Verwaltungsgericht München:
Beschluss vom 21. März 2012
Aktenzeichen: M 17 S 11.5500

(VG München: Beschluss v. 21.03.2012, Az.: M 17 S 11.5500)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Die Antragstellerin ist Anbieterin eines Sportspartenprogramms und wurde von der Antragsgegnerin daraufhin beanstandet, dass trotz vorheriger medienrechtlicher Beanstandung weiterhin Glücksspiel beworben wird. Die Antragstellerin hält dies für unzulässig, da der beworbene Anbieter über eine behördliche Erlaubnis verfügt und der Glücksspielstaatsvertrag europarechtswidrige Regelungen enthält. Die Antragsgegnerin stellte fest, dass die Werbung gegen den Glücksspielstaatsvertrag verstößt und ordnete die sofortige Vollziehung der Untersagung an. Das Gericht entschied, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung formell rechtswidrig ist, da sie nicht von der zuständigen Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) getroffen wurde. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid wurde abgelehnt, da die Entscheidung aufgrund eines Verstoßes gegen Verfahrensvorschriften rechtswidrig ist. Es wurde die Anordnung der sofortigen Vollziehung aufgehoben und die Antragsgegnerin wurde verpflichtet, die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Streitwert wurde auf 5.000 Euro festgesetzt.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

VG München: Beschluss v. 21.03.2012, Az: M 17 S 11.5500


Tenor

I. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung in Nr. 3 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 31. Oktober 2011 wird aufgehoben.

II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Der Streitwert wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin ist Anbieterin des Sportspartenprogramms ..., das von der Antragsgegnerin genehmigt wurde.

Mit Schreiben vom ... 2011 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, im Rahmen der Programmbeobachtung habe die ... (Landeszentrale) festgestellt, dass trotz vorangegangener medienrechtlicher Beanstandung im Programm von ... weiterhin der ... beworben werde. Auf die konkreten Sendezeiten und die bildlichen Darstellungen wurde hingewiesen. Die Werbung stelle einen Verstoß gegen § 7 Abs. 1 Nr. 3 und 4 Rundfunkstaatsvertrag (RStV) i.V.m. Ziffer 2 Abs. 1 Werberichtlinie (WRL) und § 5 Abs. 3 Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) dar. Die Antragstellerin wurde um Stellungnahme gebeten.

