Bundespatentgericht:
Beschluss vom 29. April 2002
Aktenzeichen: 20 W (pat) 38/00

(BPatG: Beschluss v. 29.04.2002, Az.: 20 W (pat) 38/00)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Das Bundespatentgericht hat in dieser Entscheidung über eine Patentanmeldung im Bereich des elektronischen Zahlungsverkehrs entschieden. Die Anmeldung wurde vom Patentamt zurückgewiesen, da das Verfahren nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe. Der Anmelder beantragt daraufhin die Aufhebung des Beschlusses und die Erteilung des Patents auf der Grundlage eines veränderten Patentanspruchs. Das Patentamt hatte die Zurückweisung damit begründet, dass das Verfahren keine erfinderische Tätigkeit aufweise, da es bereits ähnliche Verfahren im Mobiltelefonbereich gebe. Das Bundespatentgericht kommt zu dem Schluss, dass das beantragte Verfahren zwar technischen Charakter hat, aber trotzdem nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht. Es handelt sich dabei um ein Verfahren zur Übertragung von Geldbeträgen von einem Zahlungsgeber an einen Zahlungsempfänger auf elektronischem Wege. Das Verfahren umfasst verschiedene Schritte, wie das Bereitstellen von Geldbeträgen, das Weitergeben eines Identifizierungscodes, das Überprüfen der Deckung des Zahlungsangebots und die Übertragung der Geldbeträge. Das Gericht stellt fest, dass das Verfahren zwar technisch ist, aber keine ausreichende erfinderische Tätigkeit aufweist. Es beruht weitgehend auf allgemeinem Fachwissen und ist naheliegend für einen Fachmann auf dem Gebiet. Das Gericht betont auch, dass nichttechnische Merkmale bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit nur dann berücksichtigt werden sollten, wenn sie einen technischen Bezug aufweisen. Schließlich ordnet das Gericht die Rückzahlung der Beschwerdegebühr an, da das Patentamt die Zurückweisung nicht ausreichend begründet hatte.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

BPatG: Beschluss v. 29.04.2002, Az: 20 W (pat) 38/00


Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.

GRÜNDE I.

Die Patentanmeldung wurde vom Patentamt - Prüfungsstelle für Klasse G 07 F - durch Beschluß vom 20. Juli 2000 mit der Begründung zurückgewiesen, weder das Verfahren noch die Karte gemäß ursprünglichem Anspruch 1 bzw. 16 beruhe im Hinblick auf den seit einigen Jahren beim Mobiltelefonieren bekannten Telefonkarten-Tarif (XTRA-Card) auf erfinderischer Tätigkeit.

Der Anmelder beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent zu erteilen auf der Grundlage eines Patentanspruchs 1, der sich ergibt aus den Patentansprüchen 6, 4 und 1 ursprünglicher Fassung, wobei die Vorrichtungsansprüche 16 bis 20 nicht aufrechterhalten bleiben.

Danach lautet der geltende Patentanspruch 1:

1. Verfahren für einen Geld- oder Vermögenstransfer von einem Zahlungsgeber an einen Zahlungsempfänger auf elektronischem Wege, insbesondere im Internet, das umfaßt - Bereitstellen von Geld- oder Vermögens-Einheiten von einem Anbieter an den Zahlungsgeber, denen ein personenunabhängiger Identifizierungscode, insbesondere eine Nummern- und/oder Zahlenkombination zugeordnet ist,

- Weitergabe des Identifizierungscodes und gegebenenfalls der Geld- oder Vermögens-Einheitengröße an den Zahlungsempfänger auf elektronischem Wege als Zahlungsangebot,

- Überprüfen der Deckung des Zahlungsangebotes durch den Zahlungsempfänger mit dem Anbieter auf elektronischem Wege,

- Transfer der Geld- oder Vermögens-Einheit vom Anbieter an den Zahlungsempfänger, falls Deckung vorliegt,

- Abbruch des Verfahrens, falls Deckung nicht vorliegt,

- Abwertung der entsprechenden Geld- oder Vermögens-Einheit,

- Bereitstellen der Dienstleistung und/oder Bestätigung der Zahlung von dem Zahlungsempfänger an den Zahlungsgeber auf elektronischem Wege, wobei die Geld- oder Vermögens-Einheiten einen Gegenwert in einer virtuellen Währung haben und die virtuelle Währung von mehreren Zahlungsempfängern akzeptiert wird, bevorzugt einen Standard für die Zahlungsempfänger, bevorzugt Internet-Provider, bildet.

