Bundespatentgericht:
Beschluss vom 19. Mai 2011
Aktenzeichen: 15 W (pat) 362/05

(BPatG: Beschluss v. 19.05.2011, Az.: 15 W (pat) 362/05)

Tenor

Das Patent 101 26 703 wird in vollem Umfang widerrufen.

Gründe

I.

Auf die am 31. Mai 2001 beim Deutschen Patentund Markenamt eingereichte Patentanmeldung ist das Patent 101 26 703 mit der Bezeichnung

"Verfahren zur Herstellung von Innenraumverkleidungsteilen"

erteilt worden. Der Veröffentlichungstag der Patenterteilung in Form der DE 101 26 703 B4 ist der 28. Juli 2005.

Das Streitpatent umfasst neun Patentansprüche, die folgenden Wortlaut haben:

"1. Verfahren zur Herstellung von Innenraumverkleidungsteilen, dadurch gekennzeichnet, dass eine Dekorschicht, eine Sperrschicht, eine thermoplastische Klebeschicht und eine textile Schicht miteinander verbunden, auf ein positives Formwerkzeug aufgebracht und unter Anwendung von Wärme und Druck in Form gebracht sowie durch Abkühlung unter Druck auf Raumtemperatur in ihrer Formgestalt fixiert werden, und anschließend mit einem thermoplastischen Polymer oder einem Schaumstoff hinterspritzt oder hinterschäumt werden.

2.

Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass als Sperrschicht wäßrige mit Ammoniak verdickte Dispersionen von Polyacrylaten und/oder Amidgruppen haltiger Acrylsäure-Copolymerisaten in einer Dicke von 1 bis 800 µm eingesetzt werden.

3.

Verfahren nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass als Klebeschicht ein Reaktivkleber und/oder ein Klebevliesstoff mit einem Schmelzpunkt Tm < 150¡C und/oder ein latent Reaktivkleber mit einer Vernetzungstemperatur < 100¡C verwendet wird.

4.

Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, dass als textile Schicht eine Vliesstoffschicht mit einer Luftdurchlässigkeit > 5 l/min/cm2 verwendet wird.

5.

Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet, dass auf die Dekoreine Sperrschicht aufgebracht und mit der Klebeund der textilen Schicht zusammen laminiert und auf eine gleichmäßige Dicke gebracht werden.

6.

Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 5, dadurch gekennzeichnet, dass aus dem Laminat Vorteile hergestellt, zu einem Dekorkleid vernäht und mit Nahtabdichtungen versehen werden.

7.

Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 6, dadurch gekennzeichnet, dass das Dekorkleid auf ein positives Formwerkzeug aufgebracht, vorhandene Nähte bei Raumtemperatur ausgerichtet und unter Anwendung von Wärme und Druck in Form gebracht sowie durch Abkühlung unter Druck auf Raumtemperatur die Formgestalt fixiert wird.

8.

Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 7, dadurch gekennzeichnet, dass die in ihrer Formgestalt fixierten Laminatteile in einem separaten Schritt direkt in eine negativen Formwerkzeug hinterspritzt oder hinterschäumt und durch Stanzen, Fräsen oder Schneiden nachbearbeitet werden.

9.

Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 8, dadurch gekennzeichnet, dass als Dekormaterial ein textiles Gewirke, Gewebe, Vliesstoff, Folie, Kunstleder insbesondere ein gegerbtes Naturleder eingesetzt wird."

Gegen das Patent haben die C... GmbH & Co. KG, ...-Str. in K..., mit Schriftsatz vom 28. September 2005, eingegangen am 1. Oktober 2005 beim Deutschen Patentund Markenamt (Einsprechende 1), und die I... GmbH, ...str. in M..., mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2005, eingegangen am 26. Oktober 2005 beim Deutschen Patentund Markenamt (Einsprechende 2), Einspruch erhoben und übereinstimmend beantragt, das Patent in vollem Umfang zu widerrufen. Die Einsprechende 2 hat hilfsweise noch die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

Gegen das Streitpatent hat auch Herr K..., ...str. in O... , sinngemäß Einspruch eingelegt. Im Beschluss des Bundespatentgerichts vom 24. Mai 2006 wurde festgestellt, dass sein Einspruch vom 23. Dezember 2005 als nicht erhoben gilt, da die tarifmäßige Gebühr nicht eingezahlt worden ist. Herr K... ist daher am Einspruchsverfahren nicht mehr beteiligt.