Die Antragstellerin erwiderte, es liege kein Verstoß gegen die genannten Vorschriften vor. Der beworbene Anbieter verfüge über eine behördliche Erlaubnis zur Veranstaltung von öffentlichen Glücksspielen. Auch im Rahmen des § 7 Abs. 1 Satz 3 und 4 RStV dürften die Verbotsregelungen des Glücksspielstaatsvertrags betreffend die Bewerbung von Glücksspielangeboten nicht angewendet werden. Das durch den Glücksspielstaatsvertrag in Deutschland etablierte staatliche Gewinnspielmonopol verstoße gegen europarechtliche wie auch verfassungsrechtliche Vorgaben. In anderen Mitgliedstaaten der EU lizenzierte Sportwettenanbieter dürften Sportwetten grundsätzlich auch in Deutschland anbieten. Die entgegenstehenden Regelungen zur Etablierung eines staatlichen Monopols für Sportwettenangebote in Deutschland müssten infolge ihrer Europarechtswidrigkeit unangewendet bleiben. Der Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 56 AEUV sei eröffnet. Dies habe der EuGH in der Entscheidung Carmen Media Group Ltd. (C-46/08) klargestellt. Der EuGH habe zwar festgestellt, dass grundsätzlich nationale Regelungen anwendbar seien, allerdings nur, wenn diese europarechtskonform ausgestaltet seien. Daran fehle es beim Glücksspielstaatsvertrag. Das Bundesverwaltungsgericht habe in seiner Entscheidung vom 1. Juni 2011 (8 C 5.10) zu den Verbotsregelungen in § 4 Abs. 4 GlüStV und § 5 Abs. 3 GlüStV hier die Beschränkung des Dienstleistungsverkehrs für gerechtfertigt gehalten. Demgegenüber habe der EuGH mit Entscheidungen vom 30. Juni 2011 (C-212/08) und vom 15. September 2011 (C-347/09) erneut darauf hingewiesen, welche Prüfungsmaßstäbe ein nationales Gericht bei der Prüfung von Glücksspielverboten anzuwenden habe. Aus Sicht der Antragstellerin führe dies zur Unanwendbarkeit von § 5 Abs. 3 GlüStV. Der selektive Ausschluss einzelner Werbekanäle könne nicht gerechtfertigt werden. Der EuGH habe den empirischen Nachweis gefordert, dass die Bewerbung von Glücksspielen im Fernsehen Gefahren auslöse, die über diejenigen hinausgehen, die mit weiterhin zugelassenen Werbemaßnahmen über andere Kanäle einhergehen. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts lasse diesen erforderlichen Nachweis bei Bewerbung von Glücksspielen im Internet vermissen. Denn das durch die Reichweite des Internets begründete besondere Gefährdungspotential der Internetwerbung bestehe auch für die Werbung im Radio und in den Printmedien. Das Bundesverwaltungsgericht gehe davon aus, dass die Kriterien zur Beurteilung der - gerade nicht empirisch belegten - Gefährdungslage bei der Veranstaltung von Glücksspielen im Internet auch auf die Beurteilung der Gefährdungslage bezüglich der Nutzung des Internets als Werbemedium zu übertragen seien. Es lasse unberücksichtigt, dass etwa bei Fernsehwerbung kein direkter Übergang zu einem Online-Angebot für ein Glücksspiel möglich sei. Da es an einer belastbaren Rechtfertigung des selektiven Werbeverbots gemäß § 5 Abs. 3 GlüStV fehle, diene diese Regelung einzig zur Absicherung des staatlichen Glücksspielmonopols. Es fehle hier ferner am öffentlichen Vollzugsinteresse. Dies gelte vor allem mit Blick auf die derzeit absehbaren Änderungen des Glückspielrechts durch den Glücksspieländerungsstaatsvertrag, der Werbemöglichkeiten für öffentliche Glücksspielangebote im Fernsehen schaffen werde.

In der Folge beschäftigte sich auch die Kommission für Zulassung und Aufsicht - ZAK - mit dem Werbeangebot und beschloss in der Sitzung vom ... 2011 festzustellen und zu missbilligen, dass die ... mit der Ausstrahlung von Sponsorhinweisen, Werbespots, Splitscreen-Werbespots und Dauerwerbesendungen für bet-at-home.com während der im Einzelnen genannten Sportübertragungen gegen § 7 Abs. 1 Nr. 3 und 4 RStV i.V.m. Ziffer 2 Abs. 1 WRL und § 5 Abs. 3 GlüStV verstoßen hat. Die ZAK beschloss eine Untersagung aller Fernsehwerbeformen für ..., sofern von diesen eine Anreizwirkung zur Teilnahme am Glücksspiel ausgeht. Sie beschloss ferner: €Die Entscheidung ist innerhalb von sechs Wochen umzusetzen.€. Der Beschlussvorlage war ein Hinweis auf das Votum der Prüfgruppe beigefügt sowie eine ausführliche Darstellung des Sachverhalts und eine Bewertung, die damit endete, die betreffenden Verstöße seien bereits einmal förmlich beanstandet worden; ... habe jedoch seine Werbemaßnahmen fortgeführt. Das Verhalten von ... habe gezeigt, dass die Beanstandungen als mildestes Mittel nicht ausreichten; daher sei die Untersagung angezeigt. Nur so könne nach Ansicht der Landeszentrale eine effektive Aufsicht in diesem Bereich gewährleistet werden.

