Hamburgisches Oberverwaltungsgericht:
Beschluss vom 24. März 2010
Aktenzeichen: 5 Bs 56/10

(Hamburgisches OVG: Beschluss v. 24.03.2010, Az.: 5 Bs 56/10)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht (OVG) hat in einem Beschluss vom 24. März 2010 entschieden, dass der Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt wird. Der Antragsteller, ein Rechtsanwalt, wollte im Wege einer einstweiligen Anordnung erreichen, dass er nicht von bestimmten öffentlichen Sitzungen des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses "HSH Nordbank" ausgeschlossen wird. Das Verwaltungsgericht Hamburg hatte seinem Antrag zunächst stattgegeben, jedoch wurde dieser Beschluss nun durch das OVG geändert. Das OVG begründet dies damit, dass der Antragsteller als Rechtsbeistand eines Betroffenen unter den gleichen Bedingungen wie sein Mandant von den öffentlichen Sitzungen ausgeschlossen werden kann. Das OVG argumentiert, dass der Ausschluss des Antragstellers zur Wahrung der Unbefangenheit der Zeugenaussagen und damit der Wahrheitsfindung im Untersuchungsausschuss gerechtfertigt ist. Es wird erklärt, dass der Antragsteller als Rechtsbeistand seines Mandanten den Schutz der Unvoreingenommenheit von Aussagen gefährden könnte, wenn er bereits vorherige Zeugenvernehmungen mitbekommen hat. Das OVG stellt klar, dass der Antragsteller nicht unbedingt ein Teil der Öffentlichkeit ist und somit auch nicht dieselben Rechte wie ein normaler Bürger hat. In Bezug auf die Regelung in § 19 Abs. 5 Satz 2 HmbUAG, wonach diejenigen, die erst im Verlauf der Untersuchung als betroffene Person gelten, über die wesentlichen Untersuchungshandlungen und deren Ergebnisse informiert werden müssen, stellt das OVG fest, dass diese Regelung keine Ausnahme für den Antragsteller darstellt. Auch der Verweis auf eine angeblich willkürliche Ausübung des Ermessens durch den Antragsgegner wird vom OVG zurückgewiesen. Abschließend wird festgelegt, dass der Antragsteller die Kosten des gesamten Verfahrens tragen muss und der Streitwert auf 5000 Euro festgesetzt wird.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

Hamburgisches OVG: Beschluss v. 24.03.2010, Az: 5 Bs 56/10


Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 18. Februar 2010 geändert.

Der Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller möchte im Wege der einstweiligen Anordnung erreichen, dass er von bestimmten öffentlichen Sitzungen des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses €HSH Nordbank€ nicht ausgeschlossen wird.

Die Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg hat mit Beschluss vom 11. Juni 2009 den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss €HSH Nordbank€ (im Folgenden auch: Antragsgegner) eingesetzt. Der Antragsteller des vorliegenden Verfahrens, ein Rechtsanwalt, vertritt ein ehemaliges Vorstandsmitglied der Bank als Rechtsbeistand.

Mit Beschluss vom 4. Dezember 2009 stellte der Antragsgegner fest, dass der Mandant des Antragstellers Betroffener des Untersuchungsausschusses im Sinne von § 19 Abs. 1 des Gesetzes über die Untersuchungsausschüsse der Hamburgischen Bürgerschaft vom 27. August 1997 (HmbGVBl. S. 427, im Folgenden: HmbUAG) sei. Unter dem 18. Dezember 2009 und 5. Februar 2010 beschloss der Antragsgegner die Befragung des Mandanten des Antragstellers als Betroffener zu im Einzelnen bezeichneten Fragen im Zusammenhang mit der Bank.

