Landgericht Köln:
Urteil vom 30. Januar 2004
Aktenzeichen: 81 O 209/02

(LG Köln: Urteil v. 30.01.2004, Az.: 81 O 209/02)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Die Klage wurde abgewiesen und die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits. Das Urteil kann vorläufig vollstreckt werden, solange eine Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrags erbracht wird. Die Klägerin behauptet, Herstellerin von Handtaschen der Marke I zu sein und dass die Taschen der Modelle Kelly und Birkin berühmt und von besonderer wettbewerblicher Eigenart seien. Sie verlangt von den Beklagten Unterlassung, Auskunft und Schadensersatz. Die Beklagten bestreiten die wettbewerbliche Eigenart und die Marktpräsenz der Taschen. Das Gericht stellt fest, dass Nachahmung von nicht sonderrechtlich geschützten Produkten grundsätzlich erlaubt ist. Ausnahmen gelten nur, wenn das nachgeahmte Produkt über Merkmale verfügt, die auf die Herkunft aus einem bestimmten Unternehmen hinweisen und die Nachahmung als unlauter erscheinen lassen. Die Kammer ist der Meinung, dass die I-Taschen grundsätzlich über eine wettbewerbliche Eigenart verfügen, jedoch ist der Vertrieb der Nachahmungen nicht unlauter. Die Kammer begründet dies damit, dass die Original-Taschen von I sehr exklusiv und selten sind und der "Zweite Markt" von Nachahmungen den Verkauf des Originals nicht beeinträchtigt, sondern sogar Werbung dafür machen kann. Das Gericht verweist auch darauf, dass die Klägerin jahrelang keine rechtlichen Schritte gegen Nachahmer unternommen hat, was darauf hindeutet, dass sie das Verhalten geduldet hat. Das Gericht stellt fest, dass die Taschenmodelle Kelly und Birkin eine ausreichende Bekanntheit haben und dass auch Veröffentlichungen in anderen europäischen Ländern zu berücksichtigen sind. Es werden zahlreiche Nachahmungen von Kelly- und Birkin-Taschen im Markt nachgewiesen. Das Gericht entscheidet, dass die Klage unbegründet ist und weist sie ab.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

LG Köln: Urteil v. 30.01.2004, Az: 81 O 209/02


Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen eine auch durch selbstschuldnerische Bürgschaft eines in der Bundesrepublik Deutschland als Zoll- oder Steuerbürgen zugelassenen Kreditinstituts zu erbringende Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Gründe

Die Klägerin behauptet, Herstellerin der Handtaschen der Marke I zu sein; insbesondere diejenigen Handtaschen von I, die unter den Bezeichnungen Kelly und Birkin veräußert würden, seien berühmt - auf ihre diesbezüglichen Ausführungen wird Bezug genommen - und als Klassiker noch heute von besonderer wettbewerblicher Eigenart.

Sie sieht die Eigenart der Kelly in folgenden Merkmalen begründet:

eine bauchige, gleichzeitig leicht trapezförmige Form, die etwas an eine Schul- oder Aktentasche erinnert; ein einzelner Griff, der ähnlich wie bei einer Aktentasche oben an der Tasche angebracht ist; eine gerade Lasche angebracht ist, die den oberen Bericht der Taschenvorderseite bedeckt und die von einem horizontalen "Taschengürtel" gehalten wird; in Höhe des Taschengürtels ist die Lasche auf beiden Seiten rechteckig ausgeschnitten; der Taschengürtel ist zweigeteilt; beide Teile dieses Gürtels verlaufen jeweils vom äußeren Rand der Taschenrückseite durch den Seitenbereich hindurch auf die Vorderseite und werden dort mit einem Verschlußelement zusammengehalten; der Verschluß kann zusätzlich mit einem Schloss gesichert werden.

