Bundespatentgericht:
Beschluss vom 25. September 2000
Aktenzeichen: 10 W (pat) 63/99

(BPatG: Beschluss v. 25.09.2000, Az.: 10 W (pat) 63/99)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Der Beschwerde der Einsprechenden wird stattgegeben und der Beschluss der Patentabteilung aufgehoben. Das Patent, das ein Regalsystem betrifft, wird angegriffen und der Einspruch wird mit dem Argument der mangelnden erfinderischen Tätigkeit erhoben. Die Einsprechende führt aus, dass die vorgeschlagene Lösung triviale konstruktive Maßnahmen seien und daher schon allein aufgrund des allgemeinen Fachwissens des Fachmanns ersichtlich. Außerdem wird auf eine offenkundige Vorbenutzung hingewiesen, bei der ein ähnlicher Fachbodenträger bereits an über hundert Bibliotheken geliefert wurde. Die Patentabteilung verwirft den Einspruch jedoch als unzulässig, da die Einsprechende den Stand der Technik nicht ausreichend dargelegt hat. Die Einsprechende legt Beschwerde ein und argumentiert, dass sie das allgemeine Fachwissen des Fachmanns ausreichend erläutert hat und dass der Gegenstand des Patents durch einen Firmenprospekt nahegelegt ist. Der Senat entscheidet zugunsten der Einsprechenden und erkennt den Einspruch als zulässig an. Die Beschwerde wird somit angenommen und der Einspruch wird für geeignet befunden.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

BPatG: Beschluss v. 25.09.2000, Az: 10 W (pat) 63/99


Tenor

Auf die Beschwerde der Einsprechenden wird der Beschluß der Patentabteilung 44 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 11. Februar 1999 aufgehoben.

Gründe

I.

Beim Deutschen Patentamt ist am 1. April 1994 ein Patent mit der Bezeichnung "Regalsystem mit wenigstens einem Fachboden" angemeldet worden. Veröffentlichungstag der Erteilung ist der 15. Mai 1996. Das Patent umfaßt einen Hauptanspruch und einen Unteranspruch. Patentanspruch 1 lautet:

"Regalsystem mit wenigstens einem Fachboden, der mit Hilfe von zwei seitlichen Fachbodenträgern an zwei Auflagestäben gehalten ist, die jeweils in einen Längsschlitz einer vorderen Tragsäule und einen Längsschlitz einer hinteren Tragsäule eines seitlichen Rahmenständers eingesetzt sind, dadurch gekennzeichnet, daß der Fachbodenträger (8, 8a) an einer Rückseite mit einer im montierten Zustand parallel oberhalb des korrespondierenden Auflagestabes (9) in den hinteren Längsschlitz (12) hineinragenden Sicherungsnase (13, 13a) versehen ist."

Gegen das Patent ist am 13. August 1996 Einspruch erhoben worden mit dem Antrag, das Patent wegen mangelnder Patentfähigkeit gemäß § 21 PatG zu widerrufen.

Zur Begründung hat die Einsprechende ausgeführt, daß der Gegenstand des angegriffenen Patents nicht erfinderisch sei, weil sich die vorgeschlagene Lösung der Aufgabe, bei einem Regalsystem mit den Merkmalen des Oberbegriffs des Anspruchs 1 das Verkippen der Fachböden nach vorne zu verhindern, für den Fachmann schon allein aufgrund seines allgemeinen Fachwissens ergebe. Er wisse, daß er - da mechanisch nicht anders möglich - an der rückwärtigen Tragsäule eine Sicherung anbringen müsse. Da der Kippweg der Sicherung nach oben durch den Restspalt oberhalb der Auflagestäbe in dem vertikalen Säulenschlitz begrenzt sei, liege es ohne weiteres nahe, das Kippen durch Ausfüllen des Restspalts zu verhindern, etwa durch Einfügen eines Kleinteils. Der Gegenstand des angegriffenen Patents werde auch durch eine offenkundige Vorbenutzung nahegelegt. Die Einsprechende habe einen Fachbodenträger mit einer Kippsicherungsnase gemäß der Konstruktionszeichnung DZ 560.0 bereits an mehr als hundert Bibliotheken geliefert, ua an die B... Landesbibliothek K..., wofür Zeugenbeweis angeboten werde. Ferner habe sie dem auszugsweise in Kopie vorgelegten Prospekt UNIFLEX -S aus dem Jahr 1990 veröffentlicht, in dem auf Seite 10 ein Kippsicherungselement mit einer nach der Montage auf dem Regalbodenträger liegenden Nase gezeigt sei. Die Konstruktion ergebe sich aus der beigefügten Zeichnung des Sicherungselements.

