Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen:
Beschluss vom 13. Oktober 2014
Aktenzeichen: 6t E 470/12.T

(OVG Nordrhein-Westfalen: Beschluss v. 13.10.2014, Az.: 6t E 470/12.T)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Der Fall handelt von einem Arzt, der eine Rüge erhalten hat, weil er einem Patienten unzureichende medizinische Behandlung gewährt hat. Die Rüge wurde vom Berufsgericht ausgesprochen und mit einem Ordnungsgeld von 2.500 Euro verbunden. Der Arzt hat gegen diese Entscheidung Beschwerde eingelegt und argumentiert, dass er unschuldig sei und dass das Verfahren nicht fair abgelaufen sei. Das Berufsgericht hat die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gefällt und den Antragsteller nicht persönlich angehört. Der Antragsteller argumentiert, dass dies gegen das Recht auf ein faires Verfahren verstoße und dass er das Recht habe, sich zu verteidigen und Zeugen zu befragen. Der Senat kommt zu dem Schluss, dass das Verfahren erste Instanz an wesentlichen Mängeln leidet und weitere Aufklärung erforderlich ist. Daher wird der Fall an das Berufsgericht zurückverwiesen.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

OVG Nordrhein-Westfalen: Beschluss v. 13.10.2014, Az: 6t E 470/12.T


1. Das durch § 58a Abs. 4 HeilBerG NRW angeordnete Verfahren für die berufsgerichtliche Nachprüfung einer gemäß § 58a Abs. 1, 3 HeilBerG NRW durch den Kammervorstand erteilten Rüge ist nach den für das heilberufsgerichtliche Verfahren auch sonst geltenden Bestimmungen des VI. Abschnitts des HeilBerG NRW durchzuführen.

a. Im Grundsatz ist daher auf Grund einer Hauptverhandlung durch Urteil zu entscheiden (§§ 84 ff., §§ 92 ff. HeilBerG NRW), gegen welches das Rechtsmittel der Berufung gegeben ist (§ 98 HeilBerG NRW).

b. Abweichend davon kann das Gericht gemäß § 83 Abs. 1 Satz 1 HeilBerG NRW nach Ermessen in leichteren Fällen ohne Hauptverhandlung durch Beschluss entscheiden. Rechtsbehelf ist dann entsprechend § 83 Abs. 3 HeilBerG NRW

der Antrag auf mündliche Verhandlung.

c. Bestreitet der Beschuldigte das ihm vorgeworfene Verhalten im Tatsächlichen, ist eine Hauptverhandlung durchzuführen.

2. Eine Unsicherheit in Bezug auf das einzulegende Rechtsmittel als Voraussetzung für die Anwendung des Meistbegünstigungsprinzips bei der Einlegung eines Rechtsmittels besteht nach diesem Beschluss und dem Ablauf einer Frist bis zum 30. November 2014 nicht mehr.

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird an das Berufsgericht für Heilberufe beim Verwaltungsgericht Köln zurückverwiesen.

Die dem Antragsteller im Beschwerdeverfahren erwachsenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt

Gründe

I.

Der am 25. Oktober 1935 im J. geborene Antragsteller ist als Facharzt für Innere Medizin in I. tätig.

Am 19. August 2007, einem Sonntag, erlitt der am 13. September 1951 geborene Patient K. U. (im Folgenden: Patient) in seiner Wohnung in U1. , M.---straße 76, starke schubartige Schmerzen (möglicherweise aufgrund eines Gichtanfalls) in beiden Fußgelenken; ferner klagte er über Schmerzen im Rücken. Seine Ehefrau H. U. bat bei der Arztnotrufzentrale um ärztliche Hilfe. Der zur Behandlung durch die Arztnotrufzentrale herbeigerufene Antragsteller traf als diensthabender Arzt im Notdienst gegen 23.30 Uhr in der Wohnung der Eheleute U. in U1. ein. Nach Untersuchung des Patienten spritzte er diesem zur Behandlung der Rückenschmerzen das Lokalanästhetikum Meaverin in den Rücken. Dabei entnahm er das Arzneimittel mittels einer Spritze aus einem mehrfach verwendbaren 50 ml-Gefäß. Ferner injizierte er zwei Ampullen des Arzneimittels Dexa-CT sowie eine Ampulle des Medikamentes Pirox-CT unmittelbar in die Fußgelenke des Patienten. In der Folgezeit kam es zu Entzündungen sowie zu einer Blutvergiftung, die auch eine dem Patienten im Jahre 1971 in die Brust gelegte Aortenprothese erfassten. Anschließende Therapieversuche einschließlich mehrfacher Operationen blieben ohne Erfolg. Der Patient verstarb am 9. Mai 2008.

Die Hinterbliebenen des Patienten erstatteten Strafanzeige gegen den Antragsteller bei der Staatsanwaltschaft (StA) B. . In einer noch vom Patienten zu seinen Lebzeiten selbst erstellten Übersicht über "den Krankheitsverlauf vom 19.08. bis 14.11.2007", die die von den Hinterbliebenen bevollmächtigten Rechtsanwälte L. & Kollegen mit Schriftsatz vom 9. Dezember 2009 an die StA B. übermittelt hatten, ist unter dem Datum des 19. August 2007 (wörtlich mit Schreibfehlern) angegeben: "Gichtanfall am Sprunggelenk rechts und links

wegen starke Schmerzen abends Arztlichernotdienst gerufen

Dr. Z. spritze in beiden Sprunggelenke und Rücken mit einer Spritze".

Die Rechtsanwälte führten im genannten Schriftsatz weiter aus, die bei der Notfallbehandlung anwesend gewesene Ehefrau des Patienten könne bestätigen, dass die verschiedenen Injektionen mit nur einer Spritze getätigt worden seien. Entsprechende Angaben habe auch der verstorbene Patient zu Lebzeiten ihnen gegenüber gemacht.

Das Institut für Rechtsmedizin der Uniklinik L1. führte im Auftrag der StA B. am 16. Mai 2008 eine Obduktion der Leiche durch. Im Sektionsprotokoll der obduzierenden Dres. Q. /G. vom 3. Juni 2008 heißt es u.a:

"Die Obduktion hat als Todesursache eine ausgedehnte beidseitige Lungenentzündung und Zeichen eines Multiorganversagens ergeben. (...) Ob und inwieweit die in der Strafanzeige skizzierten, vom Notfall-Dienstarzt durchgeführten Schmerzmittelinjektionen u.a. im Bereich beider Fußgelenke leitlinienkonform unter Einhaltung der gebotenen Hygienemaßnahmen durchgeführt wurden, zwischen diesen und der sich daraus laut Anzeige entwickelt habenden Entzündung u.a. mit nekrotisierender Fasziitis sowie darauf folgender Infektion der Brustaorta mit Fistelbildung zwischen Brustaorta und Speiseröhre und damit letztlich dem Ableben von Herrn U. ein Zusammenhang besteht, lässt sich nur durch ein klinisches Zusatzgutachten abschließend klären. Als erfahrenen Gutachter empfehlen wir Herrn Professor Dr. Dr. K1. O. , Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin der Uniklinik C. - Leiter der Schmerzambulanz -, C. ."