Begründet werden die Einsprüche damit, dass der Streitgegenstand widerrechtlich entnommen sei (Einsprechende 1) sowie gegenüber dem genannten Stand der Technik nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe (Einsprechende 2).

Die Einsprechende 2 stützt ihr Vorbringen hierbei auf folgende Druckschriften:

D1 DE 2 404 551 A D2 DE 195 33 367 A1 D3 EP 0 850 806 A2 D4 DE 199 26 470 A1 D5 DE 36 03 069 A1 D6 DE 43 17 235 A1 D7 DE 197 29 780 C1 D8 CD Römpp Chemie Lexikon - Version 1.0, Stuttgart/New York: Georg Thieme Verlag 1995, Stichwort: "Polyacrylate"

D9 EP 0 968 806 A1.

Die Patentinhaberinnen haben sachlich dem Einspruchsvorbringen nicht widersprochen und auch zum Vorwurf der widerrechtlichen Entnahme nicht Stellung genommen.

Auf die Terminsladung vom 19. Januar 2011 zur mündlichen Verhandlung hat die Verfahrensbevollmächtigte der Patentinhaberinnen mit Schriftsatz vom 17. Februar 2011 mitgeteilt, dass die F... KG (Patentinhaberin 1) an der mündlichen Verhandlung am 19. Mai 2011 nicht teilnehmen werde. Weiter hat sie die Zurückweisung der Einsprüche und die Aufrechterhaltung des Patents in unbeschränktem Umfang beantragt.

Mit Verfügung vom 2. Mai 2011 hat der Senat den beteiligten Parteien die Druckschrift D10 WO 01/03927 A1 mit dem Hinweis übermittelt, dass dieser Stand der Technik im Hinblick auf die Frage der erfinderischen Tätigkeit des Streitgegenstandes von Bedeutung sein könnte.

In der mündlichen Verhandlung am 19. Mai 2011 sind die ordnungsgemäß geladenen Patentinhaberinnen nicht erschienen. Die erschienenen Vertreter der beiden Einsprechenden erhielten das Wort, um ihre Anträge zu stellen und zu begründen:

Die Einsprechende 1 stellt den Antrag, das Patent in vollem Umfang zu widerrufen. Die Einsprechende 2 stellt den Antrag, das Patent in vollem Umfang zu widerrufen. Die Patentinhaberinnen haben schriftsätzlich beantragt, das gegenständliche Patent in unbeschränktem Umfang aufrechtzuerhalten. Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.

II.

1. Das Bundespatentgericht bleibt auch nach Wegfall des § 147 Abs. 3 PatG für die Entscheidung über die Einsprüche zuständig, die in der Zeit vom 1.

Januar 2002 bis zum 30. Juni 2006 eingelegt worden sind (BGH GRUR 2007, 859 - Informationsübermittlungsverfahren I und BGH GRUR 2007, 862 - Informationsübermittlungsverfahren II sowie BGH GRUR 2009, 184 - Ventilsteuerung).

2.

Der fristund formgerecht eingelegte Einspruch der Einsprechenden 2 ist zulässig, weil im Einspruchsschriftsatz die Tatsachen, die den Einspruch rechtfertigen, im Einzelnen so angegeben sind, dass die Merkmale des Patentanspruchs 1 erteilter Fassung in konkreten Bezug zum genannten Stand der Technik gebracht wurden. Die Patentinhaberinnen und der Senat haben daraus abschließende Folgerungen für das Vorliegen oder Nichtvorliegen des geltend gemachten Widerrufsgrundes ohne eigene Ermittlungen ziehen können (§ 59 Abs. 1 PatG).

