Bundespatentgericht:
Beschluss vom 15. Mai 2008
Aktenzeichen: 15 W (pat) 30/04

(BPatG: Beschluss v. 15.05.2008, Az.: 15 W (pat) 30/04)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Das Bundespatentgericht hat in einem Beschluss vom 15. Mai 2008 (Aktenzeichen 15 W (pat) 30/04) über eine Beschwerde in einem Patentstreit entschieden. Die Beschwerde wurde abgewiesen. In dem Verfahren ging es um eine Patentanmeldung für die "Verwendung fluorierter Alkane", die im September 1995 eingereicht wurde. Das Deutsche Patent- und Markenamt hatte das Patent daraufhin im September 1999 erteilt. Nach einem Einspruch wurde das Patent im Dezember 2003 widerrufen. Gegen diesen Beschluss legte die Patentinhaberin Beschwerde ein und beantragte die Aufhebung des Widerrufs und die Aufrechterhaltung des Patents. Das Bundespatentgericht entschied jedoch, dass der Gegenstand des Patentanspruchs nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. Die Beschwerde wurde daher abgewiesen und das Patent bleibt widerrufen.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

BPatG: Beschluss v. 15.05.2008, Az: 15 W (pat) 30/04


Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Auf die am 29. September 1995 eingereichte Patentanmeldung hat das Deutsche Patent- und Markenamt das Patent 195 36 504 mit der Bezeichnung

"Verwendung fluorierter Alkane"

erteilt. Veröffentlichtungstag der Patenterteilung ist der 23. September 1999.

Nach Prüfung des erhobenen Einspruchs, in dem die Einsprechende den Widerruf des Patents im Umfang des Anspruchs 1 sowie der Ansprüche 4 bis 9 in ihren Rückbezügen auf Anspruch 1 beantragt hat, wurde das Patent mit Beschluss der Patentabteilung 42 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 16. Dezember 2003 widerrufen. Dem Beschluss über den Widerruf des Patentes lagen die Patentansprüche 1 bis 9 in der erteilten Fassung gemäß DE 195 36 504 C2 mit folgendem Wortlaut zugrunde:

Der Widerruf des Patents wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gegenüber den Druckschriften EP 0 563 446 A1 (1) und Klin.Oczna 93 (1991) 105-107 (3) nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Patentinhaberin. Sie beantragt, den Widerrufsbeschluss der Patentabteilung aufzuheben und das Patent in der erteilten Fassung, hilfsweise mit den unabhängigen Patentansprüchen 2 und 3 sowie den darauf rückbezogenen Unteransprüchen 4 bis 9, jeweils in der erteilten Fassung, aufrechtzuerhalten. Außerdem beantragt sie die Rückzahlung der Beschwerdegebühr.

In der mündlichen Verhandlung am 15. Mai 2008 überreicht die Patentinhaberin geänderte Patentansprüche 1 bis 3 folgenden Wortlauts:

"1. Verwendung eines fluorierten n-Alkans der allgemeinen Formel F(CF2)n(CH2)mH mitn = 3-20 m = 3-20 zur Herstellung eines homogenen Gemisches aus wenigstens einem für die Netzhautentfaltung verwendbaren Perfluorcarbon und dem fluorierten n-Alkan zur Herstellung eines Netzhautentfaltungsmittels.

2. Verwendung nach Anspruch 1, wobei das fluorierte n-Alkan eine Dichte von 1,1 bis 1,3 g/cm3 aufweist.

3. Verwendung nach Anspruch 1 oder 2, wobei das fluorierte n-Alkan eine von CHF-haltigen Gruppierungen freie hochreine Verbindung ist."

Die Patentinhaberin vertritt die Auffassung, der nunmehr auf die Verwendung lediglich eines Teilkollektivs der betreffenden fluorierten n-Alkane zur Herstellung eines homogenen Gemisches mit wenigstens einem für die Netzhautentfaltung verwendbaren Perfluorcarbon eingeschränkte sowie des Weiteren konkret auf die Herstellung eines Netzhautentfaltungsmittels gerichtete Gegenstand des Patentanspruchs 1, der unbestritten neu sei, beruhe gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Die Patentinhaberin beantragt, den Beschluss des Patentamts aufzuheben und das Patent mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechtzuerhalten:

Ansprüche 1 bis 3, überreicht in der mündlichen Verhandlung Beschreibung Seite 2 und 3, überreicht in der mündlichen Verhandlung, übrige Unterlagen wie Patentschrift.