Im Rahmen seiner verantwortlichen Vernehmung durch die StA B. am 12. August 2008 machte der Antragsteller geltend, die Regeln der ärztlichen Kunst hinsichtlich der Desinfektion und der Verwendung von Einmalkanülen beachtet zu haben. Er habe für jede Spritze eine neue Nadel benutzt. Die Verabreichung der Injektion sei aus seiner Sicht zur Behandlung des Patienten geeignet gewesen.

Im Auftrag der StA B. vom 22. August 2008 erstellte Prof. Dr. Dr. h.c. O. von der Uniklinik C. unter dem 19. November 2009 ein fachanästhesiologisches Gutachten. Darin heißt es u.a., das Vorgehen des Antragstellers sei trotz dessen gegenteiliger Beteuerungen insgesamt nicht mit den Regeln der ärztlichen Kunst, insbesondere hinsichtlich der Desinfektion, zu vereinbaren. Der primäre Nachweis von Anaerobiern, nämlich Bacteroides, spreche eindeutig dafür, dass nicht nach den Regeln ordnungsgemäßer Desinfektion vorgegangen worden sei. Bacteroidaceae seien Anaerobier, die vor allen Dingen im Stuhl zu finden seien, nicht aber auf der Haut. Der Antragsteller habe das Arzneimittel Meaverin offenkundig aus einem mehrfach zu verwendenden 50 ml-Gefäß entnommen, damit auf die hygienische und sterile Variante verzichtet, es aus einer 5 ml-Ampulle zu entnehmen. Der Nachweis der Anaerobier im Abstrich lasse sich mit einem Vorgehen, wie der Antragsteller es beschrieben habe, nicht vereinbaren.

Mit Anklageschrift vom 12. März 2010 erhob die StA B. unter dem Aktenzeichen 401 Js 154/09 beim Amtsgericht K2. Anklage gegen den Antragsteller wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB), begangen am 19. August 2007 in U1. . In der Anklageschrift heißt es, der Antragsteller habe das dem Patienten K. U. in dessen Rücken gespritzte Arzneimittel Meaverin mittels einer Spritze aus einem mehrfach verwendbaren 50 ml-Gefäß entnommen, obwohl die Regeln der ärztlichen Kunst es zur Vermeidung einer Infektion geboten hätten, eine nur einmal verwendbare 5 ml-Ampulle zu verwenden. Tatsächlich hätten sich, wie der Antragsteller unter Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können, auf dem Gummiverschluss des Gefäßes, der zur Entnahme der Arznei mit der Nadel der Spritze hätte durchstochen werden müssen, aufgrund vorangegangener Benutzung Keime befunden, die nunmehr auf die Nadel der Spritze übertragen worden seien. Anschließend habe der Antragsteller mit derselben Spritze und derselben Nadel zwei Ampullen des Arzneimittels Dexa-CT und eine Ampulle des Medikamentes Pirox-CT aufgezogen. Obwohl nach den Regeln der ärztlichen Kunst keine Indikation dafür bestanden habe, habe er dem Patienten die Arznei unmittelbar in beide akut entzündeten Fußgelenke gespritzt. Dabei seien die auf der Nadel befindlichen Keime, die beim Menschen normalerweise im Bereich des Darms und des Mundes vorkämen, in das Gelenk eingetreten und hätten dort, verursacht durch den Einstich in den Rücken, im Bereich des Steißbeins eine eitrige Entzündung verursacht, die sich in den Folgemonaten trotz mehrfacher Operation im Krankenhaus K2. und im Klinikum B. sowie fortlaufender Therapien mit verschiedenen Antibiotika beginnend bei den Fußgelenken und den Unterschenkeln über das Blut im ganzen Körper ausgebreitet habe. Hätte der Antragsteller darauf verzichtet, die Arzneien unmittelbar in die Fußgelenke mittels einer Spritze einzubringen, und wäre er dabei unter ausreichender Beachtung der Regeln der ärztlichen Kunst bezüglich der Desinfektion der Nadel der Spritze und der Verwendung von Einmalampullen vorgegangen, wäre die nachfolgende, letztlich tödliche Infektion vermieden worden und der Patient hätte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit länger gelebt.

Im strafgerichtlichen Verfahren beim Amtsgericht K2. (3 Ds-401 Js 154/09-132/10) wandte der Antragsteller durch seinen Beistand ein, dass das Gutachten vom 19. November 2009 eine ungewöhnliche Konsequenz ziehe und nicht nachvollziehbar sei, insbesondere hinsichtlich der angeblichen Kausalverläufe. Es hätten "kausalzusammenhangunterbrechende" Operationen mit längerfristigen Krankenhausaufenthalten des Patienten in K2. und B. stattgefunden. Dieser habe eine Vorschädigung, nämlich offenbar ein Gichtleiden gehabt, was der Gutachter nicht ausreichend bedacht und gewürdigt habe. Es sei nicht nachgewiesen, dass er, der Antragsteller, eine Infektion beim Patienten verursacht/verschuldet habe. Fahrlässige Körperverletzung bzw. Tötung sei ihm jedenfalls nicht vorzuwerfen.

Prof. Dr. Dr. h.c. O. erstellte unter dem 14. September 2010 eine "Zusätzliche gutachterliche Stellungnahme" in der Strafsache gegen den Antragsteller. Darin heißt es u.a. (Seite 17 f., 35):

"Da der Hausarzt von Herrn U. Dr. I1. zu keinem Zeitpunkt irgendwelche intraartikuläre (in das Gelenk) Injektionen im Bereich beider oberer Sprunggelenke appliziert hat, bleibt alleinig und ausschließlich Herr Dr. Z. als Verantwortlicher übrig. Er selbst führt ja aus, dass er diese Injektionen appliziert hat. Das sichergestellte Material ist zudem ein eindeutiger Hinweis darauf, dass für alle Injektionen nur eine Nadel benutzt wurde. Bei dem sichergestellten Material, was sich in den Akten auf den Seiten 171/172 befindet, befindet sich nur eine Injektionsnadel. Folglich muss davon ausgegangen werden, dass mit einer Injektionsnadel in beide obere Sprunggelenke punktiert wurde, dass (für) die paravertebrale (Injektion neben die Wirbelsäule) Injektionen ebenfalls nur diese eine Nadel verwendet wurde. Damit bleibt also festzuhalten, dass für die Injektionen in die beiden oberen Sprunggelenke und für die Injektionen im Bereich des Rückens nur eine Injektionsnadel benutzt wurde. Dieses Vorgehen entspricht nicht den Regeln der ärztlichen Kunst. (..) Somit bleibt festzuhalten, dass die Kausalkette zu keinem Zeitpunkt unterbrochen worden ist. Ohne jeden Zweifel sind alle Infektionen, die der Herr U. erlitten hat, bedingt durch die primäre Infektion. Selbst wenn es im Krankenhaus zu einer zusätzlichen Infektion mit Keimen gekommen sein sollte, was nicht auszuschließen ist, wäre dies nicht geschehen, wenn die primäre Infektion nicht gewesen wäre."