3.

Der zulässige Einspruch der Einsprechenden 2 hat in der Sache auch Erfolg und führt zum Widerruf des Patents. Dieses Ziel verfolgt auch der Einspruch der Einsprechenden 1, so dass die Frage seiner Zulässigkeit und Begründetheit dahingestellt bleiben kann.

III.

Dem Antrag der Einsprechenden 2 auf vollumfänglichen Widerruf des Streitpatents ist stattzugeben. Denn dem Verfahren zur Herstellung von Innenraumverkleidungsteilen gemäß Patentanspruch 1 mangelt es an der erforderlichen erfinderischen Tätigkeit gegenüber D1 in Verbindung mit D3 und ggf. D10.

1. Nach den Angaben in der Streitpatentschrift Absatz [0001] betrifft das Streitpatent ein Verfahren zur Herstellung von Innenraumverkleidungsteilen.

Als druckschriftlichen Stand der Technik nennt die Streitpatentschrift die Druckschriften EP 0 850 806 A2 (D3), DE19533367 A1 (D2) und DE 199 26 470 A1 (D4).

Wie in Absatz [0002] ausgeführt ist, seien aus der D3 Innenausstattungsteile für Fahrzeuge bekannt, die in der Weise hergestellt seien, dass die Rückseite eines Lederzuschnitts mit einem Abstandsgewirke oder Vlies verklebt und dieser Verbund auf die separat hergestellte starre Oberfläche eines Trägerformteils aufgeklebt werde.

Des Weiteren sei aus der D2 ein Verfahren zur Herstellung eines Schaum-Formstückes bekannt, welches mit einem geprägten Lederkleid versehen sei. Hierzu werde das Lederkleid, welches sich aus einzeln miteinander vernähten Lederteilen zusammensetze, zunächst auf einer Kunststofffolie befestigt, die die Nähte des Lederkleides überdecke, anschließend werde das Lederkleid mit der Kunststofffolie auf der der Kunststofffolie zugewandten Seite hinterschäumt (Absatz [0003]).

Darüber hinaus beschreibe die D4 ein Verfahren zum Aufbringen einer Sperrschicht auf die Rückseite eines Dekorbezuges, insbesondere für ein Innenausstattungsteil, bei dem die Sperrschicht ein Eindringen von Klebstoff oder Kunststoffmaterial verhindern solle und das in einem Negativ-Formwerkzeug formgeprägt werde (Absatz [0004]).

Als nachteilig sieht das Streitpatent es in Absatz [0005] an, dass die Dekorbezüge entweder in einem sehr arbeitsaufwändigen Prozess per Hand auf die Oberfläche des Schaumstoff-Formkörpers aufgebracht werden müssten, oder der Griff des Leders durch die aufgebrachte Folie sehr hart werde, oder keine Möglichkeit zur Ausrichtung der Nähte von aus mehreren Teilen zusammengenähten Dekorkleidern möglich sei.

2.

Vor diesem technischen Hintergrund bezeichnet es das Streitpatent in Absatz [0006] als zu lösendes technisches Problem, ein Verfahren zur Herstellung von Innenraumverkleidungsteilen bereitzustellen, das die Nachteile der bekannten Lösungen des Standes der Technik vermeidet und das im Zwischenschritt die Herstellung von formstabilen Körpern gestattet, die erst in einem zweiten Schritt hinterschäumt werden.

3.

Zur Lösung dieser Aufgabe beschreibt der Patentanspruch 1 erteilter Fassung, nach Merkmalen gegliedert, ein M1 Verfahren zur Herstellung von Innenraumverkleidungsteilen, M2 wobei miteinander verbunden werden M2.1 eine Dekorschicht, M2.2 eine Sperrschicht, M2.3 eine thermoplastische Klebeschicht und M2.4 eine textile Schicht;

M3 dieses (Laminat) wird auf ein positives Formwerkzeug aufgebracht und M3.1 unter Anwendung von Wärme und Druck in Form gebracht sowie M3.2 durch Abkühlung unter Druck auf Raumtemperatur in seiner Formgestalt fixiert;

M4 anschließend wird dieses (Laminat bzw. Zwischenteil) mit einem thermoplastischen Polymer oder einem Schaumstoff hinterspritzt oder hinterschäumt.

