Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 8. Juli 2002
Aktenzeichen: NotZ 2/02

(BGH: Beschluss v. 08.07.2002, Az.: NotZ 2/02)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Der Bundesgerichtshof hat in der Entscheidung vom 8. Juli 2002 (Aktenzeichen NotZ 2/02) die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Notarsenats des Kammergerichts in Berlin vom 31. Oktober 2001 zurückgewiesen. Das Kammergericht hatte zuvor festgestellt, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse und die Art der Wirtschaftsführung des Antragstellers die Interessen der Rechtsuchenden gefährden und daraufhin die Amtsenthebung des Antragstellers in Aussicht gestellt sowie vorläufig sein Amt als Notar entzogen.

Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung festgestellt, dass sowohl die Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden durch die Art der Wirtschaftsführung als auch durch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers gegeben sind. In Bezug auf die Art der Wirtschaftsführung des Antragstellers hat das Kammergericht festgestellt, dass Gläubiger gezwungen waren, Zwangsmaßnahmen zu ergreifen, um berechtigte Forderungen gegen den Notar durchzusetzen. Dies legt die Gefahr nahe, dass Fremdgelder Gegenstand des Zugriffs von Gläubigern werden. Zudem hat das Kammergericht festgestellt, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers darauf schließen lassen, dass eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden vorliegt, da die Abtragung einer erheblichen Schuldenlast nicht innerhalb eines absehbaren Zeitraums zu erwarten ist.

Aufgrund dieser Feststellungen hat der Bundesgerichtshof die sofortige Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen und die vorläufige Amtsenthebung aufrechterhalten. Die Gefahrenlage für die Öffentlichkeit erfordert dies auch unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.

Der Antragsteller ist nun dazu verpflichtet, die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen und die notwendigen Auslagen der Antragsgegnerin zu erstatten. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 60.000 Euro.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

BGH: Beschluss v. 08.07.2002, Az: NotZ 2/02


Tenor

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des Notarsenats des Kammergerichts in Berlin vom 31. Oktober 2001 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen und die der Antragsgegnerin im Beschwerderechtszug erwachsenen notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 60.000 €

Gründe

I.

Der 1942 geborene Antragsteller ist seit 1980 Rechtsanwalt und seit 1990 Notar mit dem Amtssitz in Berlin. Mit Verfügung vom 22. Februar 2001 eröffnete ihm die Antragsgegnerin, daß sie seine Amtsenthebung wegen Vermögensverfalls sowie deswegen in Aussicht genommen habe, weil seine wirtschaftlichen Verhältnisse und die Art seiner Wirtschaftsführung die Interessen der Rechtsuchenden gefährdeten. Zugleich enthob sie ihn vorläufig seines Amtes als Notar. Im Vorschaltverfahren hat das Kammergericht festgestellt, "daß die Voraussetzungen für eine Amtsenthebung des Antragstellers nach § 50 Abs. 1 Nr. 8 BNotO vorliegen, weil seine wirtschaftlichen Verhältnisse die Interessen der Rechtsuchenden gefährden"; zugleich hat es den Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen die vorläufige Amtsenthebung zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers, der die Antragsgegnerin entgegentritt.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde (§ 111 Abs. 4 BNotO, § 42 Abs. 4 BRAO) hat in der Sache keinen Erfolg.

1.

Bei sachgerechter Auslegung des angefochtenen Beschlusses beschränkt sich die Feststellung des Kammergerichts nicht auf die in der Entscheidungsformel wiedergegebene Gefährdung des Interesses der Rechtsuchenden wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers (§ 50 Abs. 1 Nr. 8, 1. Altern. BNotO), sondern erstreckt sich auf den weiteren Amtsenthebungsgrund der Interessengefährdung wegen der Art der Wirtschaftsführung (2. Alternative der Vorschrift). Denn das Kammergericht führt in den Entscheidungsgründen diesen Amtsenthebungsgrund ausdrücklich an und stützt seine Entscheidung auf tatsächliche Umstände, die ihn begründen (s.u. 2 a).

2.