Am 13. Dezember 2010 fand vor dem Amtsgericht K2. die Hauptverhandlung gegen den Antragsteller statt. Im Sitzungsprotokoll des Amtsgerichts heißt es:

"Das Gericht erläutert sein Verständnis von Fahrlässigkeit und Kausalverlauf im vorliegenden Fall. Seitens des Gerichts wird eine Verfahrenseinstellung gem. § 153 a StPO angeregt und mit den Verfahrensbeteiligten erörtert. Dabei macht das Gericht klar, dass in jedem Falle die Voraussetzungen einer fahrlässigen Körperverletzung festzustellen sind (Folge der fehlerhaften Behandlung, die zur Einweisung in das Krankenhaus K2. führte), wobei das Gericht klar macht, dass daher allein die Alternative besteht zwischen einer möglichen/sehr wahrscheinlichen Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung und einer Verfahrenseinstellung gem. § 153 a StPO."

Mit Beschluss vom 13. Dezember 2010 stellte das Amtsgericht K2. das Verfahren mit persönlich erteiltem Einverständnis des Antragstellers gemäß § 153a Abs. 2 StPO vorläufig ein und machte ihm zur Auflage, einen Geldbetrag in Höhe von 2.500 Euro zu zahlen. Durch Beschluss vom 28. Dezember 2010 wurde das Verfahren nach § 153a Abs. 2 StPO endgültig eingestellt, nachdem der Antragsteller die Auflage erfüllt hatte.

Die Antragsgegnerin, die von der Staatsanwaltschaft über das Strafverfahren unterrichtet worden war, hatte zunächst mit Schreiben vom 28. April 2010 dem Beistand des Antragstellers mitgeteilt, die berufsrechtliche Prüfung in der Angelegenheit werde bis zum Abschluss des Strafverfahrens ausgesetzt. Mit Schreiben vom 4. Februar 2011 wies sie darauf hin, es könnte ein Verstoß gegen die Pflicht zur gewissenhaften Berufsausübung anzunehmen sein. Mit Schreiben vom 7. April 2011 führte sie aus, dem Antragsteller sei der Vorwurf berufswidrigen Verhaltens zu machen. Im Rahmen des Strafverfahrens seien die Sachverständigen zu der Auffassung gelangt, dass der Patient an den Folgen einer durch die Injektion in die Fußgelenke ausgelösten Infektion verstorben sei. Bei der Injektion seien die Regeln der ärztlichen Kunst nicht beachtet worden. Zudem sei es nicht indiziert gewesen, die Arzneimittel unmittelbar in die Gelenke zu verabreichen. Die Entstehung einer im Einzelfall nicht mehr beherrschbaren Entzündung durch die Verwendung einer durch Keime verunreinigten Nadel sei für den Antragsteller auch vorhersehbar gewesen. In diesem bereits im Strafverfahren vorgeworfenen Verhalten sei zugleich ein Verstoß gegen die Grundsätze der gewissenhaften und sorgfältigen Berufsausübung zu sehen.

Unter dem 9. Mai 2011 legte der Beistand des Antragstellers der Antragsgegnerin ein Gutachten vom 2. Dezember 2010 vor, welches Prof. Dr. med. G1. und Prof. Dr. med. O1. (F. -L2. S. ) auf seine Veranlassung erstellt hatten. Darin kommen die Gutachter zu der Schlussfolgerung, das Vorgehen des Antragstellers durch intraartikuläre Applikation von Dexamethason "in Verbindung Piroxicam" stelle eine inkonventionelle Methode dar, die bedauerlicherweise zur Hypothese einer Infektionsinokulation und daraus sich entwickelnde Septikhämie und Protheseinfektion geführt habe. Stattdessen handele es sich um ein multifaktorielles Problem, das auf der Multimorbidität des Patienten basiert und zu dem unglücklichen Verlauf der Erkrankung beigetragen habe. Die Annahme, dass es sich ursächlich um eine Inokulation in Verbindung mit intraartikulärer Injektion gehandelt hat, erscheine zwar nachvollziehbar. Man sei allerdings auch berechtigt, bei dem Patienten an eine primäre bakterielle Infektion der Sprunggelenke zu denken, unabhängig von einer möglichen Infektion in Verbindung mit ärztlichem Handeln.

In seiner Sitzung vom 3. August 2011 beschloss der Vorstand der Antragsgegnerin, dem Antragsteller eine Rüge mit Ordnungsgeld von 2.500 Euro zu erteilen.

Mit Bescheid vom 10. August 2011 erteilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller eine Rüge wegen Verletzung seiner Berufspflichten und verhängte zugleich ein Ordnungsgeld in Höhe von 2.500 Euro. Zur Begründung wurde angeführt, der Antragsteller habe die ihm obliegenden Berufspflichten verletzt. Nach § 29 Abs. 1 des Heilberufsgesetzes (HeilBerG) i.V.m. §§ 2, 11 der Berufsordnung für die nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte (BO) sei er mit der Übernahme der Behandlung gegenüber seinem Patienten zur gewissenhaften medizinischen Versorgung mit geeigneten Untersuchungs- und Behandlungsmethoden verpflichtet gewesen. Der Abschnitt C Verhaltensregeln Nr. 2 BO regele die Behandlungsgrundsätze. Danach erforderten die Übernahme und die Durchführung der Behandlung die gewissenhafte Ausführung der gebotenen medizinischen Maßnahmen nach den Regeln der ärztlichen Kunst. Der Antragsteller habe diese Regeln missachtet, als er die Arzneimittel unmittelbar in die Fußgelenke des Patienten eingespritzt habe, ohne dabei - nach vorangegangener Benutzung der Nadel für die Injektion in den Rücken - eine ordnungsgemäße Desinfektion sicher zu stellen. Er habe dieselbe Nadel mehrfach verwendet. Es liege ein berufsrechtlicher Überhang vor. Durch die Auferlegung einer "weiteren Geldstrafe" solle dem Antragsteller ins Bewusstsein gebracht werden, dass die Tat auch nach dem Verständnis seiner Berufsgenossen berufsunwürdig sei. Allerdings sei eine geringe Schuld gegeben, so dass ein Antrag auf Eröffnung eines berufsgerichtlichen Verfahrens noch nicht erforderlich gewesen sei.

