Landgericht Dortmund:
Urteil vom 18. Mai 2006
Aktenzeichen: 13 O 61/06 Kart.

(LG Dortmund: Urteil v. 18.05.2006, Az.: 13 O 61/06 Kart.)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Der Gerichtsbeschluss des Landgerichts Dortmund vom 18. Mai 2006 (Aktenzeichen 13 O 61/06 Kart) behandelt einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung und die Kostenentscheidung in einem Rechtsstreit zwischen der Klägerin und der Beklagten. Das Gericht weist den Antrag auf einstweilige Verfügung zurück und legt die Kosten des Verfahrens der Klägerin auf. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird ermöglicht, die Vollstreckung der Beklagten durch eine Sicherheitsleistung abzuwenden. Im Tatbestand wird erläutert, dass die Klägerin Sportwetten und Glücksspiele über das Internet anbietet und eine befristete Buchmacherlizenz aus Großbritannien besitzt. Die Beklagte ist eine nordrheinwestfälische Gesellschaft und veranstaltet Glücksspiele in Nordrhein-Westfalen. In der Vergangenheit wurde die Klägerin von der Beklagten wegen des Angebots von Sportwetten in Deutschland auf Unterlassung und Schadensersatz verklagt. Die Parteien einigten sich außergerichtlich auf einen Interims-Vergleich, der bestimmte Vereinbarungen zum Verbot des Angebots von Sportwetten in Deutschland enthält. Die Klägerin möchte nun aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2006, das das deutsche Sportwettenmonopol betraf, den Vergleich für nichtig erklären lassen und wieder Sportwetten in Deutschland anbieten. Die Beklagte hält den Vergleich weiterhin für wirksam und möchte dem Antrag der Klägerin auf einstweilige Verfügung widersprechen. Das Gericht entscheidet, dass der Vergleich rechtsgültig ist und besteht. Eine kartellrechtliche Privilegierung liegt vor, da die Fragen zur Rechtmäßigkeit des deutschen Sportwettenmonopols weiterhin umstritten sind. Das Verbot des Angebots von Sportwetten ohne behördliche Erlaubnis nach § 284 StGB besteht nach wie vor und ist nicht europarechtswidrig. Die Beklagte hat ein Unterlassungsanspruch gegenüber der Klägerin. Der Vergleich kann nicht fristlos gekündigt werden, es sei denn, es liegt eine nicht vorhersehbare Entwicklung der Sach- und Rechtslage vor, die das Festhalten am Vergleich unzumutbar macht. Das Gericht sieht einen solchen Fall nicht gegeben. Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

LG Dortmund: Urteil v. 18.05.2006, Az: 13 O 61/06 Kart.


Tenor

Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung wird zu-rückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Verfügungsklägerin auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Verfügungsklägerin wird nachgelassen, die Vollstre-ckung der Verfügungsbeklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwen-den, wenn nicht zuvor die Verfügungsbeklagte Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die zur M - Gruppe gehörende, in England ansässige Verfügungsklägerin bietet europaweit Sportwetten, Glücksspiele und Lotterien an über Wettbüros in England, Irland und Belgien und im Übrigen über das Internet. Ihr Direktor ist im Besitz einer bis zum 31.05.2006 befristeten Buchmacherlizenz nach dem britischen Wett-, Glücksspiel- und Lotteriegesetz.

Die Verfügungsbeklagte ist die nordrheinwestfälische Gesellschafterin des Deutschen Lotto- und Totoblocks, dem Verbund der 16 Lotteriegesellschaften der deutschen Bundesländer. Sie veranstaltet mit behördlicher Erlaubnis auf dem Gebiet des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen diverse Glücksspiele, u. a. die Sportwette zur festen Gewinnquoten "Oddset".

