Bundespatentgericht:
Beschluss vom 26. Februar 2008
Aktenzeichen: 23 W (pat) 22/05

(BPatG: Beschluss v. 26.02.2008, Az.: 23 W (pat) 22/05)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Das Bundespatentgericht hat in seinem Beschluss vom 26. Februar 2008 (Aktenzeichen 23 W (pat) 22/05) die Beschwerde gegen ein Patent zurückgewiesen. Das Patent wurde 1999 angemeldet und beinhaltet eine Vorrichtung und ein Verfahren zur Erleichterung des Ein- und/oder Ausstiegs zu bzw. von einem hinteren Fondsitz in einem Kraftfahrzeug. Es wurden verschiedene Entgegenhaltungen des Standes der Technik berücksichtigt, unter anderem die Druckschrift E1, die eine ähnliche Ein- und Ausstiegshilfe beschreibt. Das Patent wurde widerrufen, da die Erfindung gemäß Patentanspruch 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. Auch das Verfahren gemäß Patentanspruch 11 wurde als nicht patentfähig angesehen. Da keine weiteren selbständigen Ansprüche gestellt wurden, sind auch die Unteransprüche hinfällig. Die Beschwerde wurde daher abgelehnt.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

BPatG: Beschluss v. 26.02.2008, Az: 23 W (pat) 22/05


Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Das Patent DE 199 51 120 C2 (Streitpatent) der Patentinhaberin wurde am 23. Oktober 1999 beim Deutschen Patent- und Markenamt angemeldet und unter Berücksichtigung des Standes der Technik gemäß

1) DE 196 30 223 C2, 2) DE 39 33 562 A1, 3) DE 40 34 529 A1 und 4) DE 40 26 090 A1 von der Prüfungsstelle für Klasse B60R des Deutschen Patent- und Markenamts durch Beschluss vom 7. Juni 2001 mit der Bezeichnung "Vorrichtung und Verfahren zur Erleichterung des Ein- und/oder Aussteigens zu bzw. von einem Fondsitz eines viertürigen Kraftfahrzeuges" erteilt. Es enthält 17 Patentansprüche. Die Patenterteilung wurde am 31. Oktober 2001 veröffentlicht.

Gegen das Patent hat die Einsprechende am 23. Januar 2002 Einspruch erhoben und beantragt, das Patent aus den in § 21, Abs. 1, Satz 1 PatG genannten Gründen in vollem Umfang zu widerrufen.

Sie stützte ihren Einspruch auf folgenden Stand der Technik gemäß den Druckschriften E1 EP 0 260 631 A1, E2 DE 40 34 529 A1, E3 DE 196 30 223 C2, E4 DE 198 49 617 A1 und E5 DE 40 26 090 A1, wobei die Druckschriften E2, E3 und E5 schon im Prüfungsverfahren berücksichtigt wurden.

Im Einspruchsverfahren verteidigte die Patentinhaberin das Streitpatent mit einem Anspruchssatz mit 17 Patentansprüchen als Hauptantrag (Schriftsatz vom 12. August 2002, eingegangen am 16. August 2002) in beschränkter Fassung, wobei es gemäß den Patentansprüchen 1 und 11 auf eine Wirkverbindung zwischen dem äußeren bzw. inneren Türgriff und ersten bzw. zweiten Erfassungseinrichtungen (2a) bzw. (2b) (vgl. im Streitpatent die Figuren 1 bis 3) ankommt.

Mit dem Beschluss vom 20. Februar 2004 (zugestellt am 7. April 2004) hat die Patentabteilung 34 des Deutschen Patent- und Markenamts das Patent widerrufen, weil die Gegenstände gemäß den selbständigen Patentansprüchen 1 und 11 gegenüber der Druckschrift E1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit des Fachmanns beruhten.

Hiergegen richtet sich die zulässige Beschwerde der Patentinhaberin vom 26. April 2004. Die Patentinhaberin beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben.

In der mündlichen Verhandlung vom 26. Februar 2008 verteidigt die Patentinhaberin das Streitpatent in beschränkter Fassung mit den Patentansprüchen 1 bis 17 nach Hauptantrag gemäß Schriftsatz vom 27. Juli 2004.

Die Patentinhaberin beantragt, die Entscheidung der Patentabteilung 34 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 20. Februar 2004 aufzuheben und das Patent beschränkt aufrechtzuerhalten gemäß Hauptantrag im Schriftsatz vom 27. Juli 2004, Patentansprüche 1 bis 17.