Beide Amtsenthebungsgründe, deren Vorliegen in vollem Umfang der gerichtlichen Prüfung unterliegt, sind gegeben.

a) Die Art der Wirtschaftsführung des Notars gefährdet, auch wenn sich schlechte wirtschaftliche Verhältnisse im Einzelfall nicht feststellen lassen (Senatsbeschl. v. 20. November 2000, NotZ 17/00, BGHR BNotO § 50 Abs. 1 Nr. 8, Wirtschaftsführung 1), vor allem dann die Interessen der Rechtsuchenden, wenn Gläubiger gezwungen sind, wegen berechtigter Forderungen gegen den Notar Zwangsmaßnahmen zu ergreifen (Senat aaO). Es ist bereits als solches nicht hinzunehmen, daß es der Notar zu dieser Lage kommen läßt (Senatsbeschl. v. 12. Oktober 1990, NotZ 21/89, DNotZ 1991, 94). Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, deren Abwehr der Notar nicht mehr in der Hand hat, legen insbesondere die Gefahr nahe, daß Fremdgelder Gegenstand des Zugriffs von Gläubigern werden. Daß sich diese Gefahr realisiert hat (vgl. § 50 Abs. 1 Nr. 8, 3. Altern. BNotO), ist nicht erforderlich.

Diese Voraussetzungen liegen vor: Nach den Feststellungen des Kammergerichts waren Mitte 2001 beim Amtsgericht T. -K. insgesamt 15 Vollstreckungsverfahren gegen den Antragsteller aus den Jahren 1998 bis 2001 anhängig. Unter anderem wurde im März/April 1999 bekannt, daß auf dem Geschäftskonto des Antragstellers bei der Postbank B. vier vorrangige Pfändungen über insgesamt ca. 142.000 DM und auf dem Geschäftskonto bei der Landesbank B. fünf weitere Pfändungen in Höhe von ca. 153.000 DM ausgebracht waren. Das Konto bei der Postbank ist inzwischen aufgelöst. Nach einer Drittschuldnererklärung der Landesbank B. bestanden im Mai 2000 sechs Vorpfändungen über 155.000 DM und im Dezember 2000 sieben Vorpfändungen in Höhe von 137.000 DM. Dem vermag der Antragsteller mit der Beschwerde nicht entgegenzuhalten, daß sich die Verhältnisse inzwischen signifikant verändert hätten. Sein Hinweis, den Pfändungen zu Lasten beider Konten lägen Ansprüche jeweils derselben Gläubiger zugrunde, reicht hierzu nicht aus. Das Finanzamt K. betreibt das Vollstreckungsverfahren wegen einer Steuerforderung von 54.974,46 /lEinel'ereinàrungl(urloàwendung der Vollstreckung ist mit dem Finanzamt nicht getroffen.

b) Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Notars lassen, auch wenn Vermögenslosigkeit oder Überschuldung noch nicht eingetreten sind (Senatsbeschl. v. 20. November 2000, NotZ 17/00, aaO), in der Regel den Schluß auf eine Gefährdung der Interessen des Publikums zu, wenn die Abtragung einer längerfristig angewachsenen erheblichen Schuldenlast nicht innerhalb eines überschaubaren Zeitraums zu erwarten ist (Senatsbeschl. v. 20. März 2000, NotZ 19/99, BGHR BNotO § 50 Abs. 1 Nr. 8, Interessengefährdung 1; v.

20. November 2000, NotZ 19/00, LM BNotO § 50 Nr. 16 = DNotZ 2001, 571). Auch diese Voraussetzungen sind gegeben.

Nach den Ermittlungen des Kammergerichts bestanden Verbindlichkeiten gegenüber dem Finanzamt K. in Höhe von 16.785,11 DM und 77.994,54 DM, gegenüber dem Präsidenten des Landgerichts Berlin aus einer Geldbuße in Höhe von 15.000 DM, gegenüber der Notarkammer Berlin in Höhe von 8.072 DM und 4.722,10 DM, gegenüber einer Privatgläubigerin in Höhe von 43.649,80 DM sowie gegenüber 12 weiteren Gläubigern (darunter der Rechtsanwaltskammer und verschiedener Krankenkassen) von insgesamt ca.

