Oberlandesgericht Düsseldorf:
Urteil vom 2. Mai 2007
Aktenzeichen: I-24 U 26/05

(OLG Düsseldorf: Urteil v. 02.05.2007, Az.: I-24 U 26/05)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat das Urteil des Landgerichts Düsseldorf teilweise abgeändert. Der Beklagte, ein Rechtsanwalt, wird nun dazu verurteilt, dem Kläger einen Geldbetrag in Höhe von 148.734,80 EUR zuzüglich Zinsen zu zahlen. Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen, da die Beklagte Quittungen über die Auszahlung des Geldes vorgelegt hatte. Das Oberlandesgericht hingegen sieht Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte das Geld nicht der Erblasserin ausgehändigt hat, sondern für sich selbst verwendet hat. Die Berufung des Klägers war daher erfolgreich. Die Gerichtskosten und die Kosten des Rechtsstreits werden dem Beklagten auferlegt. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird die Möglichkeit eingeräumt, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung abzuwenden. Es besteht kein Grund, die Revision zuzulassen.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

OLG Düsseldorf: Urteil v. 02.05.2007, Az: I-24 U 26/05


Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das am 11. Januar 2005 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf -Einzelrichterin- teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird unter Abweisung des weitergehenden Zinsanspruchs verurteilt, an den Kläger 148.734,80 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. April 2004 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils beizutreibenden Betrages abzuwenden, es sei denn, die Gegenseite leistet vorher Sicherheit in gleicher Höhe.

Gründe

A.

Der Kläger ist der Bruder und Alleinerbe der am 11. Mai 2000 verstorbenen Frau J. (künftig: Erblasserin), die keine pflichtteilsberechtigten gesetzlichen Erben hinterlassen hat. Der beklagte Rechtsanwalt hatte etwa seit 1992 die rechtlichen Interessen der Erblasserin vertreten und hatte auch ihr uneingeschränktes Vertrauen in ihren persönlichen Angelegenheiten erworben. Am 04. April 1999 erteilte sie dem Beklagten eine von ihm vorformulierte "Generalvollmacht", ihre "sämtlichen Angelegenheiten im Falle [ihrer] Abwesenheit oder Verhinderung oder für den Fall zu regeln, dass [sie] körperlich oder geistig außerstande [ist], selbst Entscheidungen zu treffen", ferner "für sämtliche zu treffende Maßnahmen im Fall [ihres] Ablebens, einschließlich einer Testamentsvollstreckung". In einer am 22. Januar 2000 unterzeichneten und vom Beklagten vorformulierten "Vollmacht" erneuerte sie u. a. dessen "alleinige[s] Recht über Fürsorge, Pflege, und Übernahme sämtlicher erforderlicher Maßnahmen … und Entscheidungen jeglicher Art für den Fall zu treffen, dass [die Erblasserin] aus Gründen, gleich welche in Betracht kommen, hierzu nicht in der Lage ist", wobei das über ihren Tod hinaus gelten sollte. An diesem Tag errichtete die Erblasserin ein eigenhändiges Testament, mit welchem sie den Kläger zu ihrem Alleinerben einsetzte. Dieses Testament ersetzte das notarielle Testament vom 03. September 1997, mit welchem sie den Kläger bereits zu ihrem Alleinerben eingesetzt hatte, allerdings belastet mit diversen Vermächtnissen.

