Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 25. Februar 2008
Aktenzeichen: AnwZ (B) 17/07

(BGH: Beschluss v. 25.02.2008, Az.: AnwZ (B) 17/07)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Der Bundesgerichtshof hat in einem Beschluss vom 25. Februar 2008 (Aktenzeichen AnwZ (B) 17/07) über den Antrag einer Rechtsanwältin entschieden, ihr die Führung der Bezeichnung "Fachanwältin für Arbeitsrecht" zu gestatten. Die Antragsgegnerin hatte den Antrag der Rechtsanwältin zunächst zurückgewiesen, da diese ihrer Meinung nach nicht alle Voraussetzungen für die Fachanwaltsbezeichnung erfüllte. Der Anwaltsgerichtshof hatte diese Entscheidung jedoch aufgehoben und der Rechtsanwältin die Führung der begehrten Fachanwaltsbezeichnung gestattet. Dagegen richtete sich die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin.

Der Bundesgerichtshof entschied, dass die Rechtsanwältin die gesetzlichen Voraussetzungen für die Fachanwaltsbezeichnung erfüllt. Für die Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung sind besondere theoretische Kenntnisse und praktische Erfahrung erforderlich. Die Rechtsanwältin konnte nachweisen, dass sie die erforderlichen theoretischen Fähigkeiten besitzt. Obwohl sie ihren Antrag nicht im selben Jahr gestellt hat, in dem der Fachlehrgang endete, war sie nicht verpflichtet, einen zusätzlichen Fortbildungsnachweis zu erbringen. Für die Entscheidung über ihren Antrag galt noch die vorherige Rechtslage.

Außerdem konnte die Rechtsanwältin mehr als 100 Fallbearbeitungen nachweisen, wie es für die Fachanwaltsbezeichnung vorgeschrieben ist. Einige der von der Antragsgegnerin beanstandeten Fälle wurden jedoch nicht als anrechenbar angesehen, da sie sich mit sozialrechtlichen Einzelheiten befassen und keinen ausreichenden Bezug zum Arbeitsrecht haben. Der Bundesgerichtshof stimmte dem Anwaltsgerichtshof jedoch zu, dass einige dieser Fälle dennoch als anrechenbar anzusehen sind, da sie auch arbeitsrechtliche Fragen aufwerfen. Somit hat die Rechtsanwältin die erforderlichen 50 gerichtlichen oder rechtsförmlichen Fallbearbeitungen nachgewiesen.

Der Bundesgerichtshof bestätigte daher die Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs und verpflichtete die Antragsgegnerin, der Rechtsanwältin die Führung der Fachanwaltsbezeichnung zu gestatten. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus den entsprechenden gesetzlichen Regelungen.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

BGH: Beschluss v. 25.02.2008, Az: AnwZ (B) 17/07


Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofs Rheinland-Pfalz vom 10. November 2006 im Kostenpunkt geändert. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.

Gebühren und Auslagen werden in beiden Rechtszügen nicht erhoben. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die ihr in beiden Rechtszügen entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu ersetzen.

Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 12.500 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin ist seit dem 27. November 2001 im Bezirk der Antragsgegnerin als Rechtsanwältin zugelassen. Am 18. November 2005 beantragte sie bei der Antragsgegnerin, ihr die Führung der Bezeichnung "Fachanwältin für Arbeitsrecht" zu gestatten. Ihrem Antrag waren eine Bestätigung über ihre Teilnahme an einem Fachlehrgang, drei Originalklausuren und eine Fallliste mit 56 gerichtlichen und rechtsförmlichen sowie 60 außergerichtlichen Fällen beigefügt. Nach Beanstandungen der Antragsgegnerin legte sie eine ergänzte Fallliste vor, die 59 gerichtliche und rechtsförmliche und 72 außergerichtliche Fälle umfasste.