Der Anmelder führt im wesentlichen aus, das nunmehr beanspruchte Verfahren mache deutlich, Anbieter und Zahlungsempfänger seien nicht identisch, und es seien mehrere Zahlungsempfänger vorgesehen. Damit liege der Stand der Technik nach den vom Senat eingeführten Druckschriften DE 6 93 05 690 T2 und US 4 706 275 weit ab. Das seiner Ansicht nach zweifelsfrei technische Verfahren beruhe somit auch auf erfinderischer Tätigkeit. An sich nichttechnische Merkmale im Patentanspruch seien nicht zu vernachlässigen, denn sie schlügen sich in technischen nieder; beispielsweise ergebe sich aus dem Hinweis auf "mehrere Zahlungsempfänger", daß mehrere Leitungsverbindungen vorhanden sein müßten.

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Patentanspruch 1 ist nicht gewährbar. Das beanspruchte Verfahren weist zwar technischen Charakter auf und fällt auch nicht unter einen Ausschlußtatbestand, jedoch beruht es - unter Berücksichtigung allein seines technischen Gehalts - nicht auf erfinderischer Tätigkeit, §§ 1, 4 PatG.

1. Das Verfahren nach Patentanspruch 1 ist technisch.

a) Das beanspruchte Verfahren betrifft den elektronischen Zahlungsverkehr ("Cyber Cash"): Ein Anbieter stellt Geldbeträge in bestimmten - aus Sicherheitsgründen nicht zu großen - Höhen einem "Zahlungsgeber" zur Verfügung. Jedem Betrag ist ein Identifizierungscode zugeordnet. Gemäß den - nun nicht mehr weiterverfolgten - ursprünglichen Patentansprüchen 16 bis 20 geschieht dies mit sogenannten Prepaidkarten, auf denen der Identifizierungscode aufgebracht und durch eine abrubbelbare Schicht abgedeckt ist.

Möchte der Zahlungsgeber eine Zahlung an einen von mehreren möglichen Zahlungsempfängern leisten, teilt er diesem die Identifizierungscodes der dafür erforderlichen Geldbeträge als "Angebot" mit. Der Zahlungsempfänger überprüft die Deckung des Angebots. Entsprechend dem Ergebnis dieser Prüfung wird das Verfahren abgebrochen oder werden die Geldbeträge an den Zahlungsempfänger unter Abbuchung ("Abwertung") der bereitgestellten Beträge übertragen.

Damit liegt eine Lehre zu planmäßigem Handeln zur Erreichung eines kausal übersehbaren Erfolges, nämlich Zahlung oder Abbruch, vor.

b) Mit Ausnahme der ersten Maßnahme, dem Bereitstellen von Geld-Einheiten, finden sämtliche Verfahrensschritte - einschließlich der Bereitstellung einer Dienstleistung oder der Bestätigung der Zahlung als abschließender Schritt - "auf elektronischem Wege" statt. In der Gesamtbetrachtung der beanspruchten Lehre tritt daher als prägende Anweisung - neben den geschäftlichen Inhalten - die programmtechnische Durchführung des Verfahrens mit einem Rechnersystem unter Verwendung eines Identifizierungscodes in den Vordergrund, mit dem Ziel eines sicheren elektronischen Zahlungsverkehrs (vergl. einleitende Zweckangabe im Patentanspruch und "Aufgabe" gemäß Anmeldungs-Offenlegungsschrift Sp 1 Z 66 bis Sp 2 Z2).

Damit verlangt das beanspruchte Verfahren auch den Einsatz beherrschbarer Naturkräfte, und der Gegenstand des Patentanspruchs ist folglich technischer Natur (BGH GRUR 1969, 672 - Rote Taube, zuletzt GRUR 2000, 498 - Logikverifikation).