4. Als zuständiger Fachmann ist ein in der Entwicklung und Herstellung von Innenraumverkleidungsteilen tätiger Diplom-Ingenieur anzusehen, der aufgrund seiner Ausbildung und langjährigen Berufserfahrung auch über fundierte Kenntnisse auf dem Gebiet der Materialwissenschaften bzw. Werkstoffkunde, d. h. über anwendungsorientierte Aspekte von Materialien, verfügt und zugleich mit den Problemen und Anforderungen an solche Materialien bzw. Werkstoffe vertraut ist.

IV.

1. Gegen die Zulässigkeit der Patentansprüche in der erteilten Fassung bestehen keine Bedenken, denn sie finden ihre Grundlage in den Ursprungsunterlagen gemäß DE 101 26 703 A1, dort insbesondere in den Ansprüchen 1 bis 9.

Der erteilte Anspruch 1 lässt sich aus den ursprünglichen Ansprüchen 1 und 7 i. V. m. Absatz [0010] herleiten. Anspruch 2 findet seinen Niederschlag im ursprünglichen Anspruch 2 i. V. m. Spalte 2, Zeilen 57-58 der DE 101 26 703 A1. Die im erteilten Anspruch 4 vorgenommene Präzisierung der Vliesstoffschicht als textile Schicht geht sinngemäß auf die Absätze [0010] und [0016] der DE 101 26 703 A1 zurück. Die übrigen Ansprüche 3 und 5 bis 9 entsprechen den ursprünglichen Ansprüchen 3 und 5 bis 9.

2. Die Neuheit des Verfahrens nach Patentanspruch 1 wurde nicht angegriffen. Sie kann auch dahinstehen, weil das Herstellungsverfahren der Innenraumverkleidungsteile gemäß Patentanspruch 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber D1 i. V. m. D3 und ggf. D10 beruht, wie nachfolgend dargelegt ist.

a) Wie aus Absatz [0010] des Streitpatents hervorgeht, ist Kern der Erfindung die Herstellung formstabiler Zwischenteile. Hierfür werden zunächst Laminate aus Dekor-, Klebeund Vliesstoffschichten hergestellt, da sich diese laminierten Teile stanzen und an den Rändern zur Reduzierung des Nahtwulstes schärfen lassen. Aus dem so erhaltenen Laminat werden Vorteile hergestellt, die zu einem Dekorkleid vernäht und mit Nahtabdichtungen versehen werden. Formstabile Zwischenteile werden erhalten, indem das Dekorkleid auf eine positive Form aufgebracht wird, vorhandene Nähte bei Raumtemperatur ausgerichtet werden, und das Dekorkleid unter Anwendung von Wärme und Druck in Form gebracht sowie durch Abkühlung unter Druck auf Raumtemperatur in der Formgestalt fixiert wird. Als Druck wird beispielsweise ein Unterdruck an der Rückseite des Dekorkleides angelegt. Die in ihrer Formgestalt fixierten Laminatteile werden dann in einem separaten Schritt hinterspritzt oder hinterschäumt.

Hierbei versteht das Streitpatent unter einer Dekorschicht (Merkmal M2.1) ein Material, das vorzugsweise aus textilem Gewirke, Gewebe, Vliesstoff, Folie, Kunstleder, insbesondere gegerbtes Naturleder, ausgewählt ist (Absatz [0011]). Als textile Schicht (Merkmal M2.4) kann eine Vliesstoffschicht (vgl. Anspruch 4), z. B. ein Polyethylenterephthalat-Spinnvlies (Absatz [0016]), verwendet werden.