Mit Beschluss vom 3. Februar 2010 stellte das Beschwerdegericht in einem vom Mandanten des Antragstellers angestrengten Eilverfahren fest, dass er zur Teilnahme an öffentlichen Beweisaufnahmen des Untersuchungsausschusses berechtigt sei, soweit er nicht für die Dauer der Vernehmung von Zeugen in Bezug auf Beweisthemen ausgeschlossen werde, für die seine Befragung als Betroffener beschlossen worden sei (Az. 5 Bs 16/10).

In einer Sitzung des Antragsgegners am 5. Februar 2010 wurde der Vorstandsvorsitzende der HSH Nordbank als Zeuge in öffentlicher Sitzung vernommen. Zuvor hatte der Antragsgegner den Antragsteller von der Teilnahme an dieser Beweisaufnahme ausgeschlossen. Mit Schreiben vom 9. Februar 2010 begründete der Antragsgegner diesen Ausschluss gegenüber dem Antragsteller mit § 11 Abs. 2 Satz 1 HmbUAG, wonach die Öffentlichkeit oder einzelne Personen für die gesamte Dauer der Sitzung oder für einzelne Abschnitte der Beweiserhebung ausgeschlossen werden könnten: Zwar bestünden bereits Zweifel, ob der Antragsteller als Rechtsbeistand eines Betroffenen überhaupt Teil der Öffentlichkeit sei und sein Ausschluss daher das Öffentlichkeitsprinzip aus § 11 Abs. 1 HmbUAG berühre. Wie sich aus der Entscheidung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 3. Februar 2010 (Az. 5 Bs 16/10) ergebe, sei er, der Antragsgegner, aber jedenfalls befugt, den Mandanten des Antragstellers als Betroffenen von der öffentlichen Beweiserhebung in der Sitzung am 5. Februar 2010 insoweit auszuschließen, als die Vernehmung des Vorstandsvorsitzenden der HSH Nordbank sich auf Beweisthemen beziehe, für welche die Betroffenenbefragung des Mandanten des Antragstellers beschlossen worden sei. Da das Anwesenheitsrecht des Antragstellers als Beistand des Betroffenen nicht weiter reichen könne als das des Betroffenen selbst, bestehe nach § 11 Abs. 2 Satz 1 HmbUAG die Befugnis, auch den Antragsteller von der Teilnahme an der öffentlichen Beweisaufnahme auszuschließen. Nach zutreffender Auffassung könne im Strafprozess gemäß §§ 58 Abs. 1 Satz 1, 243 Abs. 2 StPO der Rechtsbeistand eines Zeugen ermessensfehlerfrei von der öffentlichen Beweisaufnahme ausgeschlossen werden, um die Unbefangenheit des Zeugen zu erhalten, da der Rechtsbeistand des Zeugen nicht mehr Befugnisse haben könne als dieser selbst. Diese Auffassung sei auf den Rechtsbeistand eines Betroffenen nach § 19 HmbUAG zu übertragen, weil nach § 19 Abs. 4 i.V.m. § 23 HmbUAG für den Betroffenen hinsichtlich der Art und Weise seiner Befragung sinngemäß die Vorschriften über Zeugen anwendbar seien. Dies habe zur Konsequenz, dass der Betroffene insoweit wie ein Zeuge behandelt werden müsse. Für den Rechtsbeistand eines Betroffenen und damit für den Antragsteller könne nichts anderes gelten.

Am 12. Februar 2010 hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Hamburg im Wege vorläufigen Rechtsschutzes beantragt, den Antragsgegner zu verpflichten, es zu unterlassen, ihn, den Antragsteller, von Beweisaufnahmen des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses €HSH Nordbank€ in öffentlicher Sitzung mit der Begründung auszuschließen, dass er Rechtsbeistand eines Betroffenen sei, der zu den selben Themen wie ein in der Sitzung zu vernehmender Zeuge vernommen werden solle.

Am 16. Februar 2010 hat der Antragsteller ergänzend eine Klage beim Verwaltungsgericht mit dem Begehren erhoben, festzustellen, dass sein Ausschluss von der Beweisaufnahme des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses in öffentlicher Sitzung am 5. Februar 2010 mit der Begründung, er sei Rechtsbeistand eines Betroffenen, der zu denselben Themen wie ein in dieser Sitzung zu vernehmender Zeuge vernommen werden solle, rechtswidrig gewesen sei (Az. 20 K 381/10).

