Landgericht Köln:
Urteil vom 8. November 2007
Aktenzeichen: 31 O 44/07

(LG Köln: Urteil v. 08.11.2007, Az.: 31 O 44/07)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Das Landgericht Köln hat in einem Urteil vom 8. November 2007 entschieden, dass die Beklagte dazu verurteilt wird, es zu unterlassen, in Deutschland Ruhesessel und/oder Hocker anzubieten, zu bewerben, in den Verkehr zu bringen oder in den Verkehr bringen zu lassen, die den "Stressless"-Möbeln der Klägerin nahezu identisch sind. Außerdem muss die Beklagte der Klägerin Auskunft über die Art und den Umfang der Verletzungshandlungen geben. Des Weiteren wurde festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtlichen Schaden zu ersetzen, der ihr aus den Verletzungshandlungen entstanden ist oder noch entstehen wird. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung. Der Streitwert beträgt insgesamt 125.000,00 EUR.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

LG Köln: Urteil v. 08.11.2007, Az: 31 O 44/07


Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt,

1. es unter Androhung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder von Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu voll-ziehen am Geschäftsführer der Beklagten, zu unterlas-sen, in Deutschland Ruhesessel und/oder Hocker wie nachstehend wiedergegeben anzubieten, zu bewerben, in den Verkehr zu bringen und/oder anzubieten, zu be-werben oder in den Verkehr bringen zu lassen:

2. der Klägerin über Art und Umfang der unter Ziffer I.1. beschriebenen Verletzungshandlungen Auskunft zu er-teilen, und zwar unter Angabe

- der Stückzahl der im Inland vertriebenen Ruheses-sel und/oder Hocker

- der Namen und Anschriften der inländischen Ab-nehmer

- der mit diesen Produkten im Inland erzielten Um-sätze

- der Stückzahl sowie der Art der im Inland verwende-ten Werbeträger sowie deren inländische Adressa-ten,

dies alles gegliedert nach Kalendervierteljahren und Bundesländern.

II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtlichen Schaden zu ersetzen, der dieser aus den unter Ziffer. I.1. beschriebenen Verletzungshandlungen entstanden ist oder noch entstehen wird.

III. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

IV. Das Urteil ist hinsichtlich der Ziffern I.1., I.2. und III. gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Die Sicherheitsleistung beträgt

- hinsichtlich der Unterlassung 100.000,00 EUR

- hinsichtlich der Auskunft 15.000,00 EUR

- hinsichtlich der Kosten 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags

Tatbestand

Die Klägerin ist eine Vertriebsgesellschaft der international agierenden F-Gruppe. In dieser Funktion ist sie für den Alleinvertrieb von der Muttergesellschaft, der F - XXX, in O-Weg hergestellter Möbel in Deutschland zuständig. Den Schwerpunkt ihres Produktprogramms bildet der Ruhesessel "Stressless", der nebst zugehörigem Hocker in diversen Ausgestaltungen des Sitzelements angeboten wird. Sämtlichen Ausführungen jener Möbel ist das hölzerne Grundgestell gemein, bestehend aus einem ringförmigen Bodenelement und zwei seitlichen S-förmig ausgestalteten Trägern des Sesselkörpers. Wegen des genauen Aussehens der "Stressless"-Sessel und -Hocker wird auf den als Anlage H&P 2 zur Akte gereichten Produktkatalog, die von der Beklagten vorgelegten Lichtbilder (Bl. 143 f., 150, 214-216 d. A.) sowie die in der mündlichen Verhandlung vorgestellten Originalprodukte Bezug genommen.

Das Sessel-Programm "Stressless" wird seit über 25 Jahren innerhalb ausgewählter, derzeit etwa 230 deutscher Möbelhäuser in räumlich abgegrenzten und nach den Vorgaben der F-Gruppe einheitlich gestalteten Bereichen zum Verkauf präsentiert. In den Jahren 2004 bis 2006 hat die Klägerin in Deutschland mit der Veräußerung der - jeweils zu Entgelten um 1.000,00 EUR angebotenen - "Stressless"-Sesseleinheiten Umsätze zwischen etwa 30 Millionen EUR und ungefähr 43,5 Millionen EUR erzielt. Darüber hinaus wurden im Jahr 2005 circa 28 Millionen Streuprospekte mit Abbildungen unter anderem von "Stressless"-Sesseln und -Hockern verteilt.