Die Patentinhaberin hat geltend gemacht, der Einspruch sei nicht ausreichend substantiiert und damit unzulässig.

Durch Beschluß vom 11. Februar 1999 hat die Patentabteilung 44 des Deutschen Patentamts den Einspruch als unzulässig verworfen und zur Begründung ausgeführt, daß der bloße Hinweis auf das allgemeine Fachwissen ohne Auseinandersetzung mit dem Stand der Technik zur Begründung der mangelnden erfinderischen Tätigkeit nicht ausreiche. Hinsichtlich der behaupteten offenkundigen Vorbenutzung habe die Einsprechende weder Angaben zum Zeitpunkt gemacht noch den Gegenstand so genau bezeichnet, daß überprüft werden könne, ob der patentgemäße Gegenstand in dem Zusammenwirken aller Merkmale vorweggenommen oder nahegelegt sei. Dasselbe gelte hinsichtlich des Firmenprospekts UNIFLEX-S, in dem nur das Merkmal einer Kippsicherung dargestellt sei, ohne die Gesamtkonzeption des beanspruchten Regalsystems erkennen zu lassen.

Mit der Beschwerde macht die Einsprechende geltend, sie habe ausgehend von dem in der Beschreibungseinleitung des angegriffenen Patents als bekannt vorausgesetzten Stand der Technik und der Aufgabenstellung im einzelnen argumentativ aufgezeigt, daß der Fachmann aufgrund seines Fachwissens ohne weitere Überlegung zu der trivialen Lösung gekommen sei, in den Schlitzen der Tragsäulen eine das Verkippen der Fachbodenträger verhindernde Sperre in Form eines Sicherungsstifts oder einer Sicherungsnase anzubringen. Auch zu der offenkundigen Vorbenutzung habe sie anhand der vorgelegten Konstruktionszeichnung DZ 560.0 vom 19.7.1977 den dort dargestellten Gegenstand im einzelnen beschrieben und die vorbehaltlose Lieferung an zahlreiche Bibliotheken dargelegt. Der Zeitpunkt der Lieferung vor dem Anmeldetag ergebe sich aus dem auf der Zeichnung angebrachten Vermerk "Ausgelaufen 12.91" in Verbindung mit dem Zeugenangebot. Schließlich sei auch aus der Darstellung in dem Firmenprospekt UNIFLEX-S von 1990 die Kippsicherung im Zusammenwirken mit der Gesamtkonstruktion des Regals ohne weiteres ersichtlich.

Die Einsprechende beantragt, den Beschluß der Patentabteilung vom 11. Februar 1999 aufzuheben und die Zulässigkeit und Begründetheit des Einspruchs festzustellen.

