Bundespatentgericht:
Beschluss vom 24. Mai 2007
Aktenzeichen: 15 W (pat) 60/04

(BPatG: Beschluss v. 24.05.2007, Az.: 15 W (pat) 60/04)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

In der vorliegenden Gerichtsentscheidung geht es um eine Patentanmeldung zur quantitativen Beurteilung des Schädigungsgrades von Nukleotiden oder nukleotidhaltigen Verbindungen. Die Patentanmeldung wurde zunächst abgelehnt, da die Prüfungsstelle mangelnde Neuheit gegenüber einer vorherigen Veröffentlichung feststellte. Die Anmelderin hat daraufhin Beschwerde eingelegt und in der mündlichen Verhandlung eine geänderte Anspruchsfassung eingereicht. In der geänderten Anspruchsfassung wird das Verfahren nun auf die quantitative Beurteilung des Schädigungsgrades von reinen Nukleotiden oder reinen nukleotidhaltigen Verbindungen beschränkt. Das Gericht kommt zu dem Schluss, dass die Neuheit des beanspruchten Verfahrens gegeben ist und dass der Gegenstand des Patentanspruchs auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. Daher wird der angefochtene Beschluss aufgehoben und das Patent wird erteilt.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

BPatG: Beschluss v. 24.05.2007, Az: 15 W (pat) 60/04


Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und das Patent erteilt.

Bezeichnung: Verfahren zur quantitativen Beurteilung des Schädigungsgrades von reinen Nukleotiden oder reinen nukleotidhaltigen Verbindungen.

Anmeldetag: 20. Dezember 2002 Der Erteilung liegen folgende Unterlagen zugrunde:

Patentansprüche 1 bis 4, Beschreibung Seiten 1 bis 4, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 24. Mai 2007, 1 Blatt Zeichnungen, Figuren 1 bis 3 gemäß Offenlegungsschrift.

Gründe

I Die Anmelderin reichte am 20. Dezember 2002 beim Deutschen Patent- und Markenamt eine Patentanmeldung mit der Bezeichnung

"Verfahren zur Beurteilung oxidativer Modifizierung von Nukleotiden"

ein, die am 24. Mai 2006 in Form der DE 102 59 885 A1 veröffentlicht wurde.

Mit Beschluss vom 23. März 2004 wies die Prüfungsstelle für Klasse G 01 N des Deutschen Patent- und Markenamts die Anmeldung zurück. Dem Beschluss lagen die ursprünglichen Patentansprüche 1 bis 4 gemäß DE 102 59 885 A1 mit folgendem Wortlaut zugrunde:

"1. Verfahren zur quantitativen Beurteilung des oxidativen Modifizierungsgrades von Nukleotidhaltigen Verbindungen mittels Untersuchung ihrer physikochemischen Eigenschaften, wobei die antiradikale Aktivität gemessen wird.

2. Verfahren nach Anspruch 1. bei dem als Parameter (Maß) des oxidativen Modifizierungsgrades die Erhöhung der antiradikalen Aktivität im Vergleich zu dem nichtmodifizierten (nativen) Zustand genutzt wird.

3. Verfahren nach Ansprüche 1. und 2., bei denen die Quantifizierung des Grades der oxidativen Modifizierung anhand des Vergleiches mit der im selben System gemessenen antiradikalen Aktivität einer Kalibrationssubstanz erfolgt.

4. Verfahren nach Anspruch 3., bei dem als Kalibrationssubstanz ein antiradikale Eigenschaften aufweisender Stoff dient, z. B. Ascorbinsäure bzw. TroloxTM."