Die Verfügungsklägerin bot im Jahr 2003 erstmals auch in Deutschland Sportwetten über das Internet an. Sie wurde deswegen von der Verfügungsbeklagten im Verfahren 31 O 129/03 Landgericht Köln auf Unterlassung, Auskunft und Schadensersatz in Anspruch genommen. Die Parteien schlossen zur Beilegung des Rechtsstreits am 20.11.2003 außergerichtlich einen Interims-Vergleich, der wie folgt lautet:

"Präambel

Mit Klage vom 24.02.2003 hat WestLotto gegen M einen Anspruch dahin gehend geltend gemacht, dass es M bei Meidung der üblichen Ordnungsmittel zu unterlassen hat,

"1.

im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs in Deutschland, ohne über eine entsprechende Erlaubnis zu verfügen. Glücksspiele oder Lotterien, insbesondere gegen Entgelt Wetten aus Anlass von sportlichen Veranstaltungen und sonstigen Ereignissen wie nachfolgend wiedergegeben zu veranstalten und/oder anzubieten und/oder zu bewerben und/oder Anträge zur Beteiligung an solchen Glücks- oder Lotteriespielen entgegenzunehmen;

2.

M zu verurteilen, WestLotto Auskunft über die Umsätze zu erteilen, die mit oder aufgrund von Handlungen nach Ziff. 1 in Nordrhein-Westfalen erzielt wurden;

3.

festzustellen, dass M als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser aus den in Ziff. 1 beschriebenen Handlungen in Nordrhein-Westfalen bereits entstanden ist oder künftig noch entstehen wird;

4.

die Kosten des Rechtsstreits M aufzuerlegen."

Dieses Verfahren wird bei dem Landgericht Köln unter dem Aktenzeichen 31 O 129/03 geführt.

In der mündlichen Verhandlung wurde die Möglichkeit des Abschlusses eines "Interims-Vergleichs" erörtert, wonach sich M bis zu einer nachhaltigen Änderung derjenigen Verhältnisse, die für die Verurteilung maßgebend waren (§ 323 ZPO) verpflichtet, Bewerbung und Vertrieb der beanstandeten Glücksspiele in der Bundesrepublik Deutschland zu unterlassen und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, die ein Mitspiel vom Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland aus an den Glücksspielen und Lotterien von M nachhaltig und erfolgreich verhindern.

Zwischen den Parteien bestehen unterschiedliche Auffassungen dazu, ob bereits durch die Urteile des EuGH in den Sachen H und M2 vom 06.11. und 13.11.2003 (C-243/01 und C-42/02) eine Änderung der Verhältnisse eingetreten ist. Dennoch ist M zur Beendigung dieses Verfahrens zum Abschluss eines Vergleichs bereit. Zwischen den Parteien besteht jedoch Einigkeit, dass diesem Vergleich keinerlei über dieses Verfahren hinausreichende Aussagekraft zukommt, er insbesondere keine präjudizielle Wirkung für andere Verfahren in Deutschland oder anderen Orts zukommt.

Dies vorangeschickt, schließen die Parteien nachfolgenden Vergleich:

1.

M verpflichtet sich, es bei Meidung einer für jeden einzelnen Fall der schuldhaften Zuwiderhandlung an WestLotto zu zahlenden Vertragsstrafe in Höhe von 5.100,00 € zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs in Deutschland, ohne über eine entsprechende Erlaubnis zu verfügen, erlaubnispflichtige Glücksspiele oder Lotterien, insbesondere gegen Entgelt Wetten aus Anlass von sportlichen Veranstaltungen und sonstigen Ereignissen zu veranstalten und/oder anzubieten und/oder zu bewerben und/oder Anträge zur Beteiligung an solchen Glücks- oder Lotteriespielen entgegenzunehmen;

2.

zur Sicherstellung des Unterlassungsanspruchs gemäß Ziff. 1 bei der Bewerbung und dem Vertrieb über das Internet verpflichtet sich M, durch zumutbare Maßnahmen zu verhindern, dass Interessenten aus Deutschland an einem erlaubnispflichtigen Gewinn- oder Lotteriespiel teilnehmen können, wie dies in den USA und den Niederlanden derzeit oder zukünftig praktiziert wird.

3.