Die Patentinhaberin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, daß der pauschale Verweis auf angebliches allgemeines Fachwissen keine ausreichende Begründung für das Naheliegen der erfindungsgemäßen Lösung darstelle. Die ergänzenden Erläuterungen der Einsprechenden zu den Einzelheiten des angeblich offenkundig vorbenutzten Gegenstandes gemäß der Konstruktionszeichnung DZ 560.0 seien verspätet und könnten den innerhalb der Einspruchsfrist erforderlichen Vortrag, wie die dem dargestellten Endblech zugeordneten weiteren Komponenten des Regalsystems ausgesehen hätten, nicht ersetzen. Hinsichtlich den Firmenprospekts UNIFLEX-S sei nicht vorgetragen worden, inwieweit hier tatsächlich eine Vorveröffentlichung stattgefunden habe. Im übrigen habe die Patentabteilung zutreffend ausgeführt, daß der Prospekt nur ein Einzelmerkmal darstelle, das einen Vergleich mit dem patentgemäßen Gegenstand insgesamt nicht zulasse.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Der Einspruch gegen die Erteilung des Patents P 44 11 467 ist in einer den gesetzlichen Anforderungen genügenden Weise begründet worden und damit zulässig.

Nach § 59 Abs 1 Satz 4 und 5 PatG sind die Tatsachen, die den Einspruch rechtfertigen sollen, innerhalb der Einspruchsfrist im einzelnen anzugeben. Diese Voraussetzung ist nur dann erfüllt, wenn die für die Beurteilung des behaupteten Widerrufsgrundes maßgeblichen Umstände so vollständig dargelegt sind, daß der Patentinhaber und das Patentamt in den Stand gesetzt werden, allein anhand der mitgeteilten Umstände zu prüfen, ob der behauptete Widerrufsgrund gegeben ist (BGH GRUR 1972, 592 "Sortiergerät"; 1987, 513 "Streichgarn"; 1988, 364 Epoxidationsverfahren").

Diese Anforderungen an die Begründungspflicht hat die Einsprechende erfüllt. Nicht zu folgen vermag der Senat allerdings ihrer Auffassung, der Widerrufsgrund der mangelnden erfinderischer Tätigkeit des angegriffenen Patents sei bereits durch ihre Ausführungen zu dem allgemeinen Fachwissen des hier maßgeblichen Fachmanns - einem Fachhochschulingenieur mit Kenntnissen auf dem Gebiet des Regalbaus - ausreichend dargelegt. Welches technische Wissen dem Fachmann zugerechnet werden kann, muß anhand des Standes der Technik erläutert werden, der die Grundlage des Fachwissens bildet. Die Behauptung, die im angegriffenen Patent vorgeschlagene Lösung sei angesichts der Aufgabenstellung eine triviale konstruktive Maßnahme, reicht für sich allein ohne Auseinandersetzung mit dem auf dem einschlägigen Fachgebiet bekannten Stand der Technik nicht aus, um der Patentabteilung und dem Patentinhaber eine abschließende Prüfung zu ermöglichen, ob der Patentgegenstand nahegelegt ist oder nicht.

Ungeachtet dieser Frage hat die Einsprechende aber jedenfalls anhand der vorgelegten Kopie der Seite 10 aus ihrem Firmenprospekt UNIFLEX-S im einzelnen dargelegt, daß der Gegenstand des angegriffenen Patents durch das dort dargestellte Kippsicherungselement nahegelegt sei. Die Darstellung zeigt einen mit einer Tragsäule verbundenen Regalfachboden, wobei zwischen dem Fachboden und dem Tragelement eine separate Kippsicherung mit einer rechtwinkligen Nase angebracht ist, die oberhalb des Fachbodens aus dem Tragelement im rechten Winkel herausragt. Soweit die Patentabteilung Angaben der Einsprechenden zu der Gesamtkonzeption des in dem Prospekt dargestellten Regalsystems vermißt und den Einspruch aus diesem Grunde für unsubstantiiert hält, kann ihr nicht gefolgt werden. Auch wenn das Regalsystem auf Seite 10 des vorgelegten Prospekts nur ausschnittweise gezeigt ist, läßt sich der Darstellung doch entnehmen, daß es sich um ein Regal üblicher Konstruktion handelt, das nach der Beschreibungseinleitung des angegriffenen Patents in bekannter Weise Tragsäulen mit Öffnungen (Schlitze, Bohrungen oä) zur Aufnahme sowohl der Fachböden einschließlich etwaiger Fachbodenträger als auch der Kippsicherungselemente für die Fachböden aufweist.