Neben dem Sesselprogramm der Klägerin finden sich in Deutschland weitere Angebote von Ruhesesseln und/oder Hockern anderer Anbieter mit diversen Ausgestaltungen von Grundgestell und Sesselkörper. Wegen der Anmutung jener Möbel im Einzelnen wird auf die von den Parteien vorgelegten Abbildungen (Anlagen H&P 4 bis 7, Bl. 144-146 d. A.) verwiesen.

Die Beklagte ist ein in der Schweiz ansässiges, ebenfalls mit dem Vertrieb von Möbeln befasstes Unternehmen. Von dort bot sie im September 2006 unter der Internetadresse www.XXXXXX und unter Angabe ihrer Firma einen "Diplomat" Massage-Fernsehsessel nebst Hocker an, der in der Folgezeit von einem Mitarbeiter der Klägerin zum Preis von 202,00 EUR erworben und an diesen nach I2 ausgeliefert wurde. Beide Möbelelemente der Beklagten verfügen über hölzerne Grundgestelle in Gestalt eines ringförmigen Bodenelements mit aufgesetzten, S-förmig verlaufenden Seitenträgern. Wegen der genauen Ausgestaltung der Produkte wird auf die zur Akte gereichten Fotografien (Bl. 54, 79-85, 147 f., 150, 214-216 d. A.) sowie die in der mündlichen Verhandlung überreichten Originalmöbel Bezug genommen.

Die Klägerin beanstandet Sessel und/oder Hocker der Beklagten als nahezu identische Übernahmen der "Stressless"-Möbel, die sie insbesondere wegen der weitgehenden Nachahmung der aus ihrer Sicht charakteristischen Grundgestelle unter den Aspekten der vermeidbaren betrieblichen Herkunftstäuschung sowie der Rufausbeutung und -beeinträchtigung für wettbewerbswidrig hält.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

wie erkannt.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie meint, mangels Herstellereigenschaft sei der Klägerin die Geltendmachung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche wegen unlauterer Produktnachahmung von vornherein verwehrt. Auch in der Sache könne das Angebot und der Vertrieb ihres, der Beklagten, Massagesessels nebst Hockers nicht als wettbewerbswidrig bewertet werden. Den "Stressless"-Modellen sei in Anbetracht ähnlicher Drittprodukte auf dem deutschen Markt mit vergleichbarem ringförmigem Grundgestell und S-förmig ausgestalteten Trägern sowie der technischen Bedingtheit jener Elemente schon die wettbewerbliche Eigenart abzusprechen. Im Übrigen unterschieden sich die Produkte der Parteien in jenen technischen Gestaltungsmerkmalen - an denen sich der Interessent für die Bestimmung der betrieblichen Herkunft ohnehin nicht orientiere - auf Grund der stärkeren Wölbung der Träger und der auf- statt in den Bodenring eingesetzten seitlichen Streben ihres, der Beklagten, Grundgestells hinlänglich. Der Gefahr von Verwechslungen, Rufausbeutungen und/oder -beeinträchtigungen stünden im Übrigen die unterschiedlichen Produktbezeichnungen, Vertriebswege und Preisgestaltungen sowie der Umstand entgegen, dass es sich bei ihrem, der Beklagten, Erzeugnis um einen - von der Klägerin nicht angebotenen - Massagesessel handele. Jedenfalls aber sei für einen ergänzenden Leistungsschutz in Anbetracht der lange zurückliegenden Markteinführung der "Stressless"-Sessel kein Raum mehr.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der von der Klägerin formulierte Unterlassungsantrag stellt sich als hinreichend bestimmt dar. Durch die Bezugnahme auf bestimmte Abbildungen der angegriffenen Möbel wird verdeutlicht, welche Produkte die Beklagte nach dem Klägerverlangen künftig nicht mehr in Deutschland in den Verkehr bringen soll. Angesichts dessen ist eine weitere Beschreibung der aus Sicht der Klägerin verwechslungsfähigen Produktmerkmale (als Bestandteil der Klagebegründung) nicht erforderlich.

