Bundespatentgericht:
Beschluss vom 9. September 2004
Aktenzeichen: 17 W (pat) 309/04

(BPatG: Beschluss v. 09.09.2004, Az.: 17 W (pat) 309/04)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Das Bundespatentgericht hat mit seinem Beschluss vom 9. September 2004 das Patent 100 26 853 widerrufen. Gegen das Patent wurden drei Einsprüche erhoben, da der Gegenstand des Patents nach § 21 Abs 1 Nr 1 PatG in Verbindung mit §§ 3, 4 PatG nicht patentfähig sei. Die Einsprechenden argumentieren, dass der Gegenstand des Patents durch verschiedene Kombinationen der entgegengehaltenen Druckschriften nahegelegt sei. Zusätzlich behauptet Einsprechende II, dass der Patentgegenstand nicht neu sei. Die Einsprechenden beantragen deshalb den vollen Widerruf des Patents, während die Patentinhaberin den Antrag stellt, das Streitpatent aufrechtzuerhalten. Das Gericht beurteilt die Einsprüche als zulässig und entscheidet zugunsten der Einsprechenden. Es kommt zu dem Schluss, dass das Verfahren nach dem Patentanspruch 1 aus dem entgegengehaltenen Stand der Technik nahegelegt ist und somit nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht. Das Verfahren unterscheidet sich lediglich in dem Austausch der Informationen, der durch den WAP-Standard erfolgt. Die Patentinhaberin argumentiert, dass die Nutzung des WAP-Standards für die Ausführung von Spielen an einem Mobilfunkgerät nicht naheliegend sei und verteidigt ihr Patent. Das Gericht widerspricht jedoch dieser Auffassung und erklärt, dass der Einsatz des WAP-Standards dem Fachmann durch eine entgegengehaltene Druckschrift nahegelegt wurde. Das Patent wird deshalb widerrufen. Da ein Patentantrag nur einheitlich entschieden werden kann, werden auch der nebengeordnete Anspruch 4 sowie die jeweiligen Unteransprüche 2 und 3 sowie 5 und 6 nicht rechtsbeständig erklärt.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

BPatG: Beschluss v. 09.09.2004, Az: 17 W (pat) 309/04


Tenor

Das Patent 100 26 853 wird widerrufen.

Gründe

I.

Auf die am 31. Mai 2000 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingegangene Patentanmeldung 100 26 853.6-35 wurde ein Patent mit der Bezeichnung

"Verfahren zum Ausführen und Konfigurieren eines Spiels und Spiele-Servereinrichtung"

erteilt. Veröffentlichungstag der Patenterteilung ist der 14. August 2003.

Gegen das Patent sind drei Einsprüche erhoben worden mit der Begründung, dass der Gegenstand des Patents nach § 21 Abs 1 Nr 1 PatG in Verbindung mit §§ 3, 4 PatG nicht patentfähig sei.

Die Einsprechenden I, II und III vertreten die Auffassung, dass der Gegenstand des Patents durch mehrere Kombinationen der entgegengehaltenen Druckschriften nahegelegt sei, die Einsprechende II vertritt außerdem die Auffassung, dass der Patentgegenstand nicht neu sei.

Die Einsprechenden stellen den Antrag, das Streitpatent in vollem Umfang zu widerrufen.

Die Patentinhaberin beantragt, das Streitpatent aufrechtzuerhalten.

Nach ihrer Auffassung besteht die wesentliche Leistung des Patentgegenstands in der Nutzung des WAP-Standards für die Ausführung von Spielen an einem Mobilfunkgerät. Sie hält die Nutzung dieses Standards zu diesem Zweck für weder durch den entgegengehaltenen Stand der Technik vorweggenommen noch nahegelegt. Sie verteidigt ihr Patent in der erteilten Fassung.