Unter dem ... 2011 erließ die Antragsgegnerin einen Bescheid, mit dem sie in Nr. 1 feststellte und missbilligte, dass die ... mit der Ausstrahlung von Sponsorhinweisen, Werbespots, Splitscreen-Werbespots und Dauerwerbesendungen für ... während der Übertragung von Sportereignissen am ... 2011, ... 2011, ... 2011 und ... 2011 gegen § 7 Abs. 1 Nr. 3 und 4 RStV i.V.m. Ziffer 2 Abs. 1 WRL und § 5 Abs. 3 GlüStV verstoßen hat. Die Landeszentrale untersagte in Nr. 2 der ... die weitere Ausstrahlung von Fernsehwerbeformen für ..., insbesondere durch Sportwerbung, Dauerwerbesendungen, Teleshopping und Sponsorhinweisen, sofern von diesen eine Anreizwirkung zur Teilnahme am Glücksspiel ausgeht. Die sofortige Vollziehung der Untersagung nach Nr. 2 wurde angeordnet. Zur Begründung wurde zunächst auf die Praxis der Antragstellerin hingewiesen, bei verschiedenen Sportsendungen Sponsorenhinweise für ... auszustrahlen, ferner Werbespots und Dauerwerbesendungen von ca. drei Minuten. Außerdem seien sog. Splitscreen-Spots beobachtet worden. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Beanstandung beruhe auf § 38 Abs. 2 RStV. Gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 3 und 4 RStV dürfe Werbung nicht irreführend sein oder den Interessen des Verbrauchers schaden oder Verhaltensweisen fördern, die die Gesundheit oder Sicherheit gefährden. Gemäß Werberichtlinie seien spezielle Verbraucherschutzinteressen einzubeziehen, so vorliegend das Werbeverbot des § 5 Abs. 2 GlüStV. Das Angebot von ... stelle öffentliches Glücksspiel dar, wie sich nicht zuletzt aus den Feststellungen der Regierung von Mittelfranken als Glücksspielaufsichtsbehörde ergebe. Die oben aufgeführten Werbemaßnahmen unterfielen dem Werbebegriff des Glücksspielstaatsvertrags. Dieser sei weiter zu verstehen als der rundfunkrechtliche Begriff. Unter Werbung falle somit jede Maßnahme, welche dazu auffordere oder anreize, an dem angebotenen Gewinnspiel teilzunehmen. Hierzu sei bereits die Nennung der Internetadresse ausreichend. Die neu zu beobachtenden Werbespots und Splitscreen-Spots zielten auf die Nennung und Einblendung der Seite ... ab. Von jeder dieser Gestaltungen gehe ein werbender Anreiz aus. Aus Sicht der Landeszentrale gelte das Werbeverbot des § 5 Abs. 3 GlüStV sowohl für erlaubte als auch für unerlaubte Glücksspiele. Lediglich § 5 Abs. 4 GlüStV stelle eine spezielle Regelung für unerlaubtes Glücksspiel dar. Nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. Juni 2011 stelle § 5 Abs. 3 GlüStV nicht auf bestimmte Anbieter ab, sondern verbiete eine bestimmte Art und Weise der Werbung. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin sei das Urteil nicht durch neuere Entscheidungen des EuGH überholt. Der EuGH habe vielmehr festgestellt, dass grundsätzlich ein staatliches Monopol möglich sei. Da § 5 Abs. 3 GlüStV unabhängig von einer Erlaubnis für alle öffentlichen Glücksspiele gelte, sei die EuGH-Entscheidung hier nicht einschlägig. Nach § 38 Abs. 2 RStV sei die Antragsgegnerin verpflichtet, Maßnahmen zu treffen. Ein Entschließungs- oder Auswahlermessen stehe ihr nicht zu. Die Beanstandung in Form der Missbilligung sei die mildere Form der Verwaltungsmaßnahme. Angesichts der bereits in der Vergangenheit erfolgten ähnlichen Verstöße sei es erforderlich gewesen, eine neue Beanstandung zu erlassen. Die Untersagungsverfügung sei ebenfalls auf § 38 Abs. 2 RStV gestützt. Die Antragstellerin habe trotz vorangegangener Beanstandungen die Werbemaßnahmen weiter fortgeführt. Es habe sich gezeigt, dass die Beanstandung als mildestes Mittel nicht ausreiche, um den Sender zu einem rechtskonformen Verhalten anzuhalten. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung erfolge im überwiegenden öffentlichen Interesse. Es gehe um den Schutz der Fernsehzuschauer vor werblich wirkenden Maßnahmen mit dem Anreiz zur Teilnahme an öffentlichen Gewinnspielen. Die effektive Durchsetzung dieses Schutzes sei geboten. Es würde in der Öffentlichkeit zwangsweise der Eindruck entstehen, dass das Vorgehen (Werbesendung) geduldet werde und die Öffentlichkeit könne zu dem Schluss kommen, dass dem Glücksspiel doch nicht die vermutete Gefährlichkeit anhafte. Auf Seiten des Anbieters seien sowohl die Dienstleistungsfreiheit des Art. 56 AEUV als auch die Grundrechte des Art. 5 und 12 GG zu berücksichtigen gewesen. Die Dienstleistungsfreiheit gelte jedoch nicht unbeschränkt, sie könne insbesondere aus Gründen des Allgemeinwohls beschränkt werden. Auch die Ausübung des Grundrechts aus Art. 5 GG sei nur im Rahmen der allgemeinen Gesetze zulässig. Die Berufsausübungsfreiheit könne beschränkt werden. Die von der Antragstellerin genannten Beschlüsse des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg hätten andere Fälle betroffen, in denen es um die sofortige Vollziehbarkeit einer glücksspielrechtlichen Untersagung wegen fehlender Erlaubnis gegangen wäre. Bei der hier streitentscheidenden Norm des § 5 Abs. 3 GlüStV liege kein vergleichbarer Fall vor.

