Bundesgerichtshof:
Urteil vom 16. Januar 2006
Aktenzeichen: II ZR 135/04

(BGH: Urteil v. 16.01.2006, Az.: II ZR 135/04)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Die Klägerin war Gesellschafterin einer GmbH und deren Geschäftsanteil wurde aufgrund offener Schulden eingezogen. Bei einer Gesellschafterversammlung wurden einstimmige Beschlüsse gefasst, um den Geschäftsanteil der Klägerin einzuziehen und die Anteile der anderen Gesellschafter entsprechend aufzustocken. Die Klägerin erhob Klage gegen diese Beschlüsse und das Landgericht erklärte sie für nichtig. Das Oberlandesgericht bestätigte diese Entscheidung und die Beklagte legte Revision ein. Der Bundesgerichtshof wies die Revision jedoch ab. Die Beschlüsse wurden in einem unzulässigen Verfahren gefasst, da die Zustimmung eines abwesenden Ergänzungspflegers erforderlich war, die nicht vorlag. Daher sind die Beschlüsse nichtig. Die Klägerin kann die Nichtigkeit feststellen lassen, obwohl das Abstimmungsverfahren noch nicht abgeschlossen wurde. Es wurde keine Satzungsregelung getroffen, die das kombinierte Verfahren ermöglicht hätte und selbst bei Einvernehmen aller Gesellschafter führt das Verfahren zur Nichtigkeit der Beschlüsse.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

BGH: Urteil v. 16.01.2006, Az: II ZR 135/04


Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 14. Mai 2004 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Gesellschafter der mit einem Stammkapital von 50.000,00 DM ausgestatteten beklagten GmbH waren die Klägerin (12.000,00 DM), ihr früherer Ehemann (26.000,00 DM) und die beiden minderjährigen Kinder (je 6.000,00 DM). Ein Gläubiger der Klägerin ließ im April 2003 wegen offenen Anwaltshonorars deren Geschäftsanteil pfänden. Nach § 13 der Satzung der Beklagten berechtigt eine derartige Zwangsvollstreckungsmaßnahme die Gesellschaft, den Geschäftsanteil zwangsweise einzuziehen. Im Hinblick darauf war für den 17. Juni 2003 zu einer Gesellschafterversammlung geladen worden, in welcher - außer über die Umstellung des Stammkapitals auf € - gestützt auf die genannte Satzungsbestimmung über die Zwangseinziehung des Geschäftsanteils der Klägerin und die Aufstockung der Anteile der Mitgesellschafter befunden werden sollte. Erschienen bzw. vertreten waren in der Versammlung allein der frühere Ehemann der Klägerin und der Ergänzungspfleger der Tochter. Nicht erschienen war hingegen die Klägerin, die behauptet hat, zu der Versammlung nicht eingeladen worden zu sein. Abwesend war ferner der Ergänzungspfleger des Sohnes, der allerdings nach dem Inhalt der Niederschrift die Bitte übermittelt hatte, ihm die Möglichkeit zu eröffnen, unmittelbar nach der Gesellschafterversammlung seine Stimme schriftlich abgeben zu dürfen. Dem entsprach die - beschlussfähige - Gesellschafterversammlung und beauftragte den Versammlungsleiter, dieses Votum einzuholen; in der Satzung der Gesellschaft ist ein derartiges Verfahren nicht vorgesehen. Von der ihm eröffneten Möglichkeit späterer Stimmabgabe hat der Ergänzungspfleger des Sohnes indessen keinen Gebrauch gemacht. Die anwesenden Gesellschafter beschlossen ausweislich der Niederschrift einstimmig, den Geschäftsanteil der Klägerin einzuziehen, die Geschäftsanteile der anderen Gesellschafter entsprechend aufzustocken und das Stammkapital auf 25.564,60 € umzustellen.

Gegen diese Beschlüsse wendet sich die Klägerin mit ihrer Klage, mit der sie formelle und inhaltliche Fehler der gefassten Beschlüsse rügt. Das Landgericht hat antragsgemäß die Nichtigkeit der angegriffenen Beschlüsse festgestellt, das Berufungsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen und die Revision zugelassen, mit der die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter verfolgt.