Die Antragsgegnerin hat den Antrag am 7. Juni 2006 mit der Begründung zurückgewiesen, dreizehn der gerichtlichen und rechtsförmlichen Fälle aus der ergänzten Liste könnten nicht berücksichtigt werden. Zwei Fälle beträfen im Eil- und Hauptsacheverfahren dieselbe Angelegenheit und könnten nur einmal gezählt werden. Zwei weitere Fälle gehörten zum Beamtenrecht und könnten für die Bezeichnung "Fachanwältin für Arbeitsrecht" nicht angerechnet werden. Die Anrechnung der restlichen zehn Fälle scheitere daran, dass es sich hierbei um sozialrechtliche Fälle handele, denen der notwendige Bezug zum Arbeitsrecht fehle. Auf den Antrag der Antragstellerin auf gerichtliche Entscheidung hat der Anwaltsgerichtshof die Antragsgegnerin verpflichtet, der Antragstellerin die Führung der beantragten Fachanwaltsbezeichnung zu gestatten. Dagegen richtet sich die von dem Anwaltsgerichtshof zugelassene sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin, deren Zurückweisung die Antragstellerin beantragt.

II.

Das nach § 223 Abs. 3 Satz 1 BRAO statthafte und auch sonst zulässige Rechtsmittel ist unbegründet. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die Führung der Bezeichnung "Fachanwältin für Arbeitsrecht" zu gestatten, weil sie die gesetzlichen Voraussetzungen dafür erfüllt.

1. Die Verleihung der Befugnis zur Führung der Fachanwaltsbezeichnung "Fachanwältin für Arbeitsrecht" setzt nach § 43c Abs. 1, § 59b Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe b BRAO i.V.m. § 1 Satz 1, § 2 Abs. 1 FAO besondere theoretische Kenntnisse in den in § 10 FAO bezeichneten Einzelbereichen und praktische Erfahrung voraus. Dazu muss die Antragstellerin nach § 5 Satz 1 Buchstabe c FAO persönlich und weisungsfrei als Rechtsanwältin mindestens 100 Fälle aus den in § 10 Nr. 1 und 2 FAO bestimmten Bereichen, davon mindestens fünf Fälle aus dem Bereich des § 10 Nr. 2 und mindestens die Hälfte gerichts- oder rechtsförmliche Verfahren bearbeitet haben.

2. Die Antragstellerin hat die danach erforderlichen theoretischen Fähigkeiten nachgewiesen. Sie hat zwar ihren Antrag nicht in demselben Jahr gestellt, in dem der Lehrgang endete. Das führte aber nicht dazu, dass sie zusätzlich noch einen Fortbildungsnachweis nach § 4 Abs. 2 FAO in der seit dem 1. Januar 2007 geltenden Fassung (des Beschlusses der 6. Sitzung der 3. Satzungsversammlung bei der Bundesrechtsanwaltskammer vom 3. April 2006, BRAK-Mitt. 2006, 168) zu erbringen hatte. Denn für die Bescheidung ihres Antrags gilt nach § 16 Abs. 1 FAO in der vorgenannten Fassung noch das bis dahin maßgebliche Recht, das dieses Erfordernis nicht vorsah.

3. Die Antragstellerin hat auch mehr als 100 Fallbearbeitungen in der von § 5 Satz 1 Buchstabe c Satz 1 FAO bestimmten Spezifikation nachgewiesen. Die Fallliste enthält zwar überwiegend Fallbearbeitungen aus dem Bereich des Individualarbeitsrechts. Der erforderliche Anteil von fünf Fallbearbeitungen aus dem Bereich des Kollektivarbeitsrechts kann aber nach § 5 Satz 1 Buchstabe c Satz 2 FAO auch mit Fallbearbeitungen aus dem Individualarbeitsrecht dargestellt werden, in denen das kollektive Arbeitsrecht eine nicht unerhebliche Rolle spielt. Das ist nicht erst dann der Fall, wenn die kollektivarbeitsrechtlichen Fragen im Mittelpunkt stehen; es genügt vielmehr, wenn das kollektive Arbeitsrecht für den Fall substanzielle Bedeutung hat (Senat, Beschl. v. 6. November 2000, AnwZ (B) 75/99, NJW 2001, 976, 977). Diese Voraussetzungen hat der Anwaltsgerichtshof zwar nicht ausdrücklich festgestellt. Die Antragsgegnerin hat sie indessen nicht in Zweifel gezogen. Sie sind mindestens bei den gerichtlichen und rechtsförmlichen Fallbearbeitungen zu Nr. 4, 14, 31, 39 und 42 sowie bei den außergerichtlichen Fallbearbeitungen zu Nr. 3, 32, 38, 50, 56 und 57 auch gegeben.