Zur Begründung seines Eilantrages hat der Antragsteller vorgetragen, dass sein Ausschluss von der öffentlichen Sitzung am 5. Februar 2010 rechtswidrig gewesen sei. Als Bürger der Freien und Hansestadt Hamburg könne er nicht mit der Begründung ausgeschlossen werden, als Rechtsbeistand eines Betroffenen stehe ihm ein Anwesenheitsrecht nur in dem Umfang zu wie dem Betroffenen selbst. Sein, des Antragstellers, Anwesenheitsrecht reiche vielmehr immer so weit wie das Anwesenheitsrecht der Öffentlichkeit. Auch könne er sich auf einen Anordnungsgrund berufen, da zu erwarten sei, dass er auch in Zukunft von vergleichbaren öffentlichen Sitzungen ausgeschlossen werde.

Mit Beschluss vom 18. Februar 2010 hat das Verwaltungsgericht dem Eilantrag stattgegeben und dem Antragsgegner untersagt, bis zu einer abschließenden Entscheidung im Hauptsacheverfahren 20 K 381/10 den Antragsteller von Beweisaufnahmen des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses in öffentlicher Sitzung mit der Begründung auszuschließen, dass er Rechtsbeistand eines Betroffenen sei, der zu denselben Themen wie ein in der Sitzung zu vernehmender Zeuge vernommen werden solle: Der Antrag sei zulässig und begründet. Der Antragsteller habe sich zur Begründung seines Anspruchs auf Teilnahme an der öffentlichen Sitzung ausdrücklich auch auf sein Recht als Bürger berufen. Insoweit sei er entgegen der Auffassung des Antragsgegners als Teil der Öffentlichkeit zu behandeln. Als solcher dürfe er gemäß § 11 Abs. 1 HmbUAG grundsätzlich an den Sitzungen des Untersuchungsausschusses teilnehmen. Zwar sehe § 11 Abs. 2 Satz 1 HmbUAG vor, dass die Öffentlichkeit beziehungsweise einzelne Personen ausgeschlossen werden könnten. Das dadurch eröffnete Ermessen stehe aber nicht im Belieben des Antragsgegners. Deshalb dürfe der Ausschluss einzelner Personen nicht willkürlich erfolgen, sondern müsse das Ergebnis einer sachgerechten Abwägung der zu berücksichtigenden Rechtsgüter sein. Im vorliegenden Fall sei der Ausschluss des Antragstellers ermessensfehlerhaft.

Gegen diesen Beschluss des Verwaltungsgerichts wendet sich die Beschwerde des Antragsgegners.

Wegen weiterer Einzelheiten wird ergänzend auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie die Sachakte des Antragsgegners, die vorgelegen hat, Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag des Antragstellers zu Unrecht stattgegeben. Offen bleiben kann, ob seinem Begehren bereits - wie der Antragsgegner in seiner Beschwerdebegründung geltend macht - entgegensteht, dass es eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache darstellt. Denn der Antragsteller kann nicht verlangen, dass der Antragsgegner ihn nicht von der Teilnahme an solchen öffentlichen Sitzungen des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses €HSH Nordbank€ ausschließt, in denen Zeugen zu denjenigen Themen vernommen werden, zu denen auch sein Mandant als Betroffener aussagen soll.