M ist berechtigt, diesen Vergleich mit einer Frist von drei Monaten zum Monatsende zu kündigen, wenn

3.1

aufgrund einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs oder des Bundesverfassungsgerichts abschließend festgestellt wurde, dass Genehmigungen bzw. Erlaubnisse zur Veranstaltung von Glücks- und/oder Lotteriespielen, die von Großbritannien oder allgemein einem beliebigen Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaft erteilt worden sind, entsprechende Wirkung auch in der Bundesrepublik Deutschland entfalten;

3.2

der Europäische Gerichtshof abschließend eine der o. g. Ziff. 3.1 entsprechende Entscheidung bezogen auf die Bundesrepublik Deutschland oder einen anderen Mitgliedssaat gefällt hat; oder

3.3

der Europäische Gerichtshof, das Bundesverfassungsgericht oder der Bundesgerichtshof eine Entscheidung dahin gehend gefällt hat, dass die Genehmigungspflicht gemäß den §§ 284, 287 StGB - gleich aus welchem Grunde - unwirksam ist oder verfassungskonform dahin auszulegen ist, dass sie sich auf bisher monopolisierte Bereiche nicht erstreckt,

3.4

der europäische Gesetzgeber und/oder der Bundes- und/oder Landesgesetzgeber erlassen oder ändern Rechtsvorschriften für das Angebot von Wetten und Lotterien dahingehend, dass gewerbliche Wett- oder Lotterieanbieter Wetten oder Lotterien anbieten oder bewerben dürfen, sofern sie auf dem Gebiet des jeweiligen Mitgliedstaates über eine entsprechende Genehmigung verfügen oder die ihnen in einem anderen Mitgliedsstaat der europäischen Gemeinschaften erteilte Genehmigung anerkannt werden muss oder gesetzlich geregelte Voraussetzungen erfüllen,

3.5

das Bundesverfassungsgericht erklärt das Lotterie- oder das Wettmonopol für verfassungswidrig. Das Kündigungsrecht entsteht in diesem Fall ab dem Zeitpunkt, ab dem das Angebot oder die Werbung nach Maßgabe der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder aufgrund dessen ergangener gesetzlicher Rechtsvorschriften zulässig wird (ggf. aufgrund der nach Maßgabe der Entscheidung und/oder Rechtsvorschriften erforderlichen Genehmigung),

3.6

der Bundesgerichtshof oder EuGH subsumieren bestimmte Wetten unter den Begriff der Geschicklichkeitsspiele,

3.7.

der Bundesgerichtshof oder eine strafrechtliche Berufungsinstanz bestätigen eine Erheblichkeitsschwelle (Einsatzhöhen- oder Verlusthöhenbegrenzung) oder Geringfügigkeitsgrenze, nach der erst der Glückspielbegriff erfüllt ist,

3.8

der Bundesgerichtshof oder der EuGH legen den Veranstaltungsort von Wett- oder Lotterieangeboten, die über das Internet angeboten werden, dahingehend aus, dass Ort der Veranstaltung nur der ist, an dem das Angebot in das Internet gestellt wird bzw. an dem der Veranstalter seinen Sitz hat,

3.9

sollte einer der vorstehenden Gründe nur einen der verbotenen Bereiche (z. B. Sportwetten) oder nur einen Teil eines Bereichs (z. B. Geschicklichkeitsspiele, Wetten mit einer bestimmten Einsatzhöhen- oder Verlusthöhenbegrenzung) betreffen, ist die Beklagte nur für diesen Bereich oder Teil eines Bereichs zur Kündigung der in den Ziffern 1 und 2 übernommenen Verpflichtungen berechtigt,

3.10

die Beklagte verpflichtet sich, die Klägerin über eine Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit gemäß Ziffer 1 dieser Vereinbarung unter Darlegung von Art und Umfang des geplanten Anbietens oder Bewerbens sechs Wochen vor der Wiederaufnahme schriftlich zu informieren,

4.

