Bundespatentgericht:
Beschluss vom 22. November 2004
Aktenzeichen: 19 W (pat) 327/02

(BPatG: Beschluss v. 22.11.2004, Az.: 19 W (pat) 327/02)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Das Bundespatentgericht hat in dem Beschluss vom 22. November 2004 das Patent mit der Nummer 196 49 905 widerrufen. Die Patentanmeldung wurde am 2. Dezember 1996 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereicht und das Patent am 13. Juni 2002 erteilt. Das Patent betrifft eine Betätigungsvorrichtung für das Türschloss eines Kraftfahrzeugs.

Eine Einsprechende hat gegen das Patent Einspruch eingelegt und geltend gemacht, dass der Gegenstand des Patents nicht patentfähig sei. Die Patentinhaberinnen vertreten die Meinung, dass die vorhandene Literatur dem Fachmann keinen Hinweis auf den Gegenstand des Patentanspruchs gibt. Die Einsprechende hat den Antrag gestellt, das Patent zu widerrufen, während die Patentinhaberinnen das Patent aufrechterhalten möchten.

Das Patent beinhaltet den Patentanspruch 1, der eine Betätigungsvorrichtung für das Türschloss eines Kraftfahrzeugs beschreibt. Das Patent hat das Ziel, eine kostengünstige Herstellung zu ermöglichen und die Montage des Mitnehmers zwischen Schließzylinder und Schloss einfach zu gestalten.

Die Einsprechende argumentiert, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nicht erfinderisch ist. Sie verweist auf ähnliche Betätigungsvorrichtungen in der vorhandenen Literatur, die dem Fachmann nahelegen würden, die Maßnahmen des Patentanspruchs 1 zu ergreifen. Die Patentinhaberinnen halten dem entgegen, dass die vorhandene Literatur dem Fachmann keinen Hinweis gibt und die Betätigungsvorrichtungen in der Literatur eine andere Beanspruchung aufweisen als die im Patentanspruch 1 beschriebene Vorrichtung.

Das Bundespatentgericht kommt zu dem Schluss, dass die Betätigungsvorrichtung gemäß Patentanspruch 1 nicht erfinderisch ist. Der Unterschied zur vorhandenen Literatur liegt lediglich in einem Herstellungsschritt, der jedoch nicht als patentbegründend angesehen wird. Der Fachmann hätte von sich aus versucht, die Herstellungsschritte zu reduzieren und käme dabei auf die im Patentanspruch 1 beschriebene Lösung. Das Argument der Patentinhaberinnen bezüglich möglicher Korrosionsprobleme zwischen Aluminium und Eisen wird vom Gericht nicht unterstützt.

Das Restpatent wird daher widerrufen und der Patentanspruch 1 fällt ebenfalls. Das Patent kann höchstens hilfsweise geteilt werden, da ein Schwebezustand für das Stammpatent vermieden werden soll. Die Entscheidungsbefugnis für diesen Fall liegt beim zuständigen 19. Senat des Bundespatentgerichts.

(Die weiteren Teile der Gerichtsentscheidung werden nicht in der Inhaltsangabe wiedergegeben.)




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

BPatG: Beschluss v. 22.11.2004, Az: 19 W (pat) 327/02


Tenor

Das Restpatent 196 49 905 wird widerrufen.

Gründe

I Für die am 2. Dezember 1996 im Deutschen Patent- und Markenamt eingegangene Patentanmeldung ist die Erteilung des nachgesuchten Patents am 13. Juni 2002 veröffentlicht worden. Es betrifft eine

"Betätigungsvorrichtung für das Türschloß eines Kraftfahrzeugs".