In Bezug auf Birkin stellt sie auf folgende Merkmale ab:

auffallend schmaler oberer Rand; seitlich betrachtet wirkt die Tasche beinahe dreieckig, zwei Griffe: ein Griff ist mit zwei Befestigungspunkten im oberen Bereich der Taschenvorderseite, der andere Griff ist in gleicher Weise und in gleicher Höhe an der Taschenrückseite angebracht, eine nach unten hin dreigeteilte Lasche, die den oberen Bereich der Taschenvorderseite bedeckt und von einem horizontalen "Taschengürtel" gehalten wird; die Lasche ist an den Seiten in Höhe des Taschengürtels und auch im Bereich der Griffbefestigungen ausgeschnitten. In Höhe dieser Ausschnitte sind auf der Taschenvorderseite selbst zwei Haken angebracht, der Taschengürtel ist zweigeteilt; wie beim Modell "Kelly" verlaufen beide Teile des Gürtels jeweils vom äußeren Rand der Taschenrückseite durch den Seitenbereich hindurch auf die Vorderseite und werden dort mit einem Verschlusselement zusammengehalten. Abweichend vom Modell "Kelly" wird der Gürtel jedoch zusätzlich von den zuvor erwähnten Haken "gehalten". Auch beim Modell "Birkin" ist eine zusätzliche Sicherung des Verschlusselements durch ein Schloss vorgesehen.

Soweit die Beklagten auf ähnlich aussehende andere Taschen verwiesen, sei dieser Einwand unerheblich, denn entweder seien die Hinweise zu unspezifiziert oder die Produkte seien nicht auf dem bundesdeutschen Markt präsent. Im übrigen gehe sie gegen eine Vielzahl von Nachahmern vor und es sei anerkanntermaßen nicht schädlich, wenn es einem Verletzten nicht auf einen Schlag gelinge, den Vertrieb aller Nachahmungen zu unterbinden.

Sie vertritt die Auffassung, die im Antrag wiedergegebenen Taschen, die die Beklagten verkauft hätten, wiesen praktisch alle vorgenannten Elemente auf. Die Beklagten verhielten sich damit u.a. deshalb unlauter, weil sie damit den guten Ruf dieser Taschen ausbeuteten.

Zu ihrer Aktivlegitimation weist sie auf ihre Handelsregistereintragung sowie auf das Organigramm der Unternehmensgruppe I hin; die früher einmal aufgestellte Behauptung der Fa. I International, ihrerseits Herstellerin zu sein, beruhe auf einem Informationsirrtum der Prozessbevollmächtigten und werde nicht mehr wiederholt. I International sei aber unabhängig von der Klägerin aktivlegitimiert, denn dieses Unternehmen sei innerhalb der Unternehmensgruppe für den Vertrieb zuständig.

Sie beantragt,

die Beklagten zu verurteilen, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu EUR 250.000,- (den Beklagten zu 2. zusätzlich: ersatzweise von Ordnungshaft oder von Ordnungshaft von bis zu 6 Monaten) zu unterlassen,

Damen-Handtaschen - wie nachstehend fotografisch abgebildet - auch in anderer Farbe oder aus anderem Leder bzw. Oberflächenmaterial -, feilzuhalten, zu bewerben, anzubieten und/oder sonstwie in Verkehr zu bringen:

- es folgen Abbildungen von zwei Taschen -

der Klägerin über die Mitteilung der bezogen auf den Zeitraum vom 20.7.2001 bis 29.4.2002 verkauften Stückzahlen (Kelly-Nachahmung: 187 Stück, Birkin-Nachahmung 99 Stück) hinaus Auskunft darüber zu erteilen,

in welchem Umfang sie Handlungen gemäß I.1. vorgenommen hat, und zwar unter Vorlage von geordneten Verzeichnissen einschließlich zugehöriger Belege, aus welchen - gegliedert nach Kalendermonaten - Werbeaufwand (unter Nennung der Art der Werbeträger, der Auflage, der Erscheinungszeit, des Verbreitungsraumes und der Werbekosten), Lieferzeiten, Lieferorte, Liefermengen und Umsätze sowie Gewinne - unter Benennung und Bezifferung aller Kostenfaktoren - ersichtlich sind.

der Klägerin Angaben zu machen über Namen und Anschrift des Herstellers und/oder des Lieferanten der Taschen gemäß Nr.1.

festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, den diese durch die unter Nr. I.1. genannten Handlungen erlitten hat oder noch erleiden wird.

Die Beklagten rügen die örtliche Unzuständigkeit des Landgerichts Köln beantragen im übrigen,

die Klage abzuweisen.

Sie meinen, das Landgericht Düsseldorf sei zuständig, weil der Kauf im dortigen Bezirk getätigt worden sei und halten die Klägerin nicht für aktiv legitimiert.