M verpflichtet sich, es zu unterlassen, an einem außerhalb der Bundesrepublik Deutschland belegenen Gericht eine negative Feststellungsklage gegen eine oder mehrere Gesellschaften des Deutschen Lotto- und Totoblocks anhängig zu machen, die die Frage der Berechtigung zur Veranstaltung von Glücks- oder Lotteriespielen in der Bundesrepublik Deutschland ohne Genehmigung gemäß §§ 284 ff. StGB in der Bundesrepublik Deutschland zum Gegenstand hat. Insoweit verzichtet M ausdrücklich auf die Erhebung einer solchen negativen Feststellungsklage gegen eine oder mehrere der vorbezeichneten Gesellschaften.

5.

WestLotto verzichtet auf die in der Klage vor dem Landgericht Köln (Az.: 31 O 129/03) geltend gemachten Auskunfts- und Feststellungsansprüche gemäß Ziff. 2. und 3. des Klageantrages.

6.

Die Kosten des Verfahrens vor dem Landgericht Köln - 31 O 129/03 - trägt M mit Ausnahme der Kosten dieses Vergleichs, die gegeneinander aufgehoben werden.

Die Verfügungsklägerin schaltete nach Abschluss des Vergleichs ihren deutschen Internetauftritt ab und nahm über ihre englischsprachige Internetseite keine Wetten von in Deutschland ansässigen Kunden mehr an.

Mit Anwaltsschreiben vom 21.04.2006 teilte die Verfügungsklägerin der Verfügungsbeklagten mit, sie beabsichtige auf dem Hintergrund der "Sportwetten" - Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28.03.2006, zur Fußballweltmeisterschaft 2006 auch in Deutschland wieder Glücksspiele und Sportwetten über das Internet anzubieten. Sie bat um Bestätigung, dass sie auch aus Sicht der Verfügungsbeklagten nicht mehr an den für kartellrechtswidrig gemäß Art. 81 EG und § 1 GWB erachteten Vergleich gebunden sei. Die Verfügungsbeklagte lehnte dies mit Anwaltsschreiben vom 26.04.2006 ab. Sie hielt die Rechtslage auch oder insbesondere nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts für unverändert und den Vergleich vom 20.11.2003 weder für nichtig noch kündbar. Zum Inhalt der vorgenannten Schreiben wird auf Blatt 135 bis 142 der Akten Bezug genommen.

Die Verfügungsklägerin verlangt mit der am 10.05.2006 eingegangenen Antragsschrift, der Verfügungsbeklagten im Wege einstweiligen Rechtsschutzes zu verbieten, sie aus dem Interims-Vergleich in Anspruch zu nehmen. Sie hält den Vergleich vom 20.11.2003 als wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung für kartellrechtswidrig. Die Voraussetzungen für eine kartellrechtliche Privilegierung seien mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts entfallen. Eine Klage der Verfügungsbeklagten gegen sie auf Unterlassung des Angebots von Sportwetten habe deswegen keine Aussicht auf Erfolg. Das deutsche Sportwettenmonopol verstoße gegen Art. 12 GG und Art. 49 EG, da es im gegenwärtigen zur Bekämpfung der Spielsucht nicht konsequent betriebenen Rahmen nicht mit Gemeinwohlerwägungen zu rechtfertigen sei. Ein staatlicher Konzessionsinhaber könne sich deswegen gegenüber einem über eine Glücksspiellizenz eines Mitgliedstaates verfügenden Anbieter nicht mehr über § 1 UWG in Verbindung mit § 284 StGB auf das Staatsmonopol berufen. Die vom Bundesverfassungsgericht dem deutschen Gesetzgeber gewährte Übergangsfrist bis zum 31.12.2007 sei für die Anwendung von Europarecht ohne Belang. Außerdem erfülle die Verfügungsbeklagte angesichts der nach wie vor aggressiv auf Gewinnung von Neukunden ausgerichteten Geschäftspolitik nicht die vom Bundesverfassungsgericht hierfür aufgestellten Anforderungen.