Die Zurückweisung der Patentanmeldung wurde mit mangelnder Neuheit gegenüber dem Inhalt der Druckschrift "Methods in Enzymology, Vol. 300 (1999) 437-456" (1) begründet und zwar sinngemäß im Wesentlichen damit, dass im Hinblick auf die Beschreibung der Patentanmeldung (vgl. ursprüngliche S. 5 Z. 1 bis 5) unter ein Verfahren gemäß Patentanspruch 1 auch die quantitative Beurteilung des oxidativen Modifizierungsgrades von tierischem Gewebe, wie in (1) bereits vorbeschrieben (vgl. (1) Fig. 15 samt Beschreibung), subsumierbar sei.

Mit Schriftsatz vom 15. Mai 2004, eingegangen am 17. Mai 2004, legte die Anmelderin Beschwerde gegen den Zurückweisungsbeschluss ein.

Mit Einzahlungsschein der Deutschen Post AG vom 15. Mai 2004 hat die Anmelderin unter Nennung des korrekten Aktenzeichens die rechtzeitige Zahlung der Beschwerdegebühr in Höhe von 200,-- Euro belegt. Die wegen vermeintlicher Nichtzahlung der erforderlichen Beschwerdegebühr zwischenzeitlich als zurückgenommen geführte Anmeldung ist deshalb weiterhin anhängig.

In der mündlichen Verhandlung reichte die Anmelderin eine geänderte Anspruchsfassung mit den Patentansprüchen 1 bis 4 sowie eine daran angepasste Beschreibung ein. Die neu gefassten Patentansprüche haben folgenden Wortlaut:

"1. Verfahren zur quantitativen Beurteilung des Schädigungsgrades von reinen Nukleotiden oder reinen nukleotidhaltigen Verbindungen, dadurch gekennzeichnet, dass deren antiradikale Aktivität gemessen wird.

2. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass als Maß für den Schädigungsgrad die Erhöhung der antiradikalen Aktivität im Vergleich zum nativen Zustand genutzt wird.

3. Verfahren nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass die Quantifizierung des Schädigungsgrades anhand des Vergleiches mit der im selben System gemessenen antiradikalen Aktivität einer Kalibrationssubstanz erfolgt.

4. Verfahren nach Anspruch 3, bei dem als Kalibrationssubstanz ein antiradikale Eigenschaften aufweisender Stoff dient, z. B. Ascorbinsäure oder TroloxTM."

Die Anmelderin beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Patent mit den in der mündlichen Verhandlung überreichten Unterlagen sowie 1 Blatt Zeichnungen mit Figuren 1 bis 3 gemäß Offenlegungsschrift zu erteilen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und unter Berücksichtigung des geänderten Patentbegehrens auch begründet.

Bezüglich einer ausreichenden Offenbarung des Gegenstandes der Patentansprüche 1 bis 4 bestehen keine Bedenken, da deren Merkmale unmittelbar aus den ursprünglichen Unterlagen zu entnehmen sind (vgl. urspr. Unterl. A1 Anspr. 1 bis 4 i. V. m. jeweils S. 5 Z. 3 bis 5 sowie S 6 Z. 7 bis 10).