Das Unterlassungsbegehren der Klägerin ist aus den §§ 8 Abs. 1 S. 1, 3, 4 Nr. 9 a) UWG unter dem Gesichtspunkt der wettbewerbswidrigen, weil vermeidbare betriebliche Herkunftstäuschungen hervorrufenden Nachahmung gerechtfertigt.

Die Klägerin kann als alleinige Vertreiberin der "Stressless"-Sessel und -Hocker in Deutschland Schutz vor einer unzulässigen Nachahmung nach den Grundsätzen des ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes beanspruchen. Diesbezüglich steht neben dem Hersteller auch dem ausschließlich Vertriebsberechtigten ein selbstständiges Abwehrrecht zu, da durch den Vertrieb einer Nachahmung auch über die Herkunft aus dem Betrieb des Exklusivvertreibers getäuscht wird (vgl. BGH GRUR 2004, 941, 943 - "Metallbett"; 1994, 630, 634 - "Cartier-Armreif"; Köhler in: Hefermehl/ Köhler/Bornkamm, 25. Auflage, § 4 UWG Rn. 9.85).

Der Geltendmachung von Ansprüchen aus den §§ 8 Abs. 1 S. 1, 3, 4 Nr. 9 a) UWG steht auch nicht entgegen, dass sich die von der Klägerin angebotenen "Stressless"-Möbel bereits seit Jahrzehnten auf dem deutschen Markt befinden. Sofern die höchstrichterliche Rechtsprechung eine zeitliche Begrenzung des Schutzes einer Leistung als solcher und demgemäß von Ansprüchen wegen Einschiebens in eine fremde Serie annimmt, werden diese Beschränkungen ausdrücklich nicht auf Ansprüche wegen vermeidbarer Herkunftstäuschung wegen der - im Lauf der Zeit steigerbaren - Schutzfähigkeit des Leistungsergebnisses erstreckt (vgl. BGH GRUR 2005, 349, 352 - "Klemmbausteine III").

In der Sache stellt sich der von der Beklagten in den Verkehr gebrachte "Diplomat"-Sessel nebst Hocker als nach den §§ 3, 4 Nr. 9 a) UWG verbotswürdige Nachahmung der von der Klägerin vertriebenen "Stressless"-Möbel dar. Unterlassungsansprüche nach diesen Regelungen sind begründet, wenn bei dem Vertrieb von Nachahmungen eines wettbewerblich eigenartigen Erzeugnisses die Gefahr einer Herkunftstäuschung besteht und der Nachahmer zumutbare und geeignete Maßnahmen zur Vermeidung der Herkunftstäuschung unterlassen hat (BGH GRUR 2006, 79, 80 - "Jeans"; 2005, 600, 602 - "Handtuchklemmen"; 2004, 941, 943 - "Metallbett"). Dabei besteht zwischen dem Grad der wettbewerblichen Eigenart, der Art und Weise und der Intensität der Übernahme sowie den besonderen wettbewerblichen Umständen eine Wechselwirkung. Je größer die wettbewerbliche Eigenart und je höher der Grad der Übernahme ist, desto geringer sind die Anforderungen an die besonderen Umstände, welche die Wettbewerbswidrigkeit begründen (BGH GRUR 2006, 79, 80 - Jeans"; 2005, 166, 167 - "Puppenausstattungen"; 2001, 251, 253 - "Messerkennzeichnung"). Nach diesen Maßstäben stellt sich der von der Beklagten angebotene Massage-Fernsehsessel nebst Hocker als unlautere, weil die Gefahr von Herkunftstäuschungen hervorrufende Nachahmung der "Stressless"- Sesselelemente der Klägerin dar.