Am 23. März 2000 wurde die Erblasserin in der internistischen Abteilung 7A des Krankenhauses D. (künftig: Krankenhaus) stationär aufgenommen. Der konsiliarisch hinzugezogene Leiter der HNO-Abteilung, der Zeuge Prof. Dr. K., diagnostizierte kurz darauf ein ausgedehntes, schon metastasierendes Kehlkopfkarzinom. Die Erblasserin stimmte schließlich der von dem Zeugen dringend empfohlenen Operation zu. Am 16. April 2000 wurde sie stationär auf die HNO-Abteilung 3B verlegt, tags darauf und erneut am 08. Mai 2000 operiert. Am 02., 08. und 14. April 2000 unterzeichnete sie vom Beklagten vorformulierte Vollmachten, in denen sie ihn ermächtigte, über ihre Spar- und Wertpapierdepotkonten zu verfügen, Geld in Empfang zu nehmen und ihre Tafelpapiere zu verkaufen. Am 10. April und 07. Mai 2000 unterzeichnete sie vom Beklagten vorformulierte Quittungen, in denen sie bestätigte, von ihm 218.900 DM aus "Kontenauflösung" und 72.000 DM "aus der Auflösung meiner Tafelpapiere" "erhalten zu haben". In ihrem Nachlass wurden Bargeld oder äquivalente Werte in der quittierten Gesamthöhe von 290.900 DM (148.734,80 EUR) nicht vorgefunden.

Der Kläger hat unter Antritt von Indizienbeweis behauptet, der Beklagte habe in Wirklichkeit die Gegenwerte aus den Kontenauflösungen und dem Verkauf der Tafelpapiere nicht der Erblasserin ausgehändigt, sondern für sich selbst verwendet. Er hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 148.734,80 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07. Mai 2000 zu zahlen.

Der Beklagte hat um

Klageabweisung

gebeten. Er hat die Einrede der Verjährung erhoben und geltend gemacht: Der Erblasserin sei es darum gegangen, dass der Kläger oder dessen Familienangehörige aus ihrem Nachlass nichts erhalten, weil sich diese seit Jahren nicht mehr um sie gekümmert hätten. In Vollzug dieses Willens habe sie ihn beauftragt, ihre Konten aufzulösen, ihre Tafelpapiere zu verkaufen, das Geld in Empfang zu nehmen und es ihr im Krankenhaus in bar auszuhändigen, um es sodann an ihm nicht benannte gemeinnützige Organisationen verschenken zu können.

Das Landgericht hat, gestützt auf die Empfangsquittungen der Erblasserin, die Klage ohne Beweisaufnahme abgewiesen. Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers. Unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens beantragt er,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach dem erstinstanzlich gestellten Antrag zu entscheiden.

Der Beklagte, der sein erstinstanzliches Vorbringen ebenfalls wiederholt und vertieft, bittet um

Zurückweisung der Berufung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrags wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Der Senat hat den Beklagten persönlich angehört und Zeugen vernommen. Wegen des Ergebnisses wird auf die Sitzungsniederschrift vom 30. Januar 2007 (GA 361ff) sowie den Berichterstattervermerk vom 01. Februar 2007 Bezug genommen. Die staatsanwaltschaftliche Ermittlungsakte (70 Js 13790/02 StA Düsseldorf, künftig BA) war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

B.

Die zulässige Berufung ist hinsichtlich des Hauptanspruchs in vollem Umfang begründet, hinsichtlich des Zinsanspruchs erst ab Eintritt der Rechtshängigkeit; wegen des weitergehenden Zinsanspruchs muss es unter entsprechender Teilzurückweisung des Rechtsmittels bei dem klageabweisenden Urteil bleiben.

I. Der geltend gemachte Hauptanspruch ist gemäß §§ 1922, 611, 675, 667 BGB begründet.

1. Die vom Landgericht offen gelassene Streitfrage, ob zwischen der Erblasserin und dem Beklagten ein gewöhnlicher Geschäftsbesorgungsvertrag (§ 675 BGB) oder Auftrag (§ 662 BGB) oder ein anwaltlicher Rechtsbesorgungsvertrag (§§ 611, 675 Abs. 1 BGB, § 1 Abs. 1 BRAGO, § 3 Abs. 1 BRAO) zustande gekommen ist, beantwortet der Senat im letztgenannten Sinne.