Gründe

Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg.

I. Das Oberlandesgericht hat die Gesellschafterbeschlüsse als nichtig erachtet, weil sie in einem nicht zulässigen Verfahren gefasst worden seien. Die anwesenden Gesellschafter hätten zu Beginn der Gesellschafterversammlung beschlossen, dem nicht erschienenen Ergänzungspfleger des Sohnes ein im Anschluss an die Versammlung auszuübendes schriftliches Stimmrecht einzuräumen. Diese Verfahrensweise stelle eine kombinierte Beschlussfassung dar, die nur wirksam sei, wenn sie entweder in der Satzung vorgesehen oder von dem Einverständnis sämtlicher Gesellschafter getragen sei. Beide Alternativen seien im Streitfall nicht gegeben.

II. Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Prüfung stand. Die angefochtenen Beschlüsse sind nichtig.

1. Entgegen der Auffassung der Revision sind die angegriffenen Beschlüsse nicht in einer Gesellschafterversammlung (§ 48 Abs. 1 GmbHG), sondern auf dem Wege einer sog. "kombinierten Beschlussfassung" getroffen worden. Eine Gesellschafterversammlung aller teilnahme- und - von der Klägerin, die nicht eingeladen worden sein will, abgesehen - abstimmungsberechtigten Gesellschafter hat nicht stattgefunden. Stattdessen sind die anwesenden, nach der Satzung beschlussfähigen Gesellschafter noch vor Beginn der Abstimmung übereingekommen, dem nicht erschienenen Ergänzungspfleger eines Gesellschafters durch ein nachträglich schriftlich auszuübendes Stimmrecht die Mitwirkung an der Beschlussfassung zu ermöglichen.

Dieses Verfahren stellt eine kombinierte Beschlussfassung dar (vgl. Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG 18. Aufl. Anh. § 47 Rdn. 41 f.; Lutter/ Hommelhoff, GmbHG 16. Aufl. § 48 Rdn. 14; Rowedder/Koppensteiner, GmbHG 4. Aufl. § 48 Rdn. 3). Dass die anwesenden Gesellschafter auch ohne den abwesenden Gesellschafter beschlussfähig waren und eine Entschließung zu den Beschlussgegenständen gefasst haben, die der Ergänzungspfleger nicht mehr umstoßen konnte, nimmt dem Verfahren nicht den Charakter einer solchen kombinierten Beschlussfassung; denn dafür kommt es nur auf das eingeschlagene Verfahren, nicht aber auf das Ergebnis der Abstimmung an. Ebenso wenig spielt es eine Rolle, dass der Ergänzungspfleger später von der ihm eingeräumten Möglichkeit der schriftlichen Stimmabgabe keinen Gebrauch gemacht hat.

2. Dieses hier von der Beklagten eingeschlagene Verfahren ist - wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat - unzulässig und führt, ohne dass es auf die weiteren von der Klägerin angeführten formellen und materiellen Mängel ankommt, zur Nichtigkeit der gefassten Beschlüsse. Da die Beklagte sich auf die Wirksamkeit des Beschlossenen beruft, kann die Klägerin diese Nichtigkeit auf dem von ihr eingeschlagenen Weg ungeachtet des Umstandes feststellen lassen, dass das von den Gesellschaftern eingeschlagene Abstimmungsverfahren mangels der vorgesehenen Mitwirkung des Ergänzungspflegers nicht abgeschlossen ist und die nicht nur bei der schriftlichen Abstimmung (vgl. dazu BGHZ 15, 324, 329), sondern ebenso bei dem kombinierten Verfahren grundsätzlich erforderliche Beschlussfeststellung fehlt.