Die Einsprechende stellt den Antrag, die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Patentinhaberin erklärt ferner, den Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr zurückzunehmen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Die Beschwerde der Patentinhaberin ist frist- und formgerecht eingelegt worden und zulässig (PatG § 73). Sie führt jedoch nicht zum Erfolg.

Die Offenbarung der Patentansprüche in der verteidigten Fassung ist gegeben. Die Verwendung eines fluorierten n-Alkans gemäß den Patentansprüchen 1 bis 3 ergibt sich sowohl aus den ursprünglichen Unterlagen als auch aus dem Streitpatent in der erteilten Fassung (vgl. urspr. Unterl. Anspr. 1 i. V. m. Anspr. 29 bzw. Anspr. 5 und 10, sowie Anspr. 2 und 3; DE 195 36 504 C2 Anspr. 3 i. V. m. Anspr. 5, sowie Anspr. 8 und 9). Die stoffliche Einschränkung der fluorierten n-Alkane auf das Teilkollektiv der allgemeinen Formel F(CF2)n(CH2)mH mit n = 3-20 und m = 3-20 ist zulässig im Hinblick auf die bereits ursprüngliche Offenbarung dieser nur noch sogenannte Diblock-Verbindungen umfassenden Formel sowie wegen der zwecks stofflicher Abgrenzung gegenüber der EP 0 563 446 A1 (1) (vgl. (1) Anspr. 1 Verbindungen der Formel RFRH) vorgenommenen Streichung des Teilkollektivs von Verbindungen der Maßgabe n = 1-2 aus dieser Formel.

Die Einsprechende hatte im Einspruchsverfahren die Ausführbarkeit in Bezug auf die Vermeidung der Zelltoxizität und einer damit verbundenen Neuformulierung der technischen Aufgabe in Abrede gestellt (vgl. Patentakte Schrifts. v. 20. Dezember 2000 S. 2 vorle. Abs. i. V. m. S. 11 Abs. 3 bis S. 13 Abs. 1). Nach Ansicht des Senats ist darin jedoch kein Grund für fehlende Ausführbarkeit zu erkennen.

Dagegen mangelt es dem Streitpatent an Ausführungsbeispielen und/oder anderweitigen Ausführungen zur konkreten stofflichen Zusammensetzung der beanspruchten Gemische sowie der daraus herzustellenden Netzhautentfaltungsmittel. Die Ausführungsbeispiele des Streitpatents betreffen vielmehr ausnahmslos die chemische Synthese fluorierter n-Alkane, und auch aus der Beschreibung geht nicht hervor, welche Gemische welches Vertreters aus der Gruppe der fluorierten n-Alkane mit welchem Perfluorcarbon, in welchem Mengen- und Mischungverhältnis und mit welchen weiteren Zusatzstoffen, zur Herstellung der zur Netzhautentfaltung zu verwendenden Mittel einzusetzen sind, sodass erhebliche Zweifel dahin bestehen, ob - entsprechend der Entscheidung "Taxol" des Bundesgerichtshofs zur Ausführbarkeit (vgl. BGH GRUR 2001, 813 - Taxol) - jedenfalls wenigstens ein zum Ziel bzw. zur Lösung führender Weg tatsächlich offenbart und die beanspruchte Lehre damit nacharbeitbar bzw. ausführbar ist.

Eine Entscheidung über die Ausführbarkeit kann allerdings dahinstehen, da der Gegenstand des Patentanspruchs 1, der nunmehr stofflich sowie in seiner Verwendung gegenüber dem vorgebrachten Stand der Technik abgegrenzt ist und damit die erforderliche Neuheit aufweist, nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist von der Aufgabe auszugehen, die, obwohl weder in der Streitpatentschrift noch in den ursprünglichen Unterlagen expressis verbis formuliert, in dem Bedürfnis zu erkennen ist, ausgehend von bekannten Perfluorcarbonen sowie von bekannten semifluorierten n-Alkanen weitere fluorierte Kohlenwasserstoffe mit verbesserten Eigenschaften bei der Anwendung in Netzhautentfaltungsmitteln aufzufinden, beispielsweise bessere Löslichkeit, bessere Lösungsmitteleigenschaften sowie geringere Dichte (vgl. DE 195 36 504 A1 S. 3 Z. 22 bis 25, 30 bis 34, 43 bis 49; DE 195 36 504 C2 S. 2 Z. 35 bis 40, 46 bis 48, S. 3 Z. 19 bis 21). Eine dementsprechende Aufgabe ist auch dem angefochtenen Beschluss zugrunde gelegt worden (vgl. a. a. O. S. 5 Abs. 3).