Der Antragsteller hat am 24. August 2011 einen Antrag auf berufsgerichtliche Nachprüfung gestellt. Er hat vorgetragen, die Antragsgegnerin habe ihrer Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde gelegt, der nicht den Tatsachen entspreche. Insbesondere treffe es nicht zu, dass er dieselbe Nadel und dieselbe Spritze benutzt habe. Tatsächlich seien verschiedene Kanülen benutzt worden, wie es den Regeln der ärztlichen Kunst entspreche. Er habe die beim Patienten festgestellte Infektion nicht verursacht. Soweit die eingeholten Sachverständigengutachten des Prof. Dr. Dr. h.c. O. zu einem anderen Ergebnis gelangten, sei dies nicht schlüssig und nicht nachvollziehbar. Dies könnten die Professoren Dres. O1. und G1. bestätigen, deren schriftliches Gutachten vorliege. Die Entscheidung des Amtsgerichts K2. bezüglich der Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPO könne die Entscheidung im berufsgerichtlichen Verfahren nicht präjudizieren. Das Strafverfahren sei mit der Unschuldsvermutung nach Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) beendet.

Der Antragsteller hat sinngemäß beantragt,

die Rüge vom 10. August 2011 einschließlich des Ordnungsgeldes von 2.500 Euro aufzuheben.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

den Antrag auf berufsgerichtliche Nachprüfung zurückzuweisen.

Sie hat auf die Gründe der angefochtenen Rüge Bezug genommen und geltend gemacht, diese sei ohne Rechtsfehler ergangen. Dass die ärztliche Vorgehensweise des Antragstellers nicht korrekt gewesen sei, ergebe sich aus dem Verlauf der Verhandlung beim Amtsgericht K2. am 13. Dezember 2010. Das Amtsgericht sei eindeutig davon ausgegangen, dass der Antragsteller mindestens eine fahrlässige Körperverletzung begangen habe. Soweit sich dieser auf die Ausführungen der Professoren Dres. O1. und G1. beziehe, seien deren Ausführungen lediglich darauf ausgerichtet, Zweifel am Kausalverlauf zu begründen. Angesichts der fundierten und nachvollziehbaren Erläuterungen des Prof. Dr. Dr. h.c. O. gelinge der Versuch einer Erschütterung dessen entscheidungserheblicher Schlussfolgerungen aber nicht. Es stehe fest, dass der Antragsteller dem Patienten Arzneimittel in die Fußgelenke injiziert habe. Zwar habe sich der Patient anschließend zu seinem Hausarzt Dr. I1. begeben. Anhand der Dokumentation stehe aber fest, dass Letzterer keine weiteren Injektionen in die Fußgelenke des Patienten verabreicht habe. Bei dem sichergestellten Material sei nur eine Injektionsnadel aufgefunden worden. Dies lasse nur den Schluss zu, dass für die verschiedenen Injektionen eine einzige Nadel verwendet worden sei. Dieses Vorgehen entspreche nicht den Regeln der ärztlichen Kunst. Dass das Strafverfahren nach § 153a StPO eingestellt worden sei, bedeute angesichts der Formulierung dieser Verfahrensvorschrift nicht, dass keine Schuld gegeben sei.

Das Berufsgericht hat durch Beschluss vom 3. April 2012, auf den für die Einzelheiten Bezug genommen wird, den Antrag auf berufsgerichtliche Nachprüfung zurückgewiesen. In der Rechtsmittelbelehrung des Beschlusses heißt es, gegen den Beschluss sei das Rechtsmittel der Beschwerde nach §§ 105 Abs. 1, 112 HeilBerG NRW, § 304 StPO zulässig.

Der Beschluss ist dem Antragsteller am 13. April 2012 zugestellt worden. Er hat am 17. April 2012 Beschwerde eingelegt.

Er macht geltend: Das Berufsgericht sei von einem falschen Sachverhalt ausgegangen. Dass nur eine Injektionsnadel aufgefunden worden sei, sage nicht, ob mehrere Nadeln benutzt worden seien. Es sei nicht bekannt, wie die Nadel aufgefunden worden sei. Nach anderen Nadeln sei nicht gesucht worden. Die Ehefrau des Verstorbenen und er, der Antragsteller, selbst seien zu keinem Zeitpunkt gehört worden. Bei dem Gutachten des Prof. Dr. Dr. h.c. O. handele es sich um ein Parteigutachten, zu dem er, der Antragsteller, keine Fragen habe stellen können. Er sei seit 1965 als Arzt tätig. Vor dem Verfahren aufgrund des streitgegenständlichen Sachverhalts habe es nie ein Strafverfahren gegeben. Es gebe keinen Grund, seine Aussage in Zweifel zu ziehen, mehrfach die Nadeln gewechselt zu haben. Die Familie U. habe ein wirtschaftliches Interesse daran, ein Fehlverhalten seinerseits festzustellen. Die Beweiswürdigung des Berufsgerichts verfehle rechtsstaatliche Grundsätze, die die Unmittelbarkeit und Mündlichkeit der Beweiserhebung und -verwertung vorschrieben.

Der Antragsteller beantragt,

den angefochtenen Beschluss aufzuheben.

Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Das Berufsgericht sei nicht von einem falschen Sachverhalt ausgegangen. Dies fuße auf mehreren Anhaltspunkten. Der Patient selbst habe zu Lebzeiten dokumentiert, dass die Nadel mehrfach verwendet worden sei. Der Sachverständige habe in seinem Gutachten nicht nur einbezogen, dass bei dem sichergestellten Material nur eine Injektionsnadel gefunden worden sei, sondern darüber hinaus festgestellt, die gefundenen Keime sprächen dafür, dass nicht nach den Regeln ordnungsgemäßer Desinfektion vorgegangen worden sei. Der Nachweis der Anaerobier im Abstrich lasse sich mit dem vom Antragsteller behaupteten Vorgehen nicht vereinbaren. Da der Hausarzt Dr. I1. keine weiteren Injektionen vorgenommen habe, könne die Infektion im Bereich der Sprunggelenke des Patienten nur auf den Antragsteller zurückzuführen sein. Die Kritik am Gutachten des Prof. Dr. Dr. h.c. O. sei nicht nachvollziehbar. Es handele sich nicht um ein Parteigutachten. Die Einholung eines gerichtlichen Gutachtens sei nicht erforderlich gewesen, da die schriftliche Begutachtung durch die Verwertung eines gerichtlich oder staatsanwaltschaftlich eingeholten Sachverständigengutachtens ersetzt werden könne.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Strafakte der StA B. (401 Js 154/09) und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig (1.) und mit der Maßgabe begründet, dass sie zur Zurückverweisung der Sache analog § 104 Abs. 1 HeilBerG NRW führt (2.).