Bedenken bestehen auch nicht zur Ausführbarkeit des nunmehr beanspruchten Verfahrens. Wie aus den ursprünglichen Beispielen 1 bis 3 hervorgeht, besitzen handelsübliche Nukleotidpräparate sowie handelsübliche DNS, allerdings erst nach Bestrahlung mit UV-Licht der Wellenlänge 254 nm in Abhängigkeit von der Zeit und damit von der Strahlendosis, eine antiradikale Aktivität, die sich mit einem üblichen chemoluminogenen Nachweistest bestimmen lässt. Aus den Beispielen 1 bis 3 sowie aus der Beschreibungseinleitung (vgl. DE 102 59 885 A1 (vgl. a. a. O. [0001]) geht des Weiteren hervor, dass das Messverfahren auf reine Nukleotide und auf reine nukleotidhaltige Verbindungen, jedoch nicht direkt auf Körperflüssigkeiten und Gewebeproben anzuwenden ist. Daraus folgt zwangsläufig, dass zum Zweck der Bestimmung des oxidativen Stresses in lebenden Organismen mittels Messung des oxidativen Schädigungsgrades ihrer Nukleinsäuren anhand der antiradikalen Eigenschaften zunächst eine Isolierung der Nukleotide und der nukleotidhaltigen Verbindungen, z. B. der Nukleinsäuren, aus Gewebe bzw. aus Körperflüssigkeiten erfolgen muss, da andernfalls lediglich die Summe aller im Gewebe, Gewebeextrakten oder Körperflüssigkeiten vorhandenen antiradikalischen Komponenten bestimmt werden kann. Ein diesbezüglicher konkreter Hinweis in der Beschreibung oder gar ein Ausführungsbeispiel zur Isolierung von Nukleinsäuren aus Gewebeproben bzw. aus Proben von Körperflüssigkeiten erübrigt sich, weil einerseits dem fachkundigen Leser die Notwendigkeit dieser Vorgehensweise ohnehin geläufig ist und andererseits die Isolierung von Nukleinsäuren auf einfache Weise und ohne Weiteres mittels üblicher Arbeitsweisen unter Einsatz handelsüblicher Mikrovorrichtungen durchführbar ist.

Die Neuheit des beanspruchten Gegenstandes ist gegeben, da in keiner der entgegengehaltenen sowie in der Literaturliste der Anmelderin zitierten Druckschriften ein Verfahren zur quantitativen Beurteilung des Schädigungsgrades von reinen Nukleotiden oder reinen nukleotidhaltigen Verbindungen beschrieben ist, das dadurch gekennzeichnet ist, dass die antiradikale Aktivität der betreffenden reinen Nukleotide oder der betreffenden reinen nukleotidhaltigen Verbindungen, z. B. Desoxyribonukleinsäure, gemessen wird.

Mit der in der mündlichen Verhandlung überreichten Anspruchsfassung ist der Grund für die Zurückweisung entfallen. Denn das nunmehr beanspruchte Verfahren ist expressis verbis auf die quantitative Beurteilung des Schädigungsgrades von Nukleotiden oder von nukleotidhaltigen Verbindungen in Reinform gerichtet. Damit wird die direkte Messung der antiradikalen Aktivität von ganzen Zellen, von Körperflüssigkeiten oder von Gewebeproben ohne vorherige Aufarbeitung zweifelsfrei nicht mehr umfasst, sodass das beanspruchte Verfahren zur quantitativen Beurteilung des Schädigungsgrades von reinen Nukleotiden oder reinen nukleotidhaltigen Verbindungen nicht mehr von dem Inhalt der Druckschrift "Methods in Enzymology, Vol. 300 (1999) 437-456" (1), speziell durch die im Zurückweisungsbeschluss angezogene Textstelle betreffend die Figur 15, erfasst und damit auch nicht neuheitsschädlich vorweggenommen wird.

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist von der Aufgabe auszugehen, die darin bestehen soll, eine einfache, aber genaue und rasche Methode bereitzustellen, die geeignet ist für die pauschale Beurteilung der schädigenden Wirkung verschiedener physikalischer und chemischer oxidierender Faktoren wie UV- und ionisierende Strahlung, Peroxide, freie Radikale sowohl auf einzelne Nukleotide als auch auf die DNS aus verschiedenen Quellen (vgl. DE 102 59 885 A1, Abs. [0007].

Gelöst wird diese Aufgabe durch ein Verfahren zur quantitativen Beurteilung des Schädigungsgrades von reinen Nukleotiden oder reinen nukleotidhaltigen Verbindungen, das dadurch gekennzeichnet ist, dass deren antiradikale Aktivität gemessen wird.