1. Es ist bereits fraglich, ob der Antragsteller als Teil der Öffentlichkeit im Sinne von § 11 HmbUAG anzusehen ist.

Der Öffentlichkeitsgrundsatz dient hier, nicht anders als bei anderen rechtsförmigen Verfahren, dem Informationsinteresse der Allgemeinheit und dem Schutz vor Willkür. Er beinhaltet insbesondere das Zusehen und Zuhören bei der Verhandlung aus der kritischen Distanz des nicht am Verfahren Beteiligten (z.B. VGH Mannheim, Beschl. v. 23.12.1998, VBlBW 1999, 184; Kissel/Mayer, GVG, 5. Aufl. 2008, § 169 Rn. 52; Wagner, Anmerk. zu einem Beschl. d. LG Heilbronn, NStZ 2004, 101, 102). Der Antragsteller ist indes durch seinen Mandanten, der im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss als Betroffener gehört werden soll, als Rechtsbeistand beauftragt worden (§ 3 BRAO). Seine Stellung vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss wird durch dieses Mandat geprägt und er gelangt dadurch in die Rolle eines Verfahrensbeteiligten (vgl. zu ähnlichen Zusammenhängen: BVerfG, Beschl. v. 8.10.1974, BVerfGE 38, 105, 120; Kissel/Mayer, GVG, 5. Aufl. 2008, § 169 Rn. 21, 31). Dies verschafft ihm - im Vergleich zur Stellung eines normalen Bürgers € einerseits Vorteile wie etwa denjenigen, seinen Mandanten bei dessen Vernehmung als Betroffener gegebenenfalls auch in eine nichtöffentliche Sitzung begleiten zu dürfen. Es ist aber zweifelhaft, ob er unabhängig hiervon in den Phasen des Verfahrens, in denen er nicht als Beistand tätig werden muss, die Rechte eines gänzlich Unbeteiligten in Anspruch nehmen und verlangen kann, als Teil der Öffentlichkeit behandelt zu werden (vgl. zum unzulässigen Wechsel zwischen Verfahrensbeteiligtem einerseits und Teil der Öffentlichkeit andererseits auch: VGH Mannheim, Beschl. v. 23.12.1998, VBlBW 1999, 184). Für seinen Mandanten hat das Beschwerdegericht in seiner den Beteiligten bekannten Entscheidung vom 3. Februar 2010 (5 Bs 16/10) festgestellt, dass er von der Teilnahme an öffentlichen Sitzungen des Untersuchungsausschusses ausgeschlossen werden kann, wenn Zeugen zu den Beweisthemen angehört werden, zu denen auch er als Betroffener noch vernommen werden soll. Es spricht viel dafür, dass der Antragsteller zu diesen Sitzungen ebenso wenig als Teil der Öffentlichkeit Zutritt haben darf wie der Betroffene, dem die Teilnahme untersagt worden ist.

2. Ob der Antragsteller überhaupt als Teil der Öffentlichkeit im Sinne von § 11 HmbUAG anzusehen ist, bedarf aber letztlich keiner Entscheidung. Denn in seiner Eigenschaft als Rechtsbeistand eines Betroffenen kann er jedenfalls unter den gleichen Bedingungen wie sein Mandant von den öffentlichen Sitzungen des Untersuchungsausschusses ausgeschlossen werden.

Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 HmbUAG kann der Untersuchungsausschuss die Öffentlichkeit oder einzelne Personen für die gesamte Dauer der Sitzung oder für einzelne Abschnitte der Beweiserhebung ausschließen. Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 HmbUAG ist die Öffentlichkeit auszuschließen, wenn überragende Interessen der Allgemeinheit oder überwiegende Interessen eines Einzelnen dies gebieten. Aus dem systematischen Zusammenhang dieser Regelungen sowie dem Wortlaut von § 11 Abs. 2 Satz 1 HmbUAG ergibt sich, dass der Ausschluss von einzelnen Personen an keine qualifizierten Voraussetzungen gebunden ist, sondern im allgemeinen Ermessen des Untersuchungsausschusses liegt. Dieses Ermessen ist allerdings nicht grenzenlos. Wie das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss zutreffend ausgeführt hat, darf der Ausschluss vielmehr nicht willkürlich sein, sondern muss sich als sachgerecht erweisen. So verhält es sich hier.