Die von der Klägerin angebotenen "Stressless"-Möbel sind von Hause aus als wettbewerblich eigenartig einzustufen. Ein Erzeugnis besitzt wettbewerbliche Eigenart, wenn die konkrete Ausgestaltung oder bestimmte Merkmale des Produkts geeignet sind, die interessierten Verkehrskreise auf seine betriebliche Herkunft oder seine Besonderheiten hinzuweisen (BGH GRUR 2005, 600, 602 - "Handtuchklemmen"; 2003, 359, 360 - "Pflegebett"; 2002, 275, 276 - "Noppenbahnen"). Dabei kann sich die wettbewerbliche Eigenart auch aus Merkmalen ergeben, die durch den Gebrauchszweck bedingt, aber willkürlich wähl- und austauschbar sind (BGH GRUR 2005, 600, 602 -"Handtuchklemmen"; 2003, 359, 360 - "Pflegebett"; 2002, 820, 822 - "Bremszangen"). Für sämtliche von der Klägerin vertriebenen Ruhesessel ist charakteristisch, dass sie über ein hölzernes Grundgestell in Gestalt eines ringförmigen Bodenelements verfügen, an dem rechts und links zwei flache - als Halterung des Sitzelements dienende - Träger in (auf einer Seite umgekehrter) S-Form rechtwinklig zu den Armlehnen angebracht sind, die - nach oben gerade und vertikal verlaufend - unterhalb der beidseitigen Sessellehnen enden. Die mit Stoff oder Leder überzogenen Armlehnen der Sessel sind dabei so ausgestaltet, dass sie nach Art eines flachen Kissens auf dem seitlichen Holzgestell aufliegen und auf der Innenseite zum Sitz hin heruntergezogen sind. Die über eine hohe Rückenlehne verfügenden Sitzelemente selbst sind in verschiedenen Formen (mit oder ohne besonders ausgeprägtes Kopfteil, horizontalen und/oder vertikalen Abnähern) vergleichsweise trivial ohne besondere gestalterische Auffälligkeiten ausgeformt. Derselbe Aufbau des Grundmodells findet sich bei den zugehörigen, mit einer waagerechten Ablagefläche in diversen Ausgestaltungen ausgestatteten Hockern wieder.

Den Produkten der Klägerin kann die wettbewerbliche Eigenart nicht mit dem Argument abgesprochen werden, es handele sich lediglich um eine technische Gestaltung. Dass eine Rundumdrehung des Sessels und die Gewährleistung einer hinreichenden Stabilität nur bei Verwendung eines ringförmigen Bodenelements mit S-förmigen Seitenverstrebungen in der konkreten Form möglich ist, hat die Beklagte nicht dargetan. Auch Merkmalen, die zwar technisch bedingt, aber willkürlich wähl- und austauschbar sind, kann wettbewerbliche Eigenart zukommen, wenn der Verkehr auf Grund dieser Merkmale Wert auf die Herkunft der Erzeugnisse aus einem bestimmten Betrieb oder - ohne sich über die Herkunft Gedanken zu machen - gewisse Qualitätserwartungen damit verbindet (vgl. Köhler a.a.O. Rn. 9.28). Insofern ist davon auszugehen, dass als Charakteristik des "Stressless"-Sesselprogramms aus Sicht der angesprochenen Verkehrskreise vorrangig das Grundelement dient. Allein dieses wird bei allen Modellen durchgängig verwendet und zeichnet sich in seiner Gesamtanmutung, anders als die diversen eher herkömmlich ausgestalteten und deshalb kaum als betrieblicher Herkunftshinweis dienenden Sitzelemente, durch seine ästhetisch auffällige Formgebung aus. Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass die angesprochenen Verkehrskreise die betriebliche Herkunft maßgeblich an der besonderen Gestaltung des Grundelements festmachen.

Überdies belegen die in ihrer Gestaltung größtenteils deutlich abweichenden Ruhemöbel anderer auf dem deutschen Markt befindlichen Anbieter, dass auch eine anderweitige optische Ausgestaltung von Ruhemöbeln ohne Funktionsbeeinträchtigung ohne Weiteres möglich ist und eine Schwächung der wettbewerblichen Eigenart der von der Klägerin vertriebenen "Stressless"-Produkte nicht angenommen werden kann. Insofern sind nicht das ringförmige Bodenelement und die zusätzliche Verwendung geschwungener Trägerelemente als solcher und jeweils isoliert voneinander, sondern ist die jeweilige Gesamtkombination in ihrer konkreten Ausgestaltung entscheidend.