Mit Schriftsatz vom ... 2011 begehrten die Bevollmächtigten der Antragsteller einstweiligen Rechtsschutz und beantragten:

Die aufschiebende Wirkung der in der Hauptsache erhobenen Klage gegen den Bescheid der ... vom ... 2011 betreffend die Untersagung von Fernsehwerbeformen für ... insbesondere durch Spotwerbung, Dauerwerbesendungen, Teleshopping und Sponsorenhinweisen wird wiederhergestellt.

Zur Begründung wurde darauf hingewiesen, dass gegen den streitgegenständlichen Bescheid bereits Klage erhoben wurde (M 17 K 11.5502). Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei bereits formell rechtswidrig. Schon aus diesem Grund sei dem vorliegenden Antrag ohne weitere Sachprüfung stattzugeben. Die Antragsgegnerin sei für die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht zuständig gewesen. Die Zuständigkeit habe gemäß § 35 Abs. 2 Nr. 1 RStV bei der ZAK gelegen. Zwar habe die Antragsgegnerin die aufsichtlichen Maßnahmen gegenüber der Antragstellerin durchführen können, sie setze insoweit jedoch nur die Beschlüsse der ZAK um. Die institutionelle Zuständigkeit liege allein bei dieser Kommission. Die ZAK sei nicht nur für die jeweilige Maßnahme, sondern für die Entscheidung insgesamt zuständig. Dies habe der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit seinem Beschluss vom 25. Oktober 2011 (7 CS 11.1070) für das Verhältnis der KJM zur Landesmedienanstalt festgestellt. Danach sei es ein Erfordernis der verfassungsrechtlich geforderten Staatsferne der Rundfunkaufsicht, entsprechende Gremien zu bilden. Diese hätten dann auch über die Anordnung des Sofortvollzugs zu entscheiden. Bei der Anordnung der sofortigen Vollziehung handele es sich nicht ausschließlich um einen Vollzugsakt. Vielmehr gehe es um eine wertende Entscheidung, die den mit den rundfunk- und medienrechtlichen Staatsverträgen eingerichteten Gremien vorbehalten sei. Diese Erwägungen seien uneingeschränkt auch auf den vorliegenden Fall übertragbar. Die Beschlussfassung der ZAK habe sich nur auf die Feststellung und Missbilligung der Werbung in der Vergangenheit sowie auf eine Untersagung für die Zukunft bezogen. Eine Entscheidung über die Anordnung der sofortigen Vollziehung habe die ZAK nicht getroffen. Darüber hinaus fehle der Anordnung des Sofortvollzugs eine ausreichende Begründung gemäß § 80 Abs. 3 VwGO. Die gewählte Formulierung könne nur eine Untersagung gegenüber dem Glücksspielanbieter rechtfertigen, jedoch nicht den Sofortvollzug der Untersagung der streitgegenständlichen Fernsehwerbung, zumal die Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang allein von einer €vermuteten€ Gefährlichkeit ausgehe. Darüber hinaus sei die Begründung widersprüchlich und rechtsfehlerhaft. Es fehle die Auseinandersetzung mit den europarechtlichen Vorgaben, auf welche die Antragstellerin in der Stellungnahme vom ... 