Die Einsprechende beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Der geltende Patentanspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

"Vorrichtung zur Erleichterung des Einstieges zu einem hinter einem Vordersitz (5) angeordneten Fondsitz (4) und/oder Ausstieges von einem hinter einem Vordersitz (5) angeordneten Fondsitz (4) eines zumindest viertürigen Kraftfahrzeuges mit einer Steuereinrichtung (1), welcher ein Signal einer ersten Einrichtung (2a) zum Erfassen eines Einstieges zu dem Fondsitz (4) und/oder ein Signal einer zweiten Einrichtung (2b, 2c) zum Erfassen eines Ausstieges von dem Fondsitz (4) ist bzw. zugeführt wird, dadurch gekennzeichnet, dass eine Betätigungseinrichtung (3) vorgesehen ist, mit welcher der Fondsitz (4) in Längsrichtung zwischen einer vorderen und einer hinteren Endstellung (ESV, ESH) verschiebbar ist unddie Steuereinrichtung (1) derart ausgebildet ist, dass bei Erfassen eines Einstieges zu dem Fondsitz (4) durch die erste Einrichtung (2a), welche in Wirkverbindung mit einem äußeren Türgriff steht und/oder bei Erfassen eines Ausstieges von dem Fondsitz (4) durch die zweite Einrichtung (2b, 2c), welche in Wirkverbindung mit einem inneren Türgriff steht, die Steuereinrichtung (1) ein Stellsignal zum Verschieben des Fondsitzes (4) in eine definierte hintere Stellung erzeugt und der Betätigungseinrichtung (3) zuführt."

Der geltende selbständige Verfahrensanspruch 11 hat folgenden Wortlaut:

"Verfahren zur Erleichterung des Einstieges zu einem hinter einem Vordersitz (5) angeordneten Fondsitz (4) und/oder Ausstieges von einem hinter einem Vordersitz (5) angeordneten Fondsitz (4) eines zumindest viertürigen Kraftfahrzeuges, bei dem ein beabsichtigter Einstieg zu dem Fondsitz (4) und/oder ein beabsichtigter Ausstieg von dem Fondsitz (4) erfasst wird, dadurch gekennzeichnet, dass bei dem Erfassen eines Einstieges durch eine erste Einrichtung (2a), welche in Wirkverbindung mit einem äußeren Türgriff steht, zu dem Fondsitz (4) und/oder bei dem Erfassen eines Ausstieges durch eine zweite Einrichtung (2b, 2c), welche in Wirkverbindung mit einem inneren Türgriff steht, von dem Fondsitz (4), der Fondsitz (4) in eine definierte hintere Stellung verschoben wird."

Bezüglich der Unteransprüche 2 bis 10 und 12 bis 17 wird auf die Patentschrift und bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II 1) Die Zulässigkeit des Einspruchs ist zwar nicht angegriffen worden, jedoch ist diese vom Patentamt und Patentgericht von Amts wegen zu prüfen, vgl. Schulte 7. Auflage § 59 Rdn. 22 und 145.

Der form- und fristgerechte Einspruch ist zulässig, weil in dem Einspruchsschriftsatz ein Widerrufsgrund genannt ist und die Tatsachen, die den Einspruch rechtfertigen, entsprechend § 59 Abs. 1 Satz 4 PatG im Einzelnen so angegeben sind, dass die Merkmale des erteilten Patentanspruchs 1 und 11 in einen konkreten Bezug zu der Entgegenhaltung E1 gebracht wurden, um i. V. m. üblichen fachmännischen Kenntnissen deren Neuheitsschädlichkeit zu belegen, vgl. Einspruchsschriftsatz Seiten 2 und 3.

2) Die Erfindung betrifft eine Vorrichtung zur Erleichterung des Ein- und/oder Ausstieges zu bzw. von einem hinter einem Vordersitz angeordneten Fondsitz eines zumindest viertürigen Kraftfahrzeuges, mit einer Steuereinrichtung, welcher ein Signal einer Einrichtung zum Erfassen eines Einstiegs zu dem Fondsitz und/oder ein Signal einer Einrichtung zum Erfassen eines Ausstieges von dem Fondsitz zuführbar ist, sowie ein Verfahren zur Erleichterung des Ein- und/oder Ausstieges zu bzw. von einem hinter einem Vordersitz angeordneten Fondsitz, bei dem ein Einstieg zu dem Fondsitz und/oder ein Ausstieg von dem Fondsitz erfasst wird (vgl. Streitpatent Abschnitt [0001]).