b) Die im Hinblick auf die Verfahrensschritte nächstkommende DE 2 404 551 A (D1) beschreibt ein Verfahren zum Herstellen eines elastischen, Gewebeüberzogenen, gepolsterten Gegenstandes, wie Fahrzeugsitze, Kraftfahrzeug-Innenauskleidung und gepolsterte Möbelteile (vgl. D1, Seite 1, Zeilen 1 bis 4), also ein Verfahren zur Herstellung von Innenraumverkleidungsteilen (Merkmal M1). Gemäß der Lehre der D1 wird ein Verbundwerkstoff aus einem dehnbaren Textilgewebe und einer thermoplastischen Folie durch Vakuum-Verformung geformt, um eine Gewebeüberzogene, geformte Abdeckung zu bilden, wobei die erhaltene Abdeckung dadurch in ihrer dreidimensionalen Form gehalten wird, dass das Gewebe nach außen und die thermoplastische Folie nach innen weist. Die Gewebeüberzogene, geformte Abdeckung wird mit einem elastischen Schaum gefüllt, der innerhalb der Abdeckung in der richtigen Lage eingeschäumt wird, wobei der Schaum mit der thermoplastischen Folie abbindet. Die thermoplastische Folie macht den Verbundwerkstoff undurchlässig, so dass er vakuumverformt und mit einem Schaum gefüllt werden kann, der direkt in der Abdeckung hergestellt wird, ohne dass der Schaum in das Gewebe eindringt und ohne dass das Aussehen der Abdeckung nachteilig verändert wird (vgl. D1, übergreifender Absatz der Seitenwende 2/3 sowie Seite 2, Absatz 3).

Der Ausdruck "Vakuum-Verformung" umfasst hier die Verformung eines ggf. durch Erwärmen weichgemachten Verbundwerkstoffes sowohl über als auch in eine Form durch Ansaugen über oder in die Form (vgl. D1, Seite 3, letzter Absatz). Hierbei kann der Verbundwerkstoff in einer "weiblichen" Form vakuumverformt werden (vgl. D1, Seite 5, Absatz 1 sowie Seite 11, Absatz 1 i. V. m. Figur 2), wobei der Fachmann unter "weiblicher" Form ein positives Formwerkzeug versteht.

Weiter wird in der D1, Absatz 1, ausgeführt, dass die thermoplastische Folie beispielsweise eine plastifizierte Polyvinylchlorid-Folie sein kann, die den Vorteil hat, dass sie zum Erweichen für die Verformung erwärmt werden kann und dann dazu beiträgt, die Form des geformten Verbundwerkstoffs nach dem Abkühlen beizubehalten.

Dies versteht der Fachmann dahingehend, dass der Verbundwerkstoff auf ein positives Formwerkzeug aufgebracht (Merkmal M3), unter Anwendung von Wärme und Druck (hier Vakuum) in eine Formgestalt gebracht (Merkmal M3.1) und durch Abkühlung in seiner Formgestalt fixiert werden kann (Merkmal M3.2).

Der Gewebeverbundwerkstoff selbst kann auf viele Arten hergestellt werden, z. B. können das Gewebe - das hier die Dekorschicht entsprechend Merkmal M2.1 repräsentiert - und die thermoplastische Folie auch durch einen Klebstoff vereinigt werden (vgl. D1, Seite 4, Absatz 2).

Infolgedessen offenbart die D1 ein gattungsgemäßes Verfahren zur Herstellung von Innenraumverkleidungsteilen (Merkmal M1) mit einer Dekorschicht (Merkmal M2.1), wobei aus einem die Dekorschicht enthaltenden Verbundwerkstoff, also einem Laminat, in einem Zwischenschritt ein formstabiler Körper hergestellt wird (Merkmale M3.1 und M3.2) und in einem zweiten Schritt dieses Zwischenteil hinterschäumt wird (Merkmal M4). Die im Zwischenschritt erfolgte Herstellung des formstabilen Zwischenteils wird durch Formung unter Anwendung von Wärme und Druck (Merkmal M3.1) einer unter der Dekorgewebeschicht angeordneten thermoplastischen Folie erreicht. Dass hierbei sowohl die Erwärmung der Folie als auch die Abkühlung der geformten Folie bzw. des geformten Verbundstoffes auf Raumtemperatur unter Vakuumbedingungen, also Druck, erfolgt (Merkmal M3.2), ist für den Fachmann selbstverständlich und liegt für eine solche Thermoformung auf der Hand.