Das nach dem Anspruch weiterhin noch erforderliche einleitende Eingreifen des Benutzers (Zahlungsgebers) nimmt dem beanspruchten Verfahren den technischen Charakter nicht, weil damit keine wertende Tätigkeit verbunden ist (BGH GRUR 2000, 1007 - Sprachanalyseeinrichtung; BPatG GRUR 2000, 408 - Gegensprechanlage, bestätigt durch BGH-Beschluß vom 20. November 2001, X ZB 3/00, Umbruch Seite 12). Der Zahlungsgeber löst das Verfahren aus, indem er den zu einem bereitgestellten Geldbetrag gehörenden Identifizierungscode auf elektronischem Wege an den Zahlungsempfänger weitergibt. Im Anschluß daran vollzieht sich der Ablauf programmtechnisch gesteuert ("auf elektronischem Wege") ohne weitere menschliche Eingriffe und unter Ausnutzung der Naturkräfte.

c) Das beanspruchte Verfahren ist kein Computerprogramm als solches; ebensowenig ist es ein Verfahren für eine geschäftliche Tätigkeit als solches oder ein Plan oder eine Regel hierfür (§ 1 Abs 2 Nr 3, Abs 3 PatG). Keiner dieser Gegenstände wird losgelöst von einer konkreten Umsetzung beansprucht. Die anspruchsgemäße Anweisung geht mit der sie - auch - prägenden Verwendung eines Identifizierungscodes und dessen Weitergabe an den Zahlungsempfänger über die bloße Bereitstellung eines Rechnersystems ("auf elektronischem Wege") hinaus und dient insoweit der Lösung des technischen Problems, den elektronischen Zahlungsverkehr sicher auszubilden (vergl. BGH Mitt. 2001, 553 = GRUR 2002, 143 - Suche fehlerhafter Zeichenketten). Außerdem wird der Aufwand an Software und Hardware gering gehalten (Anmeldungs-Offenlegungsschrift Sp 2 Z 41-45, Sp 3 Z 6-10), was sich gleichfalls als Lösung eines technischen Problems darstellt. Allein der Umstand, daß beim beanspruchten Verfahren - auch - geschäftliche Inhalte im Vordergrund stehen, kann ihm den erforderlichen Charakter einer technischen Erfindung nicht nehmen (vergl. EPA T 526/99 vom 22. 11. 2001, Entscheidungsgründe Nr. 4).

2. Das Verfahren nach Patentanspruch 1 beruht jedoch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Das beanspruchte Verfahren ergab sich, soweit es unter Berücksichtigung der Gesamtheit der beanspruchten Merkmale technisch ist, am Anmeldetag für den Computerfachmann in naheliegender Weise aus seinen allgemeinen Fachkenntnissen. Ob das Verfahren sogar bei voller Berücksichtigung aller nichttechnischen Bedeutungsinhalte nahegelegt war, kann daher dahinstehen.

a) Das beanspruchte Verfahren umfaßt Merkmale, bei deren Bedeutungsinhalten geschäftliche Gesichtspunkte im Vordergrund stehen. Hierzu gehören Geld, Vermögen, Vermögenstransfer, Zahlung, Deckung, virtuelle Währung (anstelle einer realen, wie Euro), Anbieter, Zahlungsgeber, Zahlungsempfänger und andere Begriffe, die - für sich betrachtet, also ohne ihren beanspruchten technischen Bezug - in ihrer Gesamtheit ein Verfahren für eine geschäftliche Tätigkeit, hier Zahlungsverkehr, umschreiben. Damit stellt sich die Frage, ob die beanspruchte Merkmalsgesamtheit einschließlich des jeweiligen Bedeutungsinhalts eines Merkmals auf Neuheit und erfinderische Tätigkeit zu prüfen ist, oder ob eine Gewichtung hinsichtlich des jeweiligen technischen Bezugs eines Merkmals geboten ist.