Ausweislich der Beschreibung der Patentschrift geht die Patentinhaberin von einer Einstiegshilfe zur Erleichterung des Einstieges zu einem Fondsitz eines viertürigen Kraftfahrzeuges aus, wie diese in der Entgegenhaltung E3 offenbart ist.

In dieser Druckschrift wird vorgeschlagen, bei der Erfassung eines beabsichtigten Einstieges durch einen Türkontaktschalter, den vor dem Fondsitz befindlichen Vordersitz nach vorn zu verlegen. Dabei soll jedoch die Vorverlegung des Vordersitzes nur erfolgen, wenn dieser nicht belegt ist. Dies hat den Nachteil, dass die bekannte Einstiegshilfe nur dann wirksam ist, wenn sich kein Insasse auf dem Vordersitz befindet. Zusätzlich wird bei dieser Lösung das gleichzeitige Einsteigen zum Vordersitz und Fondsitz erschwert (vgl. Streitpatent Abschnitt [0002]).

Daher liegt dem Patent als technisches Problem die Aufgabe zugrunde, eine Vorrichtung und ein Verfahren zur Ein- und/oder Ausstiegserleichterung zu bzw. von einem Fondsitz eines viertürigen Kraftfahrzeuges zu schaffen, mittels deren Ein- und Ausstiegsvorgänge zu den Fondsitzen auch dann erleichtert werden, wenn der Vordersitz belegt ist (richtiggestellt anstelle unbelegt; vgl. Streitpatent Abschnitte [0002] und [0003]).

Dieses Problem wird durch die in den geltenden, selbständigen Vorrichtungs- und Verfahrensansprüchen 1 und 11 angegebenen Merkmale gelöst.

Bei den Lösungen nach den selbständigen Vorrichtungs- und Verfahrensansprüchen (Ansprüche 1 und 11) kommt es wesentlich darauf an, dass die erste bzw. zweite Einrichtung (Erfassen eines Einstiegs 2a bzw. Erfassen eines Ausstiegs 2b, Erfassen der Gurtöffnung 2c) in Wirkverbindung mit einem äußeren bzw. inneren Türgriff steht und bei Erfassung eines Einstiegs zu dem Fondsitz durch die erste Einrichtung (2a) und/oder bei Erfassung eines Ausstiegs von dem Fondsitz (4) durch die zweite Einrichtung (2b, 2c) die Steuereinrichtung (1) die Verschiebung des Fondsitzes (4) in eine definierte hintere Stellung ansteuert.

Ursprünglich wird nicht zwischen einem ersten Türkontaktschalter (2a) und zweiten Türkontaktschalter (2b, 2c) unterschieden, vielmehr ist in der ursprünglichen Beschreibung Seite 4, Abs. 1 und 2 (vgl. hierzu auch den ursprünglichen Patentanspruch 1) lediglich von Türkontaktschaltern (2a, 2b) die Rede, so dass die Einrichtung (2a) bzw. die Einrichtung (2b) im einfachsten Fall aus einem einzigen Türkontaktschalter mit zusätzlichen, dem äußeren bzw. dem inneren Türgriff zugeordneten Sensoren und zugehörigen Signalleitungen ausgebildet werden kann, zumal nach den zuletzt zitierten Beschreibungsteilen unabhängig davon, ob ein Einstieg oder ein Ausstieg zu oder vom Fondsitz (4) detektiert wird, der Fondsitz (4) stets in die gleiche definierte hintere Stellung (ESH) gebracht wird.

3) Die Beschwerde der Patentinhaberin ist zwar zulässig, jedoch nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung vom 26. Februar 2008 erweist sich die Einstiegs- bzw. Ausstiegshilfe gemäß Patentanspruch 1 als nicht patentfähig.

Die Frage der ursprünglichen und vollständigen Offenbarung der mit den geltenden Patentansprüchen vermittelten Lehre sowie die Frage ihrer Neuheit kann dahinstehen, weil - wie es sich aus dem nachfolgenden Abschnitt ergibt - die Lehre des Patentanspruchs 1 des Streitpatents gegenüber dem Stand der Technik gemäß den Druckschrift E1 i. V. m. üblichen fachmännischen Kenntnissen auf jeden Fall nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit des zuständigen Fachmanns beruht, vgl. BGH GRUR 1991, 120, 121 Abschnitt II. 1. - "Elastische Bandage".

