Landgericht Frankfurt am Main:
Urteil vom 20. Juni 2008
Aktenzeichen: 3/12 O 63/08

(LG Frankfurt am Main: Urteil v. 20.06.2008, Az.: 3/12 O 63/08)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Die Entscheidung des Landgerichts Frankfurt am Main vom 20. Juni 2008 mit dem Aktenzeichen 3/12 O 63/08 beinhaltet einen Tenor sowie einen Tatbestand und die Gründe für das Urteil. Der Tenor besagt, dass der Beschluss über eine einstweilige Verfügung vom 30.04.2008 aufgehoben und der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung vom 23.04.2008 abgewiesen wird. Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin und das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Antragstellerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung vermeiden.

Im Tatbestand wird beschrieben, dass die Antragstellerin ein Unternehmen ist, das Parfumprodukte herstellt und vertreibt. Sie besitzt eigene Markenrechte für die Parfums Lancaster und Joop! und exklusive Lizenzen für andere Marken. Die Antragsgegnerin betreibt eine Internet-Plattform, auf der Nutzer Waren zum Kauf anbieten können. Die Plattform ist werbefinanziert und erfordert keine Identitätsangaben der Anbieter. Die Antragstellerin stellt fest, dass auf der Plattform Parfums ihrer Marken angeboten werden, ohne dass Angaben zur Identität der Verkäufer gemacht werden.

Aufgrund eines Antrags der Antragstellerin wurde den Antragsgegnerinnen durch eine einstweilige Verfügung untersagt, Werbung für Parfums der genannten Marken zu veröffentlichen, wenn keine Angaben zur Identität der Verkäufer gemacht werden. Die Antragsgegnerinnen legten Widerspruch gegen den Beschluss ein. Die Antragstellerin argumentiert, dass die Antragsgegnerinnen als Teilnehmer an den Wettbewerbsverstößen der Verkäufer haften und dass sie eine Verkehrspflicht verletzen.

Die Antragsgegnerinnen argumentieren, dass sie nicht für die Verstöße der Verkäufer verantwortlich sind und dass sie keine Prüfungspflicht haben. Sie beantragen, die einstweilige Verfügung aufzuheben.

Die Gründe des Urteils beinhalten eine rechtliche Bewertung. Das Gericht stellt fest, dass die Antragsgegnerinnen als Teilnehmer an den Wettbewerbsverstößen haften könnten, jedoch keine Prüfungspflicht haben, solange es sich um erlaubte Teilnahme am geschäftlichen Verkehr handelt. Die Abwägung der betroffenen Interessen führt zu dem Ergebnis, dass die Antragsgegnerinnen keine Prüfungspflicht in Bezug auf die Anbieterkennzeichnungspflicht des Telemediengesetzes haben. Das Gericht lehnt daher den Erlass der einstweiligen Verfügung ab. Die Antragstellerin muss die Kosten des Verfahrens tragen.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils beruht auf den entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

LG Frankfurt am Main: Urteil v. 20.06.2008, Az: 3/12 O 63/08


Tenor

Der Beschluss - einstweilige Verfügung - vom 30,04.2008 wirdaufgehoben und der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügungvom 23.04.2008 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens hat dieAntragstellerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Antragstellerin kann die Vollstreckung durchSicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zuvollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht dieAntragsgegnerinnen vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicherHöhe leisten.

Tatbestand

Die Antragstellerin ist ein Unternehmen, das Parfumprodukte u. a. der Marken Lancaster, Davidoff, Joop!, Jil Sander, Chopard, Nikos, Calvin Klein, Lagerfeld, Jette Joop, Vivienne Westwood, und J.Lo/Jennifer Lopez herstellt und vertreibt. Für die Parfüms Lancaster und Joop! verfügt die Antragstellerin über eigene Markenrechte. In Bezug auf die weiteren Marken verfügt sie über exklusive Lizenzen.

Die Antragsgegnerin zu 2 ist unter der Domain €de Betreiberin einer Internet-Plattform, die ihren Nutzern die Möglichkeit eröffnet, Waren verschiedener Art zum Kauf anzubieten. Die Plattform ist für kostenlose Kleinanzeigen gedacht und ausschließlich werbefinanziert. Die Antragsgegnerin zu 1 betreibt das operative Geschäft. Die Antragsgegnerin zu 3 ist Inhaberin der Domain ...de . Um auf der Plattform der Antragsgegnerinnen eine Verkaufsofferte platzieren zu können, genügt die Angabe einer E-Mail-Adresse ohne jeden weiteren Hinweis auf die Identität des Anbietenden.

Anfang April 2008 stellte die Antragstellerin fest, dass von mehreren Anbietern auf der Website www€.de Parfüm und Kosmetik ihrer Marken angeboten wurden, ohne dass sich diesen Angeboten Angaben zur Identität der Verkäufer entnehmen ließen. Betroffen waren u. a. die Angebote mit den Nummern 39437421, 39436887, 39436997, 40353355, 40351303, 40351562, 40351683, 40353106, 40352968, 35620095 und 35620246.