a) Diese Frage kann im Streitfall im Ergebnis nicht offen bleiben. Zwar spielt ihre Beantwortung, wie das Landgericht insoweit zutreffend angenommen hat, keine unmittelbare Rolle für die Anwendbarkeit des hier in Rede stehenden § 667 BGB, weil der Herausgabeanspruch in allen drei Fallgestaltungen unterschiedslos als Anspruchsgrundlage in Betracht kommt. Für die Beweiswürdigung, nämlich ob der Beklagte den unstreitig einmal entstandenen Herausgabeanspruch erfüllt hat (§ 362 Abs. 1 BGB), ist die Qualifizierung des Vertragsverhältnisses indes nicht unbedeutend, so dass es angebracht erscheint, den Vertragscharakter an dieser Stelle festzustellen.

b) Ob im Einzelfall ein Anwaltsvertrag vorliegt mit der Verpflichtung, dem Auftraggeber rechtlichen Beistand zu leisten (§ 1 Abs. 1 BRAGO, § 3 Abs. 1 BRAO), hängt vom Inhalt des Mandats ab. Die Rechtsberatung und -vertretung muss nicht der Schwerpunkt der anwaltlichen Tätigkeit sein. Ein Anwaltsvertrag kann auch anwaltsfremde Maßnahmen umfassen, falls diese in einem engen inneren Zusammenhang mit der rechtlichen Beistandspflicht stehen und auch Rechtsfragen aufwerfen können. Etwas Anderes gilt nur dann, wenn die Rechtsberatung und -vertretung völlig in den Hintergrund tritt und deswegen als unwesentlich erscheint (BGH NJW 1985, 2642; 1994, 1405, 1406; 1998. 3486 sub I.2a jeweils m.w.N.). Lässt die Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls nicht die Feststellung zu, ob ein Anwaltsvertrag vorliegt oder nicht, so ist im Zweifel anzunehmen, dass der Mandant, der die Dienste eines Rechtsanwalts in Anspruch nimmt, ihn auch in dieser Eigenschaft beauftragen will, weil er erwartet, dass der Rechtsanwalt bei seiner Tätigkeit auch die rechtlichen Interessen des Auftraggebers wahrnehmen werde (BGH NJW 1980, 1855f; 1985, 2642 und 1998, 3486).

c) Unter Anlegung dieses Maßstabs kann kein vernünftiger Zweifel daran herrschen, dass der Beklagte bei der Ausführung des Auftrags für die Erblasserin rechtsbesorgend tätig geworden ist. Ungeachtet der Tatsache, dass der Beklagte, soweit er (auch) als Lebens- und Vermögensberater der Erblasserin nicht anwaltlich gearbeitet hat, ergibt die Gesamtwürdigung aller Umstände des Streitfalls, dass der Beklagte auf der Grundlage der Generalvollmacht vom 04. April 1999 und der Vollmacht vom 22. Januar 2000 tätig geworden ist, auch wenn für die hier umstrittenen Geschäfte noch besondere Vollmachten (künftig: Sondervollmachten) ausgestellt worden sind. Die Erblasserin war durch ihre schwere Erkrankung und den stationären Krankenhausaufenthalt in eine Lage geraten, für deren Eintritt sie die beiden erstgenannten Vollmachten ausgestellt hatte, so dass die aufschiebende Bedingung, unter der der Beklagte (nur) wirken sollte, eingetreten war. Die Gegenstände der beiden Vollmachten umfassten zwar auch andere als anwaltliche Tätigkeiten, die rechtsbesorgenden Aufgaben in Verbindung mit der Berufsqualifikation des Beklagten als Rechtsanwalt gaben dem zugrunde liegenden Auftrag aber insgesamt das Gepräge eines Rechtsanwaltsdienstvertrags.