Wie das Gericht in seinem bereits erwähnten und den Beteiligten bekannten Beschluss vom 3. Februar 2010 (5 Bs 16/10) ausgeführt hat, kommt der Ausschluss einer einzelnen Person nach § 11 Abs. 2 Satz 1 HmbUAG auch zur Durchsetzung der Regelung in § 23 Abs. 1 Satz 1 HmbUAG in Betracht, wonach Zeugen einzeln und in Abwesenheit der später zu hörenden Zeugen zu vernehmen sind. Diese Regelung gilt gemäß § 19 Abs. 4 Satz 2 HmbUAG auch für Betroffene, die vom Ausschuss zum selben Beweisthema befragt werden sollen. Das bedeutet, dass auch Betroffene nach § 11 Abs. 2 Satz 1 HmbUAG von der Teilnahme an einer öffentlichen Beweisaufnahme durch Vernehmung von Zeugen ausgeschlossen werden können, wenn sie später zum gleichen Thema befragt werden sollen. Ein solcher Ausschluss dient der Unbefangenheit der Zeugenaussagen und damit der Wahrheitsfindung bei der Beweisaufnahme im Untersuchungsausschuss.

Diese Überlegungen gelten in vergleichbarer Weise auch für den Rechtsbeistand eines Betroffenen. Denn anderenfalls bestünde die Gefahr, dass er auf Grundlage seiner Wahrnehmungen bei der Zeugenanhörung, die er an seinen Mandanten weitergibt, den durch § 23 Abs. 1 Satz 1 HmbUAG bezweckten Schutz der Unvoreingenommenheit von Aussagen in ähnlicher Weise gefährdet, wie es der Fall wäre, wenn der Betroffene selbst die in Frage stehenden Zeugenaussagen anhören und seine späteren Einlassungen darauf abstellen könnte. Für §§ 58 Abs. 1 Satz 1, 243 Abs. 2 Satz 1 StPO, deren Regelungen § 23 Abs. 1 Satz 1 HmbUAG entsprechen und dem gleichen Zweck dienen, wird deshalb ebenfalls angenommen, dass nicht nur die Zeugen, sondern auch deren Rechtsbeistände den Sitzungssaal vor der Vernehmung der anderen Zeugen zu verlassen haben (vgl. z.B. Meyer-Goßner/Cierniak, StPO, 51. Aufl. 2008, § 243 Rn. 7; Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 5. Aufl. 2003, § 243 Rn. 18; Wagner, Anm. zu einem Beschl. d. LG Heilbronn, NStZ 2004, 101). Das Prinzip der Öffentlichkeit der Sitzung (§ 11 Abs. 1 HmbUAG) und dessen hoher Stellenwert wird dadurch nur unwesentlich berührt, da nur eine einzelne Person, die jedenfalls in einem weiteren Sinne Verfahrensbeteiligte ist, für lediglich einzelne Sitzungen ausgeschlossen wird (a.A. € allerdings für eine andere gesetzliche Ausgangslage: OVG Berlin, Beschl. vom 27. 8.2001, NJW 2002, 313).

Der hier vertretenen Auffassung lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass eine gleichmäßige Behandlung von Betroffenem und seinem Rechtsbeistand im vorliegenden Zusammenhang nicht erforderlich sei, weil die Gefahr einer unlauteren Einwirkung des anwaltlichen Beistands auf seinen Mandanten wegen der besonderen Rechtsstellung des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO) nicht ohne Weiteres zu befürchten sei. Vielmehr ist er zur Wahrhaftigkeit verpflichtet, worauf in der Beschwerdeerwiderung zutreffend hingewiesen worden ist. Verfügt der Rechtsanwalt aber über Kenntnisse aus den vorangegangenen Zeugenvernehmungen, wird sich selbst bei bestem Willen schwerlich vermeiden lassen, dass diese in die dem Mandanten geschuldete Beratung einfließen, da sie sich von anderweitig gewonnenem Wissen bei lebensnaher Betrachtungsweise aus der Erinnerung heraus nur schwer abtrennen bzw. unterscheiden lassen.

