Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen:
Beschluss vom 20. Oktober 2003
Aktenzeichen: L 8 B 59/03 AL

(LSG Niedersachsen-Bremen: Beschluss v. 20.10.2003, Az.: L 8 B 59/03 AL)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Die Entscheidung des Sozialgerichts Niedersachsen-Bremen betrifft den Fall eines Rechtsanwalts, der in einem Klageverfahren vor dem Sozialgericht Osnabrück als Rechtsbeistand eines Klägers beigeordnet wurde. Der Anwalt beantragte die Erstattung von Reisekosten und Abwesenheitsgeldern in Höhe von 72,80 Euro, da er seine Kanzlei nicht in Osnabrück, sondern in E. hatte. Die Kostenfestsetzungsstelle des Gerichts lehnte die Erstattung jedoch ab, da nach § 126 Abs. 1 Satz 2 1. Halbsatz der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) die Mehrkosten nicht zu erstatten sind, wenn der Anwalt seinen Wohnsitz oder seine Kanzlei nicht am gleichen Ort hat, an dem sich das Gericht befindet. Das Sozialgericht Osnabrück bestätigte diese Entscheidung in einem Beschluss und wies die Beschwerde des Anwalts gegen diese Entscheidung zurück.

Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen bestätigte nun in dieser Entscheidung die Auffassung des Sozialgerichts Osnabrück. Es führt aus, dass trotz des Wegfalls des anwaltlichen Lokalisationsprinzips ab dem 1. Januar 2000 kein Anspruch auf Kostenerstattung für Reisekosten besteht. Die Vorschrift des § 126 Abs. 1 Satz 2 BRAGO ist nach wie vor einschlägig und besagt, dass dem Anwalt, der seine Kanzlei im Gerichtssprengel hat, keine Mehraufwendungen erstattet werden können, die im Zusammenhang mit der Terminswahrnehmung vor dem Sozialgericht entstehen.

Das Gericht weist darauf hin, dass auch eine entsprechende Anwendung des § 126 Abs. 1 Satz 2 BRAGO nicht zu einem anderen Ergebnis führt. Diese Vorschrift dient der Kostendämpfung im Bereich der Prozesskostenhilfe und soll sicherstellen, dass die Staatskasse nicht mehr zahlen muss, als wenn der Anwalt am gleichen Ort wie das Gericht ansässig wäre. Da der Anwalt in diesem Fall seine Kanzlei im Zuständigkeitsbereich des Sozialgerichts Osnabrück hat, findet die Vorschrift Anwendung und die Reisekosten können nicht erstattet werden.

Das Gericht stellt außerdem klar, dass die Entscheidung nicht anfechtbar ist. Das Beschwerdeverfahren ist damit abgeschlossen.

Insgesamt bestätigt das Landessozialgericht in dieser Entscheidung, dass keine Erstattung von Reisekosten für einen Rechtsanwalt erfolgen muss, der seine Kanzlei nicht am gleichen Ort wie das Gericht hat. Dies gilt auch im Rahmen der Prozesskostenhilfe.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

LSG Niedersachsen-Bremen: Beschluss v. 20.10.2003, Az: L 8 B 59/03 AL


1. Der Wegfall des anwaltlichen Lokalisationsprinzips ab 01.01.2000 (§ 78 ZPO nF) führt nicht dazu, dass der unterliegende Gegner bzw die Staatskasse mit den höheren Kosten des auswärtigen Rechtsanwaltes belastet werden.

2. Der beigeordnete Rechtsanwalt kann nach § 126 Abs 1 BRAGO keine Mehraufwendungen für die Wahrnehmung eines Termins vor dem Sozialgericht geltend machen, wenn er seine Kanzlei zwar nicht am Sitz aber im örtlichen Zuständigkeitsbereich dieses Gerichts hat.

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Osnabrück vom 26. Juni 2003 wird zurückgewiesen.