Die aus dieser Darstellung ersichtlichen Einzelheiten reichen aus, um der Patentinhaberin und der Patentabteilung die Beurteilung des geltend gemachten Widerrufsgrundes der mangelnden erfinderischen Tätigkeit des angegriffenen Patents ohne weitere eigene Nachforschungen zu ermöglichen. Die Beurteilung, ob der Fachmann aufgrund des in dem Prospekt wiedergegeben Regalausschnitts mit Kippsicherung tatsächlich zu dem Gegenstand des angegriffenen Patents kommen konnte, ohne selbst erfinderisch tätig zu werden, ist keine Frage der Zulässigkeit des Einspruchs, sondern im Rahmen der Begründetheit zu entscheiden (vgl BGH GRUR 19987, 513 "Streichgarn").

Die innerhalb der Einspruchsfrist vorgetragene Tatsache, daß der Firmenprospekt UNIFLEX-S aus dem Jahr 1990 stammt, reicht in Verbindung mit den in Kopie vorgelegten Seiten aus dem Prospekt auch zur Darlegung der öffentlichen Zugänglichkeit dieser Schrift vor dem Anmeldetag aus. Die Seite mit der Wiedergabe des Inhaltsverzeichnisses enthält am unteren Rand in kleinem Druck die Angabe "A. 3 - 90". Diese stellt einen bei Prospekten, Katalogen und sonstigen Firmenschriften gängigen Vermerk über den Monat und das Jahr des Drucks bzw der Ausgabe der Schrift dar, hier also "Ausgabe März 1990" (vgl BPatGE 41, 144, 148). Der Ansicht der Patentinhaberin, es könne sich bei der Angabe "A. 3 - 90" auch um den Hinweis auf eine Produktlinie oder eine sonstige Kennzeichnung handeln, wäre allenfalls dann beizutreten, wenn sie unmittelbar einem in dem Prospekt dargestellten Produkt zugeordnet wäre oder wenn sie sich in herausgestellter Form auf dem Titelblatt befände. Aufgrund ihrer Anbringung unter dem Inhaltsverzeichnis verkörpert sie jedoch typischerweise das Druckdatum des Firmenprospekts.

Nach der Lebenserfahrung ist auch davon auszugehen, daß der 1990 gedruckte Firmenprospekt UNIFLEX-S, der auf 59 Seiten das unter dieser Bezeichnung angebotene Regal- und Odnungssystem der Einsprechenden mit den Modellbezeichnungen und Bestellnummern für die jeweiligen Einzelelemente enthält, den Geschäftsbereich der Einsprechenden vor dem Anmeldetag (1.4.1994) verlassen hat und einem unbeschränken Kreis Dritter zugänglich geworden ist (BPatG BlPMZ 1991, 349; BPatGE 38, 207, 209). Die geltend gemachte Zugehörigkeit der in Kopie vorgelegten und mit den Angaben des Inhaltsverzeichnisses übereinstimmenden Seite 10 zu dem im März 1990 aufgelegten Prospekt kann von der Einsprechenden noch nach der Einspruchsfrist durch Vorlage des Originalprospekts nachgewiesen werden.

Unter diesen Voraussetzungen ist die Zulässigkeit des Einspruchs anzuerkennen, ohne daß es noch eines Eingehens auf die behauptete offenkundige Vorbenutzung und insbesondere die Frage bedurfte, ob der auf der Konstruktionszeichnung vom 19.7.1977 angebrachte Vermerk "Ausgelaufen 12.91" für sich allein den Schluß auf die öffentliche Zugänglichkeit des dargestellten Endblechs mit Kippsicherungshaken vor dem Anmeldetag zuläßt.

Bühring Dr. Schermer Schuster Hu






BPatG:
Beschluss v. 25.09.2000
Az: 10 W (pat) 63/99


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