Landesarbeitsgericht München:
Beschluss vom 24. November 2010
Aktenzeichen: 11 TaBV 48/10

(LAG München: Beschluss v. 24.11.2010, Az.: 11 TaBV 48/10)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Das Landesarbeitsgericht München hat in einem Beschluss vom 24. November 2010 entschieden, dass dem Betriebsrat Auskunftsansprüche über die Arbeitsunfähigkeit von Mitarbeitern und Anträge zum betrieblichen Eingliederungsmanagement zustehen. Die Beschwerde des Arbeitgebers gegen einen entsprechenden Beschluss des Arbeitsgerichts München wurde zurückgewiesen.

Die Streitfrage betraf die Unterrichtungsansprüche des Betriebsrats im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) und einer entsprechenden Betriebsvereinbarung. Der Antragsteller war der Betriebsrat, der die Informationen über erkrankte Mitarbeiter benötigte, um die Einhaltung der Betriebsvereinbarung und sein Initiativrecht gemäß dem Sozialgesetzbuch (SGB) IX überwachen zu können.

Das Gericht gelangte zu dem Schluss, dass dem Betriebsrat die Auskunftsansprüche sowohl aus der Betriebsvereinbarung als auch aus dem SGB IX zustehen. Die Datenschutzbestimmungen stehen dem nicht entgegen, da die Verwendung der Daten durch die arbeitsrechtlichen und betriebsverfassungsrechtlichen Regelungen erlaubt ist. Die Zustimmung der betroffenen Arbeitnehmer ist nach dem SGB IX für das betriebliche Eingliederungsmanagement erforderlich, nicht jedoch für die Information des Betriebsrats. Der Betriebsrat hat ein überwiegendes Interesse an den Informationen, um seine Kontroll- und Überwachungsaufgaben erfüllen zu können. Das Informationsrecht des Betriebsrats steht im Einklang mit dem Datenschutzgesetz und damit dem Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer.

Die Beschwerde des Arbeitgebers wurde daher abgelehnt. Eine weitere Rechtsbeschwerde wurde nicht zugelassen. Das Verfahren ist kostenfrei und ein Rechtsmittel nicht möglich.

Insgesamt gab das Gericht dem Betriebsrat in dieser Angelegenheit Recht und bestätigte seine Ansprüche auf Auskunft über die Arbeitsunfähigkeit von Mitarbeitern und Anträge zum betrieblichen Eingliederungsmanagement.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

LAG München: Beschluss v. 24.11.2010, Az: 11 TaBV 48/10


Tenor

1. Die Beschwerde des Arbeitgebers und Beteiligten zu 2 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 16.04.2010 - 27 BV 346/09 - wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten darüber, welche Unterrichtungsansprüche dem Betriebsrat im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements und einer hierzu abgeschlossenen Betriebsvereinbarung zukommen.

Der Antragsteller ist der am Standort O. gebildete Betriebsrat im Unternehmen des Arbeitgebers, der Luft- und Raumfahrtforschung betreibt.

Am 11.12.2008 schlossen die Betriebsparteien eine Betriebsvereinbarung zur €Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 84 Abs. 2 SGB IX€ (im Folgenden: BV BEM). Diese sieht u. a. folgende Regelungen vor:

€€

§ 3 Geltungsbereich

(1) Diese BV findet für alle Mitarbeiter Anwendung, die innerhalb von zwölf Monaten länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind.

(2) Darüber hinaus können Mitarbeiter von sich aus jederzeit ein betriebliches Eingliederungsmanagement beantragen.

§ 4 Integrationsteam

(1) Für die Mitarbeiter, die gem. den Bestimmungen nach § 4 für ein BEM in Betracht kommen und hierzu ihr Einverständnis erklärt haben, wird ein Integrationsteam gebildet. Dieses tritt für das BEM bei Bedarf im konkreten Fall zusammen. In diesem Team sind folgende Mitglieder vertreten:

- ein Beauftragter des Arbeitgebers mit Entscheidungsbefugnis,

- ein Beauftragter des Betriebsrats,

- die Schwerbehindertenvertretung.

§ 5 Maßnahmen

(1) Der Arbeitgeber benachrichtigt den Betriebsrat unverzüglich über Mitarbeiter, die die Voraussetzungen für ein BEM erfüllen. Innerhalb von 6 Arbeitstagen trifft das Integrationsteam eine Entscheidung, ob ein BEM angeboten wird.