2. Es besteht kein Zweifel, dass der Beklagte das hier umstrittene Bargeld im Sinne des § 667 BGB bei der Ausführung des Vertrags erlangt hat. In diesem Zusammenhang spielt es keine entscheidende Rolle, ob die auf die Sondervollmachten gestützte Behauptung des Beklagten zutrifft, Gegenstand des Auftrags sei es gewesen, die Konten aufzulösen, die Tafelpapiere zu verkaufen und das erlöste Bargeld der Erblasserin in das Krankenhaus zu bringen. Auch wenn es zutreffen sollte, dass die Erblasserin einen solchen Auftrag nicht oder nicht mit diesem Inhalt erteilt hatte (etwa der Auftrag nur lautete, das Geld auf Anderkonten des Beklagten zu überweisen, um es dort für die Erblasserin zu verwalten, was durch die Vollmachten ebenfalls gedeckt gewesen wäre), hat der Beklagte auch bei weisungswidriger Ausführung des Auftrags die Gelder in Ausführung des Auftrags erhalten (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 66. Aufl., § 667 Rn 3 m. zahlr. w.N.).

3. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beklagte den Herausgabeanspruch erfüllt hat.

a) Allerdings sprechen, wie das Landgericht im rechtlichen Ansatz zutreffend herausgearbeitet hat, die Urkunden vom 10. April und 07. Mai 2000, bei denen es sich um Quittungen im Sinne des § 368 BGB handelt, zunächst einmal für die Behauptung des Beklagten, die Erblasserin habe an den genannten Tagen Bargeld in der jeweils genannten Höhe im Krankenhaus in Empfang genommen. Das Landgericht durfte sich mit dieser Feststellung aber nicht begnügen. Es hat übersehen, dass eine Quittung durch jeden Gegenbeweis entkräftet werden kann, der bereits dann geführt ist, wenn nach der freien Überzeugung des Gerichts (§ 286 ZPO) die Wahrheit der quittierten Tatsache erschüttert ist. Es ist insbesondere nicht notwendig, dass sie als unwahr erwiesen wird oder sich auch nur eine zwingende Schlussfolgerung gegen sie ergibt (BGH NJW-RR 1988, 881 und WM 2007, 426 sub 4b). Da schon zahlreiche unstreitige Tatsachen geeignet gewesen sind, die Quittungen in Zweifel zu ziehen, hätte das Landgericht (notfalls nach Erteilung klarstellender Hinweise zum Beweismaß, § 139 Abs. 2 ZPO) den vom Kläger angebotenen schlüssigen Indizienbeweis und den vom Beklagten angebotenen Gegenbeweis erheben müssen, was nunmehr im Berufungsrechtszug nachgeholt werden musste.

b) Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist zur Überzeugung des Senats (§ 286 ZPO) der Wahrheitsgehalt der umstrittenen Quittungen erschüttert. Das ergibt sich aus folgenden Indizien:

aa) Auf größte Skepsis muss schon das vom Beklagten behauptete Motiv der Erblasserin stoßen, sich Bargeld in dieser Höhe im Krankenhaus aushändigen zu lassen. Das ist in jeder Hinsicht nicht plausibel.

(1) Wenn es der Erblasserin entsprechend ihrem angeblich schon seit Jahren gebildeten Willen wirklich nur darum gegangen wäre, einerseits den Kläger und dessen Abkömmlinge als gesetzliche, nicht pflichtteilsberechtigte Erben zweiter Ordnung (§§ 1925 Abs. 1, 2303 BGB) von der Erbfolge auszunehmen, andererseits den wesentlichen Teil ihres Nachlasses unter gemeinnützigen Organisationen aufzuteilen, wäre das ganz einfach umzusetzen gewesen, nämlich gemäß §§ 1937, 2247 Abs. 1 BGB durch eine einseitige letztwillige Verfügung (eigenhändiges Testament), worin sie -gegebenenfalls nach Beratung durch den Beklagten- nur die zu bedenkenden gemeinnützigen Organisationen hätte zu nennen brauchen.