Auf Antrag der Antragstellerin wurde den Antragsgegnerinnen durch Beschluss - einstweilige Verfügung - vom 30.4.2008 bei Ordnungsmittelandrohung untersagt,

Angebote gewerblicher Verkäufer für Parfüm der Marken Lancaster, Davidoff, Joop!, Jil Sander, Chopard, Nikos, Calvin Klein, Lagerfeld, Jette Joop, Vivienne Westwood und J.Lo/Jennifer Lopez auf der Website www€.de zu veröffentlichen und zu verbreiten, wenn in den Angeboten nicht der Name und die Anschrift des jeweiligen Verkäufers angegeben ist, insbesondere die Parfum-Angebote unter folgenden Anzeigennummern weiter zu veröffentlichen und zu verbreiten:

a. 39437421, 39436887, 39436997

b. 40353355, 40351303, 40351562, 40351683, 40353106, 40352968

c. 35620095, 35620246.

Die Antragsgegnerinnen haben gegen diesen Beschluss Widerspruch eingelegt.

Die Antragstellerin verteidigt die erlassene einstweilige Verfügung. Der Unterlassungsanspruch ergebe sich aus den §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i. V. m. § 5 Abs. 1 Nr. 1 TMG bzw. § 312 c Abs. 1 BGB. Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 TMG seien die gewerblichen Verkäufer - um solche handele es sich bei den streitgegenständlichen Offerten - verpflichtet, in ihren Angeboten den Namen und die Anschrift, unter der sie niedergelassen seien, leicht erkennbar verfügbar zu halten, bei juristischen Personen zusätzlich auch die Rechtsform und den Vertretungsberechtigten. Die Antragsgegnerinnen hafteten als Teilnehmer an den Wettbewerbsverstößen der durch die jeweiligen Anzeigennummern benannten Verkäufer nach § 4 Nr. 11 UWG. Sie seien sowohl über den Inhalt als auch über die Rechtswidrigkeit dieser Angebote inzwischen informiert. Es fehle deshalb nicht am Gehilfenvorsatz. Zusätzlich bestehe die täterschaftliche Haftung der Antragsgegnerinnen unter dem Aspekt der Verletzung einer wettbewerblichen Verkehrspflicht.

Die Antragstellerin beantragt,

den Beschluss - einstweilige Verfügung - vom 30.4.2008 zu bestätigen.

Die Antragsgegnerinnen beantragen,

unter Aufhebung der einstweiligen Verfügung vom 30.4.2008 den Antrag der Antragstellerin vom 23.4.2008 zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerinnen machen geltend, sie seien für den von der Antragstellerin behaupteten Verstoß gegen die Pflicht zur Anbieterkennzeichnung bestimmter Angebote auf www...de nicht verantwortlich. Zudem obläge ihnen hinsichtlich des behaupteten Wettbewerbsverstoßes mangels klar erkennbarer Rechtsverletzungen keine Prüfungspflicht. Eine unterstellte Prüfungspflicht wäre letztlich nicht zumutbar und sei im Übrigen weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht.

Wegen aller Einzelheiten des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze sowie auf die zu den Akten gereichten Anlagen und Glaubhaftmachungsmittel Bezug genommen.

Gründe

Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung ist zulässig, in der Sache nicht begründet. Der Beschluss - einstweilige Verfügung - vom 30.4.2008 ist deshalb aufzuheben und der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückzuweisen. Der Antragstellerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nach den §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i. V. m. § 5 Abs. 1 Nr. 1 TMG nicht zu.

Der BGH hat in der Entscheidung €Jugendgefährdende Medien bei eBay" GRUR 2007, 890 - 896) für das allgemeine Verhaltensunrecht den Ansatz für eine neue Haftungsgrundlage geschaffen. Wer durch sein Handeln im geschäftlichen Verkehr die ernsthafte Gefahr begründet, dass Dritte durch das Wettbewerbsrecht geschützte Interessen von Marktteilnehmern verletzen, ist auf Grund einer wettbewerblichen Verkehrspflicht dazu verpflichtet, diese Gefahr im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren zu begrenzen. Wer in dieser Weise gegen eine wettbewerbliche Verkehrspflicht verstößt, ist Täter einer unerlaubten Handlung.

Dieser Ausgangspunkt trifft auf die Antragsgegnerinnen grundsätzlich zu. Die von den Antragsgegnerinnen zu 1 und 2 unter €de betriebene Internet-Plattform für Kleinanzeigen begründet (auch) die Gefahr, dass Dritte durch das Wettbewerbsrecht geschützte Interessen von Marktteilnehmern verletzen, hier durch Verstoß gegen die allgemeinen Informationspflichten nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 TMG (Name und Anschrift der Diensteanbieter).