Erachtet das Integrationsteam ein BEM nicht als sinnvoll, wird ein BEM nicht angeboten.

(2) Soweit die Betriebsparteien hierüber nicht einig sind, nimmt ein Mitglied des Integrationsteams einen ersten, nicht formellen Kontakt mit dem Betroffenen auf. In diesem Stadium ist auf die Verwendung von Schriftstücken zu verzichten. In diesem mündlichen Erstkontakt erhält der Mitarbeiter die Ankündigung, dass ihm die erforderlichen Informationen zu BEM zeitnah zugeleitet werden (BV und Anlagen). Teilt der Betroffene mit, dass er an der Teilnahme an einem BEM interessiert ist, wird er in das Verfahren nach dieser BV einbezogen. Lehnt der betroffene Mitarbeiter eine Teilnahme ab, ist das Verfahren für ihn beendet. Der Mitarbeiter hat seine Entscheidung nach Zuleitung der Unterlagen in der Form der Anlage 2 mitzuteilen. Der BR wird über die Entscheidung des Mitarbeiters informiert.

(3) Der vorstehende Absatz gilt auch für die Mitarbeiter, die nach übereinstimmender Einschätzung der Betriebsparteien für das BEM in Betracht kommen.

(4) Die Teilnahme an einem BEM ist in jedem Stadium freiwillig.

(5) Mitarbeitern, die an einem BEM nicht teilnehmen möchten, dürfen hierdurch keine Nachteile entstehen.

(6) Die Anlagen können durch einstimmigen Beschluss des Integrationsamts abgeändert werden.

(7) Das Anschreiben ist nicht an die Privatadresse des betroffenen Mitarbeiters zu senden.

§ 7 Datenschutz

(1) Das BEM erfolgt unter Wahrung der jeweils gültigen datenschutzrechtlichen Bestimmungen. Das Integrationsteam ist zur Verschwiegenheit gegenüber jedermann verpflichtet mit Ausnahme der Berichtspflicht nach § 5 Abs. 3 dieser BV.

(2) Wenn personenbezogene Daten an Nichtmitglieder weitergegeben werden sollen, hat das Integrationsteam die betroffenen Mitarbeiter über diese Absicht zu informieren und vor der Weitergabe ihre schriftliche Einwilligung einzuholen. Wenn Ärzte angehört und gesundheitliche Informationen erörtert werden sollen, dürfen die Ärzte ihnen bekannt gewordene gesundheitliche Informationen erst an das Integrationsteam weitergeben, wenn die Mitarbeiter sie vorher schriftlich von der Schweigepflicht entbunden haben.

(3) Die im Rahmen dieser BV mit Zustimmung des betroffenen Mitarbeiters zulässig erhobenen Daten dürfen ausschließlich für die in der Vereinbarung benannten Ziele des BEM verwandt werden. Zu anderen Zwecken ist ihre Verwendung untersagt. Die Verwendung der Daten, die nach § 84 SGB IX die Verpflichtung des Arbeitgebers zu einem BEM auslösen, bleiben hiervon unberührt. Gesundheitsdaten sind beim Integrationsteam unter Verschluss und auf jeden Fall getrennt von der Personalakte aufzubewahren. Nach Abschluss des BEM sind alle personenbezogenen Daten des betroffenen Mitarbeiters (bis auf eine abschließende Fallstatistik) unter Verschluss zu halten und dürfen nur mit Zustimmung des betroffenen Mitarbeiters verwandt werden.

€€

Im Übrigen wird auf die BV BEM (Bl. 5/6 d. A.) Bezug genommen.

Dem entsprechend der BV BEM gebildeten Integrationsteam wurde am 30.01.2009 eine Liste mit namentlicher Benennung von Mitarbeitern übergeben, die mehr als 42 Arbeitsunfähigkeitstage im Zeitraum vom 01.02.2008 bis 31.01.2009 aufwiesen (Bl. 20 d. A.).

Eine Information des Betriebsrats ist nicht erfolgt.

Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, dass ihm ein Unterrichtungsanspruch darüber zustehe, welche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Betrieb seit dem 01.01.2009 eine Arbeitsunfähigkeit von sechs Wochen oder mehr innerhalb der zurückliegenden zwölf Monate aufweisen oder bei denen diese bereits eingetreten sei. Zugleich begehrte er Auskunft darüber, welche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Betriebs seit dem 01.01.2009 die Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements beantragt haben.

Er hat vorgetragen, dass er die Einhaltung der BV BEM nur überwachen könne, wenn er Kenntnis davon habe, welche Arbeitnehmer unter den Anwendungsbereich dieser Betriebsvereinbarung fallen. Datenschutzrechtliche Bestimmungen stünden dem nicht entgegen, ohne Kenntnis der Daten sei ihm auch die Geltendmachung des Initiativrechts aus § 84 Abs. 2 Satz 6 SGB IX nicht möglich.

Der Betriebsrat hat erstinstanzlich beantragt:

1. Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller darüber Auskunft zu geben, bei welchen Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmern des Betriebs O. seit dem 01.01.2009 eine Arbeitsunfähigkeit von sechs Wochen oder mehr innerhalb der zurückliegenden zwölf Monate eingetreten ist oder bereits am 01.01.2009 vorgelegen hat.

2. Dem Antragsgegner wird aufgegeben, den Antragsteller darüber zu unterrichten, welche Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer des Betriebs O. ihrerseits seit dem 01.01.2009 die Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements beantragt haben.

Der Arbeitgeber hat demgegenüber beantragt,

die Anträge abzuweisen.

Er ist der Auffassung, dass der Auskunftsanspruch aufgrund datenschutzrechtlicher Gründe nicht gegeben sei, da gem. § 84 Abs. 2 SGB IX ein betriebliches Eingliederungsmanagement nur mit Zustimmung und Einwilligung des betroffenen Arbeitnehmers in Betracht komme. Daher sei die Erhebung und Verarbeitung und damit die Weitergabe seiner Daten nur mit Einwilligung des betroffenen Arbeitnehmers möglich.

Das Arbeitsgericht München hat mit Beschluss vom 16.04.2010, auf den wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen und der Beschlussgründe Bezug genommen wird, den Anträgen stattgegeben und dies im Wesentlichen damit begründet, dass sowohl aus § 84 Abs. 2 Satz 7 SGB IX als auch aus § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG dem Betriebsrat die beanspruchten Auskunftsansprüche zukommen. Datenschutzrechtliche Bestimmungen stünden dem nicht entgegen, da die Nutzung der beanspruchten personenbezogenen Daten durch die arbeitsrechtlichen Sonderbestimmungen erlaubt sei.

Gegen den den Verfahrensbevollmächtigten des Arbeitgebers am 11.05.2010 zugestellten Beschluss haben diese am 10.06.2010 Beschwerde eingelegt und diese nach erfolgter Fristverlängerung bis 30.07.2010 an diesem Tag begründet.

Der Arbeitgeber ist der Auffassung, dass den begehrten Auskunftsansprüchen das informationelle Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Arbeitnehmer entgegenstehe. Unter Verweis auf Stimmen in Literatur und verwaltungsgerichtlicher Instanzrechtsprechung ist er der Meinung, die Vorabübermittlung der Arbeitsunfähigkeitsdaten bedeute eine Einschränkung des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen gem. Art. 2 Abs. 1 GG und sei insoweit unzulässig.

Im Gegensatz zu der Mitbestimmung bei der Installation des Verfahrens des betrieblichen Eingliederungsmanagements setze die Einschaltung des Betriebsrats und die damit verbundene Übermittlung der sensiblen Gesundheitsdaten die zuvor erteilte Zustimmung des Betroffenen an der Durchführung des Verfahrens voraus. Die Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes würden erst an konkretisierten Sachverhalten und noch nicht bei abstrakten Sachverhalten greifen.

Das betriebliche Eingliederungsmanagement nach § 84 Abs. 2 SGB IX gliedere sich in zwei Phasen. Vorab müsse der Arbeitgeber den Kreis der Beschäftigten bestimmen, die in den Klärungsprozess nach § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX einzubeziehen seien, die er zu unterrichten und um Zustimmung zur Durchführung des betriebliche Eingliederungsmanagements nachzufragen habe.