(2) Gegen die Version des Beklagten spricht ferner die Tatsache, dass die Erblasserin den Kläger bereits durch notarielles Testament vom 03. September 1997 zu ihrem alleinigen Erben eingesetzt und diesen Willen durch ihr eigenhändiges Testament vom 22. Januar 2000 bekräftigt hatte. Die Erblasserin wusste also, dass und in welcher Form sie wirksam über ihren Nachlass verfügen konnte.

(3) Dem kann in überzeugender Weise auch nicht die (in bestimmten Beziehungen durchaus vorhandene) Eigenwilligkeit der Erblasserin entgegen gehalten werden. Sie vertraute dem Beklagten in rechtlichen Angelegenheiten uneingeschränkt, wie es die von ihr schon in gesundem Zustand zu seinen Gunsten erteilte Generalvollmacht überzeugend belegt. Der Beklagte als der rechtliche Berater der Erblasserin hatte, wenn sie (was naheliegt) nicht gewusst hatte, dass der Kläger und seine Abkömmlinge nicht pflichtteilsberechtigt sind, allen Anlass, sie in ihrem wohlverstandenen Interesse über ihre von Pflichtteilsrechten unabhängige Testierfreiheit (§§ 1925 Abs. 1, 1937, 2247 Abs. 1, 2303 BGB) zu beraten, was er zugestandenermaßen nicht getan hat. Dann hätte die Erblasserin alle ihren angeblichen Ziele erreichen können, und zwar in einer ruhigen, kontrollierten und angemessenen Form, wie sie es als Geschäftsfrau ausweislich ihrer kompetenten und von Experten geführten Vermögensverwaltung evident zu tun gewohnt war. Statt dessen will der Beklagte die Erblasserin dahin beraten haben, dass es untunlich sei, den Kläger zu "enterben" und dass sie ihn testamentarisch als Alleinerben einsetzen solle. Dies wäre indessen mit Blick auf das notarielle Testament ganz überflüssig gewesen. Die angebliche Besorgnis des Beklagten um das gesetzliche Erbrecht des ihm völlig unbekannten Klägers wirkt mit Blick auf den angeblichen Willen der Erblasserin, ihn von ihrem Nachlass auszuschließen, unglaubhaft und unglaubwürdig.

(4) Ferner hatte die Erblasserin zwar in Betracht gezogen, die schwere Operation nicht zu überleben; andererseits waren aber, wie die Bekundung des Zeugen Prof. Dr. K. belegt, ihre diesbezüglichen Befürchtungen unter dem Einfluss des Beklagten, von dem sie viel Zuspruch erhielt, eher gering. Entgegen der wenig glaubwürdigen Einlassung des Beklagten hatte gar kein begründeter Anlass bestanden, in der angeblich geschehenen überstürzten, komplizierten, ihre Gesundheit belastenden, schadensträchtigen und endgültigen Weise über den wesentlichen Teil ihres Nachlasses durch angebliche Schenkungen statt testamentarisch zu verfügen.

(5) Demgegenüber hätte es nicht nur gewissenhafter anwaltlicher Beratung entsprochen, das Geld außerhalb des Krankenhauses zu belassen und sei es dadurch, dass die Geldbeträge in dem Tresor der anwaltlichen Kanzlei deponiert wurden. Denn die Erblasserin war eine vernünftige Geschäftsfrau, die über die Diebstahlsgefahren in der Klinik eingehend belehrt war. Das hat die Zeugin R. anschaulich bekundet. Nimmt man den allgemein vorherrschenden Eindruck hin zu, dass die Erblasserin dem Beklagten volles Vertrauen schenkte, so erscheint es gänzlich abwegig, dass sie sich dem Rat des Beklagten verschlossen hätte und sich Geldbeträge von nahezu DM 300.000,- ins Krankenhaus hat bringen lassen.

(6) Weiterhin ist damit nicht zu vereinbaren, dass die Erblasserin den Beklagten über die angeblich bedachten und beschenkten gemeinnützigen Organisationen im Unklaren gelassen hat. Die vertrauensvolle Beratung des Beklagten hätte gegebenenfalls auch Ratschläge zum Ob und Wie der Schenkungshandlungen erwarten lassen.