Solange einer Merkmalsgesamtheit die erfinderische Tätigkeit auch dann fehlt, wenn an sich nichttechnische Merkmale voll in die Beurteilung einbezogen werden (BPatG GRUR 1999, 1078 - Automatische Absatzsteuerung), kann diese Frage offenbleiben. Es sind jedoch auch Fälle denkbar, etwa bei einer computerimplementierten Geschäftsmethode, in denen die erfinderische Tätigkeit einzig in geschäftsspezifischen Maßnahmen ohne wechselwirkenden Bezug zur Technik zu sehen wäre.

b) Das Patentrecht wurde geschaffen, um durch Gewährung eines zeitlich beschränkten Ausschließlichkeitsschutzes neue, nicht nahegelegte und gewerblich anwendbare Problemlösungen auf dem Gebiet der Technik zu fördern (BGH zuletzt Mitt. 2001, 553 = GRUR 2002, 143 - Suche fehlerhafter Zeichenketten). Danach muß auch die erfinderische Leistung auf technischem Gebiet liegen.

Das bedeutet im Umkehrschluß, daß eine erfinderische Leistung, die nicht auf technischem Gebiet liegt, nicht als eine - zur Patentfähigkeit einer Erfindung erforderliche - erfinderische Tätigkeit im Sinne von § 1 Abs 1, § 4 PatG anzusehen ist.

So hat der BGH zu "Mauerkasten II" (GRUR 1987, 351 [353]) zustimmend die Ausführung des Sachverständigen wiedergegeben, eine günstige Marktlage vor den Mitbewerbern erkannt und dementsprechend eine "elegante" Lösung auf den Markt gebracht zu haben, sei das eigentliche Verdienst des Patentinhabers. Dieses beruhe auf einer klugen kaufmännischen Entscheidung, nicht dagegen auf einer über das konstruktivhandwerkliche Können des Durchschnittsfachmanns hinausgehenden Leistung.

In seiner Entscheidung "Computerträger" (GRUR 1990, 594 [596]) hat der BGH ausgeführt, die Vorgaben entsprechend den büroorganisatorischen Erfordernissen zu erkennen und sie in brauchbaren und preiswerten Erzeugnissen zu realisieren, sei in erster Linie ein wirtschaftliches Problem, das mit der jeweiligen Lage auf dem einschlägigen Markt zusammenhänge. Die Leistung habe deshalb darin gelegen, die aus der Bedienung der Geräte folgenden Notwendigkeiten vor den Mitbewerbern erkannt und eine entsprechende Lösung auf den Markt gebracht zu haben, die es platzsparend erlaube, bei ein und derselben Vorrichtung beliebig breite Tastaturen für Bildschirmgeräte zu verwenden und durch erhöhte Bewegungsfreiheiten der Tastaturhalterung den Anforderungen des Bedienungspersonals gerecht zu werden. Diese Leistung beruhe auf einer kaufmännischen Entscheidung, nicht hingegen auf einer über das konstruktivhandwerkliche Können des Durchschnittsfachmanns hinausgehenden erfinderischen Tätigkeit.

Zu "Elastische Bandage" (GRUR 1991, 120 [121]) hat der BGH zur Frage der Berücksichtigung von Markterfolg und Nachahmung durch Mitbewerber bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit einer Lehre zum technischen Handeln folgendes festgestellt. Eine in die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit einzubeziehende Hilfserwägung könne ein großer Markterfolg dann sein, wenn er auf einer sprunghaften (überraschenden) Bereicherung des Standes der Technik beruhe, hingegen nicht, wenn er auf ein erfolgreiches Marketing oder darauf zurückzuführen sei, daß ein Marktteilnehmer preisgünstiger als seine Mitbewerber produziere, weil er z.B. als erster auf am Markt angebotene, billigere Grundstoffe für sein Produkt zugegriffen habe. In gleicher Weise könne eine umfangreiche Nachahmung durch Mitbewerber als Hilfserwägung in die wertende Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit dann einzubeziehen sein, wenn sie darauf zurückzuführen sei, daß das neue Produkt den bisher am Markt angebotenen technisch deutlich überlegen sei und zurückverfolgt werden könne, daß die einschlägigen Fachfirmen überkommenen technischen Vorstellungen verhaftet geblieben seien und einen etwa zeitlich weit zurückreichenden Stand der Technik nicht aufgegriffen haben. Auf die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ohne Einfluß wäre demgegenüber, wenn ein die technische Lehre schließlich nahelegender Stand der Technik deswegen nicht zur Entwicklung eines marktfähigen Produkts geführt habe, weil es aus Preisgründen nicht absatzfähig gewesen sei. Denn das Verdienst, etwas im Stand der Technik Angelegtes als erster aufgegriffen und daraus einen Markterfolg gemacht zu haben, an den sich die Mitbewerber durch Nachahmung anhängen wollen, sei kein technisches, sondern ein kaufmännisches Verdienst.