1. Die erhobene Beschwerde ist zulässig.

Grundsätzlich ist in der gegebenen Konstellation allerdings analog § 83 Abs. 3 Satz 1 HeilBerG NRW der Antrag auf mündliche Verhandlung der richtige Rechtsbehelf; davon hat der Antragsteller keinen Gebrauch gemacht (a.). Die stattdessen eingelegte Beschwerde ist ausnahmsweise zulässig (b.). Erstinstanzliche Beschlüsse über Rügen, die nach der vorliegenden Entscheidung ergehen, können demgegenüber allein mit dem Antrag auf mündliche Verhandlung angefochten werden (c.).

a. Die Regelungen des HeilBerG NRW über das Verfahren für die berufsgerichtliche Nachprüfung einer gemäß § 58a Abs. 1, 3 HeilBerG NRW durch den Kammervorstand erteilten Rüge - wie sie hier vorliegt - sind defizitär. § 58a Abs. 4 Satz 1 HeilBerG NRW ordnet an, dass "die nach Absatz 3 getroffenen Entscheidungen", also die mit einem Ordnungsgeld verbundenen Rügen, der berufsgerichtlichen Nachprüfung unterliegen. Für Rügen nach Absatz 1, also solche ohne zusätzliches Ordnungsgeld, enthält das Gesetz keine ausdrückliche Regelung; gleichwohl muss auch hierfür der Antrag auf berufsgerichtliche Nachprüfung zur Verfügung stehen. Keine Aussage trifft das Gesetz ferner zu der sich aufdrängenden Frage, in welchem Verfahren diese Nachprüfung zu erfolgen hat.

Der 2. Senat des Landesberufsgerichts für Heilberufe beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen,

Beschlüsse etwa vom 31. Oktober 2006 - 13 E 435/06.T -, juris, sowie vom 15. Juli 2005 - 13 E 466/04.T -, NWVBl 2005, 473,

hat vor dem Hintergrund dieser normativen Unklarheit angenommen, die berufsgerichtliche Nachprüfung einer durch den Kammervorstand erteilten Rüge müsse nicht in einem förmlichen berufsgerichtlichen Verfahren nach den Bestimmungen der §§ 60 ff. HeilBerG NRW und in der dabei grundsätzlich vorgesehenen Entscheidungsform eines Urteils auf Grund einer Hauptverhandlung erfolgen; vielmehr könne das Berufsgericht im schriftlichen Verfahren durch Beschluss entscheiden. Der 2. Senat hat dazu - kurz gefasst - auf den Umstand verwiesen, dass die Rüge in einem eigenen Abschnitt geregelt ist, ferner auf deren Voraussetzungen gemäß § 58a Abs. 1 HeilBerG NRW (geringe Schuld und mangelnde Erforderlichkeit eines berufsgerichtlichen Verfahrens) sowie auf die gesetzgeberische Absicht, den Kammern die Möglichkeit der Verhängung einer Disziplinarmaßnahme auch ohne Durchführung eines berufsgerichtlichen Verfahrens zu eröffnen und so auch die Berufsgerichtsbarkeit zu entlasten.

Demgegenüber hatte der 1. Senat des Landesberufsgerichts für Heilberufe beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen im Rahmen einer Berufung über ein erstinstanzliches Urteil zu entscheiden, das eine Rüge der zuständigen Heilberufskammer zum Gegenstand hatte; gegen die von der ersten Instanz gewählte Entscheidungsform hat er dabei keine Einwände erhoben.

Vgl. Urteil vom 29. Januar 2003 - 6t A 4560/00.T -, MedR 2004, 343.

Der vorliegende Fall gibt Anlass, die danach auch in der Rechtsprechung verbliebenen Unsicherheiten wie folgt aufzulösen: Mangels abweichender gesetzlicher Anhaltspunkte liegt es nahe, das durch § 58a Abs. 4 HeilBerG NRW angeordnete Nachprüfungsverfahren nach den für das heilberufsgerichtliche Verfahren auch sonst geltenden Bestimmungen des VI. Abschnitts des HeilBerG NRW durchzuführen, soweit diese von ihrem Gegenstand her anwendbar sind.

Im Regelfall ist daher auf Grund einer Hauptverhandlung durch Urteil zu entscheiden (§ 84 ff., § 92 ff. HeilBerG NRW), gegen welches das Rechtsmittel der Berufung gegeben ist (§ 98 HeilBerG NRW). Abweichend davon bietet § 83 Abs. 1 Satz 1 HeilBerG NRW die Möglichkeit, in leichteren Fällen auch ohne Hauptverhandlung durch Beschluss zu entscheiden. Die Vorschrift eröffnet dem Gericht bei Vorliegen eines leichteren Falls hinsichtlich der Verfahrensweise Ermessen. Ein solcher Fall wird angesichts der vom 2. Senat zu Recht hervorgehobenen Voraussetzungen für die Erteilung einer Rüge gemäß § 58a Abs. 1 HeilBerG NRW häufig anzunehmen sein. Als Rechtsbehelf ist dann gemäß § 83 Abs. 3 Satz 1 HeilBerG NRW anstelle der Beschwerde, über die der Antragsteller hier belehrt worden ist, der Antrag auf mündliche Verhandlung gegeben.

Diese prozessrechtliche Behandlung des auf die Nachprüfung einer Rüge gerichteten Antrags hat einen doppelten Vorzug: Einerseits wird dadurch eine weniger aufwändige Erledigung solcher Berufspflichtverletzungen ermöglicht, deren Sachverhalt unstreitig ist und deren Bedeutung nach Einschätzung aller Beteiligten (einschließlich des Gerichts) nicht den Aufwand einer mündlichen Verhandlung erfordert. Andererseits ist gewährleistet, dass gegen den Willen eines Beteiligten (oder des Gerichts) eine mündliche Verhandlung nicht unterbleiben darf und eine abschließende Entscheidung erst dann ergeht, wenn alle dafür erheblichen Tatsachenfragen aufgeklärt sind. Insbesondere ist auch in solchen Fällen ein sachgerechter prozessrechtlicher Rahmen gewährleistet, in denen der Antragsteller den ihm zur Last gelegten Sachverhalt im Tatsächlichen bestreitet. Eine ebensolche Wirkung wird mit ähnlichen Regelungen sowohl im Berufsrecht der Rechtsanwälte als auch im Heilberufsrecht anderer Bundesländer erzielt.