(7) Auf der Grundlage der Darstellung des Beklagten ist in diesem Zusammenhang schließlich auch nicht nachvollziehbar, dass die Erblasserin nicht dafür gesorgt hatte, den im Praxistresor des Beklagten aufbewahrten Barbetrag von rund 30.000 DM, den er auf der Grundlage eines rechtskräftigen Unterhaltstitels gegen den geschiedenen Ehemann der Erblasserin vollstreckt hatte, vor einem erbrechtlichen Zugriff des Klägers zu bewahren. Einerseits hätte es der Einfachheit halber nahe gelegen, diesen Barbetrag der Erblasserin ins Krankenhaus zu bringen und einen entsprechenden Betrag auf deren Konto stehen zu lassen. Wenn es andererseits angeblich darum ging, der Erblasserin, die mit einem Leben nach der Operation rechnete, nicht alle Barmittel für ihren künftigen angemessenen Unterhalt endgültig zu entziehen, dann hätte der Beklagte ihr auch aus diesem Grund zu einer testamentarischen Verfügung zu Gunsten der zu bedenkenden gemeinnützigen Organisationen raten müssen, um ihrem angeblichen letzten Willen (Begünstigung gemeinnütziger Organisationen, Ausschluss des Klägers vom Nachlass mit Ausnahme des Hausrats) Geltung zu verschaffen. Der Senat kann sich nicht davon überzeugen, dass das (auf der Grundlage der Darstellung des Beklagten) aufgezeigte schwerwiegende Beratungsdefizit auf einer nachlässigen Ausübung seines Berufs beruhen könnte. Denn es ging weder komplexe Sachverhalte noch um komplizierte Rechtsfragen.

bb) Neben die vielen schon aufgezeigten treten die zahllosen Ungereimtheiten im Zusammenhang mit der behaupteten Geldübergabe im Krankenhaus. Unstreitig ist, dass die Erblasserin mit Blick auf ihre Verlegung am 16. April 2000 die Quittung vom 10. April 2000 auf der internistischen, die vom 07. Mai 2000 aber auf der HNO-Abteilung unterzeichnet haben müsste, wenn sie, wie es der Beklagte behauptet und wie es der Zeuge H. bestätigt hat, die Unterschriften wie angegeben geleistet hat. Weder dem Beklagten noch dem Zeugen war indes in diesem Zusammenhang der zwischenzeitliche Stations- und Krankenzimmerwechsel zu Bewusstsein gelangt, weshalb nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Beklagte die Unterschriften unter anderen Umständen erlangt hat. Bemerkenswert ist ferner, dass die Angaben des Beklagten und die des Zeugen H. zu den näheren Umständen der Unterzeichnung der Quittungen, des Transports des Geldes in das Schrankschließfach und die Ausstattung des Krankenzimmers trotz eingehender Befragung und wiederholten Vorhalten auffällig konturlos geblieben, teilweise widersprüchlich sind. Der Senat kann nicht ausschließen, dass dies nicht auf Erinnerungslücken beruht, sondern darauf, dass der Beklagte und der Zeuge ein Geschehen schildern, das so nicht stattgefunden hat. Andernfalls war eine wesentlich anschaulichere und detailliertere Schilderung dieser Vorgänge zu erwarten.