Schließlich vermag auch nach der BGH-Entscheidung "Meßventil" (GRUR 1994, 36) die Überwindung eines wirtschaftlichen Vorurteils die erfinderische Tätigkeit im Sinne des § 1 Abs 1 PatG nicht zu begründen. Der wirtschaftliche Erfolg eines Produkts könne nur insoweit als Indiz für erfinderische Tätigkeit herangezogen werden, als er auf technischen Ursachen beruhe.

c) Zwar hat der BGH in seiner Entscheidung "Tauchcomputer" (GRUR 1992, 430 [432]) darauf hingewiesen, bei der Prüfung von Erfindungen, die Merkmale technischer Natur mit Merkmalen nichttechnischer Art verknüpften, auf erfinderische Tätigkeit müsse der gesamte Erfindungsgegenstand unter Einschluß einer etwaigen Rechenregel berücksichtigt werden. Es dürfe der Erfindungsgegenstand nicht zerlegt und dann nur der Teil der Erfindung auf erfinderische Tätigkeit, d.h. Naheliegen, geprüft werden, der aus den technischen Merkmalen bestehe. Im entschiedenen Fall hatte aber die Rechenregel Tauchtiefen und Tauchzeiten, also technische Größen zum Inhalt. Eine Verallgemeinerung der in "Tauchcomputer" getroffenen Aussage zum Umgang mit Merkmalen nichttechnischer Art im Patentanspruch auf beliebige Fälle, in denen die Rechenregel nichttechnische Größen betrifft - etwa, wie im vorliegenden Fall, Geldbeträge - läßt sich aus dieser Entscheidung nicht begründen.

Demgemäß hat der BGH in seiner jüngeren Entscheidung "Sprachanalyseeinrichtung" (a.a.O.) die Frage aufgeworfen, inwieweit Elemente, die die inhaltliche Überarbeitung eines Textes betreffen, die als solche nicht ohne weiteres dem Bereich des Technischen zuzuordnen sei, bei der Prüfung der Schutzfähigkeit zu berücksichtigen seien. Er ließ diese Frage aber offen, weil sie sich im entschiedenen Fall nicht stellte. Allerdings widerspreche die "völlige Nichtberücksichtigung" von nichttechnischen Erkenntnissen, die einem Anmeldungsgegenstand zugrunde lägen, den von der Rechtsprechung zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit bei Erfindungen auf dem Gebiet der Datenverarbeitung entwickelten Grundsätzen. Im Gesamtzusammenhang der Entscheidungsgründe mag in dieser Feststellung die Betonung auf "völlige" zu legen sein, also eine Gewichtung weitreichenden Umfangs in Betracht kommen.

d) Eine Technische Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts hat in der Entscheidung "Steuerung eines Pensionssystems/PBS PARTNERSHIP" (GRUR Int. 2002, 87 = ABl EPA 2001, 441) zur dort beanspruchten Erfindung ausgeführt, die Verbesserung, die mit der anmeldungsgemäßen Erfindung erzielt werden solle, sei im wesentlichen wirtschaftlicher Art, betreffe also das Gebiet der Wirtschaft, und könne somit nichts zur erfinderischen Tätigkeit beitragen. Die erfinderische Tätigkeit müsse daher aus der Sicht eines Software-Entwicklers oder Anwendungsprogrammierers als einschlägiger Fachmann beurteilt werden, der das Konzept und die Struktur des verbesserten Pensionssystems und die zugrundeliegenden Pläne zur Informationsverarbeitung kenne, wie sie in den Verfahrensansprüchen dargelegt seien. Da die technischen Merkmale der beanspruchten Vorrichtung durch genau die Schritte der Informationsverarbeitung funktionell definiert würden, die zum Wissensstand des Fachmanns gehörten, und die Anwendung von Computersystemen im Bereich der Wirtschaft am Prioritätstag der Anmeldung bereits allgemein üblich gewesen sei, müsse dem beanspruchten Gegenstand eine erfinderische Tätigkeit abgesprochen werden.