Der Erlass der einstweiligen Verfügung sei auch höchst eilbedürftig. Eine Klärung sei bis zum Beginn der Fußballweltmeisterschaft 2006 dringend erforderlich, da ihr andernfalls erhebliche, nicht mehr gut zu machende wirtschaftliche Nachteile drohten. In der Phase der Markteröffnung sei es für sie zwingend notwendig, sich am Markt zu positionieren. Die Fußballweltmeisterschaft als weltweit beachtetes sportliches Großereignis werde erhebliche Auswirkungen auf die Kundenbindung und die Bekanntheit der einzelnen Anbieter haben.

Die Verfügungsklägerin beantragt,

der Verfügungsbeklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verbieten, sie aus dem Interims-Vergleich auf Unterlassung in Anspruch zu nehmen, wenn sie in der Bundesrepublik Deutschland über das Internet Sportwetten anbietet.

Die Verfügungsbeklagte beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Die Verfügungsbeklagte hält den beantragten einstweiligen Rechtsschutz für unstatthaft, da mit ihm ein auf Feststellung der Nichtigkeit des Vergleichs gerichtetes Feststellungsurteil vorweggenommen werde. Es fehle zudem am Verfügungsgrund, da der Antrag nicht innerhalb der erforderlichen Monatsfrist, gerechnet ab dem Tag der im Internet veröffentlichten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gestellt worden sei. Die Verfügungsklägerin habe bereits am 28.03.2006 alle Umstände gekannt, die sie in die Lage versetzt hätten, gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die nunmehr vorgebrachten kartellrechtlichen Erwägungen könnten als reine Rechtsmeinung die Eilbedürftigkeit ohnehin nicht begründen, sondern hätten bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses erwogen werden müssen. Gleiches gelte für die seit Jahren bekannte Tatsache, dass die Fußballweltmeisterschaft in diesem Jahr in Deutschland stattfindet.

Die Verfügungsklägerin besitze zudem keinen Verfügungsgrund. Sie verkenne völlig, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Deutschland den Fortbestand des staatlichen Glücksspielmonopols fortgeschrieben habe. Die Karlsruher Verfassungshüter hätten festgestellt, dass das gewerbliche Veranstalten oder Vermitteln von Sportwetten durch Dritte, die nicht über die erforderliche landesrechtliche Erlaubnis verfügten, nach wie vor verboten sei. Das Verbot der privaten Veranstaltung von Sportwetten resultiere unmittelbar aus § 284 StGB, dessen Nichtigkeit das Bundesverfassungsgericht gerade nicht erklärt und dessen Anwendung es für die Ermittlung der Strafjustiz im Einzelfall der Rechtsprechung der Strafgerichte überlassen habe. Eine mögliche Europarechtswidrigkeit des staatlichen Sportwettenmonopols führe keineswegs zur Erlaubnisfreiheit, sondern sei nur bei Erteilung einer Erlaubnis zu berücksichtigen. Die uneingeschränkte Anwendbarkeit des § 284 StGB auf das Angebot aller nicht über eine landesrechtliche Erlaubnis verfügenden Sportwettenveranstalter gelte selbstverständlich auch für Anbieter, die in einem andern Land der EU zugelassen seien. Das Gemeinschaftsrecht sehe eine generelle Verpflichtung der Mitgliedsstaaten zur gegenseitigen Anerkennung von durch einen Mitgliedsstaat erteilten Erlaubnissen nicht vor. Ein verfassungsgemäßer Zustand könne durch den Gesetzgeber sowohl durch eine konsequente Ausgestaltung des Wettmonopols erreicht werden als auch durch eine gesetzlich normierte und kontrollierte Zulassung gewerblicher Veranstaltungen durch private Wettunternehmen. Wenn sich der Gesetzgeber für Letzteres entschließen würde, bedürfte es hierfür entsprechender gesetzlicher Normen und einer kontrollierten Zulassung, so dass auch in einer liberalisierten Sportwettenwelt die Erlaubnis eines EU-Staates für die Veranstaltung von Sportwetten in der Bundesrepublik Deutschland nicht ausreichen würde. Dem stehe der Grundsatz einer weitestgehend uneingeschränkten Dienstleistungsfreiheit als Grundgedanke des europäischen Rechts nicht entgegen, wie die Herausnahme des Glückspielwesens in den Vorschlägen zur zu verabschiedenden Dienstleistungsrichtlinie deutlich zeigten. Das Bundesverfassungsgericht habe zudem in seiner Entscheidung von seiner legislativen Kompetenz zur Regelung eines Übergangszeitraums unter ausdrücklicher Berücksichtigung europarechtlicher Implikationen Gebrauch gemacht und die legislative Umsetzung der vom Europarecht als zulässig angesehenen Ausgestaltung eines Monopolsystems für Sportwetten in Deutschland eingeleitet. Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts für die Aufrechterhaltung des bestehenden Wettmonopols würden durch sämtliche Gesellschafter des deutschen Toto- und Lottoblocks, auch durch sie, nach Maßgabe konkreter Weisungen der Aufsichtsbehörden zur Durchführung von Werbung und Vertrieb der Wettangebote erfüllt. Angesichts dessen finde Art. 81 EG-Vertrag und § 1 GWB überhaupt keine Anwendung. Beide Vorschriften setzten voraus, dass rechtmäßiger Wettbewerb bestehe, den es von Rechts wegen im Bereich des Wettmarktes in Deutschland nicht gebe.