In der Sache leugnen sie eine wettbewerbliche Eigenart der Taschen von I und meinen jedenfalls, mit Rücksicht auf die tatsächliche Marktsituation scheide ein unlauteres Verhalten ihrerseits aus.

Die Akten 81 O 74 (Retent), 135, 142, 198, 249/02 und 45/03 Landgericht Köln sind zur Information Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des umfangreichen Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt verwiesen.

E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :

Die Klage ist zulässig, denn die Kölner Zuständigkeit ergibt sich daraus, dass die Beklagten auch über die L AG und über das Internet vertreibt; sie ist jedoch unbegründet.

Die Klägerin kann von den Beklagten auch dann, wenn sie Herstellerin der fraglichen Taschen ist, nicht wie begehrt Unterlassung, Auskunft und Schadensersatz verlangen, weil die Beklagten schon deshalb keine Unterlassung schulden, weil der Vertrieb der streitgegenständlichen Taschen nicht unlauter ist, § 1 UWG.

Ausgangspunkt der Überlegungen ist der Umstand, dass die Nachahmung von nicht sonderrechtlich geschützten Objekten grundsätzlich frei möglich ist und zwar auch dann, wenn die Nachahmung mit 100%iger Identität erfolgt; nur vor diesem Hintergrund macht die Existenz von Sonderschutzrechten Sinn, auf die sich die Klägerin für keine ihrer Taschen berufen kann.

Ausnahmen von diesem Grundsatz sind z.B. dann anzunehmen, wenn das nachgeahmte Produkt über Merkmale verfügt, die geeignet sind, auf die Herkunft aus einem bestimmten Unternehmen hinzuweisen (wettbewerbliche Eigenart), und in der Art und Weise der Nachahmung Umstände festzustellen sind, die die Übernahme als unlauter erscheinen lassen.

Mit der Klägerin ist die Kammer der Auffassung, dass es sich bei allen vorliegend in Rede stehenden Taschen um solche handelt, die von Hause aus über wettbewerbliche Eigenart verfügen, sodass sie grundsätzlich auch im Rahmen des § 1 UWG schutzfähig sind; nähere Darlegungen erübrigen sich an dieser Stelle aber deshalb, weil es wegen der noch abzuhandelnden Besonderheiten des Sachverhaltskomplexes "I Taschen" darauf letztlich ebenso wenig ankommt wie auf die Erörterung von Unlauterkeitselementen wie vermeidbare Herkunftstäuschung oder Schmarotzen an fremdem guten Ruf, um die vorliegend nächstliegenden anzusprechen.

Im "Normalfall" eines Verfahrens, in dem auf Unterlassung des Vertriebs einer Nachahmung im Wege des ergänzenden wettbewerblichen Leistungsschutzes angetragen wird, wird vorgegangen aus der Position des Vermarkters eines Produktes, welches auf dem Markt präsent ist und dies in einem spürbaren Umfang (vgl. BGH, Urteil vom 8.11.2001 "Noppenbahnen", Leitsatz b)). Es geht hierbei darum, dass - anders als bei der Nachahmung eines sonderrechtlich geschützten Produktes - ein Verbot nur ausgesprochen werden kann, wenn die Nachahmung eine wettbewerbliche Störung zur Folge hat: "unlauter" bei der Beeinflussung der angesprochenen Verkehrskreise kann eine Nachahmung nur dann wirken, wenn das Vorbild nicht völlig unbekannt ist, denn nur dann sind Herkunftstäuschung und/oder Imagetransfer denkbar.

Üblicherweise entwickelt sich die nach Maßgabe des soeben Dargelegten erforderliche Bekanntheit des Vorbildes durch den Markterfolg des in Rede stehenden Produktes; eine effektiv wirkende Werbung steigert die Menge des Absatzes des jeweiligen Produktes beim Endverbraucher ebenso wie sonstige Qualitäten seinen Ruf festigen.

Bei den I - Taschen liegt der Fall anders.

Es handelt sich bei ihnen um Produkte der höchsten Luxusklasse, ohne dass sich aus den deshalb naturgemäß relativ geringen Absatzzahlen ein Hindernis für die Annahme der Schutzfähigkeit ergäbe; überraschend - aber auch noch nicht entscheidend - ist immerhin, dass die Klägerin in bisher keinem Verfahren auch nur annähernd eine Umsatzzahl für die Taschen genannt hat.