Nicht überzeugend ist demgegenüber der Einwand, dass sich ein Verbot der Anwesenheit des Zeugenbeistandes in öffentlichen Sitzungen des Untersuchungsausschusses und die damit bezweckte Unterbindung der Information seines Mandanten über die vorangegangenen Aussagen unter Umständen dadurch umgehen lässt, dass andere Personen die öffentlichen Sitzungen aufsuchen und den Betroffenen vermöge ihrer dabei gewonnenen Kenntnisse instruieren. Vergleichbare Umgehungsmöglichkeiten lassen sich nie gänzlich vermeiden. So kann z.B. der mit der Regelung in § 243 Abs. 2 Satz 1 StPO verfolgte Zweck möglicherweise dadurch umgangen werden, dass sich die Zeugen - sofern sie sich kennen - bereits vor dem Sitzungstermin absprechen bzw. beim gemeinsamen Warten vor dem Sitzungssaal ihre Bekundungen aufeinander abstimmen. Gleichwohl kann deshalb die grundsätzliche Berechtigung der Regelung in § 243 Abs. 2 Satz 1 StPO nicht ernsthaft in Frage gestellt werden.

Anders als das Verwaltungsgericht kann auch nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass der Mandant des Antragstellers von einem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch machen werde und die Bemühungen des Antragsgegners um eine möglichst unbeeinflusste Aussage von daher von Anfang an ins Leere laufen. Ungesicherte Mutmaßungen rechtfertigen es jedenfalls nicht, auf naheliegende, der Integrität einer Aussage zu Gute kommende Vorkehrungen von Anfang an zu verzichten.

Die Anwesenheit des Antragstellers bei vorangegangenen Zeugenvernehmungen ist auch nicht etwa deshalb erforderlich, weil die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses jedenfalls mittelbar Eingang in ein Strafverfahren finden können, so dass die Sitzungen des Ausschusses € wie das Verwaltungsgericht meint - als €erste Beweisaufnahme€ anzusehen seien. Bei der Vernehmung von Zeugen vor dem Untersuchungsausschuss handelt es sich noch nicht um Beweisaufnahmen im Sinne der Strafprozessordnung. Sollte es später zu einem Strafverfahren kommen, kann sich der Antragsteller als Anwalt seines Mandanten dann der ihm zur Verfügung stehenden, einschlägigen Verteidigungsmittel bedienen.

Des Weiteren ergibt sich für den Antragsteller auch nichts aus der Regelung in § 19 Abs. 5 Satz 2 HmbUAG , wonach diejenigen, die erst im Verlauf der Untersuchung die Stellung als betroffene Person erhalten, über die wesentlichen Untersuchungshandlungen und deren Ergebnisse zusammengefasst zu unterrichten sind. Denn einer derartigen Zusammenfassung kommt nicht der gleiche Stellenwert wie der körperlichen Wahrnehmung gegebenenfalls sämtlicher der zuvor getätigten Zeugenaussagen zu. Darüber hinaus betrifft die Regelung in § 19 Abs. 5 Satz 2 HmbUAG einen Ausnahmefall. Es dürfte eher der Regel entsprechen, dass diejenigen, die Betroffene im Sinne des § 19 HmbUAG sind, bereits vor Beginn der Tätigkeit des Untersuchungsausschusses bzw. in einer relativ frühen Phase feststehen.

Allein aus dem Umstand, dass der Antragsgegner gegen den Beschluss in dem den Beteiligten bekannten Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Hamburg, Az. 20 E 3389/09, keine Beschwerde eingelegt hat, lässt sich schließlich auch nicht auf eine willkürliche Betätigung des Ermessens schließen.

III.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 154 Abs. 1 VwGO sowie § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.






Hamburgisches OVG:
Beschluss v. 24.03.2010
Az: 5 Bs 56/10


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