So ist bei den Modellen der Firma N2 (Anlage H&P 4) das Bodenelement teils als flache Metallscheibe mit einem darauf mittig angebrachten, die Sitzfläche stützenden Fuß ausgestaltet und sind die Armlehnen senkrecht flächig angebracht. Der zugehörige, über ein entsprechendes Grundelement verfügende Hocker ist von der Ablagefläche über vorne nach unten bogenförmig geschwungen. Soweit das Fußteil bei anderen Modellen der Firma N2 als Ring geformt ist, ist dieses mit schräg nach vorne geschwungenen Seitenverstrebungen versehen und sind die Armlehnen offen bogenförmig gestaltet.

Die Firma I (Anlage H&P 5) bietet Ruhesessel mit diversen Fußelementen an, die - soweit sie aus Metall gefertigt und nicht nach Art eines massiven Unterbaus mit Stoff oder Leder überzogen sind - teilweise mit einem Ring nebst fünf mittig zusammenlaufenden, am Boden nach außen gespreizten Fußstützen oder ringförmig mit einer das Bodenelement zweiteilenden Querfläche und darauf befindlichem aufrechtem Stab versehen sind. Die Sitzelemente selbst sind in den Armlehnbereichen teilweise nach Art eines Keils geformt.

Die Ruhesessel "Relaxing Concepts" der Firma F2 (Anlage H&P 7) verfügen zwar über ähnlich ausgestaltete Armlehnen wie die "Stressless"-Sessel, aber über ein demgegenüber deutlich abweichendes Grundelement in Form von fünf mittig zusammengefassten, unten kreisförmig nach außen gebogenen Fußleisten oder über - teils als flache Holzelemente ausgeformte und ringförmig eingefasste - am Boden kreuzförmig auseinanderlaufende Fußelemente.

Die Modelle "cosyform" der Firma F (Anlage H&P 6) weisen zwar gleichfalls ein hölzernes ringförmiges Bodenelement auf, an dem seitlich Stützen angebracht sind. Letztere verlaufen jedoch ohne besonderen Schwung schräg nach vorne weiter nach oben, bis sie unterhalb des Sitzelements enden. Zudem sind die Armlehnen einfach überzogen, so dass zwischen ihnen und der Sitzfläche seitliche Öffnungen bestehen.

Die von der Klägerin weiter angeführten Ruhesessel "Zerostress" der Firma I3 (Bl. 144 unten, 145 d. A.) sind zwar wie die "Stressless"-Sessel mit einem ringförmigen Bodenelement aus Holz und daran seitlich befestigten, über zwei Bögen in unterschiedlicher Richtungsausprägung verfügenden Holzträgern ausgestattet. Allerdings verlaufen die Schwünge parallel zu den Armlehnen und enden oben schräg nach vorne in einem geraden Stück, das alsdann in einem neuen Schwung waagerecht umgebogen sichtbar in die Armlehnen übergeht. Darüber hinaus sind die beiden seitlichen Träger über einen im hinteren Bereich auf dem Bodenelement aufgebrachten halbringförmigen Holzelement miteinander verbunden. Die Träger des zugehörigen Hockers sind demgegenüber in einem einfachen vorderen Bogen ausgebildet, der die nach vorne keilförmig ausgebildete Ablagefläche trägt.

Die von der Beklagten weiter angeführten Drittprodukte sind zur Reduzierung der wettbewerblichen Eigenart des Klagemodells schon deshalb nicht geeignet, weil jeglicher Vortrag zu Dauer und Umfang der Präsenz der jeweiligen Sessel auf dem deutschen Markt fehlt. Denn eine Schwächung der wettbewerblichen Eigenart kommt nur in Betracht, wenn die prägenden Gestaltungsmerkmale derart umfangreich im Markt aufzufinden sind, dass der Verkehr für die Beurteilung der Herkunft auch auf kleinere Unterschiede achtet (vgl. Köhler a.a.O. Rn. 9.26). Darüber hinaus unterscheiden sich diese aber auch in der konkreten Ausgestaltung des ringförmigen hölzernen Bodenelements, indem in dieses entweder waagerecht ein wellenförmig geschwungenes Flachbrett eingefügt ist (so das "Otto"-Modell, Bl. 146 oben d. A.) oder die seitlichen Träger (wie bei dem Relax-Sessel "Belcanta-Line", Bl. 146 unten d. A.) C-förmig nach vorne geschwungen sind.