In diesen Zusammenhang passt es, dass es unstreitig ist, dass eine I - Tasche - die ohnehin nur in den I - eigenen Geschäftslokalen verkauft werden - in aller Regel im Geschäft nicht vorrätig ist und sie eine ganz außergewöhnlich lange Lieferzeit haben; ein Normalverbraucher wird deshalb in seinem Leben kaum je eine Original I - Tasche zu Gesicht bekommen, auch wenn er sie aus Büchern oder Zeitschriften kennen sollte. Selbst in den vorliegenden Verfahren hat die Klägerin kein einziges fabrikfrisches Exemplar ihrer eigenen Produkte vorgelegt - die im Haupttermin vorgestellten Taschen sind nach Erinnerung des Gerichts allesamt von Endverbrauchern ausgeliehene Modelle gewesen.

Gleichwohl - und dies ist die erste Besonderheit des Sachverhaltskomplexes I - Taschen - geht die Kammer für die Entscheidung davon aus, dass die Modelle Kelly und Birkin über eine im Sinne der Schutzvoraussetzung ausreichende Bekanntheit verfügen, denn die Klägerin hat durch die Vorlage einer Vielzahl von Veröffentlichungen in erster Linie für Kelly aber auch durchaus auch für Birkin anschaulich dargelegt, dass diese Taschenmodelle - teils auch unter falschen Bezeichnungen - allen mehr oder weniger interessierten Verbraucher(innen) bekannt sind als Taschen mit einem ganz hochstehenden Ruf; hierbei kommt es nicht darauf an, ob sie damit den Namen gerade der Klägerin verbinden (und/oder ob die Verbraucher mit dem Namen I überhaupt konkret eine Vorstellung verbinden), aber selbst das ist in vielen Fällen anzunehmen, weil der Name der Firmengruppe der Klägerin in den Veröffentlichungen oft hinzugefügt ist. Hierbei handelt es sich - auch das ist nicht ohne Bedeutung - um internationale Veröffentlichungen, nicht etwa nur um innerhalb von Deutschland erschienene Texte und/oder um Texte, die internationale Begebenheiten zum Gegenstand haben; gerade die Internationalität der I - Taschen machen einen Teil ihrer exklusiven Anmutung aus.

Im "Normalfall" muss die notwendige, ausreichende Präsenz auf dem bundesdeutschen Markt vorhanden sein und deshalb sind regelmäßig nur die Umsätze innerhalb der Bundesrepublik Deutschland relevant. Die vorstehenden Erwägungen haben aber zur Konsequenz, dass vorliegend die allgemeinen Marktverhältnisse zumindest im europäischen Ausland auch für die Einwände der Beklagtenseite von maßgeblichem Belang sind, denn so wie sich die Bekanntheit der I - Taschen (auch) von einer dortigen Marktpräsenz herleitet und auch stärkt, sind auch Entgegenhaltungen aus anderen europäischen Ländern zu berücksichtigen und gegebenenfalls als schwächend in die Abwägung einzubeziehen. Ganz allgemein wird festzustellen sein, dass in Fällen der hier vorliegenden Art eine strenge Abgrenzung nach nationalen Grenzen den tatsächlichen Gegebenheiten - auch aus der gewünschten Sicht eines Unternehmens wie der Klägerin - nicht (mehr) gerecht wird und für solch' hochpreisigen und exklusiven Produkte räumlich erweiterte Grenzen gelten.

Dabei bezieht sich die Auffassung der Kammer nur auf die vorliegend zu beurteilende Konstellation, in der das nachgeahmte Vorbild als solches immer eine Art "Phantom" gewesen und es bis heute geblieben ist.

Diese Konstellation bringt es nämlich mit sich, dass das "Original" Leben letztlich nur gewinnt durch Nachahmungen, weil ein Verbraucher - siehe oben - Taschen in der fraglichen Gestaltung nur als Nachahmung unmittelbar erlebt; dies unterscheidet Taschen von I signifikant von anderen Luxusgütern wie z.B. Autos der Marke Rolls Royce oder Uhren der Marke Rolex: diese kann man im Original tatsächlich hin und wieder sehen, auch wenn sie nur in (relativ) geringen Stückzahlen verkauft werden.