2011 im Rahmen der Anhörung hingewiesen habe. Die Interessen der Antragstellerin würden aber auch überwiegen, weil die Klage Aussicht auf Erfolg habe. § 5 Abs. 3 GlüStV sei nicht anwendbar. Zur Begründung verwies der Bevollmächtigte auf verschiedene Entscheidungen des EuGH, vor allem auf die Entscheidung vom 30. Juni 2011 (C-212/08). Der EuGH habe sich mit den Besonderheiten des Glücksspielangebots im Internet befasst und festgestellt, es seien sämtliche austauschbare Vertriebskanäle zu berücksichtigen, es sei denn, die Nutzung des Internets führe dazu, dass die mit dem Glücksspiel verbundenen Gefahren über diejenigen hinaus verstärkt würden, die mit den über traditionelle Kanäle vertriebenen Spielen einhergehen. Mit dieser Vorgabe stehe die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. Juni 2011 nicht in Einklang. Das Bundesverwaltungsgericht habe den erforderlichen Nachweis vermissen lassen, dass die Bewerbung von Glücksspielen im Internet Gefahren auslöse, die über diejenigen hinausgehen, die mit weiterhin zugelassenen Werbemaßnahmen über andere Kanäle einhergehen. Von der Internet- und Fernsehwerbung gehe keine erhöhte Gefahr aus. Das für das Werbeverbot ins Feld geführte Argument der Breitenwirkung habe in Anbetracht erlaubter Werbungen in Printmedien und im Hörfunk kaum Relevanz. Der EuGH habe es grundsätzlich für nicht ausgeschlossen erachtet, dass die Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit möglich sei, er habe jedoch an die nationalen Gerichte hohe Prüfungsanforderungen gestellt. Fehle es aber an einer belastbaren Rechtfertigung für ein selektives Werbeverbot, diene die Regelung zur Absicherung des staatlichen Glücksspielmonopols. In der Folge wurde auch ein öffentliches Vollzugsinteresse verneint. Dies gelte insbesondere im Hinblick auf die bevorstehenden Änderungen durch den Glücksspieländerungsstaatsvertrag. Dort werde eine Werbemöglichkeit für öffentliche Glücksspielangebote geschaffen. Nach dem Glücksspieländerungsstaatsvertrag könnten Konzessionen an einzelne Glücksspielanbieter erteilt werden, d.h., künftig werde eine größere Zahl legaler Glücksspielangebote auf dem Markt verfügbar sein. Es sei aber zu erwarten, dass Werbung für Glücksspiele im Fernsehen und Internet in absehbarer Zeit zugelassen werde. Könne zudem ein anwendbares Staatsmonopol im Bereich der Sportwetten nicht verbleiben, dann bestehe kein öffentliches Vollzugsinteresse an der Verbotsregelung des § 5 Abs. 3 GlüStV bzw. auf dessen Grundlage ergangenen aufsichtsbehördlichen Entscheidungen. Zu berücksichtigen sei auch, dass nach der zwischenzeitlich anerkannten Spruchpraxis der Gerichte die derzeitige Ausgestaltung der Werbemaßnahmen der staatlichen Glücksspielanbieter weder den Kohärenzanforderungen des EuGH noch den strengen Vorgaben des § 5 Abs. 1, Abs. 2 GlüStV entspreche.