Gründe

Der Antragsteller (Ast) ist Rechtsanwalt und wurde in dem vor dem Sozialgericht (SG) Osnabrück anhängigen Klageverfahren D. gegen Bundesanstalt für Arbeit im Wege der Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) dem Kläger beigeordnet (Beschluss vom 6. November 2000 € S 4 AL 520/99 -). Das Klageverfahren endete durch Urteil vom 20. März 2003.

Die erstinstanzliche Urkundsbeamtin setzte mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 26. Mai 2003 die von der Justizkasse zu erstattenden Gebühren und Auslagen auf 410,77 € fest. Gleichzeitig lehnte sie Fahrtkosten und Abwesenheitsgelder in Höhe von 72,80 € ab, weil diese Reisekosten gemäß § 126 Abs 1 Satz 2 1. Halbsatz Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) nicht erstattungsfähig seien. Die hiergegen eingelegte Erinnerung wurde mit Beschluss des SG Osnabrück vom 26. Juni 2003 zurückgewiesen. Der Ast habe seine Kanzlei im Bezirk des SG Osnabrück und sei so zu behandeln, als ob er bei dem Prozessgericht zugelassen wäre. Es komme nicht darauf an, ob PKH unbeschränkt oder nur zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts bewilligt worden sei.

Gegen den am 24. Juli 2003 zugestellten Beschluss hat der Ast am 28. Juli 2003 Beschwerde eingelegt. Er trägt vor, dass er zwar beim Amtsgericht E. und beim Landgericht (LG) in Osnabrück als Rechtsanwalt zugelassen sei. Entscheidend sei hier allein, dass er seine Kanzlei in E. führe, während das SG sich in Osnabrück befinde. Er habe folglich eine Geschäftsreise gemäß § 28 Abs 1 Satz 2 BRAGO unternommen, weil das Reiseziel außerhalb der Gemeinde liege, in der sich die Kanzlei oder die Wohnung des Rechtsanwalts befinde.

Der Antragsgegner (Ag) verteidigt den erstinstanzlichen Beschluss.

Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen und diese dem Landessozialgericht (LSG) zur Entscheidung vorgelegt.

Die Beschwerde ist gemäß § 128 Abs 4 Satz 1 BRAGO statthaft, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 50,00 € übersteigt. Die auch im Übrigen zulässige (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz € SGG -) Beschwerde ist aber unbegründet. Der Ast hat keinen Anspruch gegen den Ag auf Übernahme von Reisekosten in Höhe von 72,80 €.

7Nach § 126 Abs 1 Satz 1 BRAGO werden Auslagen, insbesondere Reisekosten, nicht vergütet, wenn sie zur sachgemäßen Wahrnehmung der Interessen der Beteiligten nicht erforderlich waren. Nach Satz 2 1. Halbsatz sind die Mehrkosten nicht zu vergüten, die dadurch entstehen, dass der Rechtsanwalt seinen Wohnsitz oder seine Kanzlei nicht an dem Ort hat, an dem sich das Prozessgericht oder eine auswärtige Abteilung dieses Gerichts befindet; dies gilt nach 2. Halbsatz nicht, wenn ein Rechtsanwalt beigeordnet wird, der weder bei dem Prozessgericht noch bei dem Gericht zugelassen ist, das sich an dem selben Ort wie das Prozessgericht befindet. Diese Vorschrift ist hier einschlägig und führt dazu, dass dem Ast, der seine Kanzlei im Gerichtssprengel des LG Osnabrück bzw des SG Osnabrück hat, keine Kostenerstattung für die Mehraufwendungen anlässlich der Terminswahrnehmung vor dem SG Osnabrück zu bewilligen ist.