Gelöst wird diese Aufgabe gemäß Patentanspruch 1 in der nunmehr verteidigten Fassung durch die Verwendung eines fluorierten n-Alkans der allgemeinen Formel F(CF2)n(CH2)mH mitn = 3-20 m = 3-20 zur Herstellung eines homogenen Gemisches aus wenigstens einem für die Netzhautentfaltung verwendbaren Perfluorcarbon und dem fluorierten n-Alkan zur Herstellung eines Netzhautentfaltungsmittels.

Diese Lösung war indessen für den Fachmann, ein mit der Herstellung von Mitteln für die Augenheilkunde befasster und vertrauter Chemiker oder Pharmazeut, ausgehend von der Lehre der vorveröffentlichten EP 0 563 446 A1 (1) in Kenntnis und unter Berücksichtigung des Inhalts der vorveröffentlichten WO 93/01798 A1 (2) nahe liegend.

Die Druckschrift (1) betrifft ein Behandlungsmittel für die Augenheilkunde, das gekennzeichnet ist durch flüssige perfluorierte, als modifizierte Perfluorcarbone bezeichnete Gruppen von Verbindungen, entweder des Typs der fluorierten Triblock- und Diblock-Alkane der Formeln RF(CH2)nRF und RFRH , wobei n > 3 und RF = CF3 , C2F5 , sowie RH = CH3(CH2)n mit n = 2 bis 10 bedeuten, oder des Typs fluorierter Alkylether der Formeln RFO(CH2)nORF , RFO(CH2)nO(CH2)nORF , RF(CH2)nO(CH2)nRF , RF(CH2)mO(CH2)nO(CH2)mRF , wobei RF = CF3, CF3(CF2)n mit n = 1 bis 4, und die Indizes n und m der Alkylenkette n = 2 bis 6 und m = 1 bis 4 bedeuten.

Insbesondere ist aus (1) die Verwendung dieser Verbindungen als Mittel zur Netzhautentfaltung oder als Tamponade bei wiederangelegter Netzhaut oder als Augenglaskörperersatz bekannt (vgl. (1) Anspr. 11 i. V. m. S. 2 Z. 31 bis S. 3 Z. 3). Gegenüber den Perfluorcarbonen, die neben den Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindungen des Gerüsts nur Kohlenstoff-Fluor-Bindungen und kein Wasserstoffatom enthalten, weisen diese fluorierten Verbindungen gemäß (1) ersichtlich geschlossene Perfluoralkyl-Reste, geschlossene Alkylreste und geschlossene Alkylenreste auf, in denen Methylengruppen durch ein bis drei Sauerstoffatome ersetzt sind.

Dementsprechend sind aus (1) unter anderem fluorierte n-Alkane der allgemeinen Formel RFRH mit den Restebedeutungen RF gleich CF3, C2F5 und RH gleich CH3(CH2)n mit n gleich 2 bis 10 (vgl. (1) Anspr. 1) und damit jenes Teilkollektiv von Verbindungen als Mittel zur Netzhautentfaltung zu entnehmen, das bereits aus dem Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung ausgenommen war und gegenüber dem auch der nunmehr verteidigte Patentanspruch 1 abgegrenzt ist.

Der Fachmann wird das Teilkollektiv der Formel RFRH aus der Druckschrift (1) ohne weiteres und selbstverständlich als geeignet zur Herstellung eines Mittels zur Netzhautentfaltung identifizieren und davon ausgehend nicht umhin können, Überlegungen bezüglich der Ausschlussgrenzen der in (1) für RF und RH gewählten Restebedeutungen und deren Relevanz anzustellen und in seine Überlegungen betreffend die Indikation Netzhautentfaltungsmittel deshalb auch die höheren Homologen der in (1) beschriebenen fluorierten n-Alkane der Formel RFRH einbeziehen. Denn aufgrund seines chemischen Fachwissens ist ihm innerhalb homologer Verbindungsreihen die Relation zwischen Molekülgröße und Molekülaufbau einerseits und den physikalischen Eigenschaften andererseits geläufig, und er erkennt deshalb ohne weiteres, dass sich die unter Berücksichtigung der Aufgabenstellung besonders relevanten Parameter Löslichkeit, Lösungsmitteleigenschaften einschließlich Fluorophilie und Lipophilie, sowie Dichte mittels der Größe des Fluoralkyl-Blocks und der Größe des Alkyl-Blocks innerhalb der n-Alkane der Formel RFRH verändern lassen. Die Überprüfung der Homologen der fluorierten n-Alkane der Formel RFRH mit RF gleich C3F7 und höher homolog auf ihre Eignung zur Herstellung von Netzhautentfaltungsmitteln war daher bereits aufgrund des Inhalts der Druckschrift (1) naheliegend.