Umgekehrt hat die wettbewerbliche Eigenart der von der Klägerin vertriebenen Ruhesessel "Stressless" auf Grund ihrer langjährigen Präsenz auf dem deutschen Markt, der umfangreichen Werbemaßnahmen und den in den letzten Jahren erzielten erheblichen Umsätzen sowie der daraus resultierenden enormen Verkehrsbekanntheit eine erhebliche Steigerung erfahren. Die "Stressless"-Sessel werden seit über 25 Jahren in Deutschland vertrieben, in zahlreichen Möbelhäusern ausgestellt, umfangreich beworben und in beträchtlicher Anzahl verkauft. Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass das - die wettbewerbliche Eigenart maßgeblich prägende - Grundgestell jener Möbel auf Grund der umfangreichen Vertriebsaktivitäten der Klägerin einem Großteil der angesprochenen Verkehrskreise als Eigenart des Sesselprogramms "Stressless" bekannt ist.

Der von der Beklagten angebotene und vertriebene Sessel nebst Hocker stellt eine unlautere, weil betriebliche Herkunftstäuschungen hervorrufende Nachahmung der von der Klägerin in Deutschland angebotenen "Stressless"-Möbel dar. Die angegriffenen Produkte übernehmen jeweils das markante, die Sessel- und Hockerserie der Klägerin durchgängig bestimmende hölzerne Grundelement in Form eines Bodenrings mit sich seitlich rechts und links anschließenden S-förmigen Trägern, die zunächst beidseitig nach innen gewölbt sind, sich sodann umgekehrt wieder nach außen erheben und in senkrechter Linie sodann unterhalb der Armlehnen enden und in dieser speziellen Ausprägung gerade nicht im wettbewerblichen Umfeld zu finden sind.

Dabei ist die S-Form bei den beanstandeten Modellen (Sessel und Hocker) zwar im unmittelbaren Vergleich der sich gegenüber stehenden Möbel der Parteien ersichtlich stärker ausgeprägt und münden die Träger nicht wie bei den "Stressless"-Sesseln in das Ringelement ein, sondern laufen auf diesem montiert aus. Diese Abweichungen werden die angesprochenen Verkehrskreise, welche die streitgegenständlichen Modelle regelmäßig nicht nebeneinander, sondern - nicht zuletzt auf Grund der unterschiedlichen Vertriebswege - zeitlich und räumlich versetzt voneinander wahrnehmen, indes schon nicht in Erinnerung behalten. Zumindest aber werden sie angesichts der übereinstimmenden konkreten Ausgestaltung der Grundelemente den "Diplomat"-Sessel der Beklagten nebst Hocker nur für eine unselbstständige Variante innerhalb der Möbelserie der Klägerin halten. Dies gilt um so mehr, als sich im "Stressless"-Sesselsortiment der Klägerin sowohl die von der Beklagten verwendeten Armlehnen (S. 27 der Anlage H&P 2) als auch die Ausstattung des Kopfteils mit einem über die obere Kante gezogenen Zusatzkissen und die Verlängerung des Sitzpolsters über die vordere Kante hinaus (vgl. S. 28 f. der Anlage H&P 2) finden.