Gegen das Patent hat die Einsprechende am 17. August 2002 Einspruch erhoben. Zur Begründung trägt sie vor, der Gegenstand des Patents sei nicht patentfähig, weil er gegenüber der FR 1 175 848 und der DE 83 07 528 U1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

Die Patentinhaberinnen vertreten die Auffassung, die FR 1 175 848 und die DE 83 07 528 U1 würden dem Fachmann keinen Hinweis auf den Gegenstand des Patentanspruchs 1 geben; die DE 83 07 528 U1 betreffe zudem ein gattungsfremdes Gebiet.

Die Einsprechende stellt den Antrag, das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberinnen stellen übereinstimmend den Antrag, das Patent mit folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:

Patentansprüche 1 und 2, überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 22. November 2004, Beschreibung und Zeichnungen gemäß Patentschrift.

Hilfsweise erklärt sie die Teilung des Patents.

Der geltende Patentanspruch 1 lautet:

"Betätigungsvorrichtung für das Türschloß (4; 7) eines Kraftfahrzeuges mit einem Schließzylinder (2),der über einen Mitnehmer (3) mit dem Türschloß (4; 7) in Wirkverbindung steht, mit den Merkmalen:

a) ein dem Schließzylinder (2) zugewandter erster Teilbereich (5) des Mitnehmers (3) ist in Form eines Stahlseiles als biegsame Welle ausgebildet;

b) die biegsame Welle (5) ist mit ihrem ersten Ende fest mit dem Schließzylinder (2) verbunden und schließt sich axial an diesen an;

c) ein mit dem zweiten Ende der biegsamen Welle (5) fest verbundener und sich axial an diese anschließender zweiter Teilbereich (6) des Mitnehmers (3) ist als starres einstückiges Teil ausgebildet, welches mit seinem dem Türschloß (4; 7) zugewandten Endbereich in das Türschloß (4; 7) eingreift;

d) das erste und zweite Ende der biegsamen Welle (5) werden bei der Herstellung des Schließzylinders (2) und des zweiten Teilbereiches (6) des Mitnehmers (3) als Einleger verwendet und mit einer zur Herstellung des Schließzylinders (2) und des zweiten Teilbereiches (6) des Mitnehmers (3) erforderlichen Schmelze umspritzt".

Es soll die Aufgabe gelöst werden, eine Betätigungsvorrichtung für das Türschloß eines Kraftfahrzeugs mit einem Schließzylinder, der über einen Mitnehmer mit dem Türschloß in Wirkverbindung steht, anzugeben, die kostengünstig herstellbar und bei der der Mitnehmer schnell und einfach zwischen Schließzylinder und Schloß montierbar ist (Abs [0007] der Streit-PS).

Die Einsprechende hält den Gegenstand des Patentanspruchs 1 nicht für erfinderisch. Sie ist der Auffassung, die Betätigungsvorrichtung nach dem Streitpatent unterscheide sich von der Betätigungsvorrichtung gemäß der FR 1 175 848 lediglich durch das Merkmal d). Die darin beschriebene Maßnahme sei für den Fachmann jedoch naheliegend, da die FR 1 175 848 bereits ein "fassen bzw einfassen" (sertir) erwähne, das der Fachmann auch als Umspritzen verstehe. Aber auch durch die DE 83 07 528 U1 sei dem Fachmann ein Umspritzen eines Stahlseiles nahegelegt. Auch die GB 2 291 109 A zeige ein Stahlseil mit einem angespritzten Körper.

Die Patentinhaberinnen sind der Auffassung, die FR 1 175 848 gebe dem Fachmann keinen Hinweis auf ein Umspritzen der Enden der biegsamen Welle und bei den Vorrichtungen nach der DE 83 07 528 U1 und nach der GB 2 291 109 A erfolge eine Beanspruchung auf Zug und nicht auf Drehung, wie bei der Vorrichtung nach dem Patentanspruch 1. Für den Fachmann sei es aber auch nicht nahegelegt gewesen, ein Stahlseil mit Aluminium zu umspritzen, wie es ein üblicherweise aus Aluminiumguß hergestellter Zylinder erfordern würde. Denn an der Umspritzung würde eine Ausbrechung entstehen. Auch ein Umspritzen des Stahlseiles mit Kunststoff läge für den Fachmann nicht nahe, denn zum einen beständen Schließzylinder nicht aus Kunststoff und eine solche Umspritzung wirke wie eine Klebung und die Haltbarkeit wäre von der Scherfläche abhängig.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II Gemäß § 147 Abs. 3 Satz 1 PatG liegt die Entscheidungsbefugnis bei dem hierfür zuständigen 19. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts.