27.000 DM. Vorangegangenen, insgesamt 19 Aufforderungen der Antragsgegnerin, zu seinen Vermögensverhältnissen Stellung zu nehmen, insbesondere erhobene Forderungen nach Gläubiger, Schuldgrund und Schuldhöhe darzulegen, war der Antragsteller nicht nachgekommen. Zwischenzeitlich hat der einzig liquide Vermögenswert des Antragstellers, sein Anteil an einer Erbschaft, dazu Verwendung gefunden, die Geldbuße zu tilgen und rückständige Steuern teilweise (44.002,92 l(ultilgen/l9chlJitteilungldeslinn(mtsli/

beläuft sich indessen die Steuerschuld des Antragstellers (Restbetrag sowie neu hinzugekommene Abgabenforderungen) inzwischen wieder auf den Betrag von 54.974,16 \ldenljegenstndldesl'illstneckangsauftrags (oben zu a) ist. Vor dem Kammergericht hat der Antragsteller bereits auf einen Erlös aus einem weiteren Vermögenswert, einem Grundstück in L. , hingewiesen. Zur Tilgung der festgestellten Schulden hat der Antragsteller den Erlös, den er nunmehr mit 245.315 DM beziffert, indessen nicht verwendet. Er behauptet nunmehr, er könne über die Summe nicht verfügen, da das Sparbuch, auf dem sich die Gutschrift befindet, nicht auffindbar sei. Dies ist unglaubhaft. Nach der von der Antragsgegnerin eingeholten Auskunft der kontoführenden Bank kann der Inhaber eines Sparbuchs, nach Aufnahme einer Verlustanzeige, innerhalb sechs Wochen über das Guthaben verfügen. Der Antragsteller behauptet nicht, daß er eine Verlustanzeige gegenüber der Bank erstattet habe, er spielt nur mit der Möglichkeit, dies künftig zu tun. Nach Auskunft der Bank ist das Konto aus "anderen Gründen" gesperrt. Mithin ist davon auszugehen, daß die Summe jedenfalls bis auf weiteres zur Tilgung der festgestellten Verbindlichkeiten nicht zur Verfügung steht. Eine pflichtwidrige Zurückhaltung von Treuhandgeldern, der der Antragsteller mit der Beschwerde entgegentritt, liegt der Feststellung des Kammergerichts nicht zugrunde. Der Hinweis auf den Gesundheitszustand des Antragstellers (Schlafapnoe-Syndrom) berührt den Amtsenthebungsgrund nicht. Dies gälte auch dann, wenn das Syndrom geeignet wäre, ein Verschulden des Antragstellers zu mildern; die Amtsenthebungsgründe des § 50 Abs. 1 Nr. 8 BNotO bestehen im öffentlichen Interesse und sind von einem Verschulden des Notars unabhängig.

3.

Das Kammergericht hat ausdrücklich offen gelassen, ob beim Antragsteller auch der Amtsenthebungsgrund des Vermögensverfalls (§ 50 Abs. 1 Nr. 6 BNotO) vorliegt. Die Frage ist mithin nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens.

4.

Die vorläufige Amtsenthebung (§ 54 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 50 Abs. 1 Nr. 8, 1. und 2. Altern. BNotO) ist aufrechtzuerhalten. Die Gefahrenlage für die Öffentlichkeit verlangt dies auch unter strenger Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.

Rinne Tropf Kurzwelly Lintz Ebner






BGH:
Beschluss v. 08.07.2002
Az: NotZ 2/02


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/63b7670f74d4/BGH_Beschluss_vom_8-Juli-2002_Az_NotZ-2-02


Admody

Rechtsanwälte Aktiengesellschaft


service@admody.com

0511 60 49 81 27 ☏

Kontaktformular ✎

Rückrufbitte ✆

Admody RAe AG
Theaterstraße 14 C
30159 Hannover
Deutschland

www.admody.com ▸





Für Recht.
Für geistiges Eigentum.
Für Schutz vor unlauterem Wettbewerb.
Für Unternehmen.
Für Sie.