Das Herstellungsverfahren für Innenraumverkleidungsteile der D1 löst daher wie das Streitpatent die Aufgabe, aus einem Laminat (vgl. D1, Seite 4, Absatz 2) in einem Zwischenschritt die Herstellung von formstabilen Körpern zu gestatten (vgl. D1, Seite 6, Zeilen 1 bis 5), die in einem zweiten Schritt hinterschäumt werden (vgl. D1, Anspruch 1). Insofern ist kein arbeitsaufwändiger Prozess per Hand erforderlich, den Verbundwerkstoff auf die Oberfläche eines Schaumstoff-Formkörpers aufzubringen, weil auch in D1 ein Hinterschäumen des formstabilen Zwischenteils vorgesehen ist.

Der Gegenstand des angegriffenen Patentanspruchs 1 unterscheidet sich von dem in D1 beschriebenen Verfahren dadurch, dass in der D1 ein Verbundwerkstoff aus Dekor-Gewebeschicht und thermoplastischer Folie gebildet wird, während im Streitpatent ein Verbundwerkstoff aus Dekorschicht, Sperrschicht, thermoplastischer Klebeschicht und textiler Schicht zum Einsatz kommt, also in den Merkmalen M2.2 und M2.3.

Die Überlegungen des mit der Weiterentwicklung der aus dem Stand der Technik bekannten Innenraumverkleidungsteile sowie deren Herstellungsverfahren betrauten Fachmannes setzen naturgemäß bei der Analyse dessen ein, was bei vorhandenen Lösungen als nicht zufriedenstellend oder verbesserungswürdig empfunden wird. Da in der Streitpatentschrift als Nachteil des Standes der Technik angegeben wird, dass durch eine aufgebrachte Folie der Griff eines Dekorleders als hart empfunden werde, ging es dem Fachmann bei der Weiterentwicklung der aus dem Dokument D1 bekannten Lösung objektiv nur darum, die Haptik eines solchen Teiles zu verbessern.

Der Fachmann, der sich in der Praxis vor allem mit der Entwicklung von Neuerungen auf dem Gebiet der Innenraumverkleidungsteile beschäftigt und selbstverständlich den Stand der Technik auf seinem Spezialgebiet kennt, wird bei der Verwirklichung einer solchen Zielvorstellung sich zunächst bekannten Innenraumverkleidungsteilen zuwenden, die andere Schichtanordnungen für Innenraumverkleidungsteile verwenden. Hierbei wird er die EP 0 850 806 A2 (D3) und ggf. die WO 01/03927 A1 (D10) in Betracht ziehen, weil sich beide Dokumente mit der Haptik von Innenraumverkleidungsteilen beschäftigen.

So geht aus dem Anspruch 3 i. V. m. Spalte 6, Zeilen 37 bis 41, der D3 ein Innenausstattungsteil für Fahrzeuge mit folgendem Schichtaufbau hervor:

Auf einem starren Trägerformteil ist eine erste Klebeschicht angeordnet, darüber befindet sich eine Schicht aus einem Faservlies (Merkmal M2.4). Dieses Faservlies ist über eine zweite Klebeschicht (Merkmal M2.3) und über eine Sperrschicht (Merkmal M2.2) mit einer Dekorschicht aus Echtleder (Merkmal M2.1) verbunden.

Wie aus Spalte 6, Zeilen 37 bis 41, hervorgeht, ist es zweckmäßig, eine Sperrbeschichtung (Merkmal M2.2) zwischen der Echtlederschicht (Merkmal M2.1) und der zugehörigen Kleberschicht (Merkmal M2.3) vorzusehen, um ein Eindringen von Kleber in das Leder zu minimieren.