Der Anspruch 1 und der nebengeordnete Anspruch 4 des Streitpatents lauten:

"1. Verfahren zum Auswählen und Konfigurieren wenigstens eines Spiels, welches in einer Speichereinrichtung einer Spiele-Servereinrichtung (2) so gespeichert ist, daß es mit Hilfe von Prozessormitteln der Spiele-Servereinrichtung (2) elektronisch ausführbar ist, das Verfahren die folgenden Verfahrensschritte aufweisend:

a) elektronisches Erfassen und elektronisches Auswerten einer Eingabe eines Benutzers eines Mobilfunkgeräts (1) zum Anwählen der Spiele-Servereinrichtung (2) mit Hilfe des Mobilfunkgeräts;

b) Ausbilden einer Online-Verbindung zum Austausch von Informationen zwischen dem Mobilfunkgerät (1) und der Spiele-Servereinrichtung (2), wobei die Online-Verbindung eine Funkverbindung zwischen dem Mobilfunkgerät (1) und einer Mobilfunknetz-Servereinrichtung (3) umfaßt;

c) Ausgeben einer grafischen Spielinformation betreffend das wenigstens eine Spiel über eine Anzeigeeinrichtung (6) des Mobilfunkgeräts (1);

d) elektronisches Erfassen weiterer Eingaben des Benutzers des Mobilfunkgeräts (1) zum Auswählen und zum Konfigurieren des wenigstens einen Spiels mit Hilfe des Mobilfunkgeräts (1); unde) Austauschen von Informationen zwischen dem Mobilfunkgerät (1) und der Spiele-Servereinrichtung (2) über die Online-Verbindung in Abhängigkeit von den elektronisch erfaßten, weiteren Eingaben des Benutzers zum Auswählen und zum Konfigurieren des wenigstens einen Spiels, wobei das Austauschen der Informationen einen Austausch von WAP-Daten (WAP - "Wireless Application Protocol") umfaßt."

"4. Spiele-Servereinrichtung (2) mit:

Speichermitteln zum Speichern wenigstens eines elektronisch ausführbaren Spiels;

Prozessormitteln zum automatischen Ausführen des wenigstens einen Spiels; und Steuermitteln, wobei mit Hilfe der Steuermittel WAP-Daten zum Auswählen und zum Konfigurieren des wenigstens einen Spiels mit Hilfe der Prozessormittel verarbeitet werden können, und wobei die WAP-Daten mittels WAP-Datenübertragungen zwischen den Steuermitteln und einer Mobilfunkeinrichtung (1) ausgetauscht werden."

II.

Die Einsprüche sind zulässig, da sie form- und fristgerecht erhoben sowie nach Maßgabe des § 59 Abs 1 Satz 4 PatG begründet worden sind. Sie haben in der Sache auch Erfolg.

Das Verfahren nach dem Patentanspruch 1 des angegriffenen Patents ist aus dem entgegengehaltenen Stand der Technik nahegelegt und beruht sonach nicht auf erfinderischer Tätigkeit (§§ 1, 4 PatG).

In der Beschreibungseinleitung der Patentschrift wird ausgeführt, dass aus der DE 195 02 613 A1 ein Spielgerätesystem bekannt sei, das von einer Vielzahl von Spielteilnehmern mit mehreren entfernt voneinander befindlichen Spielgeräten benutzt werden könne, die über eine jeweils zugeordnete Datenfernübertragung mit einem Zentralrechner verbunden seien. Es wird erläutert, dass dieses bekannte Spielgerätesystem in Übereinstimmung mit dem Anspruch 1 des Streitpatents die Merkmale a) bis d) und teilweise auch das Merkmal e) aufweisen soll (vgl Absatz 0003).

Tatsächlich ist in der DE 195 02 613 A1 ein Spielgerätesystem beschrieben, bei dem wenigstens ein Spiel (Spielvarianten 1 - 3, vgl Fig 2) in einer Spiele-Servereinrichtung (Zentralrechner 5) gespeichert ist und mit Hilfe von Prozessormitteln (im Zentralrechner 5) elektronisch ausführbar ist. Das Auswählen und Konfigurieren eines Spiels kann durch mehrere von der Spiele-Servereinrichtung entfernt angeordnete Spielgeräte, bspw Mobilfunkgeräte (Mobiltelefon 2e, vgl Sp 6 Z 41 - 44) geschehen. Dabei werden zunächst am Mobilfunkgerät die Eingaben eines Benutzers zum Anwählen der Spiele-Servereinrichtung erfasst und ausgewertet und entsprechend eine Online-Funkverbindung zum Austausch von Informationen zwischen dem Mobilfunkgerät und der Spiele-Servereinrichtung ausgebildet (vgl Sp 7, Z 60 - Sp 8, Z 7). Sodann werden grafische Spielinformationen über die Anzeigeeinrichtung (Anzeige 8) des Mobilfunkgerätes ausgegeben (vgl Sp 7, Z 16 - 43). Wie in Sp 7, Z 44 - 59 dargelegt, bleibt die Online-Verbindung zur Spiele-Servereinrichtung aufrechterhalten und ein Benutzer erhält laufend Spielinformationen angezeigt (bspw Teilnehmeranzahl, Auszahlungsquoten), auf die hin er weitere Eingaben tätigen kann.