 



§
Justitia

Bundesweite Dienstleistungen:

  • Beratung
  • Gerichtliche Vertretung
  • Außergerichtliche Vertretung

Rechtsgebiete:

Gewerblicher Rechtsschutz

  • Wettbewerbsrecht
  • Markenrecht
  • Domainrecht
  • Lizenzrecht
  • Designrecht
  • Urheberrecht
  • Patentrecht
  • Lauterkeitsrecht
  • Namensrecht

Handels- & Gesellschaftsrecht

  • Kapitalgesellschaftsrecht
  • Personengesellschaftsrecht
  • Handelsgeschäftsrecht
  • Handelsstandsrecht
  • Internationales Kaufrecht
  • Internationales Gesellschaftsrecht
  • Konzernrecht
  • Umwandlungsrecht
  • Kartellrecht
  • Wirtschaftsrecht

IT-Recht

  • Vertragsrecht der Informationstechnologien
  • Recht des elektronischen Geschäftsverkehrs
  • Immaterialgüterrecht
  • Datenschutzrecht
  • Telekommunikationsrecht



Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share









Admody Rechtsanwälte Aktiengesellschaft






Jetzt Kontakt aufnehmen:


service@admody.com

☏ 0511 60 49 81 27

✎ Kontaktformular

✆ Rückrufbitte





Admody Rechtsanwälte Aktiengesellschaft Stamp Logo




Hinweise zur Urteilsdatenbank:
Bitte beachten Sie, dass das in der Urteilsdatenbank veröffentlichte Urteil weder eine rechtliche noch tatsächliche Meinung der Admody Rechtsanwälte Aktiengesellschaft widerspiegelt. Es wird für den Inhalt keine Haftung übernommen, insbesondere kann die Lektüre eines Urteils keine Beratung im Einzelfall ersetzen. Bitte verlassen Sie sich nicht darauf, dass die Entscheidung in der hier angegeben Art und Weise Bestand hat oder von anderen Gerichten in ähnlicher Weise entschieden werden würde.

Sollten Sie sich auf die angegebene Entscheidung [BGH: Beschluss v. 08.07.2002, Az.: NotZ 2/02] verlassen wollen, so bitten Sie das angegebene Gericht um die Übersendung einer Kopie oder schlagen in zitierfähigen Werken diese Entscheidung nach.
Durch die Bereitstellung oder Zusammenfassung einer Entscheidung wird weder ein Mandatsverhähltnis begründet noch angebahnt.
Sollten Sie eine rechtliche Beratung und/oder eine Ersteinschätzung Ihres Falles wünschen, zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren.


"Admody" und das Admody-Logo sind registrierte Marken von
Rechtsanwalt Sebastian Höhne, LL.M., LL.M.

28.03.2024 - 14:24 Uhr

Tag-Cloud:
Rechtsanwalt Domainrecht - Rechtsanwalt Internetrecht - Rechtsanwalt Markenrecht - Rechtsanwalt Medienrecht - Rechtsanwalt Wettbewerbsrecht - Mitbewerber abmahnen lassen - PayPal Konto gesperrt


Aus der Urteilsdatenbank
ArbG Düsseldorf, Urteil vom 5. November 2003, Az.: 10 Ca 8003/03BGH, Beschluss vom 26. März 2007, Az.: NotZ 39/06OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 4. Januar 2006, Az.: 4 W 72/05BPatG, Beschluss vom 3. Dezember 2008, Az.: 29 W (pat) 45/07OLG Köln, Beschluss vom 29. September 1997, Az.: 17 W 328/97BSG, Urteil vom 14. Oktober 2014, Az.: B 1 KR 27/13 RBPatG, Beschluss vom 10. Oktober 2000, Az.: 33 W (pat) 94/00LG Hamburg, Urteil vom 24. August 2010, Az.: 416 O 108/10BPatG, Beschluss vom 1. Juni 2005, Az.: 29 W (pat) 179/04Hessischer VGH, Urteil vom 9. November 1995, Az.: 1 UE 100/92