Der zuständige Fachmann ist hier als ein berufserfahrener, mit der Entwicklung und Anwendung von Kraftfahrzeug-Steuerelektronik befasster Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Elektrotechnik bzw. Mechatronik mit Fachhochschulabschluss zu definieren.

Die Entgegenhaltung E1 offenbart - in weitgehender Übereinstimmung mit dem geltenden Anspruch 1 - eine Vorrichtung zur Erleichterung des Einstieges zu und/oder Ausstieges (for facilitating the entry and exit into and from the automobile / Spalte 4, Zn. 21 bis 25) von einem hinter einem Vordersitz angeordneten Fondsitz (rear seat 2) eines zumindest viertürigen Kraftfahrzeuges (vgl. dort Figur 1) mit einer Steuereinrichtung (central electronic unit 26 in connection to the switch block 15 / Figur 2), welcher ein Signal einer Einrichtung (control 16, switch 23 / vgl. dort Patentanspruch 1 i. V. m. Spalte 3, Zn. 44 bis 52 und Spalte 4, Zn. 42 bis 47) zugeführt wird, wobei eine Betätigungseinrichtung (control 16, motor 11 / vgl. Spalte 3, Zn. 16 bis 20 und Zn. 44 bis 52) vorgesehen ist, mit der der Fondsitz (2) in Längsrichtung zwischen einer vorderen und einer hinteren Endstellung (most advanced position, most withdrawn position of the cushion assembly 3) verschiebbar ist und die Steuereinrichtung (26) derart ausgebildet ist, dass bei Erfassen eines Einstieges oder Ausstieges zu oder von dem Fondsitz (2), die Steuereinrichtung (26) ein Stellsignal zum Verschieben des Fondsitzes (2) in eine definierte hintere Stellung erzeugt und der Betätigungsvorrichtung (11) zuführt.

Somit offenbart die Druckschrift E1 eine Ein- und Ausstiegshilfe, die bei jedem Öffnen der Fondtür - sei es von Innen oder Außen - den Fondsitz (2) stets in die am meisten zurückgezogene Stellung verschiebt, genauso wie es ursprünglich in den Anmeldungsunterlagen des vorliegenden Streitpatents offenbart ist (vgl. ursprüngliche Beschreibung Seite 4, Abs. 1 und 2).

Sollte der Fondsitz in Abhängigkeit davon, ob der äußere oder innere Türgriff betätigt wird, in unterschiedliche Positionen verfahren werden - wie es ursprünglich so nicht offenbart, aber in der Formulierung des geltenden Anspruchs 1 (mit ersten und zweiten Türkontaktschaltern) mitumfasst ist - dann ist es für den vorstehend definierten Fachmann selbstverständlich, dass zu dem Türkontaktschalter (23) der Ein- und Ausstiegshilfe gemäß Druckschrift E1 zusätzlich Signale bereitgestellt werden müssen, die durch die Betätigung des äußeren oder inneren Türgriffs erzeugt werden, und diese Signale mit dem der Türkontaktschalter (23) schaltungsmäßig zu einer ersten oder zweiten Einrichtung zum Erfassen eines Einstiegs oder Ausstiegs zusammengefasst werden, welche dann zwangsläufig in Wirkverbindung mit dem äußeren oder inneren Türgriff stehen, vgl. BGH GRUR 2008, 56, 59, Abschnitte [24], [25] - "Injizierbarer Mikroschaum" m. w. N..

Somit beruht die Vorrichtung gemäß geltendem Patentanspruch 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit des zuständigen Fachmanns, so dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nicht patentfähig ist.

Gleiches gilt für das Verfahren gemäß geltendem Patentanspruch 11, weil das beanspruchte Verfahren allgemeiner gefasst ist als die Lehre des Patentanspruchs 1.

4) Mit dem Patentanspruch 1 des Streitpatents fallen wegen der Antragsbindung auch die Unteransprüche 2 bis 10. Weil auf das Verfahren gemäß dem selbständig gefassten Patentanspruch 11 kein selbständiger Antrag gerichtet wurde, fallen wegen der Antragsbindung auch die Verfahrensansprüche 11 bis 17, vgl. BGH GRUR 2007, 862 Leitsatz - "Informationsübermittlungsverfahren II" m. w. N..

Daher war die Beschwerde der Patentinhaberin zurückzuweisen.

Dr. Tauchert Lokys Dr. Hock Brandt Pr






BPatG:
Beschluss v. 26.02.2008
Az: 23 W (pat) 22/05


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/a2861edf944e/BPatG_Beschluss_vom_26-Februar-2008_Az_23-W-pat-22-05




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