4. Die Antragstellerin hat auch mindestens 50 gerichtliche oder rechtsförmliche Fallbearbeitungen nachgewiesen.

a) Die berücksichtigungsfähige (dazu Offermann-Burckart, Fachanwalt werden und bleiben, 2. Aufl., Rdn. 538; vgl. auch Senat, Beschl. v. 18. Juni 2001, AnwZ (B) 41/00, NJW 2001, 3130, 3131) ergänzte Fallliste der Antragstellerin weist 59 Fallbearbeitungen aus. Diese meint die Antragsgegnerin allerdings nicht alle berücksichtigen zu können, weil sie nicht alle das Arbeitsrecht im Sinne von § 10 FAO beträfen. Für die Fallbearbeitungen zu Nr. 12 und Nr. 44 trifft das zu, weil es sich hierbei um Beamten- und nicht um Arbeitsrecht handelt. Es ist auch nicht zu beanstanden, wenn die Antragsgegnerin die Fallbearbeitungen zu Nr. 23 und Nr. 32 nur als eine Fallbearbeitung gezählt hat. Von den verbleibenden 56 Fallbearbeitungen hat die Antragsgegnerin aber weitere 10 ausgeschieden, weil sie dem Sozialrecht zuzuordnen seien und keinen Bezug zum Arbeitsrecht hätten. Diese Ansicht teilt der Anwaltsgerichtshof nicht. Nach seiner Ansicht lässt sich diese Einschränkung der Vorschrift des § 10 FAO nicht entnehmen. In der Sache selbst hält der Anwaltsgerichtshof allerdings nicht alle zehn streitigen Fallbearbeitungen für anrechnungsfähig, sondern nur die Fallbearbeitungen zu Nr. 35, 43, 45 und 48 der Fallliste. Damit erreichte die Antragstellerin 50 gerichtliche und rechtsförmliche Fallbearbeitungen.

b) Dem ist zwar nicht in der Begründung, wohl aber im Ergebnis zuzustimmen.

aa) Mit Fallbearbeitungen aus dem Bereich des Arbeitsförderungs- und des Sozialversicherungsrechts können die für den Erwerb der Fachanwaltsbezeichnung für das Fachgebiet Arbeitsrecht erforderlichen Fallbearbeitungen nur nachgewiesen werden, wenn sie einen inhaltlichen Bezug zum Arbeitsrecht haben.

(1) Das ergibt sich entgegen der Ansicht des Anwaltsgerichtshofs schon aus dem Wortlaut des § 10 Nr. 1 FAO. Diese Vorschrift legt, für sich genommen, nicht fest, welche Art von Fallbearbeitungen für die Fachanwaltsbezeichnung in dem Fachgebiet Arbeitsrecht zu erbringen sind. Ihr Zweck ist es vielmehr festzulegen, welchen Rechtsstoff das Fachgebiet Arbeitsrecht umfasst. Dem entspricht es auch, wenn die Vorschrift dem Teilbereich des Individualarbeitsrechts das Arbeitsförderungs- und das Sozialversicherungsrecht nicht als solches, sondern nur in seinen Grundzügen zuordnet. Wer die Fachanwaltsbezeichnung für Arbeitsrecht führen möchte, muss deshalb nachweisen, dass er das Arbeitsförderungs- und Sozialversicherungsrecht in den Grundzügen beherrscht. Der uneingeschränkten Verweisung in § 5 Satz 1 Buchstabe c Satz 1 FAO auf diese Vorschrift ist einerseits zu entnehmen, dass die nachzuweisenden Fallbearbeitungen auch diese Gebiete berühren können. Auf Grundzüge dieser Rechtsgebiete beschränken können sich solche Fallbearbeitungen andererseits aber nur, wenn sie einen Bezug zum Arbeitsrecht aufweisen.

(2) Nur dieses engere Verständnis entspricht auch dem Zweck der Verweisung in § 5 Satz 1 Buchstabe c FAO auf diese Vorschrift. Die Erwähnung des Arbeitsförderungs- und des Sozialversicherungsrechts in § 10 Nr. 1 FAO trägt im Wesentlichen den inhaltlichen Bezügen zwischen dem Arbeitsrecht einerseits und dem Arbeitsförderungs- und dem Sozialversicherungsrecht Rechnung. Ohne Grundkenntnisse in diesen beiden Rechtsgebieten kann der Fachanwalt für Arbeitsrecht seiner Aufgabe in vielen Fällen nicht gerecht werden. Sie haben aber für diese Fachanwaltsbezeichnung nur eine dienende Funktion. Die praktische Erfahrung auf dem Gebiet des Arbeitsrechts kann sinnvoll nur mit arbeitsrechtlichen Fällen nachgewiesen werden. Fälle aus dem Arbeitsförderungs- und dem Sozialversicherungsrecht können diesen Zweck nur erfüllen, wenn sie wenigstens einen arbeitsrechtlichen Bezug haben, bei ihnen also auch arbeitsrechtliche Fragen eine Rolle spielen.