Mithin wird in dieser Entscheidung der nichttechnische Anspruchsinhalt, nämlich Konzept und Struktur eines verbesserten Pensionssystems, dem Fachmann als bekannt, also dem Stand der Technik zugehörend, angenommen und so sein Beitrag zur erfinderischen Tätigkeit erheblich verringert. Diesem Ansatz vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Nach der Legaldefinition umfaßt der Stand der Technik - soweit er für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit in Betracht kommt - alle Kenntnisse, die vor dem für den Zeitrang der Anmeldung maßgeblichen Tag durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benutzung oder in sonstiger Weise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind, § 3 Abs 1 Satz 2 PatG. Diese allgemeine und abschließende Festlegung erlaubt keine Fiktion derart, daß manche Zusammenhänge, hier aus wirtschaftlichem Bereich, bekannt seien.

In einer anderen Entscheidung derselben Beschwerdekammer, Beschl. v. 23. 4. 1999, T 619/98, wurde die Verwendung eines Geräts mit einer Benutzerführung zur Anzeige der Ursache eines Fehlers eines Fernsehempfängers als nicht neu angesehen, weil der einzige Unterschied zum Stand der Technik der Inhalt der auf dem Bildschirm dargestellten Mitteilung war und dieser Inhalt keinerlei technischen Effekt erzeugte.

e) Am 20. Februar 2002 hat die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie über die Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen vorgelegt (http://europa.eu.int/internal_market/en/indprop/index.htm). Nach diesem Vorschlag gilt eine computerimplementierte Erfindung zwar als einem Gebiet der Technik zugehörig, Art. 3, die erfinderische Tätigkeit setze jedoch einen "technischen Beitrag" zum Stand der Technik voraus, der für eine fachkundige Person nicht naheliegend sei, Art 2 lit b, Art. 4 Nr 2. Bei der Ermittlung des technischen Beitrags sei zu beurteilen, inwieweit sich der Gegenstand des Patentanspruchs in seiner Gesamtheit, der sowohl technische als auch nichttechnische Merkmale umfassen könne, vom Stand der Technik abhebe.

f) Aus Sinn und Zweck des Patentgesetzes und den vorstehend aufgegriffenen Entscheidungen des BGH und des EPA zieht der Senat - insoweit in Übereinstimmung mit den tragenden Erwägungen des Richtlinienentwurfs - die Folgerung, daß eine erfinderische Tätigkeit im Sinne von § 1 Abs 1, § 4 PatG nur auf einem technischen Beitrag zum Stand der Technik beruhen kann. Zur Ermittlung des technischen Beitrags darf allerdings der beanspruchte Erfindungsgegenstand nicht zerlegt und dann nur der Teil der Erfindung auf erfinderische Tätigkeit, d.h. Naheliegen, geprüft werden, der aus den technischen Merkmalen besteht. Vielmehr ist der Gegenstand des Patentanspruchs in seiner Gesamtheit unter Einschluß der an sich nichttechnischen Merkmale zur Ermittlung des technischen Beitrags zu berücksichtigen.

Danach bleiben untechnische Bedeutungsinhalte bei der Prüfung auf Neuheit und erfinderische Tätigkeit außer Betracht, sofern sie keinen technischen Bezug aufweisen und auch mittelbar nicht zur Umschreibung eines technischen Merkmals des beanspruchten Gegenstands beitragen. Zur Sicherstellung der notwendigen Gesamtbetrachtung erscheint es angezeigt, zunächst den beanspruchten Gegenstand in seinem vollständigen technischen Inhalt zu erfassen und erst danach im Rahmen der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit einen Vergleich mit dem Stand der Technik durchzuführen.