Der Gefahr betrieblicher Herkunftstäuschungen steht nicht entgegen, dass es sich bei dem von der Beklagten angebotenen Produkt um einen Massagesessel handelt. Wie schon die Bezeichnung "Stressless" der Erzeugnisse der Klägerin andeutet, werden deren Sessel nebst Hocker gerade zum Zweck der körperlichen Entspannung angeboten. Hierin fügt sich das Angebot eines Fernsehsessels mit Massagefunktion zwanglos ein, indem die Massagefunktion der Verstärkung der physischen Erholung dient und deshalb ebenfalls als Ruhemöbel einzustufen ist. Die Gefahr von Fehlvorstellungen des Verkehrs über die betriebliche Herkunft der Möbel der Beklagten wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass letztere ihre - gegenüber denjenigen der Klägerin deutlich preisgünstigeren - Möbel nur über das Internet anbietet, in diesem Zusammenhang die angegriffenen Möbel ausdrücklich als "Diplomat" bezeichnet und ihre Firma ausgeweist. Selbst wenn der Internetnutzer auf Grund dieser Umstände die sich gegenüber stehenden Produkte nicht unmittelbar miteinander verwechseln sollte, stehen auf Grund der Übereinstimmungen in der Ausgestaltung des markanten Grundelements jedenfalls Verwechslungen im weiteren Sinne dergestalt zu befürchten, dass die angesprochenen Verkehrskreise irrig von einer wirtschaftlichen und/oder organisatorischen Zusammenarbeit der Parteien ausgehen. Anhaltspunkte dafür, dass dem angesprochenen Verkehr der exklusive Vertriebsweg der "Stressless"-Möbel und deren Hochpreisigkeit ohne Weiteres geläufig ist und er daraus ohne Weiteres auf die Selbstständigkeit des Beklagtenangebots im Internet schließt, sind nicht ersichtlich. Vielmehr erscheint es (insofern abweichend von der Fallgestaltung in BGH GRUR 2007, 795, 799 - "Handtaschen") nicht fernliegend, dass der Interessent bei Wahrnehmung des Produktangebots der Beklagten im Internet auf Grund der optischen Übereinstimmungen davon ausgeht, es handele sich um eine anderweitige Vertriebsschiene durch die oder zumindest im Einverständnis mit der Klägerin.

Der Beklagten ist eine abweichende Gestaltung des die wettbewerbliche Eigenart und damit Herkunftsvorstellungen maßgeblich prägenden Grundelement zumutbar. Dessen Ausstattung mit zwei Seitenstreben mag als solche ebenso wie das ringförmige Bodenelement eine technisch angemessene Lösung darstellen. Dass dies jedoch nicht für die ganz konkrete, ästhetisch bedingte Ausgestaltung gilt, zeigen die in ihrer Funktion vergleichbaren Produkte des wettbewerblichen Umfelds. Sofern die Beklagte Anderweitiges pauschal behauptet und unter Beweis stellt, handelt es sich - prozessual unbeachtlich - um unsubstanziierten Vortrag und die Beantragung eines unzulässigen Ausforschungsbeweises.

2. Das Begehren der Klägerin nach Auskunft und Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten ist aus den §§ 242 BGB, 9 S. 1 UWG begründet. Es entspricht der Lebenserfahrung, dass der Klägerin durch das Angebot und den Vertrieb des Massage-Fernsehsessels "Diplomat" nebst Hocker in Deutschland ein Schaden entstanden ist oder noch entstehen wird, den sie indes erst nach Erteilung der begehrten Auskunft beziffern kann. Einen solchen Schaden hat die Beklagte zumindest fahrlässig verursacht. Bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte sie erkennen können und müssen, dass das Inverkehrbringen der streitgegenständlichen Möbel in Deutschland Leistungsschutzrechte der Klägerin an der "Stressless"-Sesselserie verletzt.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Soweit die tenorierte Auskunftspflicht der Beklagten explizit auf Deutschland bezogen worden ist, handelt es sich - auch in Anbetracht der von der Klägerin für das Inland begehrten Angaben über die vertriebenen Stückzahlen - lediglich um eine Klarstellung. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.

Streitwert:

- für die Unterlassung 100.000,00 EUR

- für die Auskunft 15.000,00 EUR

- für die Schadensersatzfeststellung 10.000,00 EUR

insgesamt 125.000,00 EUR






LG Köln:
Urteil v. 08.11.2007
Az: 31 O 44/07


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/84084058e2ed/LG-Koeln_Urteil_vom_8-November-2007_Az_31-O-44-07




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