Die Bevollmächtigten des Antragsgegners beantragten mit Schriftsatz vom ... 2011,

den Antrag abzuweisen.

Zur Begründung wurde zunächst auf den Ausgangsbescheid Bezug genommen. Zur Zuständigkeit wurde ausgeführt, nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO könne €die Behörde, die den Verwaltungsakte erlassen hat, den Sofortvollzug anordnen€. Das sei stets die Organisationseinheit, die mit Wirkung nach außen die rechtliche Regelung treffe. Die Frage, ob das intern zuständige Organ tätig geworden sei, sei keine Frage des formellen Rechts oder der Zuständigkeit der handelnden Stelle. Die Zuständigkeit der BLM sei gemäß § 36 Abs. 1 Satz 3 und § 38 Abs. 2 Satz 2 und 1 RStV umfassend geregelt. Die interne Organzuständigkeit der ZAK sei gewahrt worden. Sie habe den Beschluss über die von ihr getroffene Aufsichtsmaßnahme gefasst. Sie habe von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, eine Frist zur Umsetzung des Beschlusses zu setzen. Zuständig für die Vollziehung des Beschlusses sei die extern zuständige Landesmedienanstalt, hier die Antragsgegnerin. Die Anordnung des Sofortvollzugs stelle eine bloße verfahrensrechtliche Nebenentscheidung zum Verwaltungsakt dar. Der Präsident der BLM vollziehe beispielsweise auch die Beschlüsse des Medienrats, folglich auch die Beschlüsse der zentralen Organe nach dem Rundfunkstaatsvertrag. Dies sei auch in der Rechtsprechung bisher nicht anders gesehen worden. Soweit sich die Antragsgegnerin auf die Entscheidung des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs vom 20. Oktober 2011 (7 ZS 11.1070) beziehe, verkenne sie, dass jener vom Bayer. Verwaltungsgerichtshof entschiedene Fall nicht den Erlass von Aufsichtsmaßnahmen gegenüber privaten bundesweiten Veranstaltern betraf. Es könne letztlich dahinstehen, ob die genannte Entscheidung, die eine Entscheidung gemäß § 20 Abs. 4 JMStV betraf, auch künftig tragfähig sei. Die Begründung des Sofortvollzugs sei fehlerfrei erfolgt. Zu Recht habe die Antragsgegnerin auf den Schutz der Fernsehzuschauer vor werblich wirksamen Maßnahmen zum Anreiz an der Teilnahme an öffentlichem Glücksspiel abgestellt. Die Regelungen des Glücksspielstaatsvertrags zielten darauf ab, gerade vor solchen, Fernsehzuschauer zum Glücksspiel verleitenden Einflussmaßnahmen zu schützen. Es dürfe nicht ausgeblendet werden, dass der Gesetzgeber selbst die sofortige Vollziehung von Aufsichtsmaßnahmen der Glücksspielaufsicht in § 9 Abs. 2 GlüStV angeordnet habe. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Durchsetzung glücksspielrechtlicher Werbeverbote im Fernsehen gegenüber dem Fernsehveranstalter weniger dringlich sei als das Werbeverbot, welches eine staatliche Behörde der Glücksspielaufsicht gegenüber dem Glücksspielveranstalter auszusprechen hat. Die Begründung sei auch nicht widersprüchlich. Im Zusammenhang mit der letztlich einschränkenden Tenorierung werde darauf hingewiesen, dass das Glücksspielrecht in § 5 Abs. 3 GlüStV ersichtlich einen vom rundfunkrechtlichen Begriff abweichenden Werbebegriff verwende. Es komme entscheidend darauf an, ob für das Glücksspiel geworben werde, d.h. ob ein Anreiz gesetzt wird, sich als Spieler an einem Glücksspiel zu beteiligen. Dies sei zu unterscheiden vom bloßen Sponsorenhinweis, der nur die Person des Sponsors nenne, ohne auf eine konkrete Mitspielmöglichkeit hinzuweisen. Soweit die Antragstellerin de lege ferenda argumentiere, könne sie nicht durchdringen, da auf die gegenwärtige Rechtslage abzustellen sei. Es bestehe ein öffentliches Vollzugsinteresse, das auch nicht wegen der Diskussion über eine mögliche Änderung des Glücksspielstaatsvertrags entfallen sei.