Habe der Arbeitnehmer zugestimmt, beginne in der zweiten Phase der eigentliche Klärungsprozess, bei dem der Betriebsrat dann mitzuwirken habe.

Würde man entsprechend dem Verlangen des Betriebsrats vorab alle Daten der die Fehlzeiten erfüllenden Arbeitnehmer übermitteln, wären darunter auch diejenigen, die ein betriebliches Eingliederungsmanagement ablehnen.

Zutreffend habe zwar das Erstgericht festgestellt, dass der Betriebsrat nicht Dritter i. S. der datenschutzrechtlichen Vorschriften sei, dabei jedoch verkannt, dass das Informationsrecht an den Maßstab und die Voraussetzungen des § 84 Abs. 2 SGB IX gebunden sei und diese Vorschrift als spezifische Regelung einem etwa weiterreichenden Datenschutz vorgeht.

Auch aus der BV BEM könne sich der Auskunftsanspruch nicht ergeben, da dort sogar eine Einschränkung der Weitergabe an Nichtmitglieder des Integrationsteams von der schriftlichen Einwilligung des Betroffenen abhängig gemacht sei.

Der Arbeitgeber stellt folgende Anträge:

1. Der Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 16.04.2010, Az. 27 BV 346/09, wird abgeändert.

2. Der Antrag des Beschwerdegegners, Auskunft zu geben, bei wessen Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmern des Betriebs O. seit dem 01.01.2009 eine Arbeitsunfähigkeit von sechs Wochen oder mehr innerhalb der zurückliegenden Monate eingetreten ist oder bereits am 01.01.2009 vorgelegen hat und den Beschwerdegegner darüber zu unterrichten, welche Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer des Betriebs O. ihrerseits seit dem 01.01.2009 die Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements beantragt haben, wird abgewiesen.

Der Betriebsrat beantragt demgegenüber,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und verweist darauf, dass gem. § 84 Abs. 1 SGB IX bei einer sechswöchigen Arbeitsunfähigkeit i. S. des § 84 Abs. 2 SGB IX die Einschaltung des Betriebsrats denknotwendig vorausgegangen sein muss.

Der Betriebsrat benötige die Namen der betroffenen Arbeitnehmer sowie die Daten zu Beginn und Ende der Arbeitsunfähigkeit, da diese Daten vom Arbeitnehmer erhoben und gespeichert würden, damit er, der Betriebsrat, seiner Verpflichtung zur Einleitung des betrieblichen Eingliederungsmanagements nachkommen könne. Er könne nur in Kenntnis dieser Daten erkennen, wer länger als sechs Wochen arbeitsunfähig krank gewesen sei. Dieser Auffassung habe sich nunmehr auch für den Bereich des öffentlichen Dienstes das Bundesverwaltungsgericht angeschlossen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Vorbringens wird auf die Schriftsätze vom 30.07.2010 und 01.09.2010 Bezug genommen.

Im Anhörungstermin vom 24.11.2010 hat der Arbeitgeber unter Bezugnahme auf ein nach seiner Ansicht sachidentisches Verfahren beim Arbeitsgericht Bonn, 5 BV 20/10, bei dem die Sprungrechtsbeschwerde zugelassen worden sei, die Aussetzung des Verfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluss beim Bundesarbeitsgericht beantragt. Der Betriebsrat hat sich dem widersetzt und darauf verwiesen, dass dem dortigen Streit eine andere Betriebsvereinbarung zugrunde liege.

II.

Die zulässige Beschwerde des Arbeitgebers ist unbegründet.

1.Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist gem. § 87 Abs. 1 ArbGG statthaft und auch sonst zulässig, da form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§ 89 Abs. 1 und 2 ArbGG; § 87 Abs. 2 ArbGG i. V. m. §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

2.Entgegen dem Aussetzungsantrag des Arbeitgebers war in der Sache zu entscheiden, ein Fall der Vorgreiflichkeit i. S. d. § 148 ZPO liegt nicht vor. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt nicht vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses ab, das Gegenstand der Entscheidung des Arbeitsgerichts Bonn war. Dies schon deshalb, da keine Identität zwischen den Beteiligten beider Beschlussverfahren besteht. Allein die Parallelität zur zu beantwortenden Rechtsfrage reicht nicht für die in § 148 ZPO geforderte Vorgreiflichkeit. Das Führen eines sog. €Musterprozesses€ kann nur mit Zustimmung beider Seiten zu einem Ruhen des Verfahrens gem. § 251 ZPO führen. Die Zustimmung des Betriebsrats ist vorliegend nicht gegeben. Es kann daher dahinstehen, ob und in welchem Umfang § 251 ZPO im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren Anwendung findet.