Insofern offenbart die D3 ein Laminat aus Dekorschicht, Sperrschicht, Klebeschicht und textiler Schicht. Das Laminat wird dann mittels einer weiteren Klebeschicht mit einem starren Trägerformteil verbunden.

Gemäß Anspruch 8 oder 9 der D3 ist die Klebeschicht zwischen dem Leder und dem Faservlies aus einem 2K-Polyurethan-Kleber oder aus einem Schmelzkleber, d.h. aus thermoplastischen Klebermaterialien, gebildet, denn bekanntlich werden für Textilbeschichtungen 2K-Polyurethane weichelastisch eingestellt.

Im Unterschied zum Streitgegenstand ist das starre Trägerformteil ein Formteil aus Blech, Duroplast, Thermoplast, Verbundwerkstoff, usw. (vgl. D3, Spalte 6, Zeilen 24 bis 26), d. h. in D3 wird das Laminat aus Leder, Sperrschicht, Klebeschicht und Faservlies nicht hinterschäumt. Allerdings wird auch in D3 das Innenausstattungsteil in zwei Schritten hergestellt: Zunächst wird ein Schichtverbund durch Verkleben der Rückseite eines Zuschnitts aus Echtleder mit einer Oberfläche eines Flächenzuschnitts eines Faservlieses hergestellt und in einem zweiten Schritt wird dann der Schichtverbund auf eine Oberfläche eines Trägerformteils aufgeklebt (vgl. D3, Spalte 6, Zeilen 42 bis 49).

Da mit dem Innenausstattungsteil der D3 ein Verbundkörper mit einer schubweichen Haptik zur Verfügung gestellt wird und diese Haptik vor allem aus dem Verbund von Leder mit Faservlies resultiert (vgl. D3, Seite 6, Zeilen 54 bis 56 i. V. m. Spalte 5, Zeilen 40 bis 55), war es für den Fachmann naheliegend, ein solches Zwischenteil aus Leder, Sperrschicht, Kleberschicht und Faservlies auch in einem Verfahren gemäß D1 zu erproben und anstelle eines Verbundes mit einem starren Trägerformteil eine erfindungsgemäße Hinterschäumung in einem zweiten Verfahrensschritt vorzusehen. Die Durchführung von entsprechenden Versuchen gehört zum Aufgabengebiet des Fachmanns und kann eine erfinderische Tätigkeit nicht begründen.

Aber auch die WO 01/03927 A1 (D10) vermittelte dem Fachmann eine Anregung zur Problemlösung. Dieses Dokument beschreibt einen mehrschichtigen Dekoraufbau für ein Fahrzeug-Innenausstattungsteil und befasst sich dabei auch mit der Haptik eines solchen Dekoraufbaus. Hierzu schlägt die D10 gemäß Figur 1 einen Schichtaufbau aus Dekorschicht 4, Zwischenschicht 5, Basisschicht 7 und Sperrschicht 6 vor (vgl. D10, Figur 1 i. V. m. Seite 7, Zeilen 9 bis 13). Die Dekorschicht 4 kann aus einem textilen Material, z. B. aus Polyesterfasern, aber auch aus Leder bzw. Lederimitat bestehen (Merkmal M2.1). Die Basisschicht 7 ist vorzugsweise ein weiches, flexibles sowie möglichst leichtes Faservlies, z. B. aus Polyester (vgl. D10, Seite 7, Zeilen 15 bis 24), d.h. die Basisschicht entspricht der textilen Schicht gemäß Merkmal M2.4. Wie in Figur 1 gezeigt ist, befindet sich zwischen der Basisschicht 7 und der Dekorschicht 4 eine Zwischenschicht 5, die - wie die unter der Basisschicht 7 angeordnete Sperrschicht 6 - aus einem dauerelastischen verformbaren Material, z. B. synthetischer Latex, Acrylharz oder ein thermoplastisches Elastomer, besteht (vgl. D10, Seite 7, Zeilen 26 bis 30 i. V. m. Seite 3, Zeile 25 bis Seite 4, Zeile 25 sowie Ansprüche 2 bis 4). Da also für die Zwischenschicht 5 und Sperrschicht 6 übereinstimmende Materialien verwendet werden können, besitzt die Zwischenschicht 5 somit gleiche Eigenschaften wie die Sperrschicht 6, d. h. auch die Zwischenschicht hat sperrende bzw. versiegelnde Eigenschaften (Merkmal M2.2). Weiter ist in D10 ausgeführt, dass dann, wenn die Zwischenschicht 5 dicker als die Sperrschicht 6 ausgeführt ist, auch die Zwischenschicht zusätzlich zur Basisschicht 7 Einfluss auf die Haptik der Dekorschicht 4 nimmt (vgl. D10, Seite 5, Zeilen 5 bis 8). Beim Hinterspritzen oder Hinterpressen verhindert die Sperrschicht das Eindringen einer Kunststoffmasse in die textile Basisschicht, weshalb die dämpfenden Eigenschaften der Basisschicht voll erhalten bleiben, so dass die Basisschicht die Funktion der die erwünschte Haptik gewährleistenden Schicht übernehmen kann (vgl. D10, Seite 3, Zeilen 30 bis 35).

