinweis des Anmelders auf die Abbremsung der Erde durch die von den Mond- (und Sonnen-)anziehungskräften verursachten Gezeiten auf der Erde nichts ändern. Im Gegensatz zum beanspruchten Gegenstand liegen hier nämlich tatsächlich Kräfte vor, die der Erdrotation entgegen gerichtet sind und zur Verringerung der Rotationsgeschwindigkeit der Erde führen. Vor allem durch die Anziehungskräfte des Mondes wird nämlich ständig eine Verschiebung riesiger Wassermengen bewirkt, die auf Grund der Scherkräfte im Meerwasser, die der Erdrotation entgegen wirken, zu einer Abbremsung der Erde führt.

4. Der Antrag des Anmelders auf Berichtigung der Stellungnahme des Berichterstatters des 9. Senats vom 21. März 2001 ist nicht zulässig.

Der Anmelder hat offensichtlich übersehen, daß es sich bei der Zwischenverfügung des Berichterstatters um eine vorläufige Beurteilung des beanspruchten Gegenstandes, die dem Anmelder eine Stellungnahme hierzu ermöglicht, und nicht um den Tatbestand einer abschließenden Entscheidung handelt. Eine Berichtigung derartiger Zwischenverfügungen sieht § 96 PatG nicht vor. Im übrigen enthält diese Zwischenverfügung - wie die vorstehenden Ausführungen zeigen - keine Sachmängel, die zu berichtigen wären.

Petzold Dr. Fuchs-Wissemann Bork Bülskämperprö






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