3.Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Dem Betriebsrat stehen die begehrten Auskunftsansprüche gem. § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG i. V. m. § 5 BV BEM, § 84 Abs. 2 Satz 7 SGB IX, § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG zu.

4.Die vom Betriebsrat verfolgten Auskunftsanträge sind zulässig, insbesondere sind die Anträge hinreichend konkret (§§ 80 Abs. 2, 87 Abs. 2 ArbGG i. V. m. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).

5.Das Arbeitsgericht hat dem Betriebsrat die begehrten Auskunftsansprüche mit rechtlich zutreffender Begründung zugesprochen. Die Beschwerdekammer folgt der erstinstanzlichen Entscheidung und nimmt dessen Darstellung der Gründe in Bezug (§ 87 Abs. 2 i. V. m. § 69 Abs. 2 ArbGG analog). Im Übrigen gilt im Hinblick auf die Angriffe der Beschwerde Folgendes:

6.Die begehrten Auskunftsansprüche stehen dem Betriebsrat bereits aus § 5 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 3 Abs. 1 und Abs. 2 BV BEM zu, da der Arbeitgeber gem. § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zur Durchführung dieser Betriebsvereinbarung insoweit gegenüber dem Betriebsrat verpflichtet ist.

§ 5 BV BEM normiert seinem eindeutigen Wortlaut nach die unverzügliche Benachrichtigungspflicht des Arbeitgebers gegenüber dem Betriebsrat über Mitarbeiter, die die Voraussetzungen für ein betriebliches Eingliederungsmanagement erfüllen. Gem. § 3 BV BEM erfüllen die Voraussetzungen für ein betriebliches Eingliederungsmanagement alle Mitarbeiter, die innerhalb von zwölf Monaten länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind (§ 3 Abs. 1 BV BEM) oder von sich aus ein betriebliches Eingliederungsmanagement beantragen (§ 3 Abs. 2 BV BEM).

7.Die von der Arbeitgeberseite erklärte Kündigung der Betriebsvereinbarung beseitigt die Verpflichtung nicht, da nach dem unstreitigen Beteiligtenvorbringen eine ablösende Betriebsvereinbarung bisher nicht geschlossen wurde und die BV BEM daher gem. § 77 Abs. 6 BetrVG nachwirkt. Die Auskunftspflichten werden nicht durch § 7 Abs. 2 und Abs. 3 BV BEM entgegen dem Unterrichtungsverlangen des Betriebsrats eingeschränkt. Die dort normierten Zustimmungsvorbehalte des betroffenen Mitarbeiters beziehen sich auf die - wie der Wortlaut des § 7 Abs. 3 Eingangssatz BV BEM deutlich macht - €im Rahmen dieser BV mit Zustimmung des betroffenen Mitarbeiters zulässig erhobenen Daten€ und betreffen daher allenfalls die in der BV BEM geregelten Durchführungsbestimmungen, nicht aber die Frage des Geltungsbereichs dieser Betriebsvereinbarung und ebenso wenig die Frage der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX.

8.Dem Betriebsrat stehen die begehrten Auskunftsansprüche auch aus § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG i. V. m. § 84 Abs. 2 Satz 7 SGB IX zu.

Nach letztgenannter Bestimmung hat der Betriebsrat darüber zu wachen, dass der Arbeitgeber die ihm nach § 84 SGB IX obliegenden Verpflichtungen erfüllt. Diese Verpflichtungen setzen gem. § 84 Abs. 2 SGB IX für den Arbeitgeber zwingend immer dann ein, wenn Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig erkranken.

69Die Überwachungsverpflichtung des Betriebsrats aus § 84 Abs. 2 Satz 7 SGB IX kann dieser jedoch nur dann erfüllen, wenn der Arbeitgeber ihm mitteilt, welche betroffenen Mitarbeiter innerhalb des Referenzzeitraums von einem Jahr länger als sechs Wochen erkrankt waren. Zur Durchführung dieser dem Betriebsrat ausdrücklich zugewiesenen Überwachungsaufgabe, die im Übrigen auch aus § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG folgt, ist der Betriebsrat daher im Umfang der gestellten Auskunftsansprüche rechtzeitig und umfassend vom Arbeitgeber zu unterrichten (§ 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG).