Wenngleich bei dem in Figur 1 der D10 gezeigten Schichtaufbau keine Klebeschicht (Merkmal M2.3) zwischen der Zwischenschicht 5 mit sperrenden Eigenschaften (Merkmal M2.2) und der Basisschicht 7 (Merkmal M2.4) vorgesehen ist, so kann hierin kein erfinderischer Unterschied gesehen werden, denn der Fachmann wird in seinem Bemühen, eine bessere Lösung zu finden, als sie der bekannte Stand der Technik gemäß D10 zur Verfügung stellt, zur Verbesserung der Haftung zwischen den Schichten eines Dekoraufbaus auch eine Klebeschicht in Betracht ziehen, zumal aus der D3 eine solche zwischen einer Sperrschicht und einer textilen Schicht bekannt ist. Da der Fachmann im Interesse eines formstabilen Laminats bestrebt sein musste, auch eine optimale Haftung der Schichten untereinander zu erzielen, drängte sich ihm eine zusätzliche Klebeschicht nach dem Vorbild der D3 auf.

Das Verfahren zur Herstellung von Innenraumverkleidungsteilen gemäß angegriffenem Patentanspruch 1 beruht daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit und hat deshalb keinen Bestand.

3. Die Unteransprüche 2 bis 9 fallen mit dem Patentanspruch 1, auf den sie mittelbar oder unmittelbar rückbezogen sind, ohne dass es einer Prüfung und Begründung dahin bedarf, ob diese etwas Schutzfähiges enthalten, da die Patentinhaberinnen die Aufrechterhaltung eines Patents erkennbar nur im Umfang des Anspruchssatzes in der erteilten Fassung begehrt haben (BGH GRUR 2007, 862 - Informationsübermittlungsverfahren II; Fortführung von BGH GRUR 1997, 120 - Elektrisches Speicherheizgerät).

Die Patentinhaberinnen haben unter Beibehaltung ihres Antrages auf unveränderte Aufrechterhaltung des Patents und durch Fernbleiben von der mündlichen Verhandlung zum Ausdruck gebracht, dass sie an dem weiteren Verfahren nicht mehr - wie an sich erforderlich - mitwirken wollen, sondern dass dieses umgehend zum Abschluss gebracht werden soll. Die Patentinhaberinnen haben sich damit einer weiteren Erörterung der Sachund Rechtslage, die ihnen durch Anberaumung einer mündlichen Verhandlung (PatG § 91 Abs. 1 i. V. m. ZPO § 139) eingeräumt worden ist, entzogen, so dass entsprechend der Aktenlage - wie geschehen - zu beschließen war.

Feuerlein Egerer Kortbein Zettlerprö






BPatG:
Beschluss v. 19.05.2011
Az: 15 W (pat) 362/05


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