Bundespatentgericht:
Beschluss vom 3. April 2002
Aktenzeichen: 19 W (pat) 9/00

(BPatG: Beschluss v. 03.04.2002, Az.: 19 W (pat) 9/00)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Das Bundespatentgericht hat in seiner Entscheidung vom 3. April 2002 die Beschwerde der Anmelderin zurückgewiesen. Die Anmeldung für ein Überspannungsschutzsystem wurde vom Deutschen Patent- und Markenamt mit der Begründung abgelehnt, dass der Patentanspruch 1 nicht erfinderisch sei. Die Anmelderin hat gegen diesen Beschluss Beschwerde eingelegt und neue Patentansprüche vorgelegt. Das Patentgericht entschied jedoch, dass das Überspannungsschutzsystem nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit basiert.

Das Gericht stellte fest, dass das System in einem englischsprachigen Abstrakt einer japanischen Offenlegungsschrift bereits beschrieben wurde. Das dortige System verwendete anstelle einer Auswerteelektronik einen nichtlinearen Widerstand. Das Gericht argumentierte, dass die Verwendung einer Auswerteelektronik anstelle des Widerstands keine erfinderische Leistung sei, da dies im Rahmen des Fachwissens eines Elektrotechnik-Ingenieurs liege. Es sei naheliegend, dass auch bei dem bekannten Überspannungsschutzsystem eine solche Auswerteelektronik verwendet werden könne, um auch aus energieschwächeren Transienten ein Signal zur Zündung des Überspannungsableiters abzuleiten.

Als Ergebnis der Entscheidung ist der Patentanspruch 1 nicht gewährbar und damit auch die weiteren auf diesen Anspruch bezogenen Patentansprüche. Das Gericht hielt die mündliche Verhandlung in Anbetracht der neu eingeführten Druckschrift für sachdienlich ab.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

BPatG: Beschluss v. 03.04.2002, Az: 19 W (pat) 9/00


Tenor

Die Beschwerde der Anmelderin wird zurückgewiesen.

Gründe

I Das Deutsche Patent- und Markenamt - Prüfungsstelle für Klasse H 02 H - hat die am 4. Oktober 1996 eingegangene Anmeldung durch Beschluß vom 16. Dezember 1999 mit der Begründung zurückgewiesen, daß der Patentanspruch 1 mangels erfinderischer Tätigkeit nicht gewährbar sei.

Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde der Anmelderin. Sie hat mit Schriftsatz vom 29. September 2000 neue Patentansprüche 1 bis 10 vorgelegt.

Der geltende Patentanspruch 1 lautet:

"Überspannungsschutzsystem für eine EMV-Schutzzone oder dergleichen mit zumindest einem Überspannungsschutzgerät, das eine bei Überschreiten eines Spannungsgrenzwertes aktivierte Funkenstrecke eines zündbaren Überspannungsableiters aufweist, dadurch gekennzeichnet, daß vor und/oder in der Schutzzone wenigstens eine auch unterhalb des Spannungsgrenzwertes liegende Transienten von Spannung, Strom und/oder Frequenz erfassende Auswerteelektronik (2) angeordnet ist, die ein Aktivierungssignal für einen Zündgenerator (8), wie einen geladenen Spannungsspeicher, auslöst, wodurch der Zündgenerator (8) eine wenigstens dem Spannungsgrenzwert entsprechende Aktivierungsspannung auf die Funkenstrecke des Überspannungsschutzgerätes (1) gibt."

Es soll die Aufgabe gelöst werden, ein Überspannungsschutzsystem nach der gattungsbildenden Art zu schaffen, bei dem man innerhalb der EMV-Schutzzone mit dem eine Funkenstrecke aufweisenden Überspannungsableiter auch dann auskommt, wenn energieschwächere Transienten abzuleiten sind, deren Energie zur Zündung des Überspannungsableiters nicht ausreicht (S 3 Abs 1 der geltenden Beschreibung).

Die Anmelderin hat, wie mit Schriftsatz vom 28. März 2002 angekündigt, an der mündlichen Verhandlung nicht teilgenommen; sie beantragt schriftsätzlichden angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:

Patentansprüche 1 bis 10 vom 29. September 2000, Beschreibungseinleitung Seiten 1 bis 3 vom 29. September 2000, Seite 2a vom 28. März 2002, weitere Beschreibung gemäß den Beschreibungsseiten 4 bis 7 in der ursprünglichen Fassung und Patentzeichnung in der ursprünglichen Fassung.

Mit Schreiben vom 28. März 2002 nahm sie den Hilfsantrag auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung zurück.

Die Anmelderin vertritt die Ansicht, am Anmeldungsgegenstand seien neu sowohl die Auswerteelektronik als auch der Zündgenerator, um die Gasentladungsstrecke des Überspannungsableiters auch dann zu zünden, wenn der untere Transientenschwellwert, auf den der Überspannungsableiter fest eingestellt sei, nicht erreicht werde. Die Lösungsmerkmale, bei einem Überspannungsschutzsystem der gattungsgemäßen Art eine solche Auswerteelektronik vorzusehen und hierüber einen Zündgenerator zu steuern, der dem Überspannungsableiter eine ausreichende Zündspannung zur Verfügung stelle, sei aus den bislang zum Stand der Technik bekannt gewordenen Druckschriften nicht herleitbar. Auch die mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung eingeführte Literaturstelle H. Ungrad et al: "Schutztechnik in Elektroenergiesystemen, Grundlagen, Stand der Technik, Neuentwicklungen", Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1991, insbesondere die Seiten Inhaltsverzeichnis, 28, 32, 36, 37, 66, 81, 82, 272, 276, 278, könnten die Neuheit und die erfinderische Tätigkeit des Anmeldungsgegenstandes nicht in Frage stellen, da sich das Fachbuch mit "statischen" Schutzsystemen beschäftige (vgl Kapitel 5.2, Seite 66 ff), bei welchen die sogenannte Auslöselogik die zu schützende Einrichtung vom Versorgungsnetz abtrenne, und so die zu schützende Einrichtung spannungslos gemacht werde. Das anspruchsgemäße Überspannungsschutzsystem des Patentanspruchs 1 sei daher neu und beruhe auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II Die zulässige Beschwerde konnte keinen Erfolg haben, weil das Überspannungsschutzsystem des Patentanspruchs 1 auf keiner erfinderischen Tätigkeit im Sinne des § 4 PatG beruht.