a) Beschlüsse der Gesellschafter werden gemäß § 48 Abs. 1 GmbHG grundsätzlich in Versammlungen, also bei gleichzeitiger Anwesenheit der Gesellschafter gefasst. Abweichend vom Regelfall einer Versammlung ermöglicht § 48 Abs. 2 GmbHG die Beschlussfassung im schriftlichen Verfahren, wenn entweder die Gesellschafter den Beschlussvorschlag einstimmig billigen oder sie ihr Einverständnis mit der schriftlichen Abstimmung in gleicher Weise erklären. § 48 GmbHG enthält freilich keine abschließende Regelung über die Form, in der Gesellschafterbeschlüsse gefasst werden können, sondern gestattet den Gesellschaftern, durch die Satzung abweichende Regelungen zu treffen. Auf diesem Wege können die Gesellschafter nicht nur die formellen Anforderungen der Beschlussfassung erleichtern, sondern vor allem auch ein kombiniertes Verfahren vorsehen (Baumbach/Hueck/Zöllner aaO § 48 Rdn. 41 f.; Roth in: Roth/Altmeppen, GmbHG 5. Aufl. § 48 Rdn. 36; Rowedder/Koppensteiner aaO § 48 Rdn. 3; Hachenburg/Hüffer, GmbHG 8. Aufl. § 48 Rdn. 57 ff.). Eine derartige Regelung enthält - wie auch die Revision einräumt - die Satzung der Beklagten nicht.

b) Ob ausnahmsweise eine Abstimmung in einem kombinierten Verfahren auch ohne entsprechende Satzungsgrundlage durchgeführt werden kann, wenn alle Gesellschafter hiermit einverstanden sind, hat der Senat in einer beiläufigen Bemerkung in einer früheren Entscheidung (BGHZ 58, 115, 120; vgl. dazu die Nachw. zum Streitstand bei Baumbach/Hueck/Zöllner aaO Rdn. 42) offen gelassen. Abgesehen davon, dass mangels des Einverständnisses der Klägerin mit dieser Verfahrensweise - es war trotz ihres fehlenden Stimmrechts bei den zur Abstimmung gestellten Beschlussgegenständen zu TOP 2 und 3 bei der Entscheidung über die Anwendung des kombinierten Verfahrens unerlässlich (Lutter/Hommelhoff, GmbHG 16. Aufl. § 48 Rdn. 10) - diese besonderen Ausnahmevoraussetzungen hier nicht vorliegen, entscheidet der Senat die früher offen gelassene Frage dahin, dass eine Abstimmung im Wege des in der Satzung nicht vorgesehenen kombinierten Verfahrens stets - also auch bei Einvernehmen sämtlicher Gesellschafter - zur Nichtigkeit des Beschlossenen führt (ebenso: Hüffer 100 Jahre GmbHG S. 512, 535 f.; ders. in Hachenburg aaO § 48 Rdn. 60; Baumbach/Hueck/Zöllner aaO § 48 Rdn. 42; a.A. Rowedder/Koppensteiner aaO § 48 Rdn. 3; Lutter/Hommelhoff aaO § 48 Rdn. 14; Roth aaO Rdn. 36; Scholz/K. Schmidt, GmbHG 9. Aufl. § 48 Rdn. 72). Wenn bereits Einberufungsmängel die Nichtigkeit des in einer derart zusammengetretenen Gesellschafterversammlung Beschlossenen zur Folge haben, wäre es wertungswidersprüchlich und vom Gesetz nicht gedeckt (Baumbach/ Hueck/Zöllner aaO § 48 Rdn. 42), den Fall, dass überhaupt kein zugelassenes Abstimmungsverfahren stattgefunden hat, nicht der Nichtigkeitsfolge nach dem im GmbH-Recht entsprechend heranzuziehenden § 241 Nr. 1 AktG zu unterwerfen.

Goette Kurzwelly Gehrlein Strohn Caliebe Vorinstanzen:

LG Magdeburg, Entscheidung vom 02.12.2003 - 31 O 208/03 -

OLG Naumburg, Entscheidung vom 14.05.2004 - 7 U 62/03 (Hs) -






BGH:
Urteil v. 16.01.2006
Az: II ZR 135/04


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