Alles das ist zwar noch nicht für sich allein, wohl aber in Verbindung mit der Tatsache von entscheidender Bedeutung, dass weder die Klägerin (noch ein anderes Unternehmen aus der I - Gruppe) vor (frühestens) 1997 gegen Nachahmungen von Kelly - und/oder Birkin - Taschen vorgegangen ist, obwohl sich schon jahrelang zuvor europaweit eine Art "zweiter Markt" entwickelt hat, der Taschen im markanten Aussehen von Kelly und/oder Birkin umgesetzt hat; vor diesem Hintergrund erscheint es ausgeschlossen, die Fortsetzung dieses auf jeden Fall deutlich länger als ein Jahrzehnt lang jedenfalls objektiv geduldeten Verhaltens als "unlauter" zu bewerten. Es widerspricht nicht den Anschauungen des redlichen kaufmännischen Verkehrs, ein Verhalten aufzugreifen, das viele Jahre lang - von der Berechtigten unbeanstandet - massenhaft praktiziert wird. Eine wirkliche Beeinträchtigung der Marktposition der Klägerin ist zudem schon wegen der sich nicht überschneidenden Marktsegmente der Exklusivware einerseits und der (im Verhältnis dazu) Massenware andererseits praktisch auszuschließen, sodass auch ein ordentlich und seriös denkender und handelnder Kaufmann eine Billigung seitens der Gruppe I als durchaus sinnvoll und möglich ansehen kann, weil der "Zweite Markt" durchaus auch als Werbung für das exklusive Vorbild wirken kann.

Die Kammer lässt ausdrücklich offen, ob die dem Spitzenrepräsentanten vom I, E, zugeschriebene Äußerung, es sei "wunderbar", imitiert zu werden, tatsächlich so gefallen ist oder nicht: verhalten hat sich die Klägerin jedenfalls zumindest bis 1997 so, als ob genau diese Einstellung ihr Motto gewesen sei. In diesem Zusammenhang sei zur Klarstellung darauf hingewiesen, dass die Kammer nicht der Auffassung ist, die I - Taschen hätten mittlerweile ihre wettbewerbliche Eigenart verloren; trotz der Entwicklung des "Zweiten Marktes" wird der Verkehr ein Original von I durchaus noch erkennen, sodass von daher die Voraussetzungen für einen Schutz im Sinne der "Les Paul" - Entscheidung immer noch gegeben sind. Den entscheidenden Unterschied in der Bewertung nach den Kriterien lauter/unlauter macht - über den Umstand hinaus, dass "Les Paul" - Gitarren keine Phantom sind - die jahrelange faktische Duldung dieses Zustandes.

Im Einzelnen:

Die von der Klägerin in Anspruch genommenen Händler - für die folgende Darstellung wird der Vortrag aller Beklagter zusammen genommen, denn zu diesem Zweck sind die Akten der Parallelverfahren wechselseitig zum Gegenstand der Verhandlung gemacht worden - haben eine große Vielzahl zum einen von Handtaschen als Anschauungsstücken und zum anderen von Katalogen - zum Teil als Originale - zur Akte gereicht oder - dies gilt für die 5 Exemplare der Zeitschrift ARPEL aus den 80er Jahren, wie auf Seite 7 oben des Schriftsatzes der Beklagten im Verfahren 81 O 45/03 (Bl. 229 d.A.) beschrieben - zum Beleg der Tatsache, aus welchen Jahren die als Kopien aus dieser Zeitschrift zu den Akten gereichten Urkunden stammen; aus den Urkunden insgesamt ergibt sich auch ohne eine Beweisaufnahme (durch Vernehmung von Zeugen über Zeitpunkt und Ort eines Taschenerwerbs), dass und seit wann der Handtaschenmarkt von Kelly - und Birkin - Nachahmungen geradezu überschwemmt wird.