Vgl. § 74a Abs. 2 Satz 5 BRAO, § 59 Abs. 4 Satz 8 HeilBerG Hessen, § 46a Abs. 4 Satz 8 HeilberG Thüringen, § 11 Abs. 7 Satz 1 HeilBerG RP; s. auch die zu vergleichbaren Ergebnissen führende Sonderregelung in § 77 Abs. 3 Nds. HeilBerKG in Verbindung mit § 79 Abs. 3 Satz 2 Nds. HeilBerKG.

Der Antragsteller hat von dem Antrag auf mündliche Verhandlung keinen Gebrauch gemacht, sondern - der Rechtsmittelbelehrung folgend - Beschwerde eingelegt. Für eine Auslegung dieser Beschwerde als Antrag auf mündliche Verhandlung gibt es keine hinreichende Grundlage.

b. Im Streitfall ist aber ausnahmsweise auch die Beschwerde als zulässiges Rechtsmittel anzusehen. Dies folgt aus dem Meistbegünstigungsprinzip, das als Ausprägung der verfassungsrechtlichen Grundsätze der allgemeinen Gleichheit vor dem Gesetz und des Vertrauensschutzes in Fällen unklarer, insbesondere auf einem Fehler der angefochtenen Entscheidung beruhender Prozessrechtslage zum Tragen kommt. Danach steht den Beteiligten, wenn das Gericht eine der Form nach unrichtige Entscheidung gewählt hat, sowohl dasjenige Rechtsmittel zu, welches nach der Art der ergangenen Entscheidung statthaft ist, als auch das Rechtsmittel, das bei einer in der richtigen Form getroffenen Entscheidung gegeben wäre. Darüber hinaus kommt das Meistbegünstigungsprinzip auch dann zur Anwendung, wenn für den Rechtsmittelführer eine Unsicherheit in Bezug auf das einzulegende Rechtsmittel besteht, soweit diese auf einem Fehler oder einer Unklarheit der anzufechtenden Entscheidung beruht.

Vgl. BGH, Urteile vom 5. November 2003 - VIII ZR 10/03 -, juris, mit weiteren Nachweisen, und vom 16. Oktober 2002 - VIII ZB 27/02 -, juris.

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt: Nach der Art seiner Entscheidung hat das Berufsgericht einen Beschluss gefasst, ohne sein Ermessen nach § 83 Abs. 1 Satz 1 HeilBerG NRW ausgeübt zu haben; ferner hat es die Beteiligten fälschlich dahin belehrt, dass die Beschwerde das zutreffende Rechtsmittel sei. Beides sind Fehler der angefochtenen Entscheidung, die in der unzureichenden Gesetzeslage ihren Ursprung und eine Unsicherheit in Bezug auf das statthafte Rechtsmittel nach sich gezogen haben.

c. Der erkennende Senat hat im Interesse der Rechtseinheitlichkeit in Anwendung des Rechtsgedankens der §§ 11 Abs. 2, 12 Abs. 1 VwGO dem 2. Senat des Landesberufsgerichts seine vorstehenden rechtsgrundsätzlichen Erwägungen dargelegt. Der 2. Senat hat durch Beschluss vom 8. September 2014 entschieden, dass er diese Erwägungen billigt und seiner künftigen Rechtsprechung zugrunde legen wird. Nach der vorliegenden Entscheidung ergehende erstinstanzliche Beschlüsse über Rügebescheide der Heilberufskammern können demnach nicht mehr mit der Beschwerde, sondern allein mit dem Antrag auf mündliche Verhandlung angefochten werden. Dies gilt zur Vermeidung möglicher Rechtsnachteile für Betroffene allerdings erst nach einer Übergangszeit, die mit Ablauf des 30. November 2014 endet.

2. Die Beschwerde hat Erfolg; sie führt zur Zurückverweisung der Sache (§ 104 Abs. 1 HeilBerG NRW analog).

Nach § 104 Abs. 1 lit. a bzw. lit. b HeilBerG NRW kann der Senat durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und an das zuständige Berufsgericht für Heilberufe zurückverweisen, wenn das Verfahren erster Instanz an einem wesentlichen Mangel leidet bzw. wenn weitere Aufklärung erforderlich ist. Die Vorschrift ist hier anwendbar (a.). Ihre Voraussetzungen sind gegeben (b.). Die Verfahrensmängel nötigen zur Zurückverweisung der Sache (c.); sie ist unvermeidbar (d.).

a. § 104 Abs. 1 HeilBerG NRW ist - analog - anwendbar. Zwar ergibt sich aus der systematischen Stellung der Bestimmung - nach § 103 HeilBerG NRW (Berufungsurteil), vor § 105 HeilBerG NRW (Beschwerde) -, ferner aus der Wendung "durch Urteil", dass die Norm sich auf das Berufungsverfahren bezieht. Hier hat der Antragsteller aber Beschwerde eingelegt, für die das Gesetz keine Zurückverweisung vorsieht. Es ist indessen eine planwidrige Regelungslücke bei gleichartiger Interessenlage anzunehmen. Gerade in der Entscheidung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung liegt, wie nachfolgend zu zeigen ist, ein Verfahrensmangel. Dessen Behebung kann nur durch Nachholung der mündlichen Verhandlung erfolgen, und zwar vor dem Berufsgericht erster Instanz.

b. Die Voraussetzungen des § 104 Abs. 1 HeilBerG NRW für die Zurückverweisung sind gegeben; es liegen wesentliche Verfahrensmängel vor (aa.), auch ist weitere Aufklärung erforderlich (bb.).

aa. Das Verfahren erster Instanz leidet an wesentlichen Mängeln (§ 104 Abs. 1 lit. a HeilBerG NRW).

Ein wesentlicher Mangel des Verfahrens folgt bereits aus dem Ermessensfehler bei der Wahl der Verfahrensweise. Das Berufsgericht hat im Ausgangspunkt nicht erkannt, dass ihm gemäß § 83 Abs. 1 Satz 1 HeilBerG NRW Ermessen bei der Wahl des gerichtlichen Verfahrens und der Entscheidungsform eröffnet war. Es hat vielmehr eine Entscheidung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung für prozessual zwingend erachtet.

Überdies war im Streitfall das dem Gericht gemäß § 83 Abs. 1 Satz 1 HeilBerG NRW eröffnete Ermessen eingegrenzt durch die Prozessgrundsätze des fairen Verfahrens und der Unmittelbarkeit der Beweiserhebung, die hier die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unabweisbar erscheinen lassen.