Die höheren Homologen der fluorierten n-Alkane der Formel RFRH lagen hinsichtlich ihres Potentials zur Eignung als Mittel in Gemischen zur Netzhautentfaltung jedoch auch deshalb im Blickfeld des Fachmanns, weil nicht nur die besonderen Dispersions-, Emulsions- und damit Lösungsmitteleigenschaften solcher fluorierter n-Alkane an sich, sondern auch deren stabilisierender Einfluss auf Emulsionen von Perfluorcarbonen bereits bekannt war, und darüber hinaus Zusammensetzungen enthaltend fluorierte n-Alkane im Gemisch mit Perfluorcarbonen schon für die Injektion in Organe und Körperhöhlen in Erwägung gezogen worden war (vgl. (2) insbes. Anspr. 1 bis 4, Anspr. 9 sowie Anspr. 20 i. V. m. S. 18 Abs. 3 sowie S. 17 Abs. 4).

Unter Berücksichtigung der Lehre von (2) war es daher ausgehend von (1) auch naheliegend, Gemische aus fluorierten n-Alkanen der Formel RFRH mit RF größer C2F5 und Perfluorkohlenwasserstoffen für die Herstellung eines Mittels zur Netzhautentfaltung in Erwägung zu ziehen, und der Fachmann konnte nicht umhin, solche Gemische unter Berücksichtigung der Löslichkeit, der Lösungsmitteleigenschaften sowie der Dichte auf diese Anwendung hin zu untersuchen.

Sofern die Patentinhaberin darauf verwiesen hat, es komme für die Eignung zur Herstellung eines Netzhautentfaltungsmittels auf das Merkmal eines homogenen Gemisches aus fluoriertem n-Alkan und dem Perfluorcarbon an und dem vorgebrachten Stand der Technik sei dieses Merkmal bzw. diese Bedingung nicht zu entnehmen, so führt dies nicht zu einer anderen Bewertung.

Denn unter einem homogenen Gemisch ist nichts anderes als eine stabilisierte homogene Dispersion oder Emulsion zu verstehen, wie sie auch gemäß der Lehre der Druckschrift (2) in Zusammensetzungen enthaltend Perfluorcarbone durch den Zusatz von fluorierten n-Alkanen der Formel CF3(CF2)t-(CH2)y-CH3 und damit von Verbindungen gemäß Patentanspruch 1 des Streitpatents bewirkt wird.

Im Übrigen ist eine über die Lehre der Druckschrift (2) hinausgehende Bedeutung dieses Merkmals jedoch schon im Hinblick auf fehlende Ausführungsbeispiele und konkrete Ausführungen im Beschreibungsteil des Streitpatents nicht zu erkennen. Ausführungen zur Homogenität in der Streitpatentschrift betreffen ausschließlich homogene Lösungen fluorierter n-Alkane in Silikonöl bzw. in Gegenwart von Silikonöl (vgl. DE 195 36 504 C2 S. 3 Z. 56 bis 67) und damit eine Ausführungsform, auf die sich Patentanspruch 1 in der nunmehr verteidigten Fassung ersichtlich nicht beschränkt.

Es bedurfte daher keines erfinderischen Zutuns, um ausgehend von der Druckschrift (1) unter Berücksichtigung der Lehre der Druckschrift (2) zum Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der verteidigten Fassung zu gelangen, sodass dieser Anspruch mangels erfinderischer Tätigkeit nicht gewährbar ist.

Mit dem Patentanspruch 1 fallen auch die Patentansprüche 2 und 3, ohne dass es einer Prüfung dahin bedarf, ob diese etwas Schutzfähiges enthalten (BGH GRUR 1997, 120 - Elektrisches Speicherheizgerät).

Feuerlein Schwarz-Angele Egerer Zettler Na






BPatG:
Beschluss v. 15.05.2008
Az: 15 W (pat) 30/04


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