Wie sich aus der Beschreibung sowie aus den der Veranschaulichung des beanspruchten Verfahrens dienenden Beispiele 1 bis 3 der Anmeldeunterlagen ergibt, weisen Nukleotide oder Nukleinsäuren erst nach dem schädigenden Einfluss verschiedener physikalischer und chemischer Faktoren, z. B. UV-Licht, eine von der Dauer des schädigenden Einflusses abhängige antiradikale Aktivität auf. Aus der Versuchsdurchführung der Beispiele 1 bis 3 ist ersichtlich, dass diese antiradikale Aktivität auf die reinen Nukleotide oder auf reine Nukleinsäure in Lösung zurückzuführen ist und sich erst nach Bestrahlung mit UV-Licht bei 254 nm in Abhängigkeit von der Bestrahlungszeit einstellt (vgl. DE 102 59 885 A1 [0007], [0011] bis [0015] sowie die Figuren 1 bis 3 der DE 102 59 885 A1).

Weder aus den im Prüfungsverfahren entgegengehaltenen Druckschriften "Methods in Enzymology, Vol. 300 (1999) 437-456" (1) und DE 198 46 148 A1 (2) noch aus den in der Literaturliste zitierten Druckschriften ist ein Anhaltspunkt bzw. ein Hinweis oder gar eine konkrete Untersuchung dahin zu entnehmen, dass Nukleotide und nukleotidhaltige Verbindungen entweder im nativen Zustand oder nach dem schädigenden Einfluss verschiedener physikalischer oder chemischer Faktoren eine antiradikale Aktivität aufweisen.

Die Druckschrift (1) geht zwar auf antioxidative Systeme in lebenden Organismen sowie auf die antioxidative Kapazität verschiedener darin vorkommender Substanzen und deren Bestimmung mittels üblicher Verfahren ein, wobei Messungen zur Bestimmung der antioxidativen Kapazität sowie der antiradikalen Aktivität, abgesehen von als antioxidativ bekannten Substanzen, an Gewebeproben oder Körperflüssigkeiten durchgeführt wurden. Eine Anregung zur Untersuchung von Nukleotiden oder nukleotidhaltigen Verbindungen geht hiervon jedoch nicht aus.

Das aus der Druckschrift (2) bekannte Verfahren zur Beurteilung des oxidativen Stresses anhand der oxidativen Modifikation proteinhaltiger Stoffe mittels Messung ihrer antiradikalen Aktivität vermag das beanspruchte Verfahren schon aufgrund der strukturellen Distanz zu den in vorliegendem Fall zu beurteilenden Nukleotiden bzw. Nukleinsäuren nicht nahezulegen, zumal die antiradikale Aktivität gemäß (2), nach vorheriger schädigender Einflussnahme durch physikalische und chemische Faktoren, nicht bei allen in Proteinen vorkommenden Aminosäuren sondern nur bei Cystein, Histidin, Methionin, Phenylalanin, Serin, Tryptophan und Tyrosin festzustellen war (vgl. (2), insbes. Sp. 1 Z. 60 bis Sp. 2 Z. 7).

Aus dem vorliegenden Stand der Technik ist deshalb auch keinerlei Anregung dahin zu entnehmen, dass sich aus dieser überraschenden antiradikalen Aktivität unter Anwendung bekannter Nachweisreaktionen freier Radikale ein Verfahren zur quantitativen Beurteilung des Schädigungsgrades von reinen Nukeotiden oder von reinen nukleotidhaltigen Verbindungen entwickeln lässt.

Das Verfahren gemäß Patentanspruch 1 erweist sich deshalb als patentfähig, sodass dieser Anspruch gewährbar ist.

Das gleiche gilt bezüglich der Unteransprüche 2 bis 4, die bevorzugte Ausführungsformen des Verfahrens gemäß Patentanspruch 1, auf den sie rückbezogen sind, betreffen.

Der angefochtene Beschluss war somit aufzuheben und das Patent gemäß § 49 Abs. 1 PatG zu erteilen.






BPatG:
Beschluss v. 24.05.2007
Az: 15 W (pat) 60/04


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