709.Die Auffassung des Arbeitgebers ist daher unzutreffend, dass Informationsrechte des Betriebsrats erst nach einer Zustimmung des betroffenen Mitarbeiters einsetzen.

Die in § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX genannte Zustimmung der betroffenen Person setzt, vorausgehend die arbeitgeberseitig zu treffende Feststellung, voraus, ob Beschäftigte länger als sechs Wochen arbeitsunfähig erkrankt sind und eine arbeitgeberseitige Anfrage an die betroffene Person vorausging. Dies macht auch § 84 Abs. 2 Satz 2 SGB IX deutlich, wonach die betroffene Person €zuvor€ auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen ist. Ohne Kenntnis der vom Betriebsrat beanspruchten Daten kann dieser nicht überwachen, ob der Arbeitgeber seiner gesetzlich gebotenen Initiativlast nachkommt. Die Informationsverpflichtung des Arbeitgebers bezieht sich somit bereits entgegen seiner Rechtsauffassung auf die erste Phase des betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 84 Abs. 2 SGB IX.

10.Ein Überwachungs- und Informationsrecht des Betriebsrats besteht entgegen der Auffassung des Arbeitgebers auch zugunsten der betroffenen Personen, die dann in der Folge ein betriebliches Eingliederungsmanagement ablehnen. Denn eine wirksame Ablehnung kann nur auf ein wirksames Angebot eines betrieblichen Eingliederungsmanagements seitens des Arbeitgebers gestützt werden. Damit dient die Überwachungsverpflichtung auch der Einhaltung der Wahlfreiheit der betroffenen Personen und kann nicht erst zeitlich danach einsetzen. Dem so verstandenen Auskunftsanspruch des Betriebsrats stehen auch keine durchgreifenden datenschutzrechtlichen Grenzen entgegen.

11.Gem. § 32 Abs. 1 BDSG in der ab 01.09.2009 geltenden Fassung (BGBl. I, S. 2814) dürfen personenbezogene Daten eines Beschäftigten, wozu auch die Arbeitsunfähigkeitszeiten gehören, für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder nach Begründung desselbigen für dessen Durchführung oder Beendigung erforderlich ist.

Die Erhebung der €Krankheitsdaten€ ist für den Arbeitgeber schon zur Prüfung und Durchführung der Entgeltfortzahlungspflicht nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz erforderlich, die Nutzung der dergestalt erhobenen Daten durch den Betriebsrat ist nach den voran dargestellten Gründen gem. § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG erforderlich.

Die Zulässigkeit der Datennutzung durch den Betriebsrat wird auch durch § 32 Abs. 3 BDSG bestätigt, wonach die Beteiligungsrechte der Interessenvertretungen der Beschäftigten unberührt bleiben.

12.Durch die Neufassung des § 32 BDSG, eingefügt durch Art. 1 Nr. 12 des Gesetzes vom 14.08.2009 (aaO), hat der Gesetzgeber die bereits langjährig auf § 4 Abs. 1 BDSG gestützte Rechtsprechung zur Nutzung personenbezogener Daten im Rahmen der Betriebsratsaufgaben bestätigt.

Bereits mit Urteil vom 17.03.1983 (6 ABR 33/80, zit. n. Juris) ist das Bundesarbeitsgericht davon ausgegangen, dass die Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes dem Einblicksrecht des Betriebsrats in Bruttolohn- und -gehaltslisten nicht entgegensteht. Zudem geht das Bundesarbeitsgericht auch in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Verarbeitung von personenbezogenen Daten der Arbeitnehmer datenschutzrechtlich schon dann zulässig ist, wenn sie durch eine Betriebsvereinbarung erlaubt wird (vgl. BAG v. 27.05.1986, 1 ABR 48/84 und v. 30.08.1995, 1 ABR 4/95, jew. zit. n. Juris).