Zur Ergänzung des Sach- und Rechtsstreits wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung war nicht zu entsprechen.

Die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ist gegeben nach Art. 2 EuGVVO. Ob die weiteren von der Beklagten geäußerten Zulässigkeitsbedenken greifen und ob die besondere Zulässigkeitsvoraussetzung der Eilbedürftigkeit gegeben ist, kann ausnahmsweise dahinstehen, da es schon am Verfügungsgrund fehlt. Der Verfügungsbeklagten kann ein wettbewerbsrechtliches Vorgehen gegen die Verfügungsklägerin auf Grund des Interims-Vergleichs - dies allein ist Streitgegenstand des Verfahrens - nicht verboten werden. Der Vergleich der Parteien ist nach anzuwendendem deutschen Recht wirksam zustande gekommen und hat noch heute Bestand.

Kartellrechtswidrigkeit der am 20.11.2003 zwischen den Parteien getroffenen wettbewerbsbeschränkenden Abrede nach § 1 GWB, Art. 81 EG liegt nicht vor. Vergleiche über einen wettbewerbsrechtlichen Anspruch unterfallen nicht den Kartellverboten der vorgenannten Vorschriften, wenn ein ernsthafter, objektiv begründeter Anlass zur Regelung des geltend gemachten Anspruchs besteht und die wettbewerbsbeschränkenden Abreden sich innerhalb der Grenzen halten, die bei objektiver Beurteilung ernsthaft zweifelhaft seien können (BGH, Urteil vom 22.07.1975, WuW-E, Seite 1385 (1386)). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der Streit der Parteien betrifft nicht nur die vom Bundesverfassungsgericht allein entschiedene Frage, ob das in Bayern nach Maßgabe des bayerischen Staatslotteriegesetzes bestehende staatliche Wettmonopol verfassungswidrig ist. Er erstreckt sich auch auf die Frage, ob die nationale Strafvorschrift des § 284 StGB und die ein Staatsmonopol begründenden Vorschriften des nordrheinwestfälischen Sportwettengesetzes verfassungs- und europarechtskonform sind. Letztlich fokussiert sich der Streit der Parteien auf die Frage, ob die vorhandene Buchmacherlizenz der Verfügungsklägerin nach englischem Recht bei gebotener europafreundlicher Auslegung einer als verfassungs- und europarechtskonform anzunehmenden Strafvorschrift des § 284 BGB eine ausreichende Erlaubnis darstellt. Alle diese Fragen sind höchstrichterlich nicht abschließend geklärt und, wie die von den Parteien vorgelegten zivilrechtlichen und verwaltungsrechtlichen Entscheidungen von Instanzgerichten und die Schlussanträge des Generalanwalts in den von italienischen Gerichten initiierten Vorlageverfahren zeigen, weiterhin höchst umstritten. In einer solchen Situation ist es aus kartellrechtlichen Gründen nicht zu beanstanden, wenn die rechtliche Unsicherheit, die sich auf das wettbewerbliche Verhalten der Parteien in erheblicher Weise auswirkt, durch die Parteien einvernehmlich geregelt wird, bis eine Klarheit schaffende höchstrichterliche Entscheidung vorliegt. Dabei ist ausreichend, wenn bei summarischer Prüfung das durch Vergleich beigelegte