Der Senat hatte auf Grund öffentlicher mündlicher Verhandlung zu entscheiden (siehe BPatGE 46,134 - "gerichtliches Einspruchsverfahren" (mwN)).

Gegenstand des Verfahrens ist das erteilte Patent.

1. Fachmann Als zuständiger Fachmann ist hier ein Fachhochschulingenieur des Maschinenbaus mit besonderen Kenntnissen auf dem Gebiet der Konstruktion von Betätigungseinrichtungen für Kraftfahrzeugtürschlösser anzusehen.

2. Stand der Technik Aus der FR 1 175 848 ist bekannt, eine

"Betätigungsvorrichtung für das Türschloß 4 eines Kraftfahrzeugs (S 1 li Abs 1 und re Sp Z 5 bis 15) mit einem Schließzylinder 8, der über einen Mitnehmer 10, 11 mit dem Türschloß 4 in Wirkverbindung steht (Fig iVm S 1 re Sp Abs 3), mit den Merkmalen:

a) ein dem Schließzylinder 8 zugewandter erster Teilbereich 10 des Mitnehmers 10, 11 ist in Form eines Stahlseiles als biegsame Welle ausgebildet (S 1 re Sp Abs 3 iVm Fig sowie S 1 re Sp vorle Abs: le flexible = flexible Welle, acier = Stahl);

b) die biegsame Welle 10 ist mit ihrem ersten Ende fest mit dem Schließzylinder 8 verbunden und schließt sich axial an diesen an (Fig 8, 10);

c) ein mit dem zweiten Ende der biegsamen Welle 10 fest verbundener und sich axial an diese anschließender zweiter Teilbereich 11 des Mitnehmers 10, 11 ist als starres einstückiges Teil 11 ausgebildet, welches mit seinem dem Türschloß 4 zugewandten Endbereich in das Türschloß 4 eingreift (S 1 re Sp Abs 3 iVm Fig)".

3. Patentfähigkeit Die Betätigungsvorrichtung gemäß Patentanspruch 1 ist nicht erfinderisch.

Im Unterschied zur Betätigungsvorrichtung nach der FR 1 175 848 ist bei der Betätigungsvorrichtung gemäß Patentanspruch 1 vorgesehen, daß die Herstellung nach folgendem Verfahrensschritt erfolgt:

"d) das erste und zweite Ende der biegsamen Welle werden bei der Herstellung des Schließzylinders und des zweiten Teilbereiches des Mitnehmers als Einleger verwendet und mit einer zur Herstellung des Schließzylinders und des zweiten Teilbereiches des Mitnehmers erforderlichen Schmelze umspritzt".

Dieser Unterschied ist jedoch nicht patentbegründend.

Ausgehend von einer Betätigungsvorrichtung, wie sie in der FR 1 175 848 beschrieben ist, stellt sich die in der Streitpatentschrift angegebene Aufgabe, eine Betätigungsvorrichtung für das Türschloß eines Kraftfahrzeugs mit einem Schließzylinder, der über einen Mitnehmer mit dem Türschloß in Wirkverbindung steht, anzugeben, die kostengünstig herstellbar und bei der der Mitnehmer schnell und einfach zwischen Schließzylinder und Schloß montierbar ist, in der Praxis von selbst. Denn der Fachmann hat stets Anlaß, nach einer mit wenigen einfachen Herstellungsschritten auskommenden und damit kostengünstigen Lösung suchen. Er wird daher ausgehend von der Betätigungsvorrichtung gemäß der FR 1 175 848 versuchen, die dort notwendigen Fertigungsschrittea) Herstellung der biegsamen Welle, b) Herstellung von Schließzylinderc) Herstellung des zweiten Teilbereichs des Mitnehmers, d) Zusammenbau von Welle, Schließzylinder und zweitem Teilbereich des Mitnehmers, zu reduzieren.