Die Bevollmächtigten der Antragstellerin erwiderten, die Ausführung der Antragsgegnerin zur vermeintlichen Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung könnte nicht überzeugen. Der vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 25. Oktober 2011 entschiedene Fall sei ohne weiteres mit dem vorliegenden vergleichbar. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung stelle keinen Verwaltungsakt dar. Die Entscheidung über die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei untrennbar mit der Sachentscheidung verbunden. Der Bundesgesetzgeber habe die Entscheidung über die Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO der gleichen Stelle zugewiesen, die auch in der Sache die Entscheidung trifft. Im vorliegenden Fall obliege die Sachentscheidung der ZAK, eine parallele Zuständigkeit der Landesmedienanstalt bestehe nicht. Im vorliegenden Fall sei der Antragstellerin bekannt geworden, dass die Frage des Sofortvollzugs bei der ZAK kontrovers diskutiert worden sei, eine Mehrheit hierfür habe sich nicht gefunden. Zur Begründung der einstweiligen Anordnung wurde ausgeführt, der Verweis auf § 9 Abs. 2 GlüStV sei unzulässig. Schon im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG könne die Antragsgegnerin nicht die Vollzugserwägungen des Gesetzgebers im Bereich der staatlichen Glücksspielaufsicht unreflektiert übernehmen. Zum öffentlichen Vollzugsinteresse wurde ausgeführt, dass die beabsichtigten Rechtsänderungen nicht außer Betracht bleiben dürften. Das Werbeverbot des § 5 Abs. 3 GlüStV werde nicht konsequent durchgesetzt. Auf eine Entscheidung des OVG Münster hierzu werde verwiesen. Die Bevollmächtigten der Antragsgegnerin nahmen erneut Stellung und verwiesen auf die Zuständigkeitsregelungen des Bayerischen Mediengesetzes.

Für den Sachverhalt im Übrigen wird auf die vorgelegten Behördenakten und die Gerichtsakte verwiesen.

II.

Der zulässige Antrag hat im tenorierten Umfang Erfolg.

Der Anordnung des Sofortvollzugs lag kein Beschluss des zuständigen Organs der Antragsgegnerin zugrunde, sie ist daher formell rechtswidrig. Für Aufsichtsmaßnahmen der Antragsgegnerin nach §38 Abs. 2 RStV i.V.m. § 36 Abs. 1 Satz 2 RStV gegenüber privaten bundesweiten Veranstaltern ist nach § 36 Abs. 2 Nr. 7 RStV die Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) zuständig.