Begehren als begründet angesehen werden kann (Immenga/Mestmäcker, GWB, § 1 Rdnr. 301 f.; Lange Bunte, GWB, Rdnr. 232). Bei summarischer Prüfung der Rechtslage ist ein Unterlassungsanspruch der Verfügungsbeklagten der Verfügungsklägerin gegenüber nach §§ 3, 4 UWG in Verbindung mit § 284 StGB anzunehmen. Das in § 284 StGB enthaltene Verbot, ohne behördliche Erlaubnis keine Sportwetten anzubieten und durchzuführen, ist auch nach Auffassung der Parteien für sich nicht gemeinschaftsrechtswidrig. Eine mögliche Europarechtswidrigkeit der die strafrechtliche Vorgabe ausfüllenden einzelnen Landesvorschriften führt entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten nicht zur Erlaubnisfreiheit. Die Kammer folgt insoweit den überzeugenden Ausführungen des Oberlandesgerichts Köln in den von der Verfügungsbeklagten vorgelegten Entscheidungen, die unter Berücksichtigung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 28.03.2006 und des

EuGH im Urteil vom 06.11.2003 in Sachen H u. a. ergangen sind. Diese und die verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen des OVG Magdeburg, des Bayerischen Verwaltungsgericht München und des VG Düsseldorf zeigen, dass es zumindest vertretbar ist, zu postulieren, dass die Erlaubnis durch eine inländische zuständige Behörde zu erteilen ist. Dass auch andere Rechtsaufassungen vertreten werden (so der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen; Landgericht München I, Wistra 04, Seite 171 f., Barton/Gercke/Janssen, Wistra 04, Seite 321 (322 f.)) ist dabei unbeachtlich. Dies zeigt nur, dass die Rechtslage unklar ist und die Voraussetzungen für eine kartellrechtliche Privilegierung des Vergleichs vorgelegen haben und auch heute noch vorliegen.

Die Vergleichsvereinbarung der Parteien ist auch nicht durch Kündigung beendet. Die vertraglich vereinbarten Gründe für eine Kündigung unter Wahrung einer dreimonatigen Kündigungsfrist liegen allenfalls vor für eine Kündigung nach Zif. 3.5 des Vergleichs. Dies führt unter Berücksichtigung der nicht zu beanstandenden Fristenregelung zu einer Beendigung frühestens drei Monate ab Zugang des klägerischen Schreibens vom 21.04.2006. Ein Recht zur fristlosen Kündigung des Vergleichs besteht nicht. Die Parteien haben bei Abschluss des Vertrages eine Änderung der Rechtslage als möglich in Betracht gezogen und dies mit der ins einzelne gehenden Kündigungsregelung bedacht. Angesichts dessen kann nur eine nicht vorhergesehene Entwicklung der Sach- und Rechtslage dazu führen, dass ein Festhalten der Parteien an der vertraglichen Regelung für eine oder beide Seiten unzumutbar wird. Dass eine solche Entwicklung vorliegt, hat die Verfügungsklägerin nicht dargetan und ist auch nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Zif. 6, 711 ZPO.






LG Dortmund:
Urteil v. 18.05.2006
Az: 13 O 61/06 Kart.


Link zum Urteil:
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