(3) Diese Einschränkung verlangt auch die systematische Stellung der Regelung. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass die Fachanwaltsordnung in § 1 Satz 1 FAO nicht eine einheitliche Fachanwaltsbezeichnung für das Arbeits- und Sozialrecht, sondern für jedes dieser beiden Gebiete eine eigene Fachanwaltsbezeichnung mit unterschiedlichen Anforderungen (vgl. § 5 Satz 1 Buchstabe c i.V.m. § 10 FAO einerseits und § 5 Satz 1 Buchstabe d i.V.m. § 11 FAO andererseits) vorsieht. Das schließt zwar nicht von vornherein aus, dass eine Fallbearbeitung sowohl für die eine als auch für die andere Fachanwaltsbezeichnung angerechnet werden kann (vgl. dazu Offermann-Burckart, aaO, Rdn. 357). Voraussetzung hierfür ist aber, dass die Fallbearbeitung den Nachweis praktischer Erfahrungen auf beiden Fachgebieten erbringt. Das ist nur der Fall, wenn sie Bezüge zu beiden Fachgebieten hat. Andernfalls könnte ein Rechtsanwalt mit Fallbearbeitungen aus dem Arbeitsförderungs- und dem Sozialversicherungsrecht die Berechtigung zur Führung beider Fachanwaltsbezeichnungen erwerben. Das stellt die Einführung zweier verschiedener Fachanwaltsbezeichnungen im Bereich des Arbeits- und Sozialrechts in Frage. Vor allem aber entstünde bei dem rechtsuchenden Publikum der unzutreffende Eindruck, dass auch eine so erworbene Fachanwaltsbezeichnung ein Ausweis praktischer Erfahrung auch auf den Kerngebieten des Arbeitsrechts ist.

bb) Den erforderlichen inhaltlichen Bezug zum Arbeitsrecht lassen aber entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin nicht alle zehn von ihr beanstandeten Fallbearbeitungen vermissen. Er fehlt nur bei den Fallbearbeitungen, die sich mit den sozialrechtlichen Einzelheiten des Leistungsumfangs befassen. Anders liegt es dagegen bei den Fallbearbeitungen zu Nr. 35, 43, 45 und 48, die der Anwaltsgerichtshof zusätzlich anerkannt hat, und bei der von der Antragsgegnerin zurückgewiesenen Fallbearbeitung zu Nr. 41. Diese Fallbearbeitungen werfen nicht nur sozialrechtliche, sondern auch arbeitsrechtliche Fragen nach dem Bestand eines Arbeitsverhältnisses oder nach der Erwerbsfähigkeit des Arbeitnehmers auf. Sie sind deshalb geeignet, auch arbeitsrechtliche Expertise nachzuweisen. Rechnet man diese fünf Fallbearbeitungen den von der Antragsgegnerin anerkannten 46 Fallbearbeitungen hinzu, hat die Antragstellerin 51 gerichtliche oder rechtsförmliche Fallbearbeitungen nachgewiesen und damit die Anforderungen erfüllt. Ihr ist deshalb die Führung der Fachanwaltsbezeichnung "Fachanwältin für Arbeitsrecht" zu gestatten.

5. Auf die Frage, ob und bis zu welchem Zeitpunkt die Antragstellerin Fallbearbeitungen nachreichen könnte (dazu Offermann-Burckart, aaO, Rdn. 541 f.), kommt es nicht an.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 42 Abs. 6 Satz 2, 201 Abs. 2 und 3 BRAO, § 13a FGG. Dem Senat erschien es angemessen, der Antragsgegnerin auch die Erstattung der außergerichtlichen Auslagen der Antragstellerin aufzugeben.

Terno Schmidt-Räntsch Schaal Roggenbuck Wosgien Quaas Martini Vorinstanz:

AGH Koblenz, Entscheidung vom 10.11.2006 - 1 AGH 13/06 -






BGH:
Beschluss v. 25.02.2008
Az: AnwZ (B) 17/07


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