cc) Nicht nachvollziehbar ist ferner, warum die Erblasserin trotz der erheblichen gesundheitlichen Beschwerden darauf bestanden haben soll, sich von ihrem Krankenlager zu erheben, um die Geldpakete persönlich im Schrankschließfach unterzubringen. Das gilt insbesondere für den 07. Mai 2000, einen Tag vor ihrer schweren Nachoperation. Der Zustand der Erblasserin an diesem Tag war nach den Bekundungen der Zeugin R. (Leiterin der HNO-Station 3B) und des Zeugen Prof. Dr. K. mehr als kläglich, wenn auch nicht völlig hilflos, was durch den zur Akte gereichten Krankenbericht von diesem Tag bestätigt wird. Seit dem 30. April 2000 -zwei Wochen nach der ersten Operation- hatte sich der Zustand der Erblasserin postoperativ kontinuierlich verschlechtert. Im Operationsbereich hatte sich nämlich eine ausgedehnte, entzündliche und lebensbedrohende Fistel gebildet. Am 07. Mai 2000 hatte sie Durchfall, musste sich erbrechen und konnte Nahrung und Flüssigkeit infolge massiver Schluckbeschwerden nicht mehr selbständig zu sich nehmen, so dass sie mit Flüssignahrung und Wasser über einen Venentropf versorgt werden musste. Ferner wirkte sie auf die Zeugin R. depressiv. Die Erblasserin, die es angeblich zugelassen hatte, dass der Beklagte ihre Tafelpapiere verkaufte und den Verkaufserlös angeblich ins Krankenhaus tragen sollte und die dem Beklagten in festgestellter Weise rückhaltloses Vertrauen in allen ihren Lebensbereichen geschenkt hatte, hatte jedenfalls unter den festgestellten erschwerten Umständen am 07. Mai 2000 kein nachvollziehbares Motiv, das Geldpaket selbst im Schließfach einzuschließen. Der Senat hat vielmehr die Überzeugung gewonnen, dass der Beklagte und der Zeuge H. nur deshalb ein solches Geschehen übereinstimmend geschildert haben, um der Glaubhaftigkeit ihrer evident zu diesem Punkt abgesprochenen Aussage mehr Substanz zu verleihen.

dd) Schließlich ist die Einlassung des Beklagten zum Randgeschehen des Tafelpapierverkaufs nachweislich falsch. Wie dem Senat bekannt und im Übrigen durch den damaligen Vermögensbetreuer der Erblasserin, den bei der C-Bank D. angestellten Zeugen E. bestätigt worden ist, wurden Tafelpapiergeschäfte zu jener Zeit völlig anonym und ihrem Charakter gemäß als Kassengeschäfte abgewickelt. Das bedeutet, dass der Beklagte entgegen seiner Einlassung im Senatstermin nicht bis zum Verkauf der Tafelpapiere auf den Geldgegenwert warten musste; vielmehr wurde zu jener Zeit das Geld sofort ausgezahlt, Zugum-Zug gegen Übergabe der Wertpapiere und gegen anonyme Quittung, die der Beklagte niemals vorgelegt hat und die er dem Kläger im Zuge der Abwicklung des Nachlassbesitzes wie alle sonstigen in seinem Besitz befindlichen und herausgegebenen Urkunden an sich hätte aushändigen müssen. Weil das nicht geschehen ist, der Beklagte vielmehr angeblich keine Quittung erhalten hat, kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich das Geschehen um die Verwertung der Tafelpapiere in Wahrheit ganz anders zugetragen hat.

4. Der Herausgabeanspruch aus § 667 BGB ist nicht verjährt. Gemäß Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 2 EGBGB begann die Verjährungsfrist für die erste Tranche frühestens am 10. April 2000 und dauerte dreißig Jahre; denn der gegen den Rechtsanwalt gerichtete Herausgabeanspruch unterlag nicht der kurzen Verjährungsfrist des inzwischen außer Kraft getretenen § 51b BRAO, sondern der Regelverjährung gemäß § 195 BGB a. F. (BGH NJW 2000, 2669 sub IV.1c m.w.N.). Mit Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes am 01. Januar 2002 galt gemäß Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB zwar nunmehr die Regelverjährung von drei Jahren (§ 195 BGB n.F.); diese setze aber gemäß Art. 229 § 6 Abs. 4 Satz 1 EGBGB erst mit dem 01. Januar 2002 ein und lief demnach erst am 31. Dezember 2004 ab. Die zuvor, nämlich am 04. März 2004 beim Landgericht eingereichte und dem Beklagten alsbald zugestellte Klage führte gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB, § 167 ZPO bereits zum Zeitpunkt der Klageeinreichung zur Hemmung des Verjährungsfristablaufs.