Soweit das Bundesarbeitsgericht davon ausgeht, dass datenschutzrechtliche Regelungen in Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen nicht einen beliebigen Inhalt haben können, sondern sich im Rahmen der Regelungsautonomie halten und die für diese Autonomie geltenden grundgesetzlichen Wertungen, insbesondere zwingendes Gesetzesrecht und Grundsätze des Arbeitsrechts beachten müssen (vgl. BAG v. 27.05.1986, aaO), erfüllt die vorliegende Betriebsvereinbarung ohne weiteres diese Anforderungen.

13.Zwar ist es zutreffend, dass die €Krankheitsdaten€ der betroffenen Personen persönlichkeitsrechtsgeschützte Daten in Anwendung des Art. 2 Abs. 1 GG darstellen.

Das allein macht jedoch eine Nutzung der vorliegenden Art, wie von der BV BEM vorgenommen, in Bezug auf den Betriebsrat nicht unzulässig. Deren Zulässigkeit oder Unzulässigkeit kann sich, vielmehr wie auch sonst im Persönlichkeitsschutz des Arbeitnehmers, nur aus einer Abwägung der gegenseitigen Interessen wegen einer solchen Nutzung der Arbeitnehmerdaten ergeben.

Die Interessenabwägung ergibt zunächst, dass sich die Regelung in § 5 BV BEM im Rahmen der Regelungsmacht der Betriebspartner hält. Sie wird insbesondere durch § 84 SGB IX und die dort geregelte Einschaltung des Betriebsrats in das betriebliche Eingliederungsmanagement gerechtfertigt. Hinzutritt, dass die BV BEM auch nicht einen Zugriff auf die wesentlich sensibleren konkreten Befunddaten (welche Krankheit, konkrete Dauer der konkreten Erkrankung) ermöglicht und dies vom antragstellenden Betriebsrat auch nicht eingefordert wird.

Demgegenüber besteht für die Weitergabe der personenbezogenen, lediglich Anfang und Ende der angezeigten Arbeitsunfähigkeit bezeichnenden Daten der betroffenen Personen aufseiten des Betriebsrats ein überwiegendes Interesse.

Neben dem - wie bereits dargestellt - eigenem Interesse der betroffenen Person ist vor allem das kollektive Interesse der gesamten vom Betriebsrat repräsentierten Arbeitnehmer dahingehend zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber einheitlich auf alle betroffenen Personen i. S. d. § 84 Abs. 2 SGB IX zugeht und unter Beachtung der Grundsätze der Gleichbehandlung das gesetzlich vorgegebene Instrument der betrieblichen Eingliederung anbietet.

Es bestehen schließlich auch keine rechtlichen noch vorliegend tatsächlichen Ansätze, davon auszugehen, dass die vom Arbeitgeber ohnehin schon erhobenen personenbezogenen Arbeitsunfähigkeitsdaten in der Sphäre des Betriebsrats weniger sensibel gehandhabt würden als in derjenigen des Arbeitgebers.

14.Zur Abrundung sei noch darauf verwiesen - wenngleich es für die betriebsverfassungsrechtliche Bewertung nicht unmittelbar darauf ankommt -, dass nunmehr auch die obergerichtliche Rechtsprechung der Verwaltungsgerichtsbarkeit grundsätzlich davon ausgeht (vgl. BVerwG vom 23.06.2010, 6 P 8/09), dass datenschutzrechtliche Bestimmungen dem Informationsanspruch der Beschäftigtenvertretung nicht entgegenstehen und hierzu eine vorherige Zustimmung des jeweils Betroffenen nicht erforderlich ist (vgl. VG Berlin v. 04.04.2007, 61 A 28.06, zit. n. Juris).

III.

Das Verfahren ist gem. § 2 Abs. 2 GKG gerichtskostenfrei.

IV.

Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben, da die Rechtsbeschwerde gem. § 92 Abs. 1 i. V. m. § 72 Abs. 2 ArbGG nicht zuzulassen war, da die Entscheidung auf einer langjährig gefestigten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aufbaut und auch durch das von der Arbeitgeberseite genannte Verfahren vor dem Arbeitsgericht Bonn keine grundsätzliche Bedeutung gewinnt. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde gem. § 92 a i. V. m. § 72 a ArbGG wird hingewiesen.

Müller Eckinger Wieland






LAG München:
Beschluss v. 24.11.2010
Az: 11 TaBV 48/10


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