Eine derartige Gewichtung von Anspruchsmerkmalen, die von vollinhaltlicher Berücksichtigung bis zur Unbeachtlichkeit reichen kann, ist bei der Festlegung eines auf Patentfähigkeit zu prüfenden Gegenstands schon bisher nichts Ungewöhnliches. So wirken in einem Sachanspruch Zweckangaben meist nicht beschränkend (BGH GRUR 1979, 149 - Schießbolzen), ebenso Angaben zu Meßverfahren (BGH GRUR 1992, 375 - Tablettensprengmittel), Angaben zur Auswahl (BGH GRUR 1998, 1003 - Leuchtstoff) und Herstellungsangaben (BGH GRUR 2001, 1129 - Zipfelfreies Stahlband). Hinzu kommt, daß die Prüfung auf erfinderische Tätigkeit ein Akt wertender Entscheidung ist (BGH GRUR 1995, 330 - Elektrische Steckverbindung) und dabei in der Regel Gewichtungen vorgenommen werden müssen.

g) Für das vorliegend beanspruchte Verfahren ergibt sich danach Folgendes.

Ohne fakultative Angaben und mit Berücksichtigung von jeweils nur einer Variante bei Formulierungen mit "und/oder" ergibt sich als Fassung des Anspruchs 1:

1. Verfahren für einen Geldtransfer von einem Zahlungsgeber an einen Zahlungsempfänger auf elektronischem Wege, das umfaßta) Bereitstellen von Geld-Einheiten von einem Anbieter an den Zahlungsgeber, denen ein personenunabhängiger Identifizierungscode zugeordnet ist, b) Weitergabe des Identifizierungscodes an den Zahlungsempfänger auf elektronischem Wege als Zahlungsangebot, c) Überprüfen der Deckung des Zahlungsangebotes durch den Zahlungsempfänger mit dem Anbieter auf elektronischem Wege, d) Transfer der Geld-Einheit vom Anbieter an den Zahlungsempfänger, falls Deckung vorliegt, e) Abbruch des Verfahrens, falls Deckung nicht vorliegt, f) Abwertung der entsprechenden Geld-Einheit, g) Bestätigung der Zahlung von dem Zahlungsempfänger an den Zahlungsgeber auf elektronischem Wege, h) wobei die Geld-Einheiten einen Gegenwert in einer virtuellen Währung haben und die virtuelle Währung von mehreren Zahlungsempfängern akzeptiert wird.

aa) Eine vollinhaltliche Berücksichtigung aller Merkmale im Anspruch kommt nicht in Betracht. Die Merkmale des Zahlungsverkehrs an sich sind weitgehend auch ohne Einsatz eines Rechnersystems sinnvoll und nicht auf die Möglichkeiten der Datenverarbeitung derart spezifisch abgestimmt, daß sie selbst als technisch einzustufen wären.

Der beanspruchte Zahlungsverkehr als solcher bedeutet, daß zunächst ein Anbieter einem Zahlungsgeber Gutscheine bereitstellt, die mit Ziffernfolgen (personenunabhängiger Identifizierungscode) versehen sind. Der Zahlungsgeber gibt an einen Empfänger die Ziffernfolge (schriftlich oder mündlich) weiter als Zahlungsangebot, der Zahlungsempfänger überprüft (schriftlich oder mündlich) die Deckung beim Anbieter und bricht bei fehlender Deckung das Verfahren ab. Andernfalls löst er den Gutschein ein mit entsprechender "Abwertung" beim Anbieter und bestätigt schriftlich die Zahlung. Der Gutschein ist eine virtuelle Währung und kann von mehreren Zahlungsempfängern akzeptiert werden.

Diese Art des Zahlungsverkehrs mag neu sein und auch nicht naheliegen; sie ist aber ohne weiteres ohne elektronische Hilfsmittel - von der Zweckmäßigkeit eines Telefons abgesehen - praktikabel.

bb) Rückgeführt auf den technischen Gehalt bedeutet "Geld-Einheit" lediglich Information, die wegen "virtueller Währung" nicht einmal an eine Quantität gebunden ist (zur Bedeutung der virtuellen Währung vergl. die Anmeldungs-Offenlegungsschrift Sp 3 Z 34 - 39: Werbeeffekte oder Bindung an Ware oder Dienstleistung). "Zahlungsangebot" bedeutet dann eine Mitteilung über das Vorhandensein einer Information, "Deckung" bedeutet Vorhandensein, "Abwertung" bedeutet Löschung und "Zahlung" heißt Erhalt der Information. Der "Anbieter" ist technisch gesehen die Zentrale eines Computersystems, der "Zahlungsgeber" ist ein Endgerät erster Art, und die "Zahlungsempfänger" sind Endgeräten einer zweiten Art gleichzusetzen.