8Soweit in der Vergangenheit teilweise die Auffassung vertreten wurde, dass § 126 Abs 1 Satz 2 BRAGO auf die Bestimmungen der zivilgerichtlichen Verfahren mit der Zulassung eines Rechtsanwalts zu einem bestimmten LG und der dadurch bedingten Einteilung in LG-Bezirke abgestimmt und somit nicht für das sozialgerichtliche Verfahren anwendbar sei (LSG Niedersachsen, Beschluss vom 27. Mai 1992 € L 7 S/Ar 230/91; LSG Thüringen, vom 4. Mai 1999 in E-LSG-B Nr 138), können diese Erwägungen nach dem Wegfall des anwaltlichen Lokalisationsprinzips ab 1. Januar 2000 nicht mehr aufrecht erhalten werden. Gemäß § 78 Zivilprozessordnung (ZPO) sind nunmehr Rechtsanwälte mit Zulassung bei einem Amtsgericht oder LG in Anwaltsprozessen vor einem LG oder Familiengericht oder Oberlandesgericht (OLG) postulationsfähig. Obwohl nunmehr eine Zuordnung zu einem bestimmten LG entfallen ist, hat der Gesetzgeber im Hinblick auf die Erstattungsfähigkeit von Reisekosten für auswärtige Rechtsanwälte die maßgebliche Vorschrift des § 91 Abs 2 Satz 2 ZPO bzw als Pendant für die PKH § 126 Abs 1 Satz 2 BRAGO nicht geändert. Die Aufgabe des Lokalisationsprinzips hat also nicht dazu geführt, dass der unterliegende Gegner bzw im PKH-Verfahren die Staatskasse mit höheren Kosten belastet wird (OLG München, Beschluss vom 6. April 2001 € 11 W 946/01 € in FamRZ 2002, 250). § 126 BRAGO ist auf zivilrechtliche Streitigkeiten anzuwenden, obwohl dort dieselbe Situation wie im sozialgerichtlichen Verfahren eingetreten ist, dass eine nicht am Ort des Prozessgerichts ansässige Partei sich von einem auswärtigen Anwalt vertreten lassen kann. Das bedeutet aber nicht gleichzeitig, dass die Staatskasse die Mehraufwendungen tragen muss.

9Ein anderes Ergebnis ist auch bei einer nur entsprechenden Anwendung des § 126 Abs 1 Satz 2 BRAGO nicht zu rechtfertigen. Diese Vorschrift dient der Kostendämpfung im Bereich der PKH und will erreichen, dass die Staatskasse nicht mehr als denjenigen Betrag zahlen muss, den sie zu zahlen gehabt hätte, wenn der Anwalt an dem selben Ort wie das Prozessgericht oder dessen auswärtige Abteilung residieren würde (Hartmann, Kostengesetze, Kommentar, 31. Auflage, § 126 BRAGO Rdnr 2, 32). Für den am Ort des Prozessgerichts ansässigen Rechtsanwalt entstehen keine Reisekosten. Gleiches gilt für den nicht ortsansässigen Rechtsanwalt, soweit nicht Besonderheiten des Einzelfalles die Übernahme der Reisekosten erforderlich machen. Als keine Besonderheit ist der Umstand anzusehen, dass der Rechtsanwalt seinen Wohnsitz oder seine Kanzlei nicht an dem Ort hat, an dem sich das Prozessgericht befindet (§ 126 Abs 1 Satz 2 1. Halbsatz BRAGO). Gründe, die für eine für den Rechtsanwalt günstigere Regelung bei ansonsten gleichem Sachverhalt sprechen, wenn die Beiordnung bei einem Gericht erfolgt, das keine Zulassung kennt, sind nicht ersichtlich. Der Ast ist beim LG Osnabrück zugelassen und hat ferner seine Kanzlei im Zuständigkeitsbereich des SG Osnabrück, so dass auf jeden Fall § 126 Abs 1 Satz 2 2. Halbsatz BRAGO einschlägig ist.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig (§ 128 Abs 5 Satz 2 BRAGO).

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 128 Abs 4 Satz 3 BRAGO, § 177 SGG).






LSG Niedersachsen-Bremen:
Beschluss v. 20.10.2003
Az: L 8 B 59/03 AL


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