Der BGH hat in der Entscheidung Jugendgefährdende Medien bei eBay" aber auch ausgeführt, dass sich die wettbewerbliche Verkehrspflicht des Telediensteanbieters hinsichtlich rechtsverletzender fremder Inhalte als Prüfungspflicht konkretisiere. Voraussetzung einer Haftung des Telediensteanbieters sei daher eine Verletzung von Prüfungspflichten. Deren Bestehen wie Umfang richte sich im Einzelfall nach einer Abwägung aller betroffenen Interessen und relevanten rechtlichen Wertungen. Handele es sich - wie im Streitfall - um eine erlaubte Teilnahme am geschäftlichen Verkehr, dürften überspannte Anforderungen nicht gestellt werden; es komme darauf an, inwieweit dem in Anspruch Genommenen nach dem Umständen eine Prüfung zuzumuten sei.

Die vom BGH zu treffende Abwägung ging zu Lasten des Telediensteanbieters, weil mit dem Schutz von Kindern und Jugendlichen vor dem Inhalt jugendgefährdender Medien ein Rechtsgut von hoher Bedeutung betrogen war.

Der Streitfall betrifft die Verletzung der allgemeinen Informationspflicht (Anbieterkennzeichnungspflicht) nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 TMG. Die Verpflichtung zur Anbieterkennzeichnung des § 5 TMG zielt vornehmlich auf den Verbraucherschutz (Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, Kommentar, Rn. 2 zu § 5 TMG). Das Vertrauen des Verbrauchers in die Zuverlässigkeit des elektronischen Geschäftsverkehrs soll dadurch gefördert werden, dass er mit dem Diensteanbieter selbst in Kontakt treten kann, um alsbald Informationen von ihm zu erhalten (OLG Hamm NJW-RR 2004, 1045). Darum geht es der Antragstellerin im Streitfall nicht. Im Fall von Parfumfälschungen und/oder Markenverletzungen will sie sich durch die Inanspruchnahme der Antragsgegnerin die formellen Voraussetzungen dafür schaffen, ohne weitere Aufklärungsarbeit - wie etwa durch Testkäufe - den unmittelbar verletzenden konkurrierenden Inserenten problemlos dadurch in Anspruch nehmen zu können, dass die Antragsgegnerinnen bei jeder einschlägigen Offerte die Beachtung der Anbieterkennzeichnungspflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 1 TMG durch den Inserenten zu überprüfen haben. Damit verfolgt die Antragstellerin rein gewerbliche Interessen. Die erlaubte Teilnahme der Antragsgegnerin am geschäftlichen Verkehr verbietet es, ihr zur Durchsetzung dieser Interessen als €Quasi-Ordnungsbehörde" eine permanente Kontrollpflicht der Anbieter in Bezug auf § 5 Abs. 1 Nr. 1 TMG aufzuerlegen.

Die Internetplattform der Antragsgegnerinnen ist für kostenlose Kleinanzeigen bestimmt. Nach der Anlage AS 3 Blatt 2 befanden sich per 21.4.2008 auf der Plattform etwa 47.000 Angebote, darunter in der Rubrik €Kaufen/Verkaufen" 9527. Diensteanbieter unterliegen für Telemedien nur dann der Anbieterkennzeichnungspflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 1 TMG, wenn sie geschäftsmäßig angeboten werden. Die Abgrenzung von der rein privaten Tätigkeit kann im Einzelfall schwierig sein. Der Kontrollaufwand, der von der Antragsgegnerin zu 1 nach Erlass der einstweiligen Verfügung in Bezug auf Parfuminserate betrieben werden musste, ist in der eidesstattlichen Versicherung der W... H... vom 19.6.2008 (Anlage AG 6) beschrieben. Diese Gesichtspunkte haben in die zu treffende Abwägung einzufließen.

Bei Abwägung der betroffenen Interessen ist die von der Antragstellerin reklamierte Prüfungspflicht der Antragsgegnerinnen zu verneinen, mithin auch die Verletzung einer wettbewerblichen Verkehrspflicht und die Täterschaft einer unerlaubten Handlung.

Sollte auch nach der Entscheidung des BGH €Jugendgefährdende Medien bei eBay" im Bereich des allgemeinen Verhaltensunrechts die Haftungsgrundlage des wettbewerblichen Störerbegriffs weiterhin zur Anwendung kommen (vgl. zu dieser Problematik Urteil der Kammer vom 8.2.2008 - 3/12 0 171/07 -), so kann auch damit die Inanspruchnahme der Antragsgegnerinnen nicht begründet werden, weil auch diese Haftungsgrundlage die Verletzung einer Prüfungspflicht erfordert und diese zu verneinen ist.

Da die Antragstellerin unterliegt, hat sie die Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens zu tragen, § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 6, 711 Satz 1, Satz 2 ZPO.






LG Frankfurt am Main:
Urteil v. 20.06.2008
Az: 3/12 O 63/08


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/fe0476268221/LG-Frankfurt-am-Main_Urteil_vom_20-Juni-2008_Az_3-12-O-63-08




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