Da die drei zu verbindenden Teile aus verschiedenen Werkstoffen bestehen und flexibel bzw. starr sein müssen, kommt eine materialeinheitliche Herstellung nicht in Frage.

Da aber die bekannte biegsame Welle 10 sowohl in den Rotor 8 als auch in den Mitnehmer 12 hineinragt (Fig), und der Rotor - wie die Beteiligten übereinstimmend vorgetragen haben - aus Aluminiumspritzguß besteht, wird der Fachmann ohne weiteres daran denken, die biegsame Welle am rotorseitigen Ende gleich mit dem Rotormaterial zu umspritzen, um eine stoffschlüssige Verbindung zwischen Rotor und Welle zu bilden, die den im Stand der Technik erforderlichen zusätzlichen Verformungsschritt "Bördeln/Crimpen" entbehrlich macht.

Denn das stoffschlüssige Einbetten von Teilen aus einem Werkstoff in einen anderen Werkstoff ist in allen Bereichen der Technik üblich; lediglich beispielhaft erwähnt sei das Einspritzen oder Einbetten von Metallteilen aller Art (zB Schraubhülsen) in Kunststoff oder (zB Halterungen und Verstärkungen) in Beton, wobei in aller Regel auch Kräfte zwischen diesen Teilen wirken.

In gleicher Weise wird er auch das zweite Ende der biegsamen Welle mit der Schmelze umspritzen, da dort das gleiche Verbindungsproblem zwischen einem starren Teil und der biegsamen Welle zu lösen ist.

Der Auffassung der Patentinhaberin, daß der Fachmann wegen eventueller Korrosionsprobleme zwischen Aluminium und Eisen davon abgehalten wäre, konnte sich der Senat nicht anschließen. Denn Korrosionsprobleme treten bei jedem Kraftfahrzeug an den verschiedensten Stellen auf, und müssen durch geeignete Bemessung der Bauteile oder zusätzliche Schutzmaßnahmen begrenzt werden.

Man würde das Fachwissen des Fachmanns zu gering schätzen, würde man ihm nicht zutrauen, darauf zu kommen, daß die Herstellungsschritte b), c) und d) - durch Anwendung des ihm bekannten und gängigen Spritzgußverfahrens - zusammengefaßt werden können, wenn das erste und zweite Ende der biegsamen Welle bei der Herstellung des Schließzylinders und des zweiten Teilbereiches des Mitnehmers als Einleger verwendet und mit einer zur Herstellung des Schließzylinders und des zweiten Teilbereiches des Mitnehmers erforderlichen Schmelze umspritzt werden.

4. Kein Rechtsbestand des Restpatentes/Teilung des Patentes Mit dem Patentanspruch 1 fällt auch der auf ihn rückbezogene Patentanspruch 2.

Nach alledem ist das Patent gemäß dem höchst hilfsweise gestellten Antrag geteilt. Der Senat konnte jedoch über den Bestand des Restpatents abschließend entscheiden, da ein Schwebezustand für das Stammpatent nicht entsteht (vgl BPatGE 46, 136 - Unterbrechungsbetrieb).

Dr. Kellerer Schmöger Dr. Kaminski Groß

Be






BPatG:
Beschluss v. 22.11.2004
Az: 19 W (pat) 327/02


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/a14136165ccd/BPatG_Beschluss_vom_22-November-2004_Az_19-W-pat-327-02




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