II. Gesetzliche Zinsen schuldet der Beklagte gemäß §§ 288 Abs. 1, 291 BGB erst mit dem Eintritt der Rechtshängigkeit am 16. April 2004. Ein davor liegender Verzugsbeginn kann nicht festgestellt werden. Einen früheren Zinsbeginn wegen Entziehung des Geldes, etwa gemäß § 823 Abs. 2 BGB, § 43a Abs. 5 BRAO (vgl. dazu Senat JurBüro 2004, 536 = GI 2005, 58) oder in Verbindung mit sonstigen deliktischen Normen (etwa § 266 StGB), kann der Kläger nicht mit Erfolg in Anspruch nehmen.

1. Soweit der Beklagte als Rechtsanwalt zum Nachteil der Erblasserin und des Klägers deliktisch gehandelt haben sollte, sind die Ansprüche verjährt; sie unterliegen einheitlich der kurzen Verjährung des § 51b BRAO, der auf den Fall noch anzuwenden ist, Art. 229 § 12 Abs. 2 EGBGB. Die dreijährige Verjährung setzte entsprechend der ersten Alternative des § 51b BRAO spätestens am 07. Mai 2000 mit der angeblichen Auszahlung der zweiten Tranche ein und endete mit Ablauf des 06. Mai 2003. Die erst am 04. März 2004 eingereichte und dann alsbald dem Beklagten zugestellte Klage vermochte den bereits eingetretenen Verjährungsablauf nicht mehr zu beeinflussen.

2. Der Ablauf der Verjährung ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt der so genannten Sekundärverjährung hinausgeschoben.

a) Die vertragliche Pflicht des Rechtsanwalts, den Mandanten rechtzeitig vor Ablauf der Primärverjährung über seine in Betracht kommende Haftung und über die kurze Verjährung zu belehren, entfällt oder ist für den Schaden nicht mehr kausal, wenn der Mandant rechtzeitig vor Ablauf der Verjährungsfrist im Hinblick auf die Regressfrage anderweitig anwaltlich beraten wird (BGH NJW 1994, 1405, 1407). Von einer ausreichenden Belehrung ist grundsätzlich auszugehen, wenn ein anderer Rechtsanwalt namens des Mandanten dessen Schadensersatzanspruch rechtzeitig geltend macht (BGH NJW 1992, 836, 837). Rechtzeitig ist diese Belehrung durch einen anderen Anwalt, wenn sie so lange vor Ablauf der Verjährungsfrist des § 51b BRAO erfolgt, dass der Primäranspruch bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt noch verjährungshindernd gerichtlich geltend gemacht werden kann. Die Belehrungspflicht des mit der Prüfung von Regressansprüchen betrauten Rechtsanwalts tritt an die Stelle derjenigen des Anwalts, der die zum Schadensersatz verpflichtende Handlung begangen hat; der Mandant ist durch die Haftung des neuen Anwalts hinreichend gesichert (BGH NJW 2001, 826, 828; 2001, 3543 sub Nr. II.1c; ebs. Senat VersR 2002, 191).

b) Seine jetzigen Prozessbevollmächtigten hatte der Kläger schon im Jahre 2000, also mehr als zwei Jahre vor Ablauf der Primärverjährung mit der Prüfung und Durchsetzung von Regressansprüchen gegen den Beklagten beauftragt, so dass der Kläger keines diesbezüglichen Rats durch den Beklagten mehr bedurfte.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Es besteht kein Anlass, die Revision zuzulassen, § 543 Abs. 2 ZPO.






OLG Düsseldorf:
Urteil v. 02.05.2007
Az: I-24 U 26/05


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