Der Streitfall ist dadurch gekennzeichnet, dass der Antragsteller das ihm vorgeworfene Verhalten im Tatsächlichen bestreitet (1). In einer solchen Verfahrenskonstellation wird den Verteidigungsbelangen des Betroffenen nur dann angemessen entsprochen, wenn er vom Gericht selbst gehört wird, ferner etwaige Zeugen und Sachverständige in seiner Gegenwart vor Gericht zu Wort kommen und ihm Gelegenheit gegeben wird, sich mit ihnen unmittelbar auseinander zu setzen (2).

(1) Das Berufsgericht hat seiner Entscheidung zugrunde gelegt, dass der Antragsteller mit derselben Spritze und derselben Nadel, mit der er zuvor das Arzneimittel Meaverin in den Rücken des - später verstorbenen - Patienten K. U2. injiziert hatte, zwei Ampullen des Arzneimittels Dexa-CT und eine Ampulle des Medikaments Pirox-CT in die Fußgelenke des Patienten gespritzt hat, ohne auf ordnungsgemäße Desinfektion zu achten. Für diese Annahme hat es sich darauf gestützt, dass bei dem sichergestellten Material nur eine Injektionsnadel aufgefunden worden sei, ferner auf die Gutachten des Prof. Dr. Dr. h.c. O. , aber auch auf die eigenen Aufzeichnungen des Patienten zu dessen Lebzeiten und die Angaben der bei der Notfallbehandlung anwesenden Ehefrau. Da eine Verhandlung nicht stattgefunden hat, hat das Gericht weder die Ehefrau des Patienten noch den Rechtsanwalt, dem der Verstorbene den Sachverhalt geschildert hatte, noch den Sachverständigen oder den Antragsteller selbst gehört. Der Antragsteller bestreitet jedoch und hat durchgehend bestritten, lediglich eine Spritze bzw. Nadel verwendet zu haben. Er hat bereits im Rahmen seiner verantwortlichen Vernehmung durch die StA B. behauptet und behauptet weiterhin, er habe für jede Injektion eine neue Nadel benutzt.

(2) In einer solchen Situation zwingen die auch im heilberufsgerichtlichen Verfahren Geltung beanspruchenden Prozessgrundsätze des fairen Verfahrens und der Unmittelbarkeit dazu, eine Beweiserhebung im Rahmen einer mündlichen Verhandlung durchzuführen.

Die Verteidigungsbelange des Verfahrensbetroffenen sind von Verfassungs wegen durch verfahrensrechtliche Garantien geschützt, die sich neben den wichtigsten speziellen Verfahrensgrundrechten - wie den Ansprüchen auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) und den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) - aus der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), insbesondere aber dem Rechtsstaatsprinzip ergeben. Der Beschuldigte bzw. Antragsteller darf nicht nur Objekt des Verfahrens sein. Als Ausprägung des Rechts auf ein faires Verfahren steht ihm ein Anspruch darauf zu, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss nehmen zu können. Insbesondere muss ihm die effektive Möglichkeit eröffnet werden, Zeugen zu befragen und deren Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit in Frage zu stellen (Konfrontationsrecht). Diese Ansprüche werden einerseits bestätigt, andererseits ausgeformt durch die als Auslegungshilfe verstandenen Regelungsinhalte des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und Art. 6 Abs. 3 EMRK.

Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2491/07 -, juris; vom 2. Mai 2007 - 2 BvR 411/07 -, juris; vom 27. Dezember 2006 - 2 BvR 1814/04 -, juris, vom 5. Juli 2006 - 2 BvR 1317/05 -, NJW 2007, 204, vom 17. September 2004 - 2 BvR 2122/03 -, juris, und vom 20. Dezember 2000 - 2 BvR 591/00 -, NJW 2001, 2245.

Defizite bei der Ermöglichung der Befragung können in Grenzen durch eine besonders sorgfältige Beweiswürdigung ausgeglichen werden.

Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2491/07 -, juris, und vom 2. Mai 2007 - 2 BvR 411/07 -, juris.

Diese Rechte stehen auch dem Verfahrensbetroffenen im berufsgerichtlichen Verfahren zu, wenn auch kein Strafverfahren in Rede steht und Art. 6 EMRK nach der Rechtsprechung des EGMR nicht eingreifen dürfte. Denn der Beschuldigte bzw. Antragsteller soll auch im berufsgerichtlichen Verfahren für ein norm- bzw. berufspflichtwidriges Verhalten durch ein staatliches Gericht unter Eingriff in seine Grundrechte zur Verantwortung gezogen werden.

Dementsprechend gilt für das Verfahren der Heilberufsgerichte - von einer hier nicht einschlägigen Ausnahme abgesehen - das Prinzip der Unmittelbarkeit der Beweiserhebung, das insbesondere in §§ 250 ff. StPO normiert ist.

Vgl. Willems, Das Verfahren vor den Heilberufsgerichten, 2009, Rn. 380 bis 382.

Danach hat die Beweisaufnahme in der Regel vor dem erkennenden Gericht selbst zu erfolgen (formelle Unmittelbarkeit) und ist für den Beweis einer Tatsache das sachnächste Beweismittel heranzuziehen (materielle Unmittelbarkeit).

Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 55. Auflage 2012, § 250 Rn. 2 f.

Diesen Anforderungen ist bei der hier getroffenen Entscheidung im schriftlichen Verfahren nicht entsprochen worden. Das Gericht hätte den Antragsteller hören und die Zeugen (Ehefrau des verstorbenen Patienten und den früheren Prozessvertreter der Nebenklage) sowie den Sachverständigen selbst vernehmen müssen. Dem Antragsteller hätte Gelegenheit gegeben werden müssen, sich mit den Zeugen und dem Sachverständigen unmittelbar auseinander zu setzen. Er ist aber weder selbst vom Gericht gehört worden noch hatte er eine Möglichkeit, die Zeugen und den Sachverständigen zu befragen und deren Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit in Frage zu stellen. Dass das Berufsgericht diese Mängel durch eine besonders sorgfältige Beweiswürdigung ausgeglichen hätte, ist schon deshalb nicht anzunehmen, weil es keinen Anhalt dafür gibt, dass dem Gericht dieses Erfordernis vor Augen stand. Überdies dürfte ein vollständiger Verzicht auf die gebotene Beweisaufnahme, zudem ohne tragfähigen Grund, auf der Ebene der Beweiswürdigung nicht ausgleichsfähig sein.