Das Verfahren nach dem Patentanspruch 1 unterscheidet sich von der Arbeitsweise des bekannten Spielgerätesystems lediglich dadurch, dass, wie in Merkmal e) angegeben, das Austauschen der Informationen einen Austausch von WAP-Daten umfasst, dh der Datenaustausch zwischen Mobilfunkgerät und Spiele-Servereinrichtung nach dem "Wireless Application Protocol" erfolgt.

Dieses Merkmal dient ersichtlich dazu, die in der Beschreibungseinleitung des Patents genannte Aufgabe zu lösen, nämlich ein Verfahren zum Auswählen und Konfigurieren eines elektronischen Spiels sowie eine Spiele-Servereinrichtung zu schaffen, das einem Benutzer einen flexiblen, mit geringem technischen Aufwand realisierbaren und kostengünstigen Umgang mit dem elektronischen Spiel ermöglicht (vgl Absatz 0005 der Patentschrift).

Eine Verwendung des WAP-Standards zur Durchführung der Kommunikation zwischen dem Mobilfunkgerät und der Spiele-Servereinrichtung war dem zuständigen Fachmann durch die Ausführungen in der von der Einsprechenden I genannten DE 199 32 974 A1 nahegelegt. Der einschlägige Fachmann - ein Ingenieur der Nachrichtentechnik, der über praktische Berufserfahrung auf dem Gebiet der drahtlosen Kommunikation verfügt - konnte der Beschreibungseinleitung dieser Druckschrift entnehmen, dass ein Mobilfunkgerät (drahtloses Kommunikationsendgerät) nicht unmittelbar die von einer Servereinrichtung (Internet-Server) gelieferten Daten empfangen (und darstellen) konnte, weil unterschiedliche Datentypen und Protokolle verwendet wurden (vgl Sp 1, Z 19 - 27 der DE 199 32 974 A1). Vor die Aufgabe gestellt, eine Kommunikation zwischen einem Mobilfunkgerät und einer Servereinrichtung bewerkstelligen zu wollen, die geringen technischen Aufwand erfordert und kostengünstig ist, zog der Fachmann daher auch den in dieser Druckschrift aufgezeigten Lösungsweg (vgl Sp 1, Z 49 - 56) in Betracht und erkannte, dass die vorgeschlagene Umwandlung des von der Servereinrichtung verwendeten Protokolls auf das vom Mobilfunkgerät interpretierbare Wireless Application Protocol auch für seine Aufgabenstellung eine geeignete Lösung darstellt. Dabei war für ihn ohne weiteres erkennbar, dass - entgegen der Ansicht der Patentinhaberin - das WAP-Protokoll unabhängig von einem bestimmten Anwendungszweck für den Austausch von Informationen geeignet war, also unabhängig davon, ob diese Spiele oder andere Größen repräsentierten.

Eine andere Bewertung des Verfahrens nach dem Anspruch 1 ist auch durch den Hinweis der Patentinhaberin, dass dem beanspruchten Verfahren hohe wirtschaftliche Bedeutung zukomme, nicht geboten. Denn dieses Argument - so es denn zutrifft - kann ein Naheliegen aufgrund des vorliegenden Standes der Technik nicht beseitigen (vgl BGH BlPMZ 85, 374, 375 "Ätzen von Gegenständen").

Da über den Antrag der Patentinhaberin nur einheitlich entschieden werden kann (vgl BGH GRUR 1997, 120 "Elektrisches Speicherheizgerät"), sind auch der nebengeordnete Anspruch 4 und die jeweiligen Unteransprüche 2 und 3 sowie 5 und 6 nicht rechtsbeständig.

Bei der gegebenen Sachlage war demzufolge das Patent zu widerrufen.

Dr. Fritsch Dr. Schmitt Prasch Schuster Fa






BPatG:
Beschluss v. 09.09.2004
Az: 17 W (pat) 309/04


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/d25968c3b3b0/BPatG_Beschluss_vom_9-September-2004_Az_17-W-pat-309-04




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