Als Fachmann ist ein Fachhochschulingenieur der Fachrichtung Elektrotechnik mit mehrjährigen Berufserfahrungen insbesondere in der Entwicklung von Schutztechniken in elektrischen Systemen anzusehen.

Aus der englischsprachigen Zusammenfassung (Patents Abstract of Japan, E-877, January 23, 1990 Vol. 14/No. 36) der japanischen Offenlegungsschrift 1-268427 (A) ist in Übereinstimmung mit dem Anspruchsgegenstand ein Überspannungsschutzsystem für eine EMV-Schutzzone mit zumindest einem Überspannungsschutzgerät (1 bis 6) bekannt, das eine bei Überschreiten eines Spannungsgrenzwertes aktivierte Funkenstrecke 1 bis 3 eines zündbaren Überspannungsableiters (1 bis 5) aufweist (Constitution Satz 1 und 2). Vor und/oder in der Schutzzone ist ein nichtlinearer Widerstand 6 angeordnet, der auch unterhalb des Spannungsgrenzwertes liegende Transienten der Spannung erfaßt (Constitution Satz 3). Der nichtlineare Widerstand 6 löst ein Aktivierungssignal für einen Zündgenerator (booster 5) aus, wodurch der Zündgenerator 5 über die Elektrode 4 eine wenigstens dem Spannungsgrenzwert entsprechende Aktivierungsspannung auf die Funkenstrecke (2, 3) des Überspannungsschutzgerätes gibt (Constitution 2. Hälfte).

Mithin unterscheidet sich das Überspannungsschutzsystem des Patentanspruchs 1 von dieser bekannten Anordnung dadurch, daß anspruchsgemäß statt des nichtlinearen Widerstandes eine Auswerteelektronik verwendet wird.

Dieser Unterschied kann jedoch nicht patentbegründend sein, da diese Maßnahme im Rahmen des üblichen Könnens des Fachmanns liegt.

Ausgehend von dem Überspannungsschutzsystem, wie es aus dem englischsprachigen Abstrakt der japanischen Offenlegungsschrift 1-268427 (A) bekannt ist, wird der vor die Aufgabe gestellte Fachmann ein Überspannungsschutzsystem zu schaffen, bei dem man innerhalb der EMV-Schutzzone mit dem eine Funkenstrecke aufweisenden Überspannungsableiter auch dann auskommt, wenn energieschwächere Transienten abzuleiten sind, deren Energie zur Zündung des Überspannungsableiters nicht ausreicht, ohne erfinderische Überlegungen daran denken, statt des bekannten nichtlinearen Widerstandes eine Auswerteelektronik vorzusehen.

Denn aus dem Fachbuch "Schutztechnik in Elektroenergiesystemen" aaO, Seite 66 iVm Bild 5.1., auf das der Senat bei seiner Ladung zur mündlichen Verhandlung hingewiesen hat, ist dem Fachmann das Funktionsschema einer statischen Schutzeinrichtung bekannt, bei der die Meßsignale I (Strom) und U (Spannung) einer Auswerteelektronik zugeführt werden, die aus verschiedenen Modulen (1 bis 8) besteht. Der Fachmann erkennt aufgrund seines Fachwissens, daß er mit Hilfe dieser Auswerteelektronik - z.B. durch Änderung der eingestellten Grenzwerte (S 66 Abs 2 Z 7) - die Auslösebedingungen vielfältig einstellen kann und er diese Auswerteelektronik nicht nur bei statischen sondern auch bei dynamischen Schutzeinrichtungen einsetzen kann, dh daß er mit ihr statt eines Relais auch eine aktivierbare Funkenstrecke ansteuern kann. Es ist für ihn daher naheliegend, auch bei dem bekannten Überspannungsschutzsystem mit einem Überspannungsableiter eine derartige Auswerteelektronik statt des nichtlinearen Widerstandes einzusetzen, um auch aus energieschwächeren Transienten ein Signal zur Zündung des Überspannungsableiters abzuleiten.

Mithin ist der Fachmann ohne weiteres in der Lage, aufgrund seiner Fachkenntnisse die im Patentanspruch 1 angegebene Lehre zu realisieren. Man würde die Kenntnisse und Fähigkeiten des Fachmanns unterschätzen, würde man ihm solches Handeln nicht zutrauen.

Da das Überspannungsschutzsystem des Patentanspruchs 1 nicht patentfähig und der Patentanspruch 1 damit nicht gewährbar ist, teilen nach dessen Fortfall die darauf direkt oder indirekt rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 10 dessen Schicksal.

Die Durchführung der mündlichen Verhandlung hat der Senat insbesondere im Hinblick auf die neu ins Verfahren eingeführte Druckschrift als sachdienlich angesehen.

Dr. Kellerer Dr. Mayer Knoll Dr.-Ing. Kaminski Pr






BPatG:
Beschluss v. 03.04.2002
Az: 19 W (pat) 9/00


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/892bec21d498/BPatG_Beschluss_vom_3-April-2002_Az_19-W-pat-9-00




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