Nach § 35 Abs. 2 Satz 2 RStV (in der Fassung der Bekanntmachung v. 27.7.2001, Stand 1.4.2010) dienen die in § 35 Abs. 2 Satz 1 RStV genannten Kommissionen, aber auch die ZAK, der jeweils zuständigen Landesmedienanstalt als Organe bei der Erfüllung ihrer Aufgaben. Die Neufassung, die die Vorschrift mit dem 10. Rundfunkänderungsstaatsvertrag erhalten hat, hält formell am Prinzip der Einzelzulassung durch die zuständigen Landesmedienanstalten fest. Die ZAK hat jedoch die Zuständigkeit für alle Aufgaben erhalten, die mit der Zulassung und dem Betrieb eines bundesweiten Fernsehsenders zusammenhängen. Durch die Schaffung der verschiedenen Kommissionen wurde eine bundeseinheitliche Medienanstalt zwar vermieden, den vier zentralen Entscheidungsorganen wurden jedoch wichtige Teilaufgaben übertragen. Die Entscheidungsbefugnis der pluralistischen Gremien der Landesmedienanstalten ist damit auf nicht bundesweit verbreitete Angebote reduziert. Damit wurde der Weg zum sogenannten €Rats- oder Sachverständigenmodell€ beschritten. Aufgrund der Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit der Mitglieder des Gremiums (§ 35 Abs. 8 RStV) soll ein möglicher staatlicher Einfluss gemindert werden (s. Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner Rundfunkstaatsvertrag, § 35 RStV Rdnr. 1, 3). Die selbstständige Entscheidungskompetenz der Landesmedienanstalten in dezentraler Form besteht nur mehr für landesweit oder auch grenzüberschreitend verbreitete Angebote, die nicht bundesweit empfangbar sind. Gleichwohl verbleibt es dabei, dass die zuständigen Landesmedienanstalten die Entscheidungen im Außenverhältnis treffen. Das Gericht teilt insoweit die Meinung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (v. 25.10.2011 - 7 CS 11.1070, juris), wonach die Anordnung des Sofortvollzugs vom institutionell zuständigen Organ der Landesmedienanstalt zu treffen ist. Die dortigen Ausführungen zu einer jugendmedienschutzaufsichtlichen Maßnahme treffen auch auf den vorliegenden Fall zu. Zwar gelten für die Einrichtung der Kommission für Jugendmedienschutz (§ 35 Abs. 2 Nr. 4 RStV) zusätzlich die Sondervorschriften des Jugendmedienschutzstaatsvertrags, die in besonderer Weise die Einrichtung eines Sachverständigengremiums regeln. Aber auch die ZAK stellt eine weisungsunabhängige Kommission dar, an deren Beschlüsse die jeweilige Landesmedienanstalt gebunden ist (§ 35 Abs. 9 RStV). Bei der Anordnung der sofortigen Vollziehung handelt es sich nicht um einen ausschließlichen Vollzugsakt. Vielmehr ist eine wertende Entscheidung im Sinn einer Interessensabwägung zu treffen. Eine solche Entscheidung ist dem nach dem Rundfunkstaatsvertrag errichteten Gremium vorbehalten (s. VGH a.a.O. Rdnr. 22).

Die in Nr. 4 der genannten Beschlussvorlage getroffene Fristsetzung enthält entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin keine Aussage zum Sofortvollzug; die Fristsetzung ist nach § 35 Abs. 9 Satz 6 RStV möglich. Sie stellt eine Regelung zum Innenverhältnis zwischen den Organen des Rundfunkstaatsvertrags und den Landesmedienanstalten dar. Sie enthält jedoch keine Aussage zur Regelung der Vollziehung einer Maßnahme gegenüber einem privaten Fernsehanbieter. § 9 Abs. 2 GlüStV, wonach Widerspruch und Klage gegen Anordnungen keine aufschiebende Wirkung haben, kann hier keine Beachtung finden. Hierbei handelt es sich um eine Regelung für Maßnahmen der Glücksspielaufsicht im engeren Sinn. Im vorliegenden Fall ist jedoch die Maßnahme auf den Rundfunkstaatsvertrag und die Mediengesetze gestützt, für die grundsätzlich § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO gilt. So ist auch die Antragsgegnerin von der Notwendigkeit der Anordnung eines Sofortvollzugs ausgegangen.

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung war aus den oben genannten Gründen aufzuheben. Demgegenüber war die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom ... 2011 nicht wieder herzustellen, weil die Entscheidung nicht aufgrund einer Interessenabwägung ergeht, sondern die Anordnung der sofortigen Vollziehung wegen eines Verstoßes gegen Verfahrensvorschriften rechtswidrig ist (Eyermann VwGO, 13. Aufl., § 80 Rdnr. 93).

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.






VG München:
Beschluss v. 21.03.2012
Az: M 17 S 11.5500


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/7880a82cfd66/VG-Muenchen_Beschluss_vom_21-Maerz-2012_Az_M-17-S-115500




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share