Danach ergibt sich für die vorstehende Anspruchsvariante als technischer Inhalt:

1. Verfahren zur Informationsübertragung in einem Computersystem mit einer Zentrale und mehreren Endgeräten, das umfaßta) Bereitstellen von Informationen in einem zentralen Schreib-Lese-Speicher, denen jeweils ein personenunabhängiger Identifizierungscode zugeordnet ist, und Mitteilung der Identifizierungscodes an ein Endgerät erster Art, b) Weitergabe des Identifizierungscodes an ein Endgerät zweiter Art als Mitteilung des Vorhandenseins einer Information im zentralen Speicher, c) Überprüfen des Vorhandenseins der Information im zentralen Speicher durch das Endgerät zweiter Art, d) Übertragung der Information, falls vorhanden, vom zentralen Speicher an das Endgerät zweiter Art, e) Abbruch des Verfahrens, falls die Information nicht vorhanden ist, f) Löschung der entsprechenden Information im zentralen Speicher, g) Meldung des Erhalts der Information vom Endgerät zweiter Art an das Endgerät erster Art, h) wobei mehrere Endgeräte zweiter Art vorgesehen sind.

cc) Computersysteme mit zentralen Schreib-Lese-Speichern und mehreren Endgeräten sowie Zugriffsfestlegungen für den Speicher, die insbesondere von den Endgeräten her unterschiedlich sein können, sowie damit verbundenen Meldungen und Informationsübertragungen gehörten am Anmeldetag zu den allgemeinsten Grundkenntnissen des Computerfachmanns mit Hochschul- oder Fachhochschulausbildung und Erfahrung im praktischen Einsatz komplexerer Systeme. Hierzu gehört auch die Verwendung von - personenunabhängigen - Identifizierungscodes, die hinsichtlich des Zugriffs auf den Speicher im einfachsten Fall von den Speicheradressen gebildet werden, je nach Sicherheitsanforderungen des Einsatzfalles aber auch aufwendigere Codes sein können.

Wie das Verfahren der Informationsverarbeitung im einzelnen auszubilden ist, wird einerseits durch die Anforderungen des jeweiligen Anwendungsfalles bestimmt, die der Fachmann routinemäßig umsetzt, und liegt andererseits weitgehend im Belieben des Fachmanns. So mag es sein, daß gemäß Merkmal a) Informationsinhalte im weiteren Sinne, etwa zu erledigende Arbeiten oder auszuführende Aufträge, zentral abgelegt und die zugehörenden Identifizierungscodes an den Nutzer eines bestimmten Endgeräts mitgeteilt werden, der über die Erledigung der Arbeiten oder Aufträge seitens der Nutzer mehrerer (Merkmal h) anderer Endgeräte - oder durch diese Endgeräte automatisch - entscheidet. Als Folge davon ergeben sich die Maßnahmen nach den Merkmalen b) bis g) ohne weiteres als zweckmäßig, wenn es auch im Belieben liegen mag, den Überprüfungsschritt nach Merkmal c) nicht vorzunehmen und den Abbruch des Verfahrens an die Bedingung zu knüpfen, daß beim Schritt d) kein Informationsinhalt im Sinne einer Arbeit oder eines Auftrags übertragen wurde.

3. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist durch die Frage veranlaßt, wie an sich nichttechnische Merkmale eines beanspruchten Gegenstands bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit zu berücksichtigen sind (§ 100, Abs 2 Nr 2 PatG).

4. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr war anzuordnen, weil es der Billigkeit entspricht, § 80 Abs 3 PatG. Die Prüfungsstelle hat die Zurückweisung der Anmeldung auf die Kenntnis spezieller Merkmale des Telefonkarten-Tarifs gemäß "XTRA-Card" gestützt, ohne diese Kenntnis als zum Stand der Technik gehörend zu belegen und damit für den Anmelder nachprüfbar zu machen (BPatGE 30, 250).

Dr. Anders Obermayer Dr. Hartung Dr. van Raden Be






BPatG:
Beschluss v. 29.04.2002
Az: 20 W (pat) 38/00


Link zum Urteil:
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