Vgl. in diesem Zusammenhang auch BVerfG, Beschluss vom 27. Dezember 2007 - 2 BvR 1814/04 -, a.a.O.

bb. Die Zurückverweisung ist ferner gemäß § 104 Abs. 1 lit. b HeilBerG NRW angezeigt, weil weitere Aufklärung erforderlich ist. § 88 Abs. 2 HeilBerG NRW gebietet, den zu beurteilenden Sachverhalt in bestmöglicher Weise von Amts wegen aufzuklären.

Dazu Willems, a.a.O., Rn. 402 mit weiterenNachweisen.

Das ist aus den unter aa. genannten Gründen nicht geschehen.

c. Der Senat übt das ihm durch § 104 Abs. 1 HeilBerG NRW eröffnete Ermessen,

Willems, a.a.O. Rn. 615 mit weiteren Nachweisen,

dahin aus, die Sache zurückzuverweisen. Im Streitfall ist die Zurückverweisung zwingend. Anderenfalls würde dem Antragsteller eine Instanz genommen und zudem der erstinstanzlich gemachte Fehler - Vorenthaltung der notwendigen Aufklärung in der mündlichen Verhandlung unter Wahrung der verfassungsrechtlich verbürgten Verteidigungsbelange - perpetuiert.

d. Die Zurückverweisung lässt sich schließlich nicht deshalb vermeiden, weil die Rüge aus anderen Gründen aufzuheben wäre. Insbesondere ist der Antragsteller vor ihrem Erlass angehört worden (aa.) und ist die vorgeworfene Berufspflichtverletzung hinreichend konkretisiert (bb.); auch besteht ein berufsrechtlicher Überhang (cc.).

aa. Der Antragsteller ist vor dem Erlass des Rügebescheides in noch ausreichender Weise angehört worden.

Zu diesem Erfordernis Landesberufsgericht für Heilberufe beim OVG NRW, Urteil vom 23. September 2009 - 6t A 2297/07.T -, juris.

Die Antragsgegnerin hat zunächst mit Schreiben vom 28. April 2010 dem Beistand des Antragstellers mitgeteilt, die berufsrechtliche Prüfung in der Angelegenheit werde bis zum Abschluss des - mit Aktenzeichen bezeichneten - Strafverfahrens ausgesetzt. Mit Schreiben vom 4. Februar 2011 hat sie darauf hingewiesen, es könnte ein Verstoß gegen die Pflicht zur gewissenhaften Berufsausübung anzunehmen sein. Mit Schreiben vom 7. April 2011 hat sie weiter ausgeführt, dem Antragsteller sei der Vorwurf berufsrechtswidrigen Verhaltens zu machen. Im Rahmen des Strafverfahrens seien die Sachverständigen zu der Auffassung gelangt, dass der Patient an den Folgen einer durch die Injektion in die Fußgelenke ausgelösten Infektion verstorben sei. Bei der Injektion seien die Regeln der ärztlichen Kunst nicht beachtet worden. Zudem sei es nicht indiziert gewesen, die Arzneimittel unmittelbar in die Gelenke zu verabreichen. Die Entstehung einer im Einzelfall nicht mehr beherrschbaren Entzündung durch die Verwendung einer durch Keime verunreinigten Nadel sei für den Antragsteller auch vorhersehbar gewesen. In diesem bereits im Strafverfahren vorgeworfenen Verhalten sei zugleich ein Verstoß gegen die Grundsätze der gewissenhaften und sorgfältigen Berufsausübung zu sehen. Damit hat die Antragsgegnerin das Verhalten, aus dem eine Berufspflichtwidrigkeit abgeleitet wird, hinreichend genau bezeichnet. Zwar ist die Verwendung lediglich einer Nadel nicht ausdrücklich erwähnt. Jedoch wird der Vorwurf dahin zusammengefasst, bei der Injektion seien die Regeln der ärztlichen Kunst nicht beachtet worden, und es sei eine durch Keime verunreinigte Nadel verwendet worden. Das reicht aus, zumal auch in dem in Bezug genommenen Strafverfahren die Verwendung nur einer Nadel vorgeworfen worden war. Dass die Antragsgegnerin die in Aussicht genommene Maßnahme nicht angegeben hat, ist unschädlich, zumal die Rüge mit Ordnungsgeld am unteren Rand der überhaupt möglichen Maßnahmen liegt.

bb. Den an eine Rüge zu stellenden Mindestanforderungen an die Konkretisierung der vorgeworfenen Berufspflichtverletzung ist ebenfalls noch genügt.

Die Rüge muss den Gegenstand des als Berufspflichtverletzung vorgeworfenen Verhaltens eindeutig benennen und die Grenzen des dazu unterbreiteten Tatsachenstoffs genau umreißen. Insoweit gilt für den notwendigen Inhalt einer Rüge, deren Erlass gemäß § 58a Abs. 1 Satz 1 HeilBerG NRW in der Entscheidungsfreiheit der Antragsgegnerin liegt, nichts anderes als für den Inhalt eines Antrags auf Eröffnung des berufsgerichtlichen Verfahrens nach § 71 Abs. 1 HeilBerG NRW. Die Antragsschrift hat in persönlicher und sachlicher Hinsicht den Gegenstand festzulegen, über den das Berufsgericht zu entscheiden hat. Es müssen die Tatsachen, auf die sich der Vorwurf einer Verletzung von Berufspflichten stützt, konkret ausgeführt werden.

Zu diesem Erfordernis näher Landesberufsgericht für Heilberufe beim OVG NRW, Urteil vom 23. September 2009 - 6t A 2297/07.T -, juris.

Dem ist entsprochen. Dem Rügebescheid ist zu entnehmen, dass dem Antragsteller eine Missachtung der Regeln der ärztlichen Kunst vorgeworfen wird, indem er am 19. August 2007 im Rahmen eines Notarzteinsatzes dem Patienten Arzneimittel unmittelbar in die Fußgelenke eingespritzt habe, ohne eine ordnungsgemäße Desinfektion sicherzustellen, und die Injektionsnadel mehrfach verwendet habe.

cc. Ein berufsrechtlicher Überhang besteht. Das Fehlverhalten des Antragstellers erfordert - wenn es festgestellt werden sollte - auch eine berufsgerichtliche Ahndung. Das gilt schon deshalb, weil der berufsrechtliche Tatvorwurf nur zum Teil mit dem strafrechtlichen deckungsgleich ist und gerade die Beachtung der spezifisch ärztlichen Pflichten in den Vordergrund rückt.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 107 Abs. 1, § 108 Abs. 4 HeilBerG NRW. Die Kostenentscheidung im Übrigen bleibt der dem Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.






OVG Nordrhein-Westfalen:
Beschluss v. 13.10.2014
Az: 6t E 470/12.T


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/6aa74670a55b/OVG-Nordrhein-Westfalen_Beschluss_vom_13-Oktober-2014_Az_6t-E-470-12T




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