Für das Modell Kelly können für die Zeit der "Duldung" folgende Nachahmungen festgestellt werden:

1967 Anlage B 35 der Akte 81 O 209/02: Lederwarenreport 1978 Anlage B 36 der Akte 81 O 209/02: Anzeige "Le Crocodil" aus dem Lederwarenreport 1991 Anlage B 54 der Akte 81 O 209/02: MCM-Katalog, für den die Besonderheit besteht, dass die Produkte nicht nur jahrelang unbeanstandet vertrieben worden sind, sondern die mittlerweile nach Beanstandung rechtskräftig für zulässig angesehen worden sind. 1992 Anlage B 44 der Akte 81 O 209/02: Bericht in der Zeitschrift "a - die aktuelle" mit Hinweisen auf Kelly-Look bzw. Kelly von Ferrici mit Preisangaben 1992 Anlage B 15 der Akte 81 O 45/03: Original-Prospekt Bonifer 1992 Anlage B 25 der Akte 81 O 249/02: Offenbacher Lederwarenmesse; Firma Longchamps 1993 Anlage B 55 der Akte 81 O 209/02: Katalog Redwall [Kelly von 2 verschiedenen Herstellern] 1995 - 97 Anlage B 10 - B 13 der Akte 81 O 249/02: Kelly-Modelle von Picard, auch in L-Werbung 1995 Anlage B 42a der Akte 81 O 209/02: Kelly von Roth 1996 - 97 Anlage B 19 der Akte 81 O 209/02: Werbung Brecklinghaus 1997 Anlage B 41a der Akte 81 O 209/02: Bericht über die Lederwarenmesse 1997 mit Kelly - Tasche von Picard 1997 Anlage B 4 der Akte 81 O 45/03: Titelblatt Lederwarenreport mit Taschen von ABRO 1998 Anlage B 56 der Akte 81 O 209/02: Katalog Mollerus

Für das Modell Birkin können für die Zeit der "Duldung" folgende Nachahmungen festgestellt werden:

1989 Anlage B 57 der Akte 81 O 45/03: Arpel Nr.143, Birkin von Santandrea 1991 Anlage B 58 der Akte 81 O 45/03, Birkin vom Moda Borse 1991 Anlage B 59 der Akte 81 O 45/03, Birkin vom Cuoifcio 1992 Anlage B 75 der Akte 81 O 45/03: Arpel, Birkin von Gianfranco Lotti 1997 Anlage B x der Akte 81 O 45/03: Birkin-Art auf Seite 43 des Lederwarenreports 12/97 1998 Anlage B 56 der Akte 81 O 209/02: Katalog Mollerus mit Birkin-Art

Bei dieser Liste sind nur Veröffentlichungen berücksichtigt bis zum Beginn der nachhaltigen Marktbeobachtung; für den Zeitraum bis heute kommt eine beinahe unüberschaubare Menge weiterer Handtaschen hinzu, die aus der Sicht der Klägerin als Nachahmungen angesehen werden können. Viele dieser Nachahmermodelle weisen - wie im Haupttermin anhand der Anschauungsstücke erläutert worden ist - kleinere oder größere Abweichungen von der Ausgestaltung der I - Taschen auf, ohne dass dies für die hier zu treffende Entscheidung eine Rolle spielt: auch eine an 100% heranreichende Ähnlichkeit begründet kein Unlauterkeitsmerkmal, sodass die Prüfung der tatsächlich streitgegenständlichen Taschen auf Übereinstimmung oder Abgrenzung nicht vorgenommen zu werden braucht.

Auch spielt es letztlich keine Rolle, ob die Klägerin doch schon früher im Ausland gegen Nachahmer aktiv geworden ist. Ganz abgesehen davon, dass der diesbezügliche Vortrag der Klägerin sehr wenig substanziell ist hat er ganz offenbar keine spürbare Wirkung gehabt. Aus demselben Grund - eine erschlagende Vielzahl von Kelly- und Birkin-ähnlichen Taschen - sind die im Einzelfall gar nicht so ohne weiteres von der Hand zu weisenden Einwände der Klägerin gegen die Konkretheit der Beispiele aus dem Umfeld insgesamt ohne Erheblichkeit: die Kammer hat die Überzeugung gewonnen, dass sich mit Duldung der Klägerin ein "Zweiter Markt" entwickelt hat, der einem Unterlassungsanspruch der Klägerin jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt entgegensteht.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 ZPO.

Streitwert: EUR 250.000,- [Unterlassung EUR 200.000,- - es handelt sich um 2 Beklagte -; Auskunft und Schadensersatzfeststellung EUR 50.000,-]..






LG Köln:
Urteil v. 30.01.2004
Az: 81 O 209/02


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/b82a0f7625fa/LG-Koeln_Urteil_vom